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In Forschungen zu Paul Valéry. Recherches Valéryennes vol. 18 (2005) 9-42 _____________________________________________________ _ Jürgen Schmidt-Radefeldt (Rostock) Valéry und Einstein Relativité – Disposition des variables selon «l’observateur». L’«absolu» étant ce qui se retrouve identique après transformation quelconque. Si l’on tient compte de tout, il n’y a que l’observation même qui se conserve, même pas l’observateur. (C IX, 385; C Pl. II, 852). Es scheint erstaunlich, dass in mehr als einem Dutzend deutschsprachiger Biografien über Albert Einstein der Name Valéry überhaupt nicht genannt wird – bis in die letzten Jahre. 1 Erst in dem monumentalen Band Albert Einstein. Ingenieur des Universums, den Jürgen Renn zu der von ihm organisierten Ausstellung zur 100- Jahrfeier der speziellen Relativitätstheorie in Berlin 2005 herausbrachte, wird Valéry einmal genannt. 2 Man könnte daraus schließen, dass die Beziehung zwischen Einstein und Valéry – wenn man dazu das Internet konsultiert – auf ein Foto aus dem Jahr 1929 (siehe unten) oder gar eine einzige Anekdote hinausliefe, die zudem unterschiedlich kolportiert wird: Valéry habe Einstein einmal gefragt, wie und wo er denn seine Gedanken notiere, worauf dieser ihm geantwortet haben soll, dass er (sc. Einstein) keine oder nur selten Gedanken habe, dass der Mensch überhaupt nur ein oder zwei umwerfende Gedanken in seinem ganzen Leben haben könne. 3 Wie gering man nun die Authentizität solcher Anekdoten veranschlagen mag, immerhin charakterisieren sie punktuell die Gesprächspartner und deren mögliches Verhältnis zueinander – den Protokollanten der Denkprozesse Valéry mit seinen Cahiers und eine Denkhaltung des großen Physikers und Nobelpreisträgers Einstein. Von den vielen anderen persönlichen Kontakten, die beide im Verlaufe ihres Lebens mit zeitgenössischen Wissenschaftlern, Intellektuellen und Literaten hatten, sind solche Anekdoten kaum überliefert. Zumindest ist unbestreitbar, dass beide – Einstein wie Valéry – gerade auch viele gemeinsame Bekanntschaften hatten, zeitgenössische Intellektuelle,

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  • In Forschungen zu Paul Valéry. Recherches Valéryennes

    vol. 18 (2005) 9-42

    _____________________________________________________

    _

    Jürgen Schmidt-Radefeldt (Rostock)

    Valéry und Einstein

    Relativité – Disposition des variables selon «l’observateur».

    L’«absolu» étant ce qui se retrouve identique après

    transformation quelconque. Si l’on tient compte de tout, il n’y a

    que l’observation même qui se conserve, même pas

    l’observateur. (C IX, 385; C Pl. II, 852).

    Es scheint erstaunlich, dass in mehr als einem Dutzend deutschsprachiger

    Biografien über Albert Einstein der Name Valéry überhaupt nicht genannt wird – bis

    in die letzten Jahre.1 Erst in dem monumentalen Band Albert Einstein. Ingenieur des

    Universums, den Jürgen Renn zu der von ihm organisierten Ausstellung zur 100-

    Jahrfeier der speziellen Relativitätstheorie in Berlin 2005 herausbrachte, wird Valéry

    einmal genannt.2

    Man könnte daraus schließen, dass die Beziehung zwischen Einstein und

    Valéry – wenn man dazu das Internet konsultiert – auf ein Foto aus dem Jahr 1929

    (siehe unten) oder gar eine einzige Anekdote hinausliefe, die zudem unterschiedlich

    kolportiert wird: Valéry habe Einstein einmal gefragt, wie und wo er denn seine

    Gedanken notiere, worauf dieser ihm geantwortet haben soll, dass er (sc. Einstein)

    keine oder nur selten Gedanken habe, dass der Mensch überhaupt nur ein oder zwei

    umwerfende Gedanken in seinem ganzen Leben haben könne.3 Wie gering man nun

    die Authentizität solcher Anekdoten veranschlagen mag, immerhin charakterisieren

    sie punktuell die Gesprächspartner und deren mögliches Verhältnis zueinander – den

    Protokollanten der Denkprozesse Valéry mit seinen Cahiers und eine Denkhaltung

    des großen Physikers und Nobelpreisträgers Einstein. Von den vielen anderen

    persönlichen Kontakten, die beide im Verlaufe ihres Lebens mit zeitgenössischen

    Wissenschaftlern, Intellektuellen und Literaten hatten, sind solche Anekdoten kaum

    überliefert. Zumindest ist unbestreitbar, dass beide – Einstein wie Valéry – gerade

    auch viele gemeinsame Bekanntschaften hatten, zeitgenössische Intellektuelle,

  • 10

    Schriftsteller oder Naturwissenschaftler der international scientific commuity in

    der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – was weiterhin auch durch ihre jahrelange

    Mitarbeit im Völkerbund in den zwanziger Jahren mit dem Ziel von

    Völkerverständigung, Verbreitung demokratischer Grundgedanken und Pazifismus

    gestützt wird.

    Physik am Anfang des Jahrhunderts

    Bevor Valéry auf seiner ersten Deutschlandreise Albert Einstein 1926 persönlich

    kennenlernte, war er – wie seine Cahiers kontinuierlich belegen – über aktuelle

    Probleme der Physik bestens informiert, so über Thermodynamik, Theorien des

    Lichts oder die Relativitätstheorie. Grundgedanken etwa von Henri Poincaré, Gibbs,

    Maxwell, Carnot, Kelvin, Helmholtz, Planck, Heisenberg wie vor allem auch von

    Einstein werden in seinen Cahiers aufgegriffen; mit zeitgenössischen französischen

    Physikern und Mathematikern wie Henri Poincaré, Émile Borel, Marie Curie, Léon

    Brunschwicg, Maurice und Louis de Broglie, Paul Langevin, Jacques Hadamard,

    Jean Perrin und anderen stand er in ständigem Kontakt, besuchte deren

    Forschungslabore oder traf sie bei Empfängen in Salons und bei Vorträgen in der

    Sorbonne, der Académie française, dem Collège de France oder der Académie des

    Sciences.

    Ende des Jahres 1919 hatte Valéry in der englischen Zeitschrift Athenæum einen

    populärwissenschaftlichen Artikel über Einsteins Gravitationstheorie gelesen, den

    Text etwas gekürzt, spontan übersetzt und Jacques Rivière zur Veröffentlichung in

    der N.R.F. angeboten.4 Vier Jahre später auf der Eisenbahnfahrt von Paris nach

    Brüssel (Mitte Februar 1923) las er La théorie de la relativité restreinte et

    généralisée, mise à la portée de tout le monde von Einstein.5

    Dieses Jahr 1919 war auch insofern von Bedeutung, als die totale Sonnenfinsternis

    am 29. Mai von zwei britischen Expeditionen dahingehend beobachtet wurde, die

    Lichtablenkung im Gravitationsfeld und damit Einsteins Voraussage experimentell

    und die allgemeine Relativitätstheorie zu bestätigen: Einstein erreichte Weltruhm.

    Dazu mag es ihm eine Genugtuung gewesen sein, dass die Universität Rostock am

    Tage ihrer 500-Jahrfeier (am 12. November 1919) ihn mit der Ehrendoktorwürde

    auszeichnete (ebenso wie Max Planck) – und es sollte die einzige bleiben, die

  • 11

    Einstein in Deutschland jemals erhalten hat (und die ihm wie anderen jüdischen

    Wissenschaftlern in der Zeit der Nationalsozialisten aberkannt wurde).6

    Der erklärte Pazifist Einstein verfolgte politisch das Ziel, die Aussöhnung zwischen

    den Völkern voranzutreiben, gerade auch zwischen den beiden „Erbfeinden“

    Frankreich und Deutschland – Einstein sprach fließend Französisch und hatte beste

    Kontakte zu seinen Pariser Physiker-Kollegen; nichtsdestoweniger fühlte er sich als

    deutscher Wissenschaftler bis zu der Bucherscheinung 100 Autoren gegen Einstein

    (Leipzig 1931), den zunehmenden antisemitischen Anfeindungen, dem Entzug der

    „deutschen Ehrenbürgerrechte“ und konsequent seinem Austritt aus der Preußischen

    Akademie der Wissenschaften 1932/33.

    Auf dem ersten Solvay-Kongress 1911 in Brüssel hatte Einstein dann Paul Langevin,

    Henri Poincaré und Marie Curie kennengelernt; die beiden letzteren schrieben (neben

    Max Planck) die Gutachten zu seiner Bewerbung und Berufung an die ETH Zürich

    (1912). Zehn Jahre danach (vom 28. März bis 10. April 1922) lud ihn Paul Langevin

    nach Paris an das weltoffene Collège de France zum Vortrag ein, an dem auch Marie

    Curie und Henri Bergson teilnahmen – Valéry offensichtlich nicht. Die Académie

    française demgegenüber hatte von einer Einladung Einsteins Abstand genommen;

    drei Viertel der „quarante immortels“ drohten an, den Saal bei Einsteins Eintritt zu

    verlassen. Mit dem Physiker Paul Langevin verband Einstein eine aufrichtige

    Freundschaft, nicht nur wissenschaftlich, sondern vor allem aufgrund ihrer

    gemeinsamen politischen und ethischen Ziele (das begann schon mit Einsteins erster

    Reise nach Paris 1913): in einem Brief vom 22. 7. 1923 schreibt Einstein etwa an die

    Borns: „Langevin reist eigens hierher für eine pazi-fistische Manifestation, ein

    prächtiger Mensch. Wie ohnmächtig auch die guten und gerechten Menschen sein

    mögen, sie allein machen das Leben lebenswert.7

    Valéry trifft Einstein in Berlin 1926

    Berlin besuchte Valéry nur einmal, in den ‚goldenen zwanziger’ Jahren, Anfang

    November 1926. Im Januar dieses Jahres hatten die letzten französischen und

    belgischen Truppen die Kölner Zone verlassen, der Streit um das Ruhrgebiet war

    beendet, in Frankreich wechselte dreimal der Ministerpräsident (Briand, Herriot,

    Raymond Poincaré), das Deutsche Reich wurde am 8. September in den Völkerbund

    mit einem ständigen Ratssitz aufgenommen, in Berlin feierte der Theaterregisseur

    Max Reinhardt am 30. Oktober sein 25jähriges Bühnenjubiläum am Deutschen

    Theater. Am 10. Dezember dieses Jahres sollten die beiden Außenminister Briand

  • 12

    und Stresemann den Friedensnobelpreis erhalten als Auszeichnung für ihre

    Bemühungen um die Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland.

    Damit ist gesagt: Dieser Vortragsbesuch Valérys in Berlin stand also unter einem

    besonders günstigen Stern, er fand in der Zeit eines neuen geistigen, europäischen

    Aufbruchs statt. Valéry wohnte in der Botschaft Frankreichs am Pariser Platz, und

    der Botschafter Pierre de Margerie (1923-1931 in Berlin) kümmerte sich persönlich

    um die Organisation und Gesprächspartner dieses Besuchs. Verschiedene

    Tageszeitungen brachten die Nachricht als herausragendes Ereignis, insbesondere die

    Vossische Zeitung8, doch auch andere Berliner Tageszeitungen bewiesen ein erhöhtes

    Interesse: Valéry reiste von Prag über Wien an, der erste Kongress der

    paneuropäischen Union (gegründet 1923) hatte dort vom 3. bis 6. Oktober 1926

    stattgefunden, ihr Präsident Graf Richard Coudenhove (1894-1972) hatte diesen

    Kongress einberufen, um einerseits die Öffentlichkeit auf das Ziel eines

    europäischen Staatenbunds als Alternative zu einem möglichen neuen Weltkrieg zu

    orientieren9, andererseits um Thematiken wie die internationalen Beziehungen,

    Minderheitenprobleme, Zoll- und Verkehrsprobleme sowie die intellektuelle

    Zusammenarbeit voranzubringen. Politiker wie Briand, Loucheur, Painlevé, Herriot

    (später auch de Gaulle und Adenauer), Wissenschaftler wie Albert Einstein oder

    Schriftsteller wie Thomas Mann gehörten der paneuropäischen Union an; als

    Sympathisanten galten Paul Claudel, Stefan Zweig, Sigmund Freud und eben

    Valéry.10

    Der fulminante Aufenthalt Valérys in Berlin, das Zeitungsecho auf seine

    Vorträge11

    und die vielen gedrängten Treffen mit europäisch und pazifistisch

    gesinnten Politikern (sozialistischen, republikanisch-demokratischen), mit in- und

    ausländischen Diplomaten, Theaterleuten sowie Intellektuellen (vielfach jüdischer

    Glaubensrichtung), Literaten, Journalisten und Kritikern – wie auch mit Albert

    Einstein – hinterließen bei ihm einen tiefen Eindruck12

    , wie die Notizen in den

    Cahiers („La salle est comble - Einstein au deuxième rang - le Tout Berlin“; C XI,

    776) und auch der erste Brief Einsteins an Valéry vom 11. Dezember 1926 belegen

    („Ich hatte die Freude, Sie hier zu hören und Ihnen die Hand zu drücken.“).13

    Wiedersehen in Paris 1929

    Wiederum drei Jahre später – am 10. und 12. November 1929 – trifft Valéry

    Einstein, doch nun in Paris: bei dem Begrüßungstreffen im Hause von Borel

    (zusammen mit Perrin) fragt Valéry nach der Wahrscheinlichkeit der Einheit der

    Natur, woraufhin Einstein antwortet, das sei eine Glaubenssache - „c’est un acte de

  • 13

    foi“ (C Pl. II, 876; C/H 5, 415). Danach nehmen beide in der Sorbonne an einer

    Vortragsfolge zur gegenwärtigen Physik teil (mit anschließender Diskussion). Als

    Reaktion auf den ersten Vortrag von Louis de Broglie notiert Valéry in seinen

    Cahiers, dass er sich einem Wirrwarr von Ideen ausgesetzt gefühlt habe und sich

    geradezu beglückwünsche, schon vor siebenunddreißig Jahren (also 1892) klar

    unterschieden zu haben, was ein Bild (image), was eine Beobachtung (observation),

    was ein Zeichen (signe) sei. Auf diese für ihn fundamentale Erkenntnis kommt

    Valéry in seinen Cahiers immer dann zurück, wenn er eine Bilanzierung seiner

    Ergebnisse angeht. Auch Einstein stellt in seinem autobiographischen Abriss fest,

    dass ihm klare Trennungen in der Welt der „Phänomene“ wesentlich waren: „Ich

    sehe auf der einen Seite die Gesamtheit der Sinnenerlebnisse, auf der anderen Seite

    die Gesamtheit der Begriffe und Sätze, die in den Büchern niedergelegt sind. Die

    Beziehungen zwischen den Begriffen und Sätzen untereinander sind logischer Art“,

    funktionieren nach festgesetzten Regeln; „Begriffe und Sätze erhalten ‚Sinn’ bzw.

    ‚Inhalt’ nur durch ihre Beziehung zu Sinnerlebnissen.“ 14

    Die beiden Vorträge Einsteins dann – zuerst in der Sorbonne und später im Institut-

    Henri-Poincaré – sowie das persönliche Wiedersehen werden von Valéry in seinen

    Cahiers mit großer persönlicher Anteilnahme kommentiert.

    „5h30. Conf[érence] d’Einstein – Einstein vieilli, lourd. Expose très

    lentement avec accent et lacunes – D’abord rien de difficile – Puis – peu

    comprennent – Il énonce son dessein – Unité de la nature – trouver les lois

    les plus simples.“ (C XIV, 98 [1929]; C Pl. II, 874; dt. C/H 5, 412)

    Gerade diese Suche Einsteins nach den einfachsten Gesetzen der Natur, nach der

    Vereinfachung des physikalischen Weltbilds (und damit nach der Vereinfachung des

    Galileischen Relativitätsprinzip, demzufolge die Gesetze der Mechanik in einem

    ruhenden wie in einem sich gleichförmig bewegenden System dieselben sind), haben

    Valéry hinsichtlich seiner eigenen Analyse der Gesetze des menschlichen Geistes

    fasziniert und bestätigt, darin fühlte er sich Einstein geradezu geistesverwandt – wie

    er zum zweiten Vortrag Einsteins am 12. November kommentiert:

    „À 5h30 conf(érence) d’Einstein. Je suis très intéressé vers la fin – Il se

    montre grand artiste et c’est le seul artiste au milieu de tous les savants – Il

    développe son incertitude et sa FOI fondée sur l’architecture (ou beauté)

    des formes. Ceci me touche intimement – Einstein peut procéder comme

    j’aurais voulu procéder – par voie des formes..“ (C Pl. II, 875; dt. C/H 5,

    413).15

  • 14

    Zu der Menge derart großer „Künstler“ zählte Valéry ebenso geniale

    Erscheinungen wie Leonardo da Vinci, Rembrandt oder Bonaparte, bei denen es sich

    für ihn nicht um sterbliche „Menschen“ handelt, sondern um eine „Synthese aus

    reinem Engel und reinem Tier“, wenngleich für sie eine menschliche Gestalt und

    menschliches Seinsform erforderlich sei (vgl. C XIV, 477). Dem Bekenntnis

    Einsteins zu wissenschaftlichem Zweifel und zu einem Glauben, der sich auf die

    Architektur (oder Schönheit) der Formen gründet, schließt sich Valéry voll an und

    empfindet eine glückhafte geistige Wahlverwandtschaft zu Einstein.

    Mitarbeit in der Coopération intellectuelle in Genf

    Das Jahr 1930 steht für Valéry ganz im Zeichen öffentlicher und internationaler

    Anerkennung, war er doch für den Nobel-Preis vorgeschlagen worden (und wartete

    dann aber vergeblich auf den Telefonanruf aus Stockholm). Zur Aufnahme des

    Marschalls Pétain in die Académie française (am 22. Januar des folgenden Jahres)

    hatte er den Discours übernommen; Valéry und Pétain trafen sich mehrfach in

    diesem Jahr, wie in den Cahiers nachzulesen ist, und damit wurde das Thema Krieg

    dominant. Die Definition des „grand artiste“ (C XIV, S. 477, S. 502, S. 603, S. 680)

    und der Genie-Gedanke (C XIV, S. 479, S. 491, S. 536, S. 688f.) werden von Valéry

    in den Cahiers mehrfach aufgegriffen, beide Thematiken stehen eng mit Einstein in

    Zusammenhang. Und Einstein wird namentlich auch in diesem Jahr 1930 in den

    Cahiers erwähnt: einmal im Zusammenhang mit dem Projekt eines III. Faust, wo

    Einstein für die gesamte „Science“ steht (C. XIV, 745), ein anderes Mal zur der

    Relativität und ihrer Übertragbarkeit auf andere Phänomenbereiche (etwa auf

    mentale Prozesse und Funktionen):

    La relativité d’Einstein [et d’autres] est une solution du problème de

    covariance pour toutes transformations de coordonnées. Mais il y a aussi

    une « relativité » – ou covariance concevable à toute échelle.

    Transformation statistique et trans-formation interphénoménale ou plutôt

    intra. (1930. C XIV, 498.)

    Und Valéry führt den Gedanken bis zu einem « Univers individuel » fort. Einige

    Seiten weiter (C XIX, 681) geht er erneut auf „relativité“ ein und stellt fest, dass sie

    eigentlich nur die Referenz der Bewegung und des Ortes betreffen würde.

  • 15

    Die Sitzungen der Coopération intellectuelle in Genf fanden in diesen Jahren meist

    Mitte Juli statt: zuerst 1928 (Thema: Übersetzungsprobleme), 1929 und 1930, an

    denen Valéry teilnahm. So traf er auch am 18. Juli 1930 in Genf ein, wo ihm Hélène

    Vararesco, Painlevé und Gonzague de Reynold nahelegten, doch den Vorsitz des

    neu gegründeten Comité permanent des Arts et Lettres (eines dem Institut de

    Coopération intellectuelle unterstellten Instituts) zu übernehmen (vgl. C XIV, 503),

    was er akzeptierte und dessen erste Sitzung unter seiner Leitung am 6. Juli 1931 in

    Genf stattfand.

    Ein offizielles Foto mit den Mitgliedern der Cooperation Intellectuelle entstand

    1929 vor dem Hôtel Léger in Thoiry (frz. Département Ain, nordwestl. von Genf)

    und wurde danach mehrfach veröffentlicht (in Einstein. Collection Génies et Réalité.

    Paris 1966, S. 158 ; in Kenji Sugimoto, Albert Einstein. Die kommentierte

    Bilddokumentation. Gräfelding 1987, S. 91), es diente sogar 1930 als Illustration auf

    einer rumänischen Sonderpostkarte (mit Sonderbriefmarke) zu Ehren des

    rumänischen Diplomaten und Politikers Nicolae Titulescu (Präsident des

    Völkerbunds von 1930-1932, dort mit roten Kreisen umrahmt die Köpfe von

    Titulescu und Einstein); auf dem Foto erkennt man weiterhin P. Painlevé, G.

    Murray, G. Oprescu, N. Titulescu und Paul Valéry). Vermutlich ist dieses das

    einzige gemeinsame Bild von Valéry und Einstein.

    „Relativität“, ein durchgängiger Gedanke bei Valéry

    Da die Physik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von dem Gedanken der

    Relativität durchdrungen ist – man denke in Frankreich vor allem an Henri Poincaré,

    den Valéry ja sehr früh und aufmerksam gelesen hatte16

    – findet sich dieser Gedanke

    auch durchlaufend in den Cahiers, zum ersten Mal deutlich im Herbst 1915. Die

    Frage der „relativité“ ist für Valéry immer eng verbunden mit „temps“, also

    Zeitdauer und Zeitunterbrechungen (schon die Thermodynamik war eine Theorie der

    Zeit, vgl. C Pl. II, 899), mit „observateur“ (die systematische Einführung des

    Beobachters ergibt Relativität, vgl. C Pl. II, 881) und dem „point de vue“17

    . Gehen

    wir kurz auf diese Thematiken ein, weil sie von Valéry für seine eigene Theorie des

    Bewusstseins (System) analogisiert wurden.

    In einem langen Text (der nicht in den Cahiers der Pléiade-Ausgabe zu finden ist)

    geht es um „Temps“: ein Ich (je) sieht zugleich zwei unterschiedlich entfernte

    Körper, ein 20 Lichtjahre entferntes Gestirn und einen 10 Minuten entfernten

    Planeten – dazu einen Beobachter am Punkte xyz, der die Erde und diese zwei

    Himmelskörper sieht. „Dès lors pour chaque obervateur placé sur chacun des astres il

  • 16

    y aura un tableau simultané“ (CV,706[1915]), denn wenn die

    Menschheitsgeschichte auf den drei voneinander ungleich entfernten

    Himmelskörpern gleich ablaufen würde, so würde der Beobachter im Jahr 1915 auf

    Erde (1), Erde (2) und Erde (3) auf den jeweils anderen Erden immer ein anderes

    Jahr oder Jahrtausend sehen – und Valéry fügt amüsiert hinzu, „Et celui qui pourrait

    se regarder dans un miroir situé à 93000 milliards de kilomètres se verrait de dix ans

    plus jeune.“ (ibid.) Zu diesem Gedankenexperiment Valérys um die zeitversetzte

    Beobachtung merkt Niko Strobach [dem ich herzlich für diesen Hinweis danke]

    kritisch an, dass Valéry hier irrt, weil es sich nicht um die Relativität der

    Gleichzeitigkeit in der speziellen Relativitätstheorie handelt; die Relativierung der

    Gleichzeitigkeit ist zwar aus der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit (spezielle RT)

    zu folgern, aber ‚Gleichzeitigkeit’ ist nicht als ‚gleichzeitig beobachtet werden’ zu

    verstehen; was den Beobachtern auf den drei Planeten kurios erscheint, ist seit 1675

    physikalisch denkbar (als Römer die Lichtgeschwindigkeit maß), also auch ganz

    ohne Relativierung der Gleichzeitigkeit.

    Valéry seinerseits kommt auf diesen Text dann fünf Seiten danach nochmals zurück:

    „Relativité. Voir p. 20.

    Inexistence de simultanéité (ou nécessité de définir le lieu pour fixer

    l’époque – et le lieu, c’est un observateur). L’existence et présence de cet

    observateur elsewhere, a pour effet d’ordonner – par rapport à son objet le

    plus prochain – son « corps » par exemple, – l’ensemble des objets

    sensibles.

    Tous les éléments de cet ensemble ont pour propriété commune

    l’observateur. Je suis propriété commune de toutes les choses présentes.

    (…)“ (C V, 711; C Pl. II, 841; dt. C/H 5, 372 [1915]).

    Das jeweilige Alter dieser Dinge kann der Beobachter nicht unterscheiden, so führt

    Valéry weiter aus, die Raum-Entfernungen jedoch erkennt er; ein Blitz würde für

    einen sich genügend schnell entfernenden Beobachter ewig dauern, und das

    Universum ist dann endlich, wenn alle seine Zustände sich in irgendeinem Punkt xyz

    kombinieren und zusammensetzen ließen. Das Prinzip der Relativität der Bewegung

    (mouvement, acte) lässt sich also anhand von Licht und Geschwindigkeit sehr gut

    erkennen, die Anordnung der Variablen aber folgt immer dem Beobachter. Und so

    kommt Valéry zu dem Schluss:

  • 17

    „Toute théorie de relativité pourrait se réduire à ceci: Il n’existe pas de

    variables indépendantes.“ (C XII, 688; C Pl. II, 866; dt. C/H 5, 402 [1927-

    1928])

    Und das gilt gleichwohl fünf Jahre später:

    „Relativité – Voici mon énoncé: Il n’y a pas de variables indépendantes en

    soi. On est obligé d’en prendre dans chaque analyse. Il n’y a aucune

    variable isolé.“ (C XV, 608 ; C Pl. II, 883; dt. C/H 5, 423 [1932]).

    In seinen Cahiers und Œuvres kommt er mehr als zwei Dutzend Mal auf Einstein

    namentlich zu sprechen, Stichworte zu unserer Thematik wie énergie, espace,

    espace-temps, éther, gravitation, masse, observateur, (la) physique, temps, relativité

    u. a. durchziehen wie ein roter Faden die Cahiers und verlangen eine ausführliche

    Darstellung.18

    Valéry scheut sich keineswegs, die physikalische Weltsicht der

    geisteswissenschaftlichen gegenüber zu setzen, wenn sie rational verglichen werden

    können, oder sie zu seinen Zwecken zu nutzen: formal gesehen kann man in einem

    literarischen Werk auch Faktoren (Variablen) wie den Organisationsgrad der

    Gedanken, die Schreibabsicht und die eingesetzten sprachlichen Mittel eines Autors

    offenlegen und mit denen des Physikers vergleichen – und so wie die Materie bei

    Einstein nichts anderes ist als ein „plissement de l’espace-temps“, so auch das

    literarische Werk im „univers de l’esprit“ (C XXIII, 299; C Pl. II, 1044; dt. C/H 6,

    167 [1941]). Doch Valéry hat auch verschiedentlich konkrete Ereignisse aus der

    Welt der Physik benannt, die eine poetische Gestaltung erlauben würden, die ihm

    zumindest als geeignet erschienen:

    Als Thema für ein Gedicht schwebte ihm vor, dass Einstein sich nach Zürich begibt,

    um das absolute Differentialkalkül zu erlernen, das er für Ausarbeitung seiner

    Theorie der allgemeinen Relativität benötigt. (C Pl. II, 1324; dt. C/H 6, 508 [1924]).

    In seinen Entwürfen zu einem III. Faust soll die theoretische Physik auf die Bühne

    gebracht werden, die Umkehrung aller Werte, die vergiftete Natur, keine „universelle

    Invariante“ (das ist Gott) sollten auftreten, die Nationen und der Völkerbund (Société

    des Nations) erscheinen, und natürlich Mephisto (vgl. C. Pl II, 1331; C/H 6, 517

    [1930]).

    Und auch das Gedicht Le vin perdu (in Charmes) gewinnt durch den Rückgriff auf

    Poincarés La Valeur de la Science (1906, S. 182 f.) physikalische Tiefe:

  • 18

    „Qu’une goutte de vin tombe dans un verre d’eau; quelle que soit la loi du

    mouvement interne du liquide, nous le verrons bientôt se colorer d’une

    teinte rosée uniforme et à partir de ce moment on aura beau agiter le vase,

    le vin et l’eau ne paraîtront plus pouvoir se séparer. (...) Tout cela, Maxwell

    et Boltzmann l’ont expliqué, mais celui qui l’a vu le plus nettement, dans

    un livre peu lu parce qu’il est un peu difficile à lire, c’est Gibbs, dans ses

    principes de Mécanique Statique.“

    In den Œuvres wird Einsteins Besuch in Paris 1929 und die dort gehaltenen Vorträge

    zuerst in dem Dialog L’idée fixe, ou deux hommes à la mer (1931) ausführlich

    thematisiert: in diesem Gespräch zwischen einem Arzt und dem Ich kommen

    verschiedene „fixe Ideen“ (die ja nicht „fixiert“ sein können, da Denken ständig in

    Bewegung ist – doch ideologische Ideen setzen sich durchaus in Köpfen fest) zur

    Sprache, z. B. Krankheiten, Zeit, geistige Nebelflecken oder die Einheit der Natur.

    Der Ich-Sprecher in diesem Dialog erläutert nicht nur das klassische Beispiel für

    Relativität, sondern bekennt unverhohlen seine Begeisterung, als Einstein am Ende

    seines Vortrags festgestellt habe: „La distance, a-t-il dit, entre la théorie et

    l’expérience est telle, – qu’il faut bien trouver des points de vue d’architecture.“ (Œ

    II, 264; dt. Werke 2, 235), und er fügt hinzu, dass an die experimentelle Verifikation

    seiner Arbeiten noch lange nicht zu denken sei.19

    Für Valéry ist es auch das

    konstruktive Denken, das er in der Architektur (man denke an Eupalinos, oder Der

    Architekt) zwischen den Polen des großen theoretischen Entwurfs und seiner

    Umsetzung in der Wirklichkeit sieht, in dem er eine ästhetische Seite (die Schönheit

    der Formen) zu erkennen glaubt.20

    Noch in zwei anderen Werken lässt Valéry das Einsteinsche Weltbild erstehen: in

    dem Essay Au sujet d’Eurêka (Œ 1, 854-867; dt. Werke 4, 110-124), verfasst als

    Einleitung zur Baudelaireschen Übersetzung von Poes Eurêka 1921, beschreibt

    Valéry seine Leidenschaft für die Naturwissenschaften, die ihn mit zwanzig Jahren

    aufgrund der Lektüre von Poes Eurêka. An Essay on the material and spiritual

    Universe (1848) gepackt habe, der – von Kepler, Newton, Laplace und vor allem

    Emerson angeregt – den Konflikt zwischen Verstand und Gefühl, zwischen

    rationalem und poetischem Denken thematisiert, gerade auch von der Gravitation im

    Universum handelt und zu dem Schluss kommt:

    „There is no mathematical demonstration which could bring the least

    additional true proof of the great TRUTH which I have advanced – the

    truth of Original Unity as the source – as the principle of the Universal

    Phaenomena.“ 21

  • 19

    Indem Valéry Poes kosmologische Theorie der Konsistenz als Versuch anerkennt,

    das Universum durch interne Eigenschaften zu definieren, und auch zu behaupten,

    dass jedes Gesetz der Natur in allem Punkten von allen anderen Gesetzen abhängt –,

    versteigt er sich zu der rhetorischen Frage: „N’est-ce point, sinon une formule, du

    moins l’expression d’une volonté de relativité généralisée?“ (Œ I, 858; dt. Werke 4,

    114). Dieser Sprung von einem Jahrhundert ins andere, von Poes metaphysischem

    Gedicht zu Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, will geradezu vermessen

    erscheinen; so sind es vor allem die symmetrischen, harmonischen, wechselseitigen

    Beziehungen zwischen Materie, Zeit, Raum, Schwerkraft und Licht, die Poe wie

    auch Valéry herausstellt: „c’est en effet, une symétrie formelle qui est le caractère

    essentiel de la représentation de l’univers selon Einstein. Elle en fait la beauté“ (Œ

    I, 858; dt. Werke 4, 115). Für Valéry ist dieser ästhetische Aspekt unverzichtbar und

    von grundlegender Bedeutung.

    In dem philosophischen Essay L’Homme et la coquille (1937), der das objet trouvé

    der Muschel zum Gegenstand des Erstaunens macht, kommt Valéry ein anderes Mal

    auf Einstein und die Relativitätstheorie zu sprechen. Wie konnte solch ein Wesen

    (Molluske und Muschel) mit solch einer Symmetrie entstehen, so fragt er sich, in

    dem anatomische und physikalische Kräfte, Zeitabläufe verschiedenster Art,

    chemische Stoffe innerhalb ihrer Umweltbedingungen und vieles andere mehr

    zusammen und gegeneinander wirken. Die Durchlässigkeit zwischen Molekül, Zelle

    und Masse ist ein erstaunliches Phänomen: „La vie passe et repasse de la molécule à

    la micelle, et de celle-ci aux masses sensibles, sans avoir égard aux compartiments

    de nos sciences, … La vie, sans nul effort, se fait une relativité très suffisamment

    .“ (Œ I, 903; dt. Werke 4, 176) Und leicht amüsiert, ja humoresk, fügt

    Valéry hinzu, dass dies alles viele Millionen Jahre vor Euklids Geometrie und dem

    berühmten Einstein geschah und dass dieser Euklid angesichts seiner Elemente weit

    davon entfernt war,

    „d’imaginer qu’un jour viendrait où un certain M. Einstein dresserait une

    pieuvre à capturer et à dévorer toute geométrie ; et non seulement celle-ci,

    mais le temps, la matière et la pesanteur, et bien d’autres choses encore,

    insoupçonnées des Grecs, qui, broyées et digérées ensemble, font les

    délices du tout-puissant Mollusques de référence. Il suffit à ce monstrueux

    céphalopode de compter ses tentacules, et, sur chacun, les suçoirs qu’il

    porte, pour se sentir ‚maître de soi comme de l’Univers’.“ (Œ I, 903 f. ; dt.

    Werke 4, 176). 22

  • 20

    Doch Valéry sieht diese Einsteinsche Erkenntnis einer Bezugsmolluske im Lichte

    der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, einer bewusst und subtil anthropomorphen

    Welterklärung, wie er in seinen Cahiers notiert, die im 17. Jahrhundert klare

    Unterscheidungen, Klassifikationen, mechanis(tis)che Ansätze eingeführt hatte,

    damit aber bald in Widersprüche und Erklärungsnöte geriet, um dann „Relativität“

    zuzulassen und einen Beobachter einzuführen – und er folgert daraus:

    „En somme ce qui se conserve se réduit à l’instant-événement. (Mollusque

    de référence d’Einstein.)

    Or le syst[ème] de référence réel c’est le corps – l’observateur c’est mon

    corps. La relation du corps au non-corps est l’objet dernier de la physique

    – cette relation non entièrement réciproque.“ (C VIII, 443; C Pl. II, 851; dt.

    C/H 5, 384 [1921-1922])

    Die verschiedenen Ansätze Valérys, die Wissenschaftsgeschichte der Physik (was für

    Valéry identisch mit Histoire de l’humanité ist, vgl. C Pl. II, 881; dt. C/H 5, 420) in

    ihren wesentlichen Phasen oder Fortschritten vorzustellen, laufen meist darauf

    hinaus, dass es zwei gegeben hat: vor Einstein (das Geheimnis der Masse, feste

    Körper, Mechanik, Energie, Entropie, Wärme, Elektrizität) und nach bzw. mit

    Einstein (grundlegende Veränderung von LMT, Atomen, Strahlung, Relativität,

    Quanten, Relais) – „Enfin Einstein“ , so notiert Valéry 1939-1940 (C Pl. II, 903; dt.

    C/H 5, 447), und diese Formulierung erinnert an das Erscheinen eines Malherbe23

    –,

    denn die neue Feldtheorie Einsteins hielt er für fähig „englober quanta et chimie“ (C

    XV, 212; C Pl. II, 881; dt. C/H 5, 421 [1931]). Es sei hier abschließend erwähnt, dass

    Valéry „Relativität“ sowohl durch die körperlichen Koordinaten als strukturelle

    Setzungen versteht (vgl. C Pl. II, 746-747; C/H 2, 329), wie vor allem als eine

    Geisteshaltung, einen skeptischen Blickpunkt von außen, „un certain esprit de

    relativité“ (C VII, 543; C Pl. I, 251; dt. C/H 1, 319), den er vor allem der Literatur

    gegenüber verwendet.

    Den Kosmopoliten Einstein verband jedoch – wie schon erwähnt – noch eine andere

    Tätigkeit zwischen den Kriegen mit Valéry: ihre gemeinsame Aktivität in der

    Commission Internationale de la Coopération intellec-tuelle (CICI) des Völkerbunds

    (Ende April 1922), in die auch Madame Curie und andere französische Physiker und

    Naturwissenschaftler gewählt waren. Die Sitzungen fanden meist in Genf oder Paris

    statt. Im März 1923 gab Einstein seine Mitgliedschaft vorübergehend zurück, weil er

    meinte, sich als Jude in öffentlichen Dingen besser zurückzuhalten, da das Vertrauen

    ihm gegenüber bei vielen Deutschen nicht gegeben sei. Der Völkerbund erschien in

  • 21

    den ersten Jahren seines Wirkens doch recht kompromittiert. Doch schon im Juni

    1924 trat Einstein dann wieder in die CICI ein – vor allem auf Drängen seiner

    französischen Kollegen. Nachdem Valéry seinerseits mit Beginn der zwanziger Jahre

    eine größere Vortragstätigkeit im europäischen Ausland entfaltet hatte, besprach er

    sich mit Henri Bergson (dem Präsidenten der CICI seit 1921) und wurde zu einem

    Vortrag im April 1925 vor die französischen Comité-Mitglieder geladen.

    Zwischenzeitlich hatte die CICI Unterkommissionen gegründet (z.B. für europäische

    Universitätsangelegenheiten, für Wissenschaft und Bibliographie, für das Recht der

    freien Meinungsäußerung), und so fügte man im Juli 1925 eine Unterkommission

    „Lettres et Arts“ (Belletristik und Künste) hinzu – zu der Valéry den Vorsitz

    annahm. Die Aktivitäten der CICI bestanden in (meist) jährlichen Vortrags- und

    Gesprächskonferenzen in verschiedenen Städten Europas24

    , auf denen aktuelle

    Themen der europäischen Politik diskutiert und im Anschluss daran veröffentlicht

    wurden. So entstand etwa auch die Idee zu einer Publikation, indem Einstein 1932 zu

    einem Briefwechsel mit Sigmund Freud über die Frage «Warum Krieg?» bewegt

    wurde (veröffentlicht 1933). Die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 zwang

    Einstein dann zu der Entscheidung, nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren.

    Nachdem er sich einige Wochen Ende März 1933 noch im belgischen Badeort Le

    Coq (bei Ostende), von wo er auch Valéry einen letzten Brief schrieb, und bis

    September in England aufgehalten hatte, nachdem ihm die deutsche

    Staatsangehörigkeit aberkannt, sein Vermögen konfisziert und sogar ein Kopfgeld

    auf ihn ausgesetzt war, erklärte er seinen Austritt aus der Preußischen Akademie der

    Wissenschaften und verließ Europa mit Ziel Princeton/ New Jersey in den

    Vereinigten Staaten. Valéry hatte ihm am 14. April 1933 einen letzten Brief nach Le

    Coq geschrieben25

    : die Gewalt einer unsinnigen, bestialischen Politik gegenüber dem

    stärksten und edelsten Geist der Epoche bewegten ihn zu Mitgefühl und Abscheu –

    so schrieb Valéry, sein Schicksal sei eine Schande für die ganze restliche Welt26

    ,

    „Vous êtes un Homme d’univers sacrifié à l’Idole de l’Etat.“ – und mit Freude

    konstatiert er zuletzt, dass Einstein ein Lehrstuhl am Collège de France angeboten

    wurde. Bekanntlich konnte aus diesem Projekt nichts mehr werden, die

    amerikanische Entscheidung war gefällt. Einstein beantwortete Valérys Brief zehn

    Tage darauf, indem er beklagte, dass sich keine Organisation in Deutschland für das

    Schicksal der Juden und liberalen Geister verantwortlich fühlte, wobei er vor allem

    die „Vernichtung wissenschaftlicher und künstlerischer Schaffenskraft“27

    und die

    schweigende Teilnahmslosigkeit gerade auch des Auslands an den Pranger stellte: er

    benannte die Sorge, dass auch in anderen europäischen Ländern der Verlust an

    humanen Idealen sich wohl fortsetzen würde.

  • 22

    Valéry hat wie gesagt von Zeit zu Zeit, in Briefen wie in seinen Cahiers, immer

    wieder seinen Standort bestimmt, wann er was erkannt, gemacht, verfasst und vor

    allem gelesen hatte – eine solche Bilanzierung findet sich auch einmal in einem Brief

    an seinen Freund Pierre Louÿs vom 1. November 1916. Erstaunlich an einer hier

    aufgeführten Leseliste ist, dass neben Belletristik (hier Eckermanns Gespräche mit

    Goethe, Voltaires Romane, die Märchen von 1001 Nacht) vor allem natur-

    wissenschaftliche Bücher (hier eines zur Aeronautik von Nicolai Joukowsky, zur

    Sprachwissenschaft von Max Müller, zur Chemie der radioaktiven Elemente von

    Frederick Soddy) genannt werden, und Valéry zu dem Schluss kommt:

    „Ce qui prouve que ces accessoires font bien partie de la véritable vie

    humaine, exactement comme (sinon un peu plus que) les locomotives, les

    songes, les sacrements de l’Église, les vérités de la foi, etc., sans oublier

    les conceptions de Messieurs Soddy, Rutherford, Planck, Einstein et Cie.“

    28

    Der Dichter und Intellektuelle Valéry war sich klar darüber, dass

    naturwissenschaftliche conceptions oder Theorien – und eben auch fiktionale

    Literatur ! – das Bewusstsein von Wirklichkeit der Menschen, mehr als gemeinhin

    angenommen wird, beeinflussen, was nun in Zeiten der Globalisierung noch größere

    Dimensionen gewonnen hat. Wenn Kant durch „reine Anschauung“ und durch

    Transzendentalphilosophie das Wesen von Raum und Zeit zu erfassen und zu

    erkennen versucht hat, so ist das ebenso philosophisch zu nennen, wie wenn Einstein

    auf der Grundlage mathematisch-physikalischer Begrifflichkeiten und

    verifizierenden Beobachtungen der Wirklichkeit ein anderes Weltbild entwirft, das

    seiner-seits für diese seine Zeit größte Plausibilität aufweist. Und dazu muss er selbst

    nicht einmal ein philosophisches System intendiert haben29

    ; ebenso wie Valéry –

    wenn nur die Konzeption einer ins Auge gefassten Erkenntnis einen hinreichend

    großen Gesamtumfang hat.

    …also wozu Physik in der Erkenntnisanalyse?

    Am Ende dieses Beitrags kann deshalb gefragt werden, warum und wozu Valéry sich

    gerade den Theorien der Physik (hier der Relativitätstheorie) zugewendet hat. Sicher

    erhob diese Wissenschaft den größten Anspruch, eine Pilotwissenschaft zu sein, sie

    übt(e) die stärkste Faszination aus (etwa indem sie Alltagsbeobachtungen der

    körperlichen Welt gesetzlich erklärt und nun sogar Hypothesen über (noch)

    unbeobachtbare, vergangene wie auch zukünftige Geschehnisse aufstellt); sie traf auf

  • 23

    eine große teilnehmende Öffentlichkeit, gerade in den Hauptstädten Berlin und

    Paris. Doch Valéry war kein studierter Mathematiker oder Physiker, ihn interessierte

    die näher liegende Analyse des menschlichen Geistes und Bewusstseins.

    „J’ai appris un peu de physique pour mes besoins en cherchant où je

    pouvais des images, des modèles, des exemples de prolongements

    d’idées – pour me représenter le fonctionnement de ce dont la conscience

    est l’acte.“ (C X, 578; C Pl. II, 816; dt. C/H 2, 410 [1925])

    Das Interesse Valérys in seinen Forschungen vor allem der Cahiers war durchgehend

    auf die Analyse der Funktionsweise von „Phänomenen“ wie Körper, Geist,

    Bewusstsein, Gedächtnis, Sprachkompetenz, Aufmerksamkeit, Traum, Sensibilität,

    d.h. aller mentalen Prozesse ausgerichtet: die Modelle der Physik waren ihm dabei

    Hilfsmittel der/zur Erkenntnis, ihre Exaktheit und ihr Abstraktionsgrad waren ihm

    dabei höchster Anspruch:

    „Einstein a créé un point de vue, mais il n’y a pas d’œil humain qui s’y

    puisse placer.

    Il n’y a pas d’œil qui puisse voir à la fois la face et le profil d’un homme,

    d’un seul tenant.

    – Peut-on créer un point de vue analogue – (formel) pour l’intus et l’extra ?

    pour le physique et le psycho-affectif ?“ (C X, 562 ; C Pl. I, 816 ; dt. C/H

    2, 409 f. [1925])

    Die Frage nach diesem Blickpunkt, den kein Auge eines möglichen Beobachters

    einnehmen kann, musste insofern offen bleiben, als Valéry die Suche nach seinem

    „système“30

    (etwa dem System des Moi, des Bewusstseins oder der Triade CEM

    Corps / Esprit / Monde) nur „relativiert“ zu einem vorläufigen Ende geführt hat.

    Anmerkungen

    1)Das trifft auch zuletzt auf Hubert Goenner, Einstein in Berlin 1914-1933 (München: Beck 2005,

    S. 292) zu, wo Valéry neben Salvador de Madariaga, Thomas Mann und Béla Bartok als Mitglied

    der am 4. Januar 1922 gegründeten „Internationalen Kommission für intellektuelle Kooperation“

    genannt wird. Diese Kommission wählte im Verlaufe ihrer ersten Sitzung am 1. August 1922 in

    Genf als Präsidenten Henri Bergson. Im Jahre 1924 wurde dazu ein internationales Institut für

    intellektuelle Kooperation (Institut International de Coopération intellectuelle) gebildet, dessen

    Budget Frankreich übernahm; von 1925 bis 1946 verwirklichte dieses Institut, das im Palais Royal

    von Paris residierte (bzw. ihre Commission), den Vorschlag Valérys, dass eine „Société des

  • 24

    Nations“ (Völkerbund) doch eine ‚Société de l’esprit’ voraussetzen müsste. Vgl. dazu Jean-Marc

    Houpert, „Völkerbund und Vereinigung des Geistes“, in FoPV 9 (1997), S. 49-118.

    2)Gerald Holton („Die Frau in Einsteins Schatten“, in Jürgen Renn, Hg., Albert Einstein. Ingenieur

    des Universums. Hundert Autoren für Einstein, Berlin : Wiley-VCH Verlag 2005, S. 334) schreibt:

    „Schließlich gab es [im Keller des Hauses von Einstein in Princeton] säuberlich geordnete Mappen

    zu Gandhi, Paul Valéry, Bertrand Russel, (…) Tagore, Schweitzer, Thomas Mann, Bernard Shaw“.

    3) a) Albert Einstein: « Maintenant que nous en parlons, cela me rappelle un débat public au

    collège de France, où se trouvait Bergson, mais également Paul Valéry. Valéry, on le sait,

    fourmillait d'idées, il noircissant des milliers de pages. Au cours du débat, il m'a demandé si je me

    levais la nuit pour noter une idée. Je lui ai répondu : ‘Mais, des idées, on n'en a qu'une ou deux

    dans sa vie.’“ (www.org/EIN/bergson.html).

    b) René Thom: “ [...] c'est la même situation que celle que décrivait Einstein à Valéry. Einstein

    était allé rendre visite à Valéry, où Valéry l'avait invité et là, évidemment, toujours très curieux de

    comprendre les mécanismes de la relativité, Valéry a posé des tas de questions à Einstein et, en

    particulier, il lui a demandé : mais enfin, maître, est-ce que vous vous relevez la nuit pour noter vos

    idées sur un petit carnet ? Et Einstein a laissé tomber: oh! vous savez des idées, on en a deux ou

    trois dans sa vie!“ (http://perso.orange.fr/jacques.nimier/entretien_thom.htm - Entretien René

    Thom mit J. Nimier).

    c) Bill Bryson (in id., A Short History of Nearly Everything, Black Swan 2003, S. 123 und S. 162):

    “The poet Paul Valéry asked once Albert Einstein how he kept his ideas, perhaps in a note-book.

    Einstein: ‘No, because I have no ideas.’ Some days later he published the relativity

    theory.”www.mchron.net/site/edublog_comments.php?id=883_0_13_0_C. Die Wahrheit von

    Anekdoten ist bekanntlich relativ.

    4)Dieser Artikel wurde von Valéry ins Französische übersetzt (in Forschungen zu Paul Valéry

    /Recherches valéryennes 18 (2005) 43-47).

    5)Vgl. Agathe Rouart-Valéry, „Introduction biographique“, in Paul Valéry, Œ 2, 46. – Im Anhang

    dieses Beitrags findet sich die Liste der Publikationen zu Einstein und Valérys Lektüre; Brian

    Stimpson, der die Bibliothek Valéry rekonstruiert, sage ich hiermit Dank. Vgl. auch Judith

    Robinson, Analyse de l’esprit dans les Cahiers de Valéry, Paris: Corti 1963, S. 41, Anm. 18 (mit

    weiteren bio- und bibliografischen Angaben zur Relativitätstheorie und Valérys Einstein-Lektüre).

    In einer Notiz des Jahres 1929 (C XIII, 759; C Pl. I, 644; dt. C/H 2, 208) verweist Valéry auf seine

    Lektüre von Einsteins erstem Vortrag an der Universität Princeton.

    6)In der Urkunde der Medizinischen Fakultät (sic!) Rostocks heißt es „in Anerkennung der

    gewaltigen Arbeit seines Geistes, durch die er die Begriffe von Raum und Zeit, von Schwerkraft

    und Materie von Grund aus erneuert hat“; Ehrenpromotionen der Universitäten Princeton, ETH

    Zürich, Oxford, Harvard wie zuvor schon der Nobelpreis (1922) folgten. Vgl. www.einstein-

    webseite.de/z_informationen/ehrungen.html )

    7)Albert Einstein / Hedwig und Max Born, Briefwechsel 1916-1955, kommentiert von Max Born.

    Geleitwort von Bertrand Russell. Vorwort von Werner Heisenberg. München: Nymphenburger

    Verlagshandlung 1969, S. 115.

    8)Die Vossische Zeitung (Nr. 257 vom 2. November 1926) weist auf den Besuch des „größten

    lebenden Dichter Frankreichs“ hin und druckt zuerst unter dem Titel „Das Zeitalter Montesquieus“

    http://perso.orange.fr/jacques.nimier/entretien_thom.htmhttp://www.mchron.net/site/http://www.einstein-webseite.de/z_informationen/ehrungen.htmlhttp://www.einstein-webseite.de/z_informationen/ehrungen.html

  • 25

    einige Abschnitte aus dem Aufsatz Valéry zu den Lettres persanes; in der Ausgabe vom 3.

    November folgt dann eine Präsentation der Werke Valérys durch Georg Freiherr v. Stiefeneron

    „Der Dichter Paul Valéry“, und am 5. November (Nr. 265) referiert „A.V.“ über Valérys Vortrag in

    der Botschaft „Der Intellektuelle und die Politik“.

    9)Dieser Gedanke von der Gründung einer „Fédération Européenne“ wurde dann im September

    1929 von Briand der Vollversammlung des Völkerbunds (Société des Nations) in Genf

    vorgetragen, wesentlich mit dem Ziel der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. 1930 legte er dazu ein

    Memorandum vor.

    10)Vgl.http://encarta.msn.com/text741535114;wikipedia.org/wiki/ Paneuropa-Union.

    11)Valéry hielt am 3. November 1926 im Palais der Französischen Botschaft am Pariser Platz den

    Vortrag „Der Intellektuelle und die Politik“ auf französisch; es wäre die Aufgabe gerade von

    Intellektuellen, den menschlichen Geist dahingehend zu bilden, seine Begriffssysteme positiv zu

    beeinflussen, die primitiven und in der Politik oft üblichen Denkweisen zu bekämpfen, die Klarheit

    wissenschaftlicher Methoden in den Geist der Politik hineinzutragen; die französische und deutsche

    Wissenschaft bewiesen durch die europäische Geschichte hindurch komplementäre wie konträre

    Züge, wobei er auf Leibniz als Ideal einer europäischen Geistigkeit verwies wie gerade auch auf

    die Forschungen zur Relativitätstheorie durch Poincaré und Einstein. Teile der Rede Valérys sind

    in Variété eingearbeitet, eine Kurzfassung stellt die „Allocution“ dar (mit dt. Übersetzung, in Paul

    Valéry. Philosophie der Politik, Wissenschaft und Kultur, hrsg. von J. Schmidt-Radefeldt,

    Tübingen: Stauffenburg 1999, S. 11-19). Vgl. auch L. Rademacher, „Berliner Gespräch mit

    Valéry“, in Forschungen zu Paul Valéry 11 (1998)163-168).

    12)Anwesend waren der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker (parteilos, Begründer der

    Islamwissenschaften und Hochschul-reformer in der Weimarer Republik), Frau Käthe Stresemann

    (Ehefrau von Gustav Stresemann und jüdischer Herkunft), hohe Beamte aus dem Auswärtigen

    Amt, Botschafter und Gesandte, Reichstagsabgeordnete wie Rudolf Breitscheid, Ludwig Haas und

    Werner Frhr. von Rheinbaben, Schriftsteller wie Tristan Bernard, Alfred Döblin, André Germain,

    Maximilian Harden, Klabund, Emil Ludwig u. a. Eine Soirée verbringt Valéry im Hause des

    Schauspielers Ernst Deutsch mit Albert Einstein, Alfred Kerr, Th. Wolf u.a., die Nachmittage bei

    Frau Stresemann und bei der Baronin Helene von Nostitz (der Nichte von Hindenburg, sie war

    befreundet mit Rodin, Rilke und Hofmannsthal, ihr Ehemann war Präsident der deutsch-

    französischen Gesellschaft von Berlin).

    13)Agathe Rouart-Valéry, „Introduction biographique“, in Valéry Œuvres I, S. 50; der Brief

    Einsteins an Valéry (wie auch ein anderer) ist abgedruckt in Valéry, Werke, Bd. 3, S. 536. – Valéry

    betitelte das Cahier „Berlin“ (C 11, 705), in dem sehr konkrete Stichworte (und viele Namen) zu

    seinem Aufenthalt in der deutschen Hauptstadt 1926 wie auch zur deutsch-französischen

    Beziehung zu lesen sind: zuvor in Prag und Wien begleiteten ihn neben anderen Arnold

    Bergstraesser (1926 noch als Assistent in Heidelberg, später Mitbegründer zusammen mit Alfred

    Weber, E. R. Curtius und Max Clauß des ‚Deutsch-französischen Studienkommitees’, das später

    zum DAAD / Deutscher Akademischer Austauschdienst wurde), und der Publizist Max Clauß, der

    vor allem über das Verhältnis Frankreich/Deutschland schrieb (vgl. Guido Müller, „Mitarbeit in

    der Kulisse… Der Publizist Max Clauss in den deutsch-französischen Beziehungen von der

    Weimarer Republik zum neuen Europa (1924-1943)“, in Lendemains 22 (1997), Nr. 86/7, S. 20-48;

    Valéry, C XI, 757).

    http://encarta.msn.com/text741535114http://de.wikipedia.org/wiki/Paneuropa-Union

  • 26

    14)Albert Einstein, „Autobiographisches“, in Paul Arthur Schilpp (Hrsg.), Albert Einstein als

    Philosoph und Naturforscher. Braunschweig / Wiesbaden 1983, S. 4.

    15)Valéry bezeichnet Einstein als einen „Künstler erster Größe“ (Werke 2, 235) und zeichnete

    auch ein bewegendes Porträt von ihm: „Er hat sehr viel Charme. Ein bisschen untersetzt von Statur.

    Das Gesicht blaß, voll, mit schwarzen, leuchten orientalischen Augen. Er hat etwas von einem

    Virtuosen. Das Aussehen eines Musikers. Etwas undefinierbar Musikalisches in seiner Art, in

    seinem Gesicht. Übrigens ganz schlicht… Das Lächeln kommt ihm leicht, und er lacht herzlich

    gern…“ (ibid.).

    16)Man denke an Henri Poincaré, „La Relativité de l’espace“, in id., Science et Méthode,

    Paris :(19081) 1916, S. 95-122. und id., „Sur la dynamique de l’électron“, in Rendiconti del Circulo

    Matematico di Palermo 21 (1906) 129-175 (als ‚Source text’ angeführt von Jürgen Renn, The

    Genesis of General Relativity, 4 vols., Dordrecht: Springer 2007). Ein Resümee gibt Scott Walter,

    „Henri Poincaré und die Relativitätstheorie“, in Jürgen Renn (Hg.), op. cit. 2005, 162-165.

    17)Vgl. dazu J. Schmidt-Radefeldt, „La théorie du point de vue chez Valéry ”, in Paul Valéry

    Contemporain. Actes du Colloque de Strasbourg en 1971, hg. von Monique Parent & Jean

    Levaillant, Paris : Klincksieck 1974, S. 237-249.

    18)Zu diesen Stichworten vgl. die Pléiade-Ausgabe der Cahiers.– Eine Synopse der

    Naturwissenschaften bei Valéry gibt Judith Robinson, L’Analyse de l’esprit dans les Cahiers de

    Valéry, Paris 1963.

    19)Vielleicht dachte Valéry hier auch an die einheitliche Feldtheorie (auch physikalische

    „Weltformel“ genannt), durch die Relativitätstheorie und die Quantentheorie in einer universellen

    Theorie zusammengeführt werden könnten. Die einheitliche Theorie versucht, alle Kraftfelder und

    die gesamte Materie des Universums in einer Formel – dem „(ver)einheitlichten Feld” – zu

    vereinen. Einstein gelang es nicht, sie zu formulieren. Vgl. dazu Hubert Goenner, „Einstein in

    Berlin: Die einheitliche Feldtheorie“, in Jürgen Renn (Hg.), op. cit. 2005, S. 204 f. – Vgl. die

    Stichwortartikel Zur speziellen und allgemeinen Relativitäts-theorie, Relativitätsprinzip,

    Gravitation und Krümmung des Raums, Kosmologie, Überwindung der euklidischen Geometrie im

    internet: de.wikipedia.org/wiki.

    20)In dem Artikel der Zeitschrift Athenæum, den Valéry übersetzt hat (in diesem Heft FoPV 18),

    wird das Einsteinsche Relativitätsprinzip rudimentär formuliert („rien, dans les phénomènes

    observables, ne décèle le mouvement absolu qui entraîne l’observateur“), der Auftritt Einsteins in

    der Geistesgeschichte der Physik gefeiert („C’est alors qu’Einstein intervient.“), seine Hypothese –

    unabhängig von jedweder Bestätigung – „se range parmi les monuments les plus beaux du génie

    humain“, und drei experimentelle Kriterien werden zu ihrer Verifikation genannt; das höchste

    Prädikat von Schönheit und Reinheit (beauté, pureté) käme ihr zu, wodurch der Physik ein mehr

    philosophischer Aspekt zurück gegeben würde. Diese Punkte finden sich alle bei Valéry wieder.

    21)http://xroads.virginia.edu/~hyper/poe/eureka.html

    22)Die „Bezugsmolluske“ ist ein nicht-starrer, flexibler und ständig variierender Bezugskörper, der

    einem Gaußschen 4-dimensionalen Koordinatensystem völlig gleichwertig ist; Einstein führte ihn

    1916 ein (vgl. Über die allgemeine und die spezielle Relativitätstheorie, Braunschweig: Vieweg 21917, S.67). „Einstein nannte die Metrik auch Bezugsmolluske, da sie eben einerseits den

    Bezugsrahmen bildet und andererseits ein dynamisch veränderliches, also molluskes Gebilde

    darstellt. Allerdings wird die Bezugsmolluske in der Allgemeinen Relativitätstheorie durch die

    http://xroads.virginia.edu/~hyper/poe/eureka.html

  • 27

    Materie nicht eindeutig bestimmt und teilt so mit den Inertialsystemen die Eigenschaft, eine

    gewisse, von der Materie unabhängige Selbständigkeit zu besitzen. Insofern sind die Bezugs-

    molluske und die Materie wieder unterschiedliche Wesenheiten der Theorie und keineswegs

    vereinheitlicht.“ (Horst-Heino von Borzeszkowski, „Die Einheit des physikalischen Weltbildes.

    Einsteins Arbeiten zur einheitlichen geometrischen Feldtheorie“, in Revista de Filosofia 30 (1)

    (2005) 7-24, S. 11).

    23)« Enfin Malherbe vint, ...» – so begrüßt Boileau in seiner Art poétique 1674 das neue Paradigma

    einer reglementierten, präzisen Literatursprache.

    24)So auch in Budapest, vgl. Forschungen zu Paul Valéry 14 (2001)149-170.

    25)Der Brief von Valéry an Einstein vom 16. 4. 1933 ist abgedruckt in François Valéry, L’Entre-

    trois-guerres de Paul Valéry, Nîmes, Editions Chambon 1994, S. 82; der Antwortbrief Einsteins

    aus Le Coq bei Ostende vom 24. 4. 1933 findet sich in Valéry, Werke 3, S. 536 (nur dieser Brief ist

    digital erfasst durch Einstein Archives Online, The Hebrew University of Jerusalem / California

    Institute of Technology, charakterisiert als TTrL (TypedTranscriptLetter 34- 290.00,

    www.alberteinstein.info/).

    26)Zu einem Foto von der NS-Bücherverbrennung hatte Einstein einen Text aus der Nazi-Presse

    gesetzt: „Einstein. Er fand eine stark umstrittene ‘Relativitätstheorie’. Wurde von der Judenpresse

    und dem ahnungslosen deutschen Volke hoch gefeiert, dankte dies durch verlogene Greuelhetze

    gegen Adolf Hitler im Auslande. (Ungehängt.) » (in Einstein. Collection Génies et Réalité. Paris:

    Hachette 1966, S. 198; der erste Beitrag dieses Bandes stammt von dem Nobelpreisträger Louis de

    Broglie, der die Relativitätstheorie Einsteins und die Quantentheorie Plancks als die beiden größten

    Gedankengebäude («conceptions») des 20. Jahrhunderts bezeichnete und der auch zur 29bändigen

    Ausgabe des C.N.R.S. von Valérys Cahiers die Einleitung schrieb.

    27)Dieser letzte Brief Einsteins an Valéry findet sich in Valéry, Werke 3, 536f.

    28) André Gide / Pierre Louÿs / Paul Valéry, Correspondance à trois voix 1888-1920, hrsg. von

    Peter Fawcett und Pascal Mercier. Paris : Gallimard 2004, S. 1140.

    29)Vgl. Hans Reichenbach. „Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie“, in Paul Arthur

    Schilpp (Hrsg.), op. cit., 143.

    30)Vgl. zum « System » die gleichnamige Rubrik in den Cahiers (C. Pl. I, 775-865; dt. C/H 2, 361-

    470) ; ebenso die Beiträge des Kolloquiums „Approche du „Système“, hg. von Huguette Laurenti,

    La Revue des Lettres Modernes, Paul Valéry 3. Paris : Minard 1979.

    Anhang : Valérys Lektüre zu den Naturwissenschaften

    1. Publikationen in der Privat-Bibliothek Valérys (zur Relativitäts-theorie und affinen

    Bereichen):

    Bauer, Edmond La théorie de la relativité, Éd. Léon Eyrollles 1922.

    Borel, Emile L’Espace et le Temps, Paris : Alcan 1922.

    Eddington, Arthur Espace, temps et gravitation, Paris : Hermann 1921.

    http://www.alberteinstein.info/

  • 28

    Bouvier, Robert, La pensée d’Ernst Mach. Essai de biographgie intellectuelle et critique.

    Préface de l’auteur. Paris: Librairie au Vélin d’Or 1923 [Dédicace: “A Monsieur Valéry /de

    l’Académie française / hommage respectueux de / Robert Bouvier”]

    Duhem, Pierre , Thermodynamique et chimie, Paris: Hermann 1902.

    Eddington, Arthur, L’Univers en expansion, Paris: Hermann 1934.

    Einstein, Albert, The meaning of relativity: Four lectures delivered at Princeton, Princeton

    University, May 1921.

    Einstein, Albert, La théorie de la relativité restreinte et généralisée, mise à la portée de tout le

    monde, Paris : Gauthiers-Villars 1921.

    Mach, Ernst, La Mécanique, exposé historique et critique de son développement, Paris, Hermann

    1904.

    Mach, Ernst, La Connaissance et l’erreur, Paris, Flammarion 1908.

    Perrin, Jean, Les Atomes, Paris : Alcan 1913.

    Planck, Max, La discontinuité de l’énergie (cf. lettre à P. Louÿs 6.1.1916)

    Henri Poincaré, Thermodynamique, Paris : Carré 1892.

    Henri Poincaré. Théorie des tourbillons, Paris : Carré et Naud 1893.

    Henri Poincaré, La Science et l’hypothèse, Paris : Flammarion 1902.

    Henri Poincaré, La Valeur de la Science, Paris : Flammarion 1906.

    Henri Poincaré, Science et Méthode, Paris : Flammarion 1908.

    Henri Poincaré, Dernières pensées, Paris: Flammarion 1913.

    2. Publikationen von Einstein (auf Französisch bzw. Englisch, die Valéry hätte lesen können)

    Einstein, Albert, Principe de relativité et ses conséquences dans la physique moderne. In Archives

    des sciences physiques et naturelles XXIX (1910), 5-28, 125-244.

    Einstein, Albert, Traité des quantités lumineuses et la question de la localisation de l’énergie

    électromagnétique. In Archives des sciences physiques et naturelles XXIX (1910), 525-528.

    Einstein, Albert, Forces pondéromotrices qui agissent sur les conducteurs ferromagnétiques. In

    Archives des sciences physiques et naturelles XXX (1910), 323 sv.

    Einstein, Albert, Etat actuel du problème des chaleurs spécifiques. In Rapports de l’Institut Solvay,

    Conseil de Physique, Paris 1912, 407-435.

    Einstein, Albert, Déduction thermodynamique de la loi de l’équivalence photochimique. In Journal

    de Physique, vol. III (1913), 277-282.

    Einstein, Albert, « My theory ». Times, London 28 novembre 1919, 13.

  • 29

    Einstein, Albert, A brief outline of the development of the theory of relativity. In Nature 106

    (1921), 782-784.

    Einstein, Albert, Théorie de relativité. In Bulletin. Société française de philosophie, 22 (1923), 97,

    98, 101, 107, 111-112.

    Einstein, Albert, Théorie unitaire du champ physique. In Annales. Institut Henri Poincaré (Paris)

    vol. I (1930), 1-24.

    Einstein, Albert, Les Fondements de la Théorie de la Relativité Générale, traduit par Maurice

    Solovine. Paris : 1933.

    Einstein, Albert, Sauvons la liberté. In Annales politiques et littéraires 102 (1934), 377-378.

    3. Publikationen zur Naturwissenschaft (die Valéry vielleicht gelesen hat)

    Carnap, Rudolf, L’ancienne et la nouvelle logique, Paris: Hermann 1933.

    Carnap, Rudolf, La science et la métaphysique devant l’analyse logique du temps, Paris : Hermann

    1934.

    Carnap, Rudolf, Le problème de la logique de la science: Science formelle et science du réel,

    Paris : Hermann 1935.

    Hahn, Hans, Logique, mathématiques et la connaissance de la réalité, Paris : Hermann 1935.

    Neurath, Otto, Le développement du Cercle de Vienne et l’avenir de l’empirisme logique, Paris :

    Hermann 1935.

    Reichenbach, Hans, La philosophie scientifique: Vues nouvelles sur les buts et ses méthodes, Paris :

    Hermann 1932.

    Reichenbach, Hans, Introduction à la logistique, Paris : Hermann 1939.

    Schlick, Moritz, Les énoncés scientifiques et la réalité du monde extérieur, Paris : Hermann 1934.

    Schlick, Moritz, Sur le fondement de la connaissance, Paris : Hermann 1935.

    Voullemin, La logique et la science et l’Ecole de Vienne, Paris : Hermann 1935.

  • 30

    Paul Valéry

    Albert Einstein

    Copyright:

    Einstein. Collection Génies et Réalité. Paris, Hachette 1966, p.158;

    K. Sugimoto, Albert Einstein. Die kommentierte Bilddokumentation. Gräfelding

    1987, p. 91