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2/2012 87 Polizei & Militär Plusieurs cantons ont réformé au cours des dernières années leur organisation de police et introduit ce fai- sant la police dite unique. D’autres cantons maintien- nent en revanche sciemment des modèles à deux ni- veaux, avec des polices communales ou optent pour des solutions intermédiaires. L’article met en lumière la dynamique actuelle dans le droit d’organisation de la police dans une perspective comparative et analyse les différents modèles sous l’angle de l’autonomie commu- nale et du principe de subsidiarité. Jan Scheffler* Einheitspolizei: Wegweisendes Modell oder falscher Reformeifer? Zur Diskussion um die Zentralisierung polizeilicher Organisationsstrukturen auf kantonaler Ebene Inhalt I. Polizeiorganisationsrecht in einem dynamischen Kontext II. Gemeindeautonomie und Subsidiaritätsprinzip: Schranken der kantonalen Organisationshoheit im Polizeiwesen? 1. Gemeindeautonomie 2. Subsidiaritätsprinzip III. Polizeiorganisationsrecht in ausgewählten Kantonen 1. Bern 2. Luzern 3. Schaffhausen 4. St. Gallen 5. Solothurn 6. Zürich 7. Aargau 8. Thurgau IV. Einordnung und Bewertung: ein Plädoyer für funktionale Lösungen 1. Synergien 2. Schnittstellen 3. Bürgernähe 4. Demokratische Steuerung und Kontrolle 5. Kosten 6. Gemeinsames Verständnis von Kanton und Gemeinden 7. Demographischer und sozialer Kontext V. Schlussbetrachtung I. Polizeiorganisationsrecht in einem dynamischen Kontext Welche Strukturen braucht es, um die öffentliche Si- cherheit und Ordnung in unserem Land bestmöglich zu gewährleisten? Diese Frage ist der Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag, der sich den Entwicklungen im (kantonalen) Polizeiorganisationsrecht widmet. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Modell der so genann- ten Einheitspolizei. Selbstverständlich ist das Polizeiorganisationsrecht – also die Art und Weise, wie Polizeibehörden und -kräfte organisiert und wie die entsprechenden Zuständigkei- ten verteilt sind – nicht der einzige Faktor, der im kom- plexen Themenfeld der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Rolle spielt. Die gegenwärtige Dynamik auf diesem Gebiet deutet aber an, dass es sich bei der Polizeiorganisation um eine wichtige Voraussetzung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung handelt, die eine vertiefte Betrachtung verdient. Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema – insbesondere der interkantona- le Vergleich – in der Lehre bisher so gut wie keine Be- achtung gefunden hat. Nähert man sich der Materie in einem ersten Schritt mit Hilfe der verfassungsrechtlichen Grundlagen, so ist das zentrale Strukturelement die Polizeihoheit der Kantone. Sie «besteht aus deren Zuständigkeit, Verpflichtung und Verantwortung, im eigenen Territorium für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentli- Mehrere Kantone haben in den vergangenen Jahren ihre Polizeiorganisation reformiert und die so genannte Einheitspolizei eingeführt. Andere Kantone hingegen halten bewusst an zweistufigen Modellen mit eigenen Gemeindepolizeien fest oder entscheiden sich für Zwi- schenlösungen. Der Beitrag beleuchtet die aktuelle Dy- namik im Polizeiorganisationsrecht in vergleichender Perspektive und analysiert die unterschiedlichen Mo- delle vor dem Hintergrund von Gemeindeautonomie und Subsidiaritätsprinzip. * Dr. Jan Scheffler, M.A. HSG, Leiter Rechtsdienst, Direktionssek- retariat Soziales und Sicherheit, Stadt St. Gallen, E-Mail: jan.scheff- [email protected]. Der Verfasser dankt seiner Mitarbeiterin, Frau Rechtsanwältin Gerda Göbel-Keller, herzlich für ihre überaus en- gagierte und kompetente Mitwirkung bei der Erarbeitung dieses Beitrags (Stand Mitte Mai 2012). Sehr gedankt sei auch Herrn lic. iur. et lic. oec. Heinz Indermaur, Direktionssekretär Soziales und Sicherheit der Stadt St. Gallen, und Herrn Stadtrat lic. iur. Nino Cozzio, Direktor Soziales und Sicherheit der Stadt St. Gallen, für ihre vielfältige Unterstützung. Ein ganz besonderer Dank geht an die zahlreichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner bei Gemeinde-, Stadt-, Regional- und Kantonspolizeien sowie kanto- nalen und kommunalen Verwaltungen, die den Recherchen zum vorliegenden Aufsatz mit grossem Interesse begegnet sind und wertvolle Informationen geliefert haben. Der Verfasser vertritt hier seine persönliche Meinung und nicht einen offiziellen Standpunkt der Stadt St. Gallen.

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Plusieurs cantons ont réformé au cours des dernières années leur organisation de police et introduit ce fai-sant la police dite unique. D’autres cantons maintien-nent en revanche sciemment des modèles à deux ni-veaux, avec des polices communales ou optent pour des solutions intermédiaires. L’article met en lumière la dynamique actuelle dans le droit d’organisation de la police dans une perspective comparative et analyse les différents modèles sous l’angle de l’autonomie commu-nale et du principe de subsidiarité.

Jan Scheffler*

Einheitspolizei: Wegweisendes Modell oder falscher Reformeifer? Zur Diskussion um die Zentralisierung polizeilicher Organisationsstrukturen auf kantonaler Ebene

InhaltI. PolizeiorganisationsrechtineinemdynamischenKontextII. GemeindeautonomieundSubsidiaritätsprinzip:Schranken

derkantonalenOrganisationshoheitimPolizeiwesen? 1.Gemeindeautonomie 2.SubsidiaritätsprinzipIII. PolizeiorganisationsrechtinausgewähltenKantonen 1.Bern 2.Luzern 3.Schaffhausen 4.St.Gallen 5.Solothurn 6.Zürich 7. Aargau 8.ThurgauIV. EinordnungundBewertung:einPlädoyerfürfunktionale

Lösungen 1.Synergien 2.Schnittstellen 3.Bürgernähe 4.DemokratischeSteuerungundKontrolle 5.Kosten

6.GemeinsamesVerständnisvonKantonundGemeinden 7. DemographischerundsozialerKontextV. Schlussbetrachtung

I. Polizeiorganisationsrecht in einem dynamischen Kontext

Welche Strukturen braucht es, um die öffentliche Si-cherheitundOrdnunginunseremLandbestmöglichzugewährleisten?DieseFrageistderAusgangspunktfürdenvorliegendenBeitrag,dersichdenEntwicklungenim(kantonalen)Polizeiorganisationsrechtwidmet.EinbesonderesAugenmerkgiltdemModelldersogenann-tenEinheitspolizei.Selbstverständlich ist das Polizeiorganisationsrecht –alsodieArtundWeise,wiePolizeibehördenund-kräfteorganisiertundwiedieentsprechendenZuständigkei-tenverteiltsind–nichtdereinzigeFaktor,derimkom-plexen Themenfeld der öffentlichen Sicherheit undOrdnungeineRollespielt.DiegegenwärtigeDynamikaufdiesemGebietdeutetaberan,dassessichbeiderPolizeiorganisation um eine wichtige VoraussetzungfürdieöffentlicheSicherheitundOrdnunghandelt,dieeinevertiefteBetrachtungverdient.Umsoerstaunlicheristes,dassdasThema–insbesonderederinterkantona-leVergleich–inderLehrebishersogutwiekeineBe-achtunggefundenhat.NähertmansichderMaterieineinemerstenSchrittmitHilfederverfassungsrechtlichenGrundlagen,soistdaszentraleStrukturelementdiePolizeihoheitderKantone.Sie «besteht aus deren Zuständigkeit, Verpflichtungund Verantwortung, im eigenen Territorium für dieAufrechterhaltungoderWiederherstellungderöffentli-

Mehrere Kantone haben in den vergangenen Jahren ihre Polizeiorganisation reformiert und die so genannte Einheitspolizei eingeführt. Andere Kantone hingegen halten bewusst an zweistufigen Modellen mit eigenen Gemeindepolizeien fest oder entscheiden sich für Zwi-schenlösungen. Der Beitrag beleuchtet die aktuelle Dy-namik im Polizeiorganisationsrecht in vergleichender Perspektive und analysiert die unterschiedlichen Mo-delle vor dem Hintergrund von Gemeindeautonomie und Subsidiaritätsprinzip.

* Dr.JanScheffler,M.A.HSG,LeiterRechtsdienst,Direktionssek-retariatSozialesundSicherheit,StadtSt.Gallen,E-Mail:[email protected]. Der Verfasser dankt seiner Mitarbeiterin, FrauRechtsanwältinGerdaGöbel-Keller,herzlichfürihreüberausen-gagierteundkompetenteMitwirkungbeiderErarbeitungdiesesBeitrags(StandMitteMai2012).SehrgedanktseiauchHerrnlic.iur.et lic.oec.HeinzIndermaur,DirektionssekretärSozialesundSicherheitder Stadt St.Gallen,undHerrn Stadtrat lic. iur.NinoCozzio,DirektorSozialesundSicherheitderStadtSt.Gallen,fürihrevielfältigeUnterstützung.EinganzbesondererDankgehtandiezahlreichenGesprächspartnerinnenundGesprächspartnerbeiGemeinde-,Stadt-,Regional-undKantonspolizeiensowiekanto-nalenundkommunalenVerwaltungen,diedenRecherchenzumvorliegendenAufsatz mit grossem Interesse begegnet sind undwertvolleInformationengelieferthaben.DerVerfasservertritthierseinepersönlicheMeinungundnichteinenoffiziellenStandpunktderStadtSt.Gallen.

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MehrereKantonehaben jedochReformeninRichtungeinersogenannten«Einheitspolizei»durchgeführtodereingeleitet (Bern, Luzern, Neuenburg, Schaffhausen,Zug).EinepräziseDefinitiondesBegriffes«Einheitspo-lizei»istschwierig,weileskeineeinheitlicheHandha-bunggibtunddiemitdiesemBegrifferfasstenModellezumTeilerheblicheUnterschiedeaufweisen.8GenerellbeschreibenlassensichPolizeiorganisationsmodelleimSinneeinerEinheitspolizeialseineüberwiegendeodervollständige Zentralisierung von polizeilichenAufga-benundOrganisationsstrukturenaufkantonalerEbenezulasten entsprechender Strukturen auf kommunaleroderregionalerEbene.HauptsächlicheZielesolcherRe-formen sind inderRegel eineklarereKompetenzord-nung, die Ausnützung von Synergiepotenzialen, dieVermeidungvonDoppelspurigkeitensowieeinefinan-zielleEntlastung.Der Trend, die Polizeiorganisation durch die Einfüh-rungeinerEinheitspolizeizustraffen,istindesnichtflä-chendeckendzubeobachten.EineReihevonKantonenscheintvondenVorzügeneinessolchesModellsnichtüberzeugt.BeiihnenisteinEinheitspolizeimodellzumTeil bereitsmehrmals und auf unterschiedlichen Ebe-nen (Regierung, Parlament, Volk) abgelehnt worden(z.B.KantoneAargau,Graubünden,Solothurn,St.Gal-len,Waadt,Wallis,Zürich),wobei entsprechendeDis-kussionenhäufigwiederkehrendsindundauchaktuellgeführtwerden.DieLageistalsounübersichtlich.DievorliegendeUn-tersuchung möchte dem entgegenwirken, indem dieunterschiedlichen Modelle anhand ausgewählter Bei-spielfällevorgestelltundeingeordnetwerden.LetztlichgehtesumdieFrage,obsicheindenanderenüberlege-nesModellderPolizeiorganisationidentifizierenlässt,das übergeordneten rechtlichen Vorgaben entsprichtundaktuellenHerausforderungengerechtwird.DazuwirdimnächstenAbschnittzunächstdieFrageaufge-worfen, ob und inwieweit die verfassungsmässigenGrundsätzederGemeindeautonomieunddesSubsidia-ritätsprinzips die Zentralisierung von polizeilichenAufgaben und Strukturen auf kantonaler Ebene be-schränken.ImdrittenAbschnittfolgteineBestandsauf-nahme des Polizeiorganisationsrechts in acht ausge-wähltenKantonen.DabeireichtdasSpektrumvonEin-heitspolizeien über relativ autonomeGemeinde- oderRegionalpolizeien bis zu einer «Zwitterlösung». ImviertenAbschnittwerdendieErkenntnissedervoran-gehendenBetrachtungenanhandvonkritischenFakto-

8 Dieslässtsichauchdaranerkennen,dassinKantonenmitRe-formvorhaben in Richtung Einheitspolizei häufig ausdrücklichmehrere Varianten einer Zentralisierung zurDebatte stehen bzw.standen.Vgl.z.B.KantonLuzern,PlanungsberichtdesRegierungs-ratesandenKantonsratüberdieZusammenlegungderStadtpolizeiLuzernmitderKantonspolizei (B56),15.April2008,12. ImKan-tonGraubünden,indemgegenwärtignebenderStadtpolizeiChurneunweitereGemeindepolizeienbestehen,wirddieRegierungdemParlamentimJahr2013eineBotschaftmitdreimöglichenVariantenvorlegen:BeibehaltungderbisherigenStruktur,EinheitspolizeiimgesamtenKanton,EinheitspolizeimitAusnahmederStadtChur.

chenSicherheitunddergesetzlichpositiviertenöffentli-chen Ordnung durch die erforderliche Rechtsetzung(…) und durch die dafür nötigenMittel zu sorgen»1.DiesumfasstauchdieZuständigkeitfürdiePolizeior-ganisation.DemBundstehengemässdemPrinzipderbegrenztenEinzelermächtigung2imBereichderinnerenSicherheit(Art.57Abs.2BV3)nursolcheKompetenzenzu,die ihminderBVausdrücklichzugewiesensind.4FürdasPolizeiwesen istdas imschweizerischenBun-desstaattraditionell5nichtderFall.DiePolizeihoheitderKantonehatintypischföderalisti-scherArtundWeisezueinemwahrenFlickenteppichvonFormenderPolizeiorganisationgeführt.InbeinahejedemKanton hat sich ein eigenständigesModellmitspeziellenStrukturenherausgebildet.EinegewisseGe-meinsamkeitkanntenvieleKantonelangeZeitmindes-tensdahingehend,dassdiversepolizeilicheAufgaben(z.B.Sicherheits-undVerkehrspolizei)denGemeindenzugewiesenwurden6–unddamitverbundenauchdieBefugnis, neben den kantonalen Polizeikräften eigenePolizeikorps aufzustellen.7 Ein solcherAnsatz ist vondem Anspruch geprägt, die polizeilichen Aufgabenmöglichstbürgernahzuerfüllen,undstehtimKontextdes Subsidiaritätsprinzips und der Gemeindeautono-mie.

1 Markus H.F. MoHler, Grundzüge des Polizeirechts in derSchweiz,Basel2012,Rz.197m.w.N.Vgl.etwaauchalexander rucH,in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.),Verfassungsrecht der Schweiz,Zürich 2001, 898;scHweizer, St.GallerKommentar zuArt. 57BV,Rz. 7; andreas lienHard/PHiliPP Häsler, VerfassungsrechtlicheGrundlagen des Sicherheitsrechts, in: Schweizer (Hrsg.), Sicher-heits-undOrdnungsrechtdesBundes,SBVRBd.III/1,Basel2008,119;Hans reinHard,AllgemeinesPolizeirecht,Bern1993,37ff.2 ZumKompetenzsystemvgl.anschaulichetwaulricH HäFelin/walter Haller/Helen keller, SchweizerischesBundesstaatsrecht,7.Aufl.,Zürich/Basel/Genf2008,Rz.1049ff.3 BundesverfassungderSchweizerischenEidgenossenschaftvom18.April1999(BV),SR101.4 Z.B.imBereichdesStaatsschutzes,derArmee,derGewährleis-tungderLuftraumhoheitund-sicherheit,desZivilschutzesunddesZollwesens.5 reto Patrick Müller,InnereSicherheitSchweiz,Diss.Basel,Eggb.Einsiedeln2011,21 ff., 119 ff.DiekantonalePolizeihoheitgerätjedoch zunehmend unter Druck – u.a. durch die «Hochzonung»diversersicherheitsrelevanterAufgabenbereicheaufdieEbenedesBundes sowie dieWahrnehmung von Sicherheitsaufgaben durchPrivate.Vgl. zudiesenThemenkomplexenetwaBeat Hensler, Si-cherheitsarchitekturderSchweizausSichtderPolizei,Sicherheit&Recht2/2011,75ff.;walter kälin/andreas lienHard/JuditH wyt-tenBacH,Auslagerungvon sicherheitspolizeilichenAufgaben, Bei-heftZSRNr.46,Basel2007;karin keller-sutter,KooperationstattZentralismus–einPlädoyerfürdenErhaltunddieErneuerungderkantonalenPolizeihoheit,SZK2/2004,30ff.;daniel langenegger,Polizeiliche Befugnisse der Angehörigen der Armee, der Grenz-wachtkorps,derkantonalenPolizeikorpsundprivaterSicherheits-dienste,Sicherheit&Recht3/2011,139ff.;MoHler(FN1),Rz.207ff.,1282ff.;PHiliPP rauBer,RechtlicheGrundlagenderErfüllungsicher-heitspolizeilicherAufgabendurchPrivate,Diss.Basel2007;Berichtdes Bundesrates in Erfüllung des PostulatsMalama 10.3045 vom3.März2010,InnereSicherheit.KlärungderKompetenzen,BBl20124459.6 Vgl.reinHard(FN1),42f.7 Z.B.Basel-Landschaft,Bern,Graubünden,Luzern,Schaffhausen,Solothurn,St.Gallen,Tessin,Waadt,Wallis,Zürich,Zug.

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Polizeirecht gilt als typischer Ausdruck der Gemein-deautonomie.13DurchArt.189Abs.1lit.eBVistinBe-zug auf Verletzungen der Gemeindeautonomie sogarexplizit der Rechtsweg zum Bundesgericht eröffnet.14Ist esalsodenkbar,dasseinKantondurchdenErlasseinesPolizeigesetzes,daseineZentralisierungderPoli-zeiorganisationvorsieht,gegenArt.50Abs.1BVver-stösst und dieses durch das Bundesgericht allenfallsaufgehobenwird?15

Eine solche These lässt sich nicht aufrechterhalten.GründesinddiebundesrechtlicheKonzeptionderGe-meindeautonomieundauchdieArtundWeisedesfö-deralistischen schweizerischen Staatsaufbaus. In Letz-terem sind die Gemeinden zwar «eigenständigesStrukturelement»16, es besteht jedoch keine wirklicheDreistufigkeit aus Bund, Kantonen und Gemeinden,sondern eher eine «asymmetrische Dreistufigkeit»17odereine«doppelteZweigliedrigkeit»18,inwelcherdieStellung der Gemeinden durch die Kantone mediati-siertwird.19Höchstenslässtsichfesthalten,dassdieGe-meindeautonomiedurchdieRegelunginArt.50Abs.1BVzurFigurdesBundesrechtswirdunddamiteineIn-stitutsgarantie besteht, die eine Abschaffung der Ge-meindeautonomie an sich durch die Kantone aus-schliesst.20

WennnundieGemeindeautonomielautArt.50Abs.1BV «nachMassgabe des kantonalen Rechts» gewähr-leistetist,dannfolgtdaraus,dasseinmateriellerGehaltdieses Prinzips sich bundesverfassungsrechtlich nichtherleiten lässt. Mit anderenWorten: Es obliegt alleindenKantonenzudefinieren,wiedieGemeindeautono-mie ausgestaltet wird undwelcheAufgaben den Ge-

13 denise Buser, Kantonales Staatsrecht, 2. Aufl, Basel 2011, 600;lienHard/Häsler(FN1),120.14 Meyer (FN10),200ff.;regina kiener,DieBeschwerdeinöffent-lich-rechtlichenAngelegenheiten,in:Tschannen(Hrsg.),NeueBun-desrechtspflege,BTJP2006,Bern2007,274;MattHias suter,DerneueRechtsschutz in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor demBundesgericht,Diss.St.Gallen,Bamberg2007,256f.15 Grundsätzlich ist eine abstrakte Normenkontrolle gegenüberkantonalen Gesetzen im Rahmen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 des BundesgesetzesüberdasBundesgerichtvom17.Juni2005(BGG),SR173.110,mög-lich.Vgl.HansJörg seiler/nicolas von werdt/andreas güngericH,Bundesgerichtsgesetz(BGG),Handkommentar,Bern2007,303ff.16 daniel tHürer,BundundGemeinden,Berlin1986,194.17 Meyer (FN10),315.18 kägi-diener,St.GallerKommentarzuArt.50BV,Rz.7.19 Meyer (FN10), 12m.w.N.Kritischdazu:nino cozzio,DieBe-deutung der Städte für die Entwicklung der Polizeiarbeit in derSchweiz,ReferatanlässlichderGeneralversammlungderKonferenzderStädtischenPolizeidirektorinnenundPolizeidirektoren(KSPD)am22.April2010(http://kspd.net/cmsfiles/referat_nino_cozzio_gv_kspd_2010_chur.pdf,besuchtam12.Mai2012),1f.20 Vgl.kägi-diener(FN18),Rz.9;Meyer (FN10),278;scHweizer/l. Müller,St.GallerKommentarzuArt.5aBV,Rz.11;Pierre tscHan-nen, Staatsrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl.,Bern2011,§17Rz.4.AuchdieBindungandieEuropäischeChartaderkommunalenSelbstverwaltungschliessteineAbschaffungodervölligeAushöhlungderGemeindeautonomieaufkantonalerEbenewohl aus.Vgl.toBias Jaag,Art. 85, in:Häner/Rüssli/Schwarzen-bach (Hrsg.),KommentarzurZürcherKantonsverfassung,Zürich2007,Rz.8.

ren für die Polizeiorganisation systematisiert und dieunterschiedlichenModellebewertet.

II. Gemeindeautonomie und Subsidiaritätsprinzip: Schranken der kantonalen Organisationshoheit im Polizeiwesen?

DassdiePolizeihoheitunddamitauchdieHoheitüberdasPolizeiorganisationsrechtgrundsätzlichdenKanto-nenzugeordnetist,stehtwieausgeführttrotzallerDy-namikausserFrage.DieKantonesindalsofrei,diezumSchutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung not-wendigen Polizeibehörden sowie die Aufgabenwahr-nehmung indiesemBereichnach ihrenVorstellungenzuorganisieren.AufdieserGrundlagehabensichsehrunterschiedlicheLösungenentwickelt,welchediePoli-zeilandschaftderSchweizbisheuteprägen.Gemeinde- bzw. Regionalpolizeien haben in vielenKantonenTraditionundsindindenkantonalenPolizei-gesetzen bzw. Polizeiorganisationsgesetzen rechtlichverankert.Wennnun einKanton eineZentralisierungim Sinne einer Einheitspolizei anstrebt, dann ist diesrechtlichvorderhanddurchdiekantonalePolizeiorga-nisationshoheitabgedeckt.DennochstelltsichdieFra-ge, ob der Spielraum der Kantone in dieser Hinsichtnicht durch übergeordnete rechtliche Garantien undPrinzipienwiedieGemeindeautonomieunddasSubsi-diaritätsprinzipeingeschränkt ist.BeideRechtsfigurenkönntengeeignetsein,dieZentralisierungvonPolizei-aufgabenaufkantonalerEbenezubegrenzenbzw. angewisseBedingungenzuknüpfen.9

1. Gemeindeautonomie

DieGemeindeautonomiekannumschriebenwerdenals«dasRechtunddietatsächlicheFähigkeitderGemein-den,(…)einenwesentlichenTeilderöffentlichenAnge-legenheitenineigenerVerantwortungzuregelnundzugestalten»10.DieseDefinitionergibtsichinAnlehnungan Art. 3 der Europäischen Charta der kommunalenSelbstverwaltung vom 15. Oktober 198511, der dieSchweizimJahr2005beigetretenist.12

AufverfassungsrechtlicherEbenelegtArt.50Abs.1BVfest,dassdieGemeindeautonomienachMassgabedeskantonalen Rechts gewährleistet ist. Das kommunale

9 DieÜberlegungen indiesemAbschnittgehendavonaus,dassderKantonvormalsdenGemeindenüberlassenepolizeilicheAuf-gabenundvorallemdieentsprechendepolizeilicheOrganisationansichzieht.SiegeltenaberauchfürdenFall,dassesniepolizeilicheStrukturenaufGemeindeebenegab.10 kilian Meyer,GemeindeautonomieimWandel,Diss.St.Gallen,Norderstedt2011,279.11 SR0.102.12 Vgl.ausführlichzudenVerpflichtungenderSchweizunterderChartaMeyer (FN10),116ff.

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Abs.3BVjedochnicht,umdarausunmittelbareKonse-quenzen für das kantonale PolizeiorganisationsrechtmitBlickaufStädteundAgglomerationenabzuleiten.ErstensistdieBestimmungalsRücksichtnahmepflichtzuprogrammatischundinhaltlichzuvageformuliert,und zweitenswird ausdrücklichnurderBund –undnichtdieKantone–verpflichtet.30

2. Subsidiaritätsprinzip

Die Subsidiarität als zentrales rechtliches und politi-sches Ordnungsprinzip31 der schweizerischen Rechts-ordnunghatinArt.5aBVihrenNiederschlaggefunden.DanachistderGrundsatzderSubsidiaritätbeiderZu-weisungundErfüllungstaatlicherAufgabenzubeach-ten.Gemeintist,dassdiejeweilsübergeordnetestaatli-cheEbeneAufgabennurdannübernehmensoll,wennsiediesebessererfüllenkann,alsesdieuntergeordne-tenGebietskörperschaftenfürsichalleineodergemein-samtunkönnen.32SosolleinAngebotöffentlicherLeis-tungenbereitgestelltwerden,welchesdenBedürfnissender Bürger am besten entspricht. DieAufgabenerfül-lunghatmöglichstkleinräumigundsonahwiemöglichandenBürgernzuerfolgen.33DiedemSubsidiaritäts-prinzipinnewohnendeForderungnacheinerdezentra-len, autonomieschonenden staatlichen OrganisationundAufgabenteilungwirkt – allgemein gesprochen –als eine institutionelle Bremse gegen den Zentralis-mus.34 Nach ganz herrschender Meinung richtet sichArt.5aBVandenBundunddieKantone:35EshatalsonichtnurderBundimVerhältniszudenKantonendar-auf zu achten, dass erAufgaben lediglichdannüber-nimmt,wenndiesedieKraftderKantoneübersteigenodereinereinheitlichenRegelungdurchdenBundbe-dürfen.36AuchdieKantonesindimVerhältniszudenGemeindengehalten,dasSubsidiaritätsprinzipzures-pektieren. Zwar können sie ihm eine gewisse eigenePrägungverleihen,37anseinenbundesrechtlichenKern-gehaltsindsiejedochinjedemFallgebunden.Dasbe-deuteteinengewissenEingriffindiekantonaleAutono-mie.38

30 Biaggini,BV-Kommentar,Zürich2007,Art.50Rz.8.31 Vgl.grundlegendetwaPeter Blickle/tHoMas o. Hüglin/dieter wyduckel(Hrsg.),SubsidiaritätalsrechtlichesundpolitischesOrd-nungsprinzipinKirche,StaatundGesellschaft,Berlin2002;astrid ePiney,SubsidiaritätalsverfassungsrechtlicherGrundsatz,in:Veröf-fentlichungendesSchweizerischenInstitutsfürRechtsvergleichung(Hrsg.),Rapportssuissespr�sent�sau�IV�meCongr�sinternatio-Rapportssuissespr�sent�sau�IV�meCongr�sinternatio-naldedroitcompar�,Ath�nes,31juilletau6août1994,Zürich1994,9ff.32 scHweizer/l. Müller(FN20),Rz.9m.w.N.33 rené a. rHinow/Markus scHeFer,SchweizerischesVerfassungs-recht,2.Aufl.,Basel2009,Rz.596.34 scHweizer/l. Müller(FN20),Rz.9m.w.N.35 Biaggini (FN30),Art.5aRz.10;rHinow/scHeFer(FN33),Rz.597;Paul ricHli, Zum rechtlichen Gehalt und zur ProzeduralisierungdesSubsidiaritätsprinzips,ZSR126(2007)I,58;scHweizer/l. Mül-ler(FN20),Rz.10;tscHannen (FN20),§19Rz.13ff.36 SodieKonkretisierung imKapitelderBVüberdasVerhältnisvonBundundKantonen,Art.43aAbs.1BV.37 Vgl.scHweizer/l. Müller(FN20),Rz.12m.w.N.38 rHinow/scHeFer(FN33),Rz.597.

meinden zugeordnet werden.21 Der Umfang der Ge-meindeautonomiestehtnichteinfüralleMalfest,son-dernergibtsichausderübergeordnetenRechtsetzung.22Auch aus den (expliziten) kantonsverfassungsrechtli-chen Garantien der Gemeindeautonomie23 lässt sichnichtfolgern,dassdenGemeindenpersedasRechtaufeineeigenePolizeiorganisationzusteht.EinfixerKata-log, welche Sachzuständigkeiten im Rahmen der Ge-meindeautonomiezwingendaufGemeindeebeneanzu-siedelnsind,existiertwederaufBundes-nochaufkan-tonalerEbene.DasBundesgerichtprüftbeiBeschwerdenhinsichtlicheiner Verletzung der Gemeindeautonomie gemässArt.189Abs.1 lit.eBV,obvonRechtswegenfürdieGemeindeineinembestimmtenBereich«einerelativer-heblicheEntscheidungsfreiheit»24bestehtundobdage-genz.B.durcheinenEntscheidderkantonalenBehör-denverstossenwurde.25Voraussetzungfüreineerfolg-reiche Autonomiebeschwerde vor Bundesgericht istalso,dassdieAutonomienachkantonalemRechtapri-oribesteht.WennwiebeieinerZentralisierungvonPo-lizeiaufgaben den Gemeinden für diesen Sachbereichdurch das Gesetz gar keineAutonomie (mehr) zuge-standenwird,dannwirdauchdieGemeindeautonomienichtverletzt.26

InteressantistauchArt.50BVAbs.3BV,deru.a.einebesondereRücksichtnahmeaufdieSituationderStädteundderAgglomerationenstipuliert.27DieBestimmungwurdemit der BV von 1999 erstmals eingeführt undzeigt eine wachsende Sensibilität des Verfassungsge-bersfürdiespeziellenErfordernissevonStädtensowievonüberdieklassischenräumlich-politischenStruktu-renhinauswachsendenAgglomerationen.28DiesenBe-zugdarfmandurchausmitdenHerausforderungenimBereich der öffentlichen Sicherheit undOrdnungunddamitletztlichauchmitdemPolizeiorganisationsrechtinVerbindungbringen.29VorderhandeignetsichArt.50

21 cHrista Braaker,DieGemeindeautonomie,in:Fleiner/Forster/Misic/Thalmann (Hrsg.), Die neue schweizerische Bundesverfas-sung,Basel/Genf/München2000,226,231;Buser(FN13),Rz.582;HäFelin/Haller/keller (FN2),Rz.97; Jaag (FN20),Rz.6;Hans-Jörg seiler,GemeindenimschweizerischenStaatsrecht,in:Thürer/Aubert/Müller(Hrsg.),VerfassungsrechtderSchweiz,502;ulricH ziMMerli,Bund–Kantone–Gemeinden;in:ders.(Hrsg.),DieneueBundesverfassung,BTJP1999,Bern2000,60.22 HansrudolF arta,DieZuständigkeitsordnungnachdemSt.gal-lischenGemeindegesetz inder politischenGemeindemit Bürger-versammlung,Diss.St.Gallen,Wil1990,11;andreas auer/giorgio Malinverni/MicHel Hottelier,Droitconstitutionnelsuisse,BandI,2.Aufl.,Bern2006,Rz.266.23 Ausser imKantonZugwirddieGemeindeautonomie in allenKantonsverfassungenausdrücklichthematisiert.Vgl.Buser(FN13),Rz.593;BernHard eHrenzeller/roger noBs,GemeinsamkeitenundUnterschiede der totalrevidierten Kantonsverfassungen, ZBl 110(2009),25.24 BGE136I265E.2.1(269).25 Vgl.imDetailetwa tscHannen (FN20),§19Rz.5ff.26 auer/Malinverni/Hottelier (FN 22), Rz. 306;Meyer (FN 10),285.27 Dazuinsgesamt:alFred kölz/susanne kuster,Der«Städteartikel»derneuenBundesverfassung,ZSR121(2002)I,137ff.28 ZumBegriff:kägi-diener(FN18),Rz.21ff.m.w.N.29 SieheuntenAbschn.IV.7.

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behalten, wenn es darum geht, die unterschiedlichenAnsätzeindenKantoneneinzuordnenundzubewer-ten.

III. Polizeiorganisationsrecht in ausgewählten Kantonen

ImFolgendenwerdeninKurzporträtsdiePolizeiorga-nisationsmodelle von acht Kantonen vorgestellt. DieAuswahlfolgtdemBestreben,möglichstdieganzeBrei-tedesföderalistischstrukturiertenschweizerischenPo-lizeiorganisationsrechtsundderunterschiedlichenRe-formdiskussionen46sichtbarzumachen.

1. Bern

Seitdem1.Januar2008sindimKantonBernmitdemvom Volk angenommenen revidierten Polizeigesetz47die Rechtsgrundlagen für das Einheitspolizeimodell«PoliceBern» inKraft. InderFolgewurdenallenochbestehenden Polizeikorps bernischer Gemeinden suk-zessive indieKantonspolizei integriert–darunterdiegrossenStadtpolizeienBern48undBiel.AbgesehenvondengerichtspolizeilichenAufgaben,diegrundsätzlich der Kantonspolizei zugeordnet sind,49bleiben die Gemeinden für die Erfüllung der sicher-heitspolizeilichen, verkehrspolizeilichen und übrigengemeindepolizeilichenAufgaben zuständig (Art. 9 ff.PolGBE).50 SoweitdafürpolizeilicheMassnahmener-forderlichsind,derenAusübungeinepolizeilicheAus-bildung voraussetzt, liegt der Vollzug indes bei derKantonspolizei(Art.11PolGBE).MitanderenWorten:DieGemeindenmüssenfürdieAufgabenerfüllungaufdieKantonspolizeizurückgreifen,dieneu(allein)überdas Gewaltmonopol verfügt. Die GrundversorgungundderEinsatzderKantonspolizeibeiausserordentli-chenEreignissensindfürdieGemeindenunentgeltlich.Darüber hinaus können die Gemeinden punktuelleLeistungseinkaufsverträge oder umfassende Ressour-cenverträge mit dem Kanton abschliessen (Art. 12 ff.PolGBE).80ProzentderbernischenGemeindenbegnü-gensichmitderpolizeilichenGrundversorgungimver-tragslosenZustand. 17Gemeinden verfügen über die

46 Bewertungen,EinschätzungenundInformationen,dienichtmiteinerQuellenangabegekennzeichnetsind,entstammenschriftlichenundmündlichen InterviewsmitVertretern ausdenunterschiedli-chenKantonen.EserfolgtwederNamensnennungnochZuordnungzueinerbestimmtenFunktion/Behörde,weil imVordergrundAr-gumenteundnichtPersonenstehensollen.47 Polizeigesetzvom8.Juni1997(PolGBE),BSG551.1.48 Die ehemalige Stadtpolizei wurde strukturell allerdings weit-gehendunverändertalsStadt-EinheitindieKantonspolizeiaufge-nommen.49 GewisseKompetenzdelegationenandieGemeindenimBereichderÜberwachungdesruhendenunddesrollendenVerkehrsinkl.Bussenerhebungsindmöglich(Art.8PolGBE).50 Vgl. insgesamtPolizei-undMilitärdirektiondesKantonsBern(POM),HandbuchPolizeiaufgabenderGemeinden,2.Aufl.,Bern2011.

DasSubsidiaritätsprinzipdientsowohlalsKompetenz-zuweisungsregelwieauchalsKompetenzausübungsre-gel.39DieübergeordnetestaatlicheEbenehatalsoauchdort,wosiezurAufgabenerfüllungbefugtist,demSub-sidiaritätsprinzipRechnungzutragen(«GrundsatzderschonendenKompetenzausübung»40).Der«Preis»fürdieherausragendeübergreifendeFunk-tion des Subsidiaritätsprinzips ist seine Konkretisie-rungs- und Auslegungsbedürftigkeit im Einzelfall.WanneinebestimmtestaatlicheEbeneeinebestimmteAufgabebessererfüllenkann,istkaumabstraktfestzu-legen41undmussregelmässigGegenstandeinerpoliti-schenund fachlichenBeurteilung sein. IndiesemZu-sammenhangwirddieJustiziabilitätdesSubsidiaritäts-prinzips überwiegend abgelehnt.42 Dessen rechtlicheund politische Wirkung ist dennoch nicht zuunterschätzen:43SofolgtausderfehlendenJustiziabili-tät keineswegs eine fehlende Rechtsverbindlichkeit.DasSubsidiaritätsprinzipistrechtlichverbindlichundnicht lediglich eine «Schönwetterklausel». Es fungiertalsständigeVorgabeundAufforderungandiestaatli-chen Institutionen, Kompetenzzuweisung und -aus-übung kritisch zu reflektieren. Die Frage der Zuwei-sunganeineübergeordnetestaatlicheEbenebzw.dasAusmassderAufgabenwahrnehmungaufdieserEbeneerfordert und erzeugt einen politischen Diskurs.44 Indessen Rahmen sind die verantwortlichen Akteure –vorallemdieRegierung,aberletztlichauchdasParla-ment – gezwungen, überzeugendeArgumente vorzu-bringen, um die Erfüllung bestimmter Aufgaben aufeiner übergeordneten staatlichen Ebene zu rechtferti-gen.45Findeteinesolche«Hochzonung»ohneüberzeu-gendeArgumentestatt,zeitigtdieszwarkeineunmit-telbarenpraktischenFolgen.SiebleibtindesalsVerlet-zung des Subsidiaritätsprinzips rechtswidrig und un-tergräbt,mindestensbeiwiederholtemAuftreten,einender tragenden Pfeiler der schweizerischen Rechtsord-nung.WasergibtsichdarausnunfürdieFragederZentrali-sierungvonPolizeiaufgabenaufkantonalerEbene?DasSubsidiaritätsprinzip errichtet in diesem Zusammen-hangeineSchranke.EinzentralisiertesSystemmussdiepolizeilichenAufgabenbessererfüllenkönnenalseineandereOrganisationsform–ansonstenwidersprichtesdemSubsidiaritätsprinzip.SoschwierigderBegriffder«besserenAufgabenerfüllung»zuoperationalisierenist,sosehrlohntessich,ihnalsLeitmotivimHinterkopfzu

39 ricHli(FN35),59;rHinow/scHeFer(FN33),Rz.598;ausführlich:scHweizer/l. Müller(FN20),Rz.16ff.40 rHinow/scHeFer(FN33),Rz.608.41 Vgl.rHinow/scHeFer(FN33),Rz.616.42 Biaggini (FN30),Art.5aRz.14;rHinow/scHeFer(FN33),Rz.617;scHweizer/l. Müller(FN20),Rz.15;vgl.auchBotschaftzurNeu-gestaltungdesFinanzausgleichsundderAufgabenzwischenBundundKantonen(NFA)vom14.November2001,BBl20022458.A.A.ricHli (FN35),80.43 ePiney(FN31),32f.44 scHweizer/l. Müller,St.GallerKommentarzuArt.43BV,Rz.14;andreasMüller,Art.97,in:Häner/Rüssli/Schwarzenbach(Hrsg.),KommentarzurZürcherKantonsverfassung,Zürich2007,Rz.19.45 ricHli (FN35),81;scHweizer/l. Müller(FN20),Rz.20.

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mit demVollzug kommunalerAufgaben betraut sind(Gewerbepolizei,VerkehrsanordnungenundSignalisa-tionen, Parkierungsbeschränkungen), sowie der end-gültige Entscheid über die Bewilligungserteilung beiVeranstaltungen und politischen Kundgebungen. Einspezieller Sicherheitsmanager der Stadt vernetzt diestädtischenDirektionen,kantonalenStellenundpriva-ten Partner. Die Tätigkeit der Kantonspolizei wirddurch einen paritätischen Sicherheitsausschuss poli-tisch-strategisch begleitet; bei Stellenbesetzungen indenFührungsorganenderKantonspolizeihatdieStadtLuzern ein Mitspracherecht. In finanzieller HinsichtwurdegesamthaftmiteinerEntlastunggerechnet:55DieStadtLuzernhatderFusionzugestimmt56undsich indenJahren2010bis2012gestaffeltmitCHF9Mio.,CHF6Mio.undCHF3Mio.anderZusammenlegungbetei-ligt.AuchimKantonLuzernistaufEnde2012mitdenEr-gebnisseneinerEvaluationzudenErfahrungenmitderEinheitspolizei zu rechnen. Von verschiedener SeitewirddieFusionsehrunterschiedlichbeurteilt:SosiehtdiezuständigeStadträtinderStadtLuzerneinebesserepolizeilicheVersorgungalsvorderFusionundunter-streichtdiegleichzeitigeEntlastungderStadtkasse.Al-lerdings haben sich schwierige Zuständigkeitsfragenergeben–namentlichbeimVollzug städtischerRegle-mente (z.B. Strassenmusik/Taxiwesen).57 SkeptischeStimmen sehen dauerhafte Probleme im Bereich derAufgabentrennungundderVersorgungvonLuzernalsgrössererStadtmitdennotwendigenpolizeilichenLeis-tungen.58

3. Schaffhausen

DerKantonSchaffhausenhatbereitsseitzwanzigJah-renErfahrungmitderVereinheitlichungseinerPolizei-strukturen.IneinemerstenSchrittwurdenimJahr1992die drei eigenständigen Polizeikorps Kantonspolizei,Stadtpolizei SchaffhausenundOrtspolizeiNeuhausenamRheinfalluntereinKommandogestellt.ImJahr2001erfolgtedanndieBildungeinerEinheitspolizei.DasAufgabengebietder«SchaffhauserPolizei»bestehtaus den Bereichen Kriminalpolizei, SicherheitspolizeiundVerkehrspolizei.59GemässArt.9POGSHhabendieGemeinden imBereichder SicherheitspolizeiundderVerkehrspolizeieinMitspracherecht–u.a.mittelsdersogenanntenPolizeikommission(Art.16f.POGSH).DieStadtSchaffhausenunddieGemeindeNeuhausenam

55 PlanungsberichtLuzern(FN8),13.56 PlanungsberichtLuzern(FN8),Anhang1.57 NeueLuzernerZeitung,WardiePolizeifusioneinFehler?,Inter-viewmitUrsulaStämmer,21.Juli2011,21.Vgl.auchcHristoF riedo/Markus gredig,KurzgutachtenbetreffenddieVerfolgungvonWi-derhandlungen gegen kommunale Strafbestimmungen durch dieLuzerner Polizei, 16. Januar 2012 (http://www.stadtluzern.ch/dl.php/de/4f140510697e8/Rechtsgutachten_Riedo_Gredig.pdf,be-suchtam10.05.2012).58 NeueLuzernerZeitung,«DieStadtpolizeikommtwieder»,Inter-viewmitPiusSegmüller,13.Juli2011,19.59 Vgl. Art. 8 des Polizeiorganisationsgesetzes vom 21. Februar2000(POGSH),SHR354.100.

genanntenRessourcenverträge.51ZentraleHerausforde-rungdiesesSystemsistes,diepolitischeSteuerungunddieoperativeUmsetzungzukoordinieren.SodefiniertdieGemeinde inder JahresplanungdieZahlderPat-rouillestundenundlegtinAbsprachemitderKantons-polizeiSchwerpunktefest.BeisensiblenEinzelereignis-senwieDemonstrationen(Art.12dff.PolGBE)gibtdieGemeinde die politischen Rahmenbedingungen be-kannt.DieKantonspolizeiwähltfreiEinsatzmittelundTaktik.Vier Jahre nach der Einführung wird das neue Poli-zeimodellimKantonBerneinerumfassendenEvaluati-onunterzogen.MitErgebnissenistEnde2012zurech-nen.DerKantonunddieMehrheitderGemeindensindsichzwarweitgehendeinig,dassdieEinheitspolizeiSy-nergien bezüglich Ausbildung, Ausrüstung und Ein-satztaktikbewirkthat. InsbesonderekleinereGemein-densindjedochmitdemStatusquounzufrieden.Kriti-siertwirdu.a.,dassdieKantonspolizeiinSpitzenzeitennicht ausreichendverfügbar seiunddaherprivateSi-cherheitsdienste engagiert werden müssten, die nurüber begrenzteKompetenzen verfügen, aber zusätzli-cheKostengenerieren.ZudemwirdeineRücküberwei-sung bestimmter Kompetenzen gefordert (z.B. Identi-tätskontrolle,Radarmessung,BussenerhebungaufderStelle),umdieHandlungsfähigkeitderGemeindenzuverbessern.ObdieBürgernähederPolizeiarbeitunterderEinführungderEinheitspolizeigelittenhat,istum-stritten.52

2. Luzern

Grundlage der Polizeiorganisation imKanton LuzernistdasGesetzüberdieLuzernerPolizei53.Danachsinddie Polizeiaufgaben eineAngelegenheit des Kantons.DieGemeindenkönnen jedochmitGenehmigungdesRegierungsrateseigenePolizeiorganeschaffen(Art.22PolGLU).Übersolcheverfügtebis2010einzigdieStadtLuzern.Aufden1.Januar2010wurdedieStadtpolizeiLuzernmitderKantonspolizeizusammengelegt.BeiderZusammenlegungwurdeeinModellbevorzugt,beidemderKantonlediglichdievonderStadtLuzernwahrgenommenen polizeilichen Kernaufgaben über-nommenhat.54ErfülltwerdendieseAufgabenvonderKantonspolizei, namentlich durch die neueAbteilungSicherheitspolizeiStadtLuzern,inwelcherdieehemali-geStadtpolizeiaufgegangenist.NichtzumKantonver-schobenwurdendiejenigenStellenderStadtpolizei,die

51 Bern,Biel,Burgdorf,Interlaken,Köniz,Langenthal,Lyss,Mou-tier,Münchenbuchsee,LaNeuveville,Nidau,Ostermundigen,Saa-nen,Spiez,ThunundZollikofen.52 Vgl.etwacHristian zeier,Einheitspolizei:PositiveBilanztrotzKri-tikausLyss,BernerZeitungOnline,30.September2011(http://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/Einheitspolizei-Positive-Bilanz-trotz-Kritik-aus-Lyss/story/14506813,besuchtam28.April2012);BielerTagblattOnline,KritikderGemeindenanderEinheitspo-lizei, 16.06.2011 (http://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/kritik-der-gemeinden-einheitspolizei,besuchtam10.Mai2012).53 Vom27.Januar1998(PolGLU),SRLNr.350.54 PlanungsberichtLuzern(FN8),12ff.

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diepolizeilicheErmittlungimStrafverfahrenbeiÜber-tretungen, die durch die Polizeikräfte der Gemeindemit Bussenerhebung auf der Stelle geahndet werdenkönnen,sowiedieAusführungvonAufträgenfürVer-waltungsorgane der Gemeinde. Die übrigen polizeili-chenAufgaben–u.a.diekriminalpolizeilichenAufga-ben und die Überwachung des rollenden Verkehrs –sindinderVerantwortungdesKantons.62

DieGemeindensindgrundsätzlichbefugt,eigenePoli-zeikräfte für die gemeindepolizeilichen Aufgaben zuunterhalten (Art. 23 f. PGSG). Jedoch existiert nur inderStadtSt.GalleneineigenesPolizeikorps.DieRegie-rung hat der Stadtpolizei St. Gallen im EinklangmitArt.24Abs.2PGvertraglichsogarnochweitereAufga-bengegenEntschädigungübertragen–u.a.dieÜber-wachungdesrollendenVerkehrs.63 IndenGemeindenohneeigenePolizeikräfteerfülltdieKantonspolizeidiegemeindepolizeilichen Aufgaben (Art. 26 PG).64 Rei-chendievonderKantonspolizeiimRahmenderGrund-versorgung gestellten Kräfte nach Einschätzung derGemeindebehördenfürdieErfüllungdergemeindepo-lizeilichenAufgabennichtaus,sokönnendieGemein-den per Vereinbarungmit demKanton gegen Vergü-tungweiterePolizeikräfte«leasen»(Art.26Abs.3PG).65

KantonundStadtSt.Gallensindsicheinig,dassdieZu-sammenarbeitzwischenKantons-undStadtpolizeigutfunktioniert.66VorallemdieStadtSt.GallenschätztdaszweistufigeModellmiteigenerStadtpolizei.67AufderanderenSeitewerdenimmerwiederStimmenlaut,wel-chedieSchaffungeinerEinheitspolizeifordern.68Jüngst

62 Vgl. Innere Sicherheit imKanton St.Gallen undVI.NachtragzumPolizeigesetzsowieV.NachtragzumErgänzungsleistungsge-setz,BerichtundEntwürfederRegierungvom13.Januar2009,ABl2009305ff.,Ziff.5.1(nachfolgend:BerichtInnereSicherheitSG).63 Vereinbarung über die Erfüllung polizeilicher Aufgaben aufdemGebietderStadtSt.Gallenvom22.September1981,sGS451.17(nachfolgend:VereinbarungKantonSG–StadtSG).DafürerhältdieStadtSt.GallenvomKantoneinejährlicheEntschädigungvonCHF8’400’000(Art.10derVereinbarung).DerKantonSt.Gallenempfin-detdieseEntschädigungalszuhochundhat siezwecksNeuver-handlungaufEnde2013gekündigt.64 FürdieseGrundversorgungzahlendieGemeindenseit2009kei-neEntschädigungandenKantonmehr(zuvor:CHF17proEinwoh-nerinbzw.Einwohner),vgl.VI.NachtragzumPGSGvom28.Juli2009,nGS44–111.DieStadtSt.Gallenmusstesichbereitsunterdervor2009geltendenRegelungaufgrundderbeiihranfallendenKos-tenfürdieStadtpolizeinichtanderFinanzierungderKantonspoli-zeibeteiligen.65 Bericht Innere Sicherheit SG (FN 62), Ziff. 5.2. Dieses ModellbeugtderSchaffungeigenerPolizeikräfteindenGemeinden(abge-sehenvomSonderfallderKantonshauptstadt)vor,diezwarrecht-lichzulässig,abernachAnsichtderRegierungnichtwünschenswertist.Ein«Leasing-Modell»kennenz.B.auchderKantonGraubündenund–allerdingsimKontexteinesEinheitspolizeimodells–derKan-tonZug.66 BerichtInnereSicherheitSG(FN62),Ziff.5.2;VorlageStadtparla-mentNr.3381,AntwortdesStadtratesaufdieInterpellationrosen-BluMvom14.August2007,EinszweiPolizei,Nr.3387,4f.(nachfol-gend:InterpellationrosenBluM).67 Vgl.insgesamtInterpellationrosenBluM(FN66);cozzio(FN19),6f.68 Vgl.z.B.dasPostulat43.07.23«EinheitspolizeiimKantonSt.Gal-len»vom5.Juni2007,aufdasderKantonsratjedochentgegendemAntragderRegierungnichteintrat.

RheinfallkönnenzudemWeisungenüberdieEinsatz-schwergewichte bei der Patrouillentätigkeit und denVerkehrskontrollenerteilen.AlleGemeindenentschei-denbeisensiblenPolizeieinsätzen,wiez.B.Demonstra-tionen,inAbsprachemitdenzuständigenPolizeiorga-nen.KommunalpolizeilicheAufgabenwiedieVerwal-tung und Bewirtschaftung des öffentlichen GrundesunddieÜberwachungdesruhendenVerkehrsverblei-benbeidenGemeinden(Art.10POGSH).WenigevonihnenhabendenOrdnungsbussenvollzugperVertragundgegenEntschädigungandieSchaffhauserPolizeioderanderekantonaleOrganeübertragen.GrundsätzlicheAnpassungenamSystemderEinheits-polizeisindinZukunftnichtvorgesehen.EsistzueinerSelbstverständlichkeitgewordenundhatsichetabliert.Für Bereiche, in denenÜberschneidungen oder kom-plexeKompetenzabgrenzungenbestehen,habenSchaff-hauser Polizei und Gemeinden so genannte Strukto-gramme entwickelt, in denendieAbläufe unddie je-weiligenAufgaben (auchallfälligerDritter)genaube-schrieben sind und die allgemein akzeptiert werden.Fürdie besonderenHerausforderungen im Stadtzent-rumder Stadt Schaffhausen besteht ein spezieller ge-mischterAusschuss,dieAGCentro,inderdiegemein-sam interessierendenAnliegenbehandeltwerden.DieStadtSchaffhausenistmitderZusammenarbeitsehrzu-frieden; die anfänglich bestehenden Probleme wegenderbeschränktenPersonalkapazitätderKantonspolizeihabensichweitgehendgelöst.DieGemeindeNeuhau-senamRheinfallbemängeltzwardieschwachePräsenzder Kantonspolizei in derNacht, lobt ansonsten aberdie Unterstützung durch den Polizeiposten vor Ort.AuchbeimKantonistdieEinschätzunggenerellpositiv.Schwierigkeiten entstehen lediglich, wenn ein Ent-scheid auf Gemeindeebene, den die Kantonspolizeinichtbeeinflussenkann,direkteAuswirkungenaufihreTätigkeithat(z.B.verlängerteÖffnungszeitenimGast-robereich).FürdieStadtSchaffhausenbrachtedasneuePolizeimo-dellimZeitpunktderZusammenlegungeinefinanziel-le Entlastung von rund CHF 650’000mit sich, sie istabermiteinemjährlichenBeitragvonfastCHF4Mio.anderFinanzierungderKantonspolizeibeteiligt.60DiePolizeikosten insgesamt sind imKantonSchaffhausenunabhängigvonderEinführungderEinheitspolizeige-stiegen.

4. St. Gallen

DerKantonSt.GallenverfügtübereinzweistufigesPo-lizeimodell –bestehendausderKantonspolizei sowiederStadtpolizeiSt.Gallen.AllgemeinsinddenGemein-dengewissepolizeirechtlicheRechtsetzungs-undAuf-sichtsbefugnissesowiediegemeindepolizeilichenAuf-gaben(Art.9ff.,Art.13desPolizeigesetzes61)zugeord-net.ZuLetzterenzählendieAusübungderSicherheits-polizei,dieÜberwachungdesruhendenVerkehrsund

60 Art.29undGesetzesanhangPOGSH.61 Vom10.April1980(PGSG),sGS451.1.

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Städteeinführenwill,istdasProjektbisherblockiert.75DasgegenwärtigeZusammenarbeitsmodellaufGrund-lagederobenerwähntenVereinbarungwirdindiesemJahrevaluiert.BewegungindiekantonalePolizeiorga-nisationkommtmöglicherweisedurcheineGebietsre-form:DiegeplanteZusammenführungderStadtSolo-thurnmitdenumliegendenGemeindendürfteauchdieRolle und das Aufgabengebiet der Stadtpolizei Solo-thurnbeeinflussen.

6. Zürich

DerKantonZürichverfügt traditionellübereinzwei-stufiges Polizeiorganisationsmodell. Seit die Initiative«für eine einheitliche Polizei imKantonZürich» 2001vomVolkabgelehntwurde,spieltdasThemainderpo-litischenDiskussionnurnocheinenachgeordneteRolle.AktuelleGrundlagederPolizeiorganisationistdas2006inKraftgetretenePolizeiorganisationsgesetz76,welchesdas Neben- und Miteinander von KantonspolizeienundkommunalenPolizeien(Stadt-undGemeindepoli-zeien)regelt.77DenGemeindenstehtdasRechtzu,eineeigenekommunalePolizei zu schaffen, sichdafür zu-sammenzuschliessen78 oder mit anderen Gemeindenzusammenzuarbeiten,dieübereineeigenePolizeiver-fügen (Art. 3 Abs. 1 POG ZH).79 Die KantonspolizeiübernimmtgegenEntschädigungdurchdieGemeindenauchkommunalepolizeilicheAufgaben.DazukönnendieGemeindenLeistungsvereinbarungenmitdemKan-tonabschliessen(Art.3Abs.3POGZH).DieAufgaben-teilungfolgtvereinfachtgesagtfolgendemSchema:DiekommunalePolizeiübernimmtverschiedeneverkehrs-undsicherheitspolizeilicheAufgaben,dieKantonspoli-zei die kriminalpolizeilichen sowiedie restlichen ver-kehrs-undsicherheitspolizeilichenAufgaben(Art.11ff.POGZH).GemässAussagenverschiedenerGesprächs-partnerimKantonZürichfunktioniertdieAbgrenzungin der Praxis überwiegendproblemlos.Die Stadtpoli-zeienZürichundWinterthurhabeneinenSonderstatus,weilsieteilweiseauchfürkriminalpolizeilicheBelangezuständigsindundzusätzlichspeziellesicherheits-undverkehrspolizeiliche Aufgaben wahrnehmen (z.B.Schutz gefährdeter Personen und Einrichtungen), dieim restlichenKantonsgebiet derKantonspolizei oblie-gen(Art.14,15,21,22POGZH).RundeinViertelderZürcherGemeinden(indenenal-lerdings zwei Drittel der Kantonsbevölkerung leben)verfügtübereinekommunalePolizei.80DieBandbreite

75 Vgl. Regierungsratsbeschluss zur Vereinbarung StadtpolizeienKantonSO,RRB2010/1291vom6.Juli2010,Ziff.1.3.76 Vom29.November2004(POGZH),LS551.1.77 Vgl. dazu insgesamtHans-Peter tscHäPPeler, Polizeigesetzge-bungimKantonZürich,LeGes2/2006,71ff.78 EinBeispielistderPolizeiverbundHardwald(GemeindenOpfi-kon,Wallisellen,Bassersdorf,Dietlikon,Kloten),wobeidiejeweili-genGemeindepolizeiennebendemVerbundnachwievorbestehen.EinetatsächlichgemeinsamePolizeihabenz.B.dieGemeindenMei-len,HerrlibergundErlenbach.79 EinBeispielistdieGemeindeGossauZH,dievonderStadtpoli-zeiWetzikonZHmitbetreutwird.80 tscHäPPeler(FN77),77.

hatdieRegierungdesKantonsSt.Gallen imRahmenihrerBotschaftzumgeplantenSparpaketIIdiefinanzi-ellen Auswirkungen einer möglichen Zusammenle-gungderPolizeikorps anhandunterschiedlicherVari-antenausführlichbeleuchtet.SiekommtdabeizudemSchluss,dasszumindestbeieinerweitreichendenÜber-nahmederbisherbeiderStadtpolizeiSt.Gallenange-siedelten Aufgaben erhebliche Mehrkosten für denKantonentstünden.SieerachtetdaherdieSchaffungei-nerEinheitspolizei«alsnichtvordringlich».69

5. Solothurn

ImKanton Solothurn gewährleisten Kanton und Ein-wohnergemeindendieöffentlicheSicherheitundOrd-nung.70GrundsätzlichistesdieKantonspolizei,welchedieFunktionenderSicherheits-,derKriminal-undderVerkehrspolizei ausübt.71 Die Einwohnergemeindenkönnen jedoch eigene Polizeiorgane schaffen (Art. 23KapoGSO).SolchebestehenindenStädtenGrenchen,OltenundSolothurn.DieZusammenarbeitundKom-petenzabgrenzungmitderPolizeiKantonSolothurnistineinerdetailliertenVereinbarunggeregelt.72DieStadt-polizeiensindfürdielokaleSicherheitaufdemStadtge-bietverantwortlichundverfügenüberdiverse sicher-heitspolizeiliche und verkehrspolizeiliche Aufgaben(Ziff. 5 f. Vereinbarung Stadtpolizeien Kanton SO).AuchkriminalpolizeilicheAufgabensindteilweiseaufdiedreiStadtpolizeienübertragen(Ziff.4.2.i.V.m.Ziff.12VereinbarungStadtpolizeienKantonSO).Inallenan-deren Gemeinden sorgt allein die Kantonspolizei fürdiepolizeilicheVersorgung.SpeziellistbeimsolothurnischenModelldieFinanzie-rungsregelung.IndenGemeindenohneeigenePolizeiübernimmt der Kanton sämtliche Polizeieinsätze und-kosten, auch für gemeindepolizeilicheAufgabenwiedie Bewirtschaftung des kommunalen Parkregimes.DenStädtenGrenchen,SolothurnundOltenzahltderKantoneineAbgeltungfürihreStadtpolizeien(voral-lemfürverkehrspolizeilicheTätigkeiten).73Dafürflies-sensämtlicheBussenerträgedemKantonzu.74DieDiskussionumdieEinführungeinesEinheitspoli-zeimodellswirdimKantonSolothurnseitJahreninten-sivgeführt.WährenddieRegierungeinesolcheReformbefürwortet, wehren sich die Städte Grenchen, OltenundSolothurndagegen.DadieRegierungeinEinheits-polizeimodell nicht gegen denWillen der betroffenen

69 MassnahmenzurdauerhaftenStabilisierungdesStaatshaushalts(Sparpaket II), Botschaft undEntwurf derRegierung vom 1.Mai2012(33.12.09),Anhang3,117.70 Art.92derVerfassungdesKantonsSolothurnvom8.Juni1986(KVSO),BGS111.1.71 §1desGesetzesüberdieKantonspolizeivom23.September1990(KapoGSO),BGS511.11.72 Vereinbarung über die Zusammenarbeit und die Kompetenz-abgrenzungzwischenderPolizeiKantonSolothurnunddenStadt-polizeien Grenchen, Olten und Solothurn vom 6. Juli 2010, BGS511.155.1(nachfolgend:VereinbarungStadtpolizeienKantonSO).73 §23Abs.2KapoGSO.74 §16derVerordnungüberdenStrassenverkehrvom3.März1978,BGS733.11.

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dell. Das aktuelle PolG war bereits in seiner Entste-hungsphase heftig umstritten. Seither sind zahlreichepolitischeVorstössezuverzeichnen,diedasgegenwär-tigeModellinFragestellenundeineEinheitspolizeifor-dern.ZumTeilwurdendieentsprechendenVorstösse,dievorallemKompetenz-undKoordinationsproblemesowie ineffizientenRessourceneinsatzbemängeln,nurknappabgelehnt.87AufderanderenSeitegibteszahl-reicheStimmen,diemitderAufgabenteilungundins-besondere auchmit derArbeit der Regionalpolizeiensehrzufriedensind.88VordiesemHintergrundhatsichdieRegierungentschlossen,eineumfangreicheEvalua-tiondesdualenSystemsdurchzuführen.DieErgebnissesollenEndediesesJahresvorliegen.

8. Thurgau

ImKantonThurgauistdasInkrafttretendesneuenPo-lizeigesetzes89 aufden1. Juli 2012geplant.DieRegie-rungsiehtdasneueModellderPolizeiorganisationnuralsZwischenlösungundspricht in ihrerBotschaftda-von,mit derNeuregelung könne die «Strategie einerEinheitspolizeiweitervorangebrachtwerden»90.DasneuePolGTGordnetdasGewaltmonopolunddieZuständigkeit fürdieKriminal-, Sicherheits-undVer-kehrspolizei ausschliesslichderKantonspolizei zu (§§2,8,15ff.PolGTG).DieGemeindenkönnengemäss§4PolG TG noch eigene Sicherheitsorgane unterhalten.Die Einrichtung solcher Sicherheitsorgane unterliegtderErmächtigungdurchdenRegierungsrat,der auchdenUmfang der entsprechenden verkehrs- oder ord-nungsdienstlichenAufgabendefiniert.Dabeihandeltessich«jedenfallsnichtumpolizeilicheZwangsmassnah-men,strafprozessualeErmittlungshandlungenoderdieAbwehrtypischerGefahren-undStörungssituationen,die Inbegriff des staatlichen Gewaltmonopols sind»91.Somüssen sich die Sicherheitsorgane hinsichtlich Be-zeichnungundUniformierungauchklarvonderKan-tonspolizei unterscheiden (§ 4Abs. 4 PolG TG). DenGemeinden bleibt das Aufsichts- und WeisungsrechtüberihreSicherheitsorgane(§4Abs.3PolGTG).Ver-zichteteineGemeindeaufeigeneSicherheitsorgane,sokannsiezurErfüllungihrerSicherheitsaufgabeninge-wissemUmfangprivate Sicherheitsdienstebeiziehen92oder gegen kostendeckende Entschädigung einen bei

87 Vgl.dieAuflistunginderAntwortderRegierungaufdieInter-pellation Hunn u.a. betreffend periodische Berichterstattung desRegierungsratsüberdieBewährungdesdualenPolizeisystemsimKantonAargauvom9.März2011,10.355.88 InfinanziellerHinsichthabensichdieGemeindenbeimAufbauderRegionalpolizeienstarkengagiert, inBezugaufdie laufendenKostenscheintdasModellfürdieGemeindenabergünstigerzuseinalsderEinkaufvonLeistungenbeiderKantonspolizei.Vgl.graF(FN86),27.89 Vom09.11.2011(PolGTG),ABl.20112678.90 Regierungsrat des Kantons Thurgau, Botschaft für ein neuesPolizeigesetz und eine Revision der Besoldungsverordnung, RRBNr.88,vom8.Februar2011,8(nachfolgend:BotschaftPolizeigesetzTG).91 Ebd.,9.92 Ebd.,9.

reichtdabeivondenbereitserwähntenbeidengrossenStadtpolizeienbiszur–meistnurwenigeMitarbeiten-deumfassenden–PolizeikleinerGemeinden. Interes-sant ist, dass einige Gemeinden in den vergangenenJahren in Folge der Schliessung von PolizeistationendurchdieKantonspolizeineueineeigeneGemeindepo-lizei oder Polizeiverbünde geschaffen haben.81 Insge-samtwirddieStärkungundOptimierungder(horizon-talenundvertikalen)ZusammenarbeitimPolizeiwesennichtübereineZentralisierungdereigentlichenpolizei-lichenOrganisationsstruktur,sonderndurchKoordina-tionundKooperationzwischendenKorpsinverschie-denenBereichen (z.B. Beschaffungswesen, Informatik,Ausbildungsbereich82)angestrebt.83

7. Aargau

Dieseit2007bestehendePolizeiorganisationimKantonAargauweisteinigedeutlicheParallelenzumNachbarnZürichauf.Eshandeltsichumeindualesbzw.zweistu-figesSystemmitstarkerGemeindeautonomieundderVerantwortungderGemeinden fürdie«lokaleSicher-heit»(GewährleistungderöffentlichenSicherheit,RuheundOrdnung;SicherstelleneinerdauerndenEinsatzbe-reitschaft,Überwachungdesruhendensowieteilweisedes rollenden Verkehrs; verwaltungspolizeiliche Auf-gaben).84 Eine Übertragung von kriminalpolizeilichenAufgabendurchdieKantonspolizeiaufdieGemeinde(perVereinbarungundgegenkostendeckendeEntschä-digung)istebenfallsmöglich(Art.19Abs.3PolGAG).85Die Gemeinden können ihren Aufgaben mit eigenenKräften(z.B.Baden,AarauundWettingen),zusammenmit anderenGemeinden oder durch den Einkauf vonLeistungenbeiderKantonspolizeinachkommen(Art.19Abs.1PolGAG).AusdrücklichkönnensiequalifizierteprivateSicherheitsdienstebeiziehen,sofernnichtdieEr-füllunghoheitlicherpolizeilicherAufgabenbetroffenist(Art.19Abs.2PolGAG).CharakteristischfürdenKan-ton Aargau sind die so genannten Regionalpolizeien,vondenenesinsgesamt18gibt.86

WasdenKantonAargaudeutlichvomKantonZürichunterscheidet,istdienachwievorsehrbewegteDebat-teumdasambestengeeignetePolizeiorganisationsmo-

81 EshandeltsichumdieGemeindenMännedorf,Zumikon,Kilch-berg,RichterswilundEgg.Vgl.Martin guJer,Gemeindepolizei,Lu-xusoderNotwendigkeit?,DiplomarbeitZHAW,Winterthur2009,7.82 Vgl.denneuenArt.26aPOGZHzurZürcherPolizeischule(inKraft:1.April2012).83 Auszug aus dem Protokoll des Stadtrates von Zürich vom14.September2011,AntwortaufdieSchriftlicheAnfrageMartHalerbetreffendSchaffungeinerEinheitspolizei,GRNr.2011/162(nach-folgend:SchriftlicheAnfrageMartHaler).84 Art. 4 des Gesetzes über die Gewährleistung der öffentlichenSicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeigesetz, PolGAG), SAR531.200.85 DiesistbeispielsweisebeiderStadtpolizeiBadenderFall.86 Vgl.rolF graF,BeitragderPolizeiOberesFricktalzurSteigerungder Lebensqualität, Seminararbeit Schweizerisches Polizei-Institut(SPI),Frick/Neuenburg2010,5.LetztlichsindauchdieStadtpoli-zeienBadenundAarauRegionalpolizeienmitZuständigkeitenfürmehrereGemeinden.

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stufigen Systemen. Bei nur einemgrossen kantonalenPolizeikorps lassensichetwaMaterialbeschaffung, IT-LösungenundAusbildungohneWeitereszentralorga-nisieren.EinpositiverEffektergibtsichauchdurchdengrösserenPersonalpool,wodurchderEinsatzderPoli-zeikräfteflexiblerundspezialisiertererfolgenkann.InLuzernwirdalszusätzlicherSynergieeffektdiegrössereWahrnehmbarkeit einer Einheitspolizei gegen aussen(andereKantone,Bund)indenVordergrundgerückt.97Zudemkannsich,sodieEinschätzungvonGesprächs-partnern inverschiedenenKantonen,dieAttraktivitätderPolizeialsArbeitgeberdurcheineinheitlicheskan-tonalesKorpssignifikantvergrössern.AuchimzweistufigenSystemistdieNutzungvonSyn-ergien allerdings möglich. Gemeinsame Projekte vonKantons-undGemeindepolizeienindenBereichenGe-bäudeinfrastruktur,Funknetz,Einsatzzentrale,Beschaf-fungusw.illustrierendies.InderAusbildunggehtderTrendklarzugemeinsamen, teilweiseüberkantonalenLösungen.98

2. Schnittstellen

MitSchnittstellensindÜbergängeimSystemgemeint,beidenenunterschiedlicheAkteureaufeinandertreffenundeseinerKoordinationbedarf,umdieAufgabener-füllungzugewährleisten.GrundsätzlichführenSchnitt-stellen immer zu Reibungsverlusten, weswegen ein«besseres» Polizeiorganisationsmodell die Zahl bzw.dieTragweitesolcherSchnittstellenminimiertrespekti-veAnsätzefürdiemöglichsteffizienteBewirtschaftungnichtvermeidbarerSchnittstellenliefert.EinenVorteil liefernEinheitspolizeimodelle zweifellosin Bezug auf innerpolizeiliche Schnittstellen. ExistiertnureineinzigeskantonalesPolizeikorps,bestehtaprio-rieinehomogeneOrganisation.HingegenistbeieinemzweistufigenModelleinegenaueKoordinationundAb-grenzung zwischenKantons- undGemeindepolizeiensowie den jeweiligen politischen Ebenen notwendig,um einerseits Doppelspurigkeiten zu vermeiden undandererseits die Art und Weise der ZusammenarbeitunddergegenseitigenInformationgenauzudefinieren.Dies gilt sowohl für die rechtlichen Grundlagen99 alsauchfürdietäglichePraxisderPolizeiarbeit.InderRe-gelführtdieszueinemMehraufwand.IndesistdieVorstellungabsurd,mitderEinführungei-nesEinheitspolizeimodellshabesichdieSchnittstellen-problematikper se erledigt. ImGegenteil:Gerade beiModellen,indenendieVerantwortungfürdieöffentli-che Sicherheit und Ordnung den Gemeinden obliegt,ihnenaufgrundderZentralisierungderPolizeiorgani-sationaberimWesentlichenkeineeigenenMittelmehr

97 PlanungsberichtLuzern(FN8),15.98 Vgl.nurdieneueZürcherPolizeischuleoderdieunterdemOst-schweizer Polizeikonkordat geschaffene PolizeischuleOstschweizinAmriswil.99 Präzise Regelungen finden sich z.B. im POG ZH, Art. 11 ff.,Art.24ff.,sowieinderVereinbarungKantonSG–StadtSG(FN63)undderVereinbarungStadtpolizeienKantonSO(FN72).

der Kantonspolizei angesiedelten polizeilichen Assi-stenzdienstbeauftragen(§3Abs.2PolGTG).93Das neueModell stellt einenpolitischenKompromissdar,mitdemversuchtwird,demRufnacheinerZentra-lisierungzuentsprechen,ohnedenGemeindenjeglicheMöglichkeit zunehmen, selbst für dieWahrnehmunggewisserSicherheitsaufgabenSorgezutragen(odersieanprivateSicherheitsdienstezuvergeben).Derneuein-geführtepolizeilicheAssistenzdienstsolldieKantons-polizei entlasten94 und letztlich auch die privaten Si-cherheitsdienstesukzessiveablösen.Gegenwärtig haben noch drei Gemeinden imKantonThurgaueineeigeneuniformiertePolizei(Kreuzlingen,SteckbornundBischofszell).9523von80Gemeindenha-bensichvomKantongewisseverkehrs-undordnungs-dienstliche Aufgaben übertragen lassen.96 Die StadtFrauenfeldistdiebishereinzigeimKanton,dieaufdenpolizeilichenAssistenzdienst zurückgreifenwill. ZumTeil wird seitens der Gemeinden befürchtet, dass derPolizeiassistenzdienstzusehrdurchdenKantondomi-niertwirdundnichtgenügendflexibeleinsetzbarseinkönnte,sodassvorerstweiterhinaufdieZusammenar-beitmitprivatenSicherheitsdienstengesetztwird.

IV. Einordnung und Bewertung: ein Plädoyer für funktionale Lösungen

Intuitiv,aberwiedargelegtauchaufgrundderrechtli-chenAnforderungendesSubsidiaritätsprinzips,istdie«bessereAufgabenerfüllung»diezentraleRichtschnurzurEinordnungundBewertungunterschiedlicherPoli-zeiorganisationsmodelle. Eswärevermessen, eineArtRankingzuerstellen;zuunterschiedlichsinddieeinzel-nen Lösungen, ihre Funktionsweisen undRahmenbe-dingungen.HingegenistesaufderBasisdesRechtsver-gleichsmöglich,Messfaktorenfüreinefunktionalange-messenePolizeiorganisationzuidentifizieren,dienach-folgend betrachtet werden: Synergien, Schnittstellen,Bürgernähe, Kosten, demokratische Steuerung undKontrolle, gemeinsames Verständnis von Kanton undGemeinden,demographischerundsozialerKontext.

1. Synergien

Es istnaheliegend,dasses inEinheitspolizeimodellenleichterfällt,Synergiepotenzialezunutzen,alsinzwei-

93 PolizeiassistenzdienstekennenauchandereKantone–etwaZü-rich,SolothurnundZug.SiehabenimmereinegewisseUnterstüt-zungsfunktion,sindabernichtzwangsläufigwieimKantonThur-gauspeziellals«Personalreserve»fürdieGemeindenvorgesehen.In der Stadt St.Gallen besteht ein Polizeiassistenzdienst, der ausSchutzdienstpflichtigen(Zivilschutz)gebildetwirdundEinsatzspit-zenz.B.beiderVerkehrsregelungabdeckt(Art.20bisPGSG).94 BotschaftPolizeigesetzTG(FN90),5.95 DieStadtpolizeiderStadtFrauenfeldwurdebereits2005indieKantonspolizeiintegriert.96 Diese Möglichkeit besteht auch schon unter dem «alten», imFrühjahr2012nochgeltendenPolGTG.

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3. Bürgernähe

Wichtiges Element der bürgernahen Polizeiarbeit istdassogenannteCommunityPolicing.102DamitgemeintistdasEingehenaufdieBedürfnissederBevölkerungundeineengeZusammenarbeitmitdenAnwohnendenimQuartier.CommunityPolicingergänztdenreaktivenFokusderPolizeiarbeitumkreative,präventiveunddi-alogorientierteLösungen.UmdieseArbeit erfolgreichzu bewältigen,muss die Polizei sichtbar nah amGe-schehen sein,dieVerhältnissederGemeinde sehrgutkennen,persönlicheKontakteknüpfenundmit ande-ren Akteuren (Vereinen, Schulen, Kirchen, Gastrono-mie,Gewerbeetc.)vernetztsein.Es liegt der Schluss nahe, diesen HerausforderungenambestenmitHilfeeigenerGemeinde-bzw.Stadtpoli-zeienzubegegnen.Grundsätzlich ist einebürgernaheAufgabenerfüllungjedochauchimRahmeneinesEin-heitspolizeimodellsmöglich.103DerPersonalbedarf füreine «gute» bürgernahe Polizeiarbeit wird sich aller-dingsimVergleichzueinemzweistufigenModellnichtreduzierenlassen.ZudembrauchteseineBinnendiffe-renzierungderEinheitspolizei,dieaufquasi-eigenstän-digeStrukturenzumindestinurbanenZentrenhinaus-läuft.104 Diese sind auch deshalb notwendig, um derSchwerfälligkeiteinereinzigengrossenkantonalenPo-lizeibehörde105 sowohl betreffend Aufgebotszeiten alsauchmitBlickaufdieadministrativenAbläufeentge-genzuwirken.EbenfallszubeachtenistderWertgewachsenerStruk-turen.Geradebei einem sensiblenThemawieder öf-fentlichen Sicherheit undOrdnungwirddieVertraut-heitderBürgerinnenundBürgermiteinembestimmtenGefüge zu einem bedeutenden Kriterium. Dieser Zu-sammenhangrechtfertigtesnicht,einschneidendeRe-formen zublockieren,wenndiese aus anderenGrün-dengerechtfertigtsind,abererzeigt,dasssichdasPoli-zeiorganisationsrecht jedenfalls nicht als Experimen-tierfeldeignet.DamiteinzweistufigesSystemseinPotenzialhinsicht-lichBürgernäheausschöpfenkann,mussgewährleistetsein,dassdiejeweiligenAnsprechpartnerfürdieBevöl-kerungklarsindbzw.dassdiesesichohneweitereUm-ständeandiePolizei(obKantons-oderGemeindepoli-zei)wendenkönnenundentsprechendbedientwerden(One-Stop-Shop-Prinzip).WenndieBürgerinoderderBürgerzwischendenPolizeienhin-undhergeschobenwird,istdasZielderBürgernähenichterreicht.

102 Vgl.dazu insgesamtKonferenzderStädtischenPolizeidirekto-rinnenundPolizeidirektorenKSPD (Hrsg.),CommunityPolicing,ModellefüreinevernetztePolizeiarbeitinderSchweiz,ReferatederTagungvom10.September2004,Zürich2005.103 Marco gaMMa, DieAufgabenverteilung zwischen verschiede-nen Polizeidiensten in der Schweiz – Reform des Föderalismus?,SZK2/2004,21.104 FolgerichtigsinddieStadtpolizeienLuzernundBerngleichsam«telquel»indieLuzernerPolizeibzw.PoliceBernintegriertworden.105 SchriftlicheAnfrageMartHaler(FN83).

zurVerfügungstehen,umdieserAufgabenachzukom-men(wieimKantonBern)100,kommteszueinererheb-lichen Schnittstellenproblematik. Diese lässt sich imRahmenvonmassgeschneidertenLösungen,welchedieGemeinden vondenKantonspolizeien zurVerfügunggestelltbekommenrespektiveeinkaufenkönnen,zwarabfedern,abernichteliminieren.Diesgiltumsomehr,wenndieGemeindenaufgrundvonEngpässenbeiderKantonspolizei auf den Einsatz privater Sicherheits-dienste angewiesen sind, wodurch sich eine weitereSchnittstelleergibt.Darüber hinaus besteht eine Schnittstelle zu verwal-tungspolizeilichenAufgaben,dieauchuntereinemEin-heitspolizeimodell grundsätzlich auf Gemeindeebeneverbleiben (z.B. Markt- und Gewerbepolizei, Bewilli-gungenzurNutzungdesöffentlichenGrundes).WennbeispielsweisedieGemeindeüberdieBewilligungei-nergrösserenDemonstrationentscheidet,musssiediesquasi im«luftleerenRaum» tun.SiekanndieBewilli-gungnichtdirektmit einemeigenenSicherheits- undEinsatzkonzeptverknüpfen.ErschwertwirddieSituati-onauch imVerkehrsbereich (mindestens indenStäd-ten),wenndieGemeindefürdieVerkehrsorganisationzuständigist(Signalisation),abernichtfürderenDurch-setzung(Bussen).VordiesemHintergrundistderoftmitderEinheitspoli-zei inVerbindunggebrachteGrundsatz«einChef,einRaum,einAuftrag»irreführend.ErwürdenurbeieinervollständigenZentralisierungvonimweitestenSinnsi-cherheitsrelevantenAufgabenundStrukturenaufkan-tonalerEbenezumTragenkommen.DiesaberkämederAushöhlungderGemeindeautonomiebedrohlichnahe.ZweistufigeModellesiedelnimIdealfalldieinhaltlicheKompetenzaufderjenigenEbenean,aufderauchdieentsprechenden Mittel zur Durchsetzung zur Verfü-gungstehen.DiesminimiertdieZahlderSchnittstellen.Zudem erlauben gemeindepolizeiliche Strukturen dieeffiziente Bewirtschaftung von thematischen Schnitt-stellen zu anderen Bereichen kommunaler Tätigkeit(z.B. Feuerschutz, Soziales, Schule/Bildung, Entsor-gung,Strassenreinigung),weil«kurzeWege»bestehenunddieVerantwortlichkeiten inderExekutivefürdieentsprechendenPolitikfelderteilweisesogargekoppeltsind.101

100 ImKantonZug–diesbezüglichmiteinerähnlichenAusgangs-lagewiederKantonBern–stehtgegenwärtigeineÄnderungdesGemeindegesetzes an, umklarer zwischen «RuheundOrdnung»alsZuständigkeitsbereichderGemeindenund«SicherheitundOrd-nung»alsZuständigkeitsbereichdesKantonszudifferenzieren.Vgl.KantonZug,ÄnderungdesGesetzesüberdieOrganisationunddieVerwaltungderGemeinden(Gemeindegesetz),BerichtundAntragdesRegierungsratesvom24.Januar2012(VorlageNr.2108.1),15.101 InderStadtSt.GallenetwasindunterdemDachderDirektionSozialesundSicherheitdieStadtpolizei,FeuerwehrundZivilschutz,dieSozialenDiensteSt.GallenunddasAmtfürGesellschaftsfragenangesiedelt.

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Kantonspolizeivorgesehenist(wieimKantonZug).108EineKostenreduktion ist abernicht zwingend: SoferndieGemeindentrotzEinheitspolizeifürdieöffentlicheOrdnungundSicherheitverantwortlichbleiben(wieimKantonBern),könnendieKostenfürsiesogarsteigen.Dazukommtesbeispielsweise,wennnichtnureinall-fälliger Ressourcenvertragmit derKantonspolizei ab-zugelten ist, sondernzurErbringunggewisserSicher-heitsdienstleistungenaufgrundvonKapazitätsengpäs-senderKantonspolizeizusätzlichauchprivateSicher-heitsdiensteengagiertwerdenmüssen.Insgesamtistfestzustellen,dassvielefinanzielleAspek-temitweitreichendenAuswirkungen auf dieKosten-verteilungzwischenKantonundGemeindenunabhän-gig von der Wahl des einstufigen oder zweistufigenPolizeiorganisationsmodellszuklärensind:– BeteiligungderGemeindenanderGrundversorgungdurchdieKantonspolizei– EntschädigungderKantonspolizeifürSonderleistun-gen– BeteiligungdesKantonsanderErledigungvonkom-munalen und kantonalen polizeilichen AufgabendurchdieGemeinden– ZuteilungvonBussenerträgen– BedarfanundFinanzierungvonprivatenSicherheits-diensten– Einbettung der Finanzierung der Polizei in einenübergreifendenFinanz-undLastenausgleich

AusderglobalenPerspektiveistdieFragenachdenGe-samtkostenfürdieGewährleistungderöffentlichenSi-cherheit und Ordnung noch wichtiger als diejenigenach der Kostenverteilung: Führt ein Einheitspoli-zeimodell zueinerKostenersparnis?DieseFrage lässtsichnichtohneweiteresbejahen.109Sicherist,dassderÜbergang von einem zweistufigen zu einem zentrali-siertenModell zunächst zu beträchtlichen einmaligenFusionskostenführt.110AuflängereSichtmögensichfi-nanzielle Entlastungen durch Synergiegewinne erge-ben.DaSynergienindiversenBereichenauchineinemzweistufigen Modell möglich sind,111 lassen sie sichschwerbeziffern.LetztlichbestimmenandereFaktorendie Entwicklung der Sicherheitskosten deutlich mehralsdieWahldesPolizeiorganisationsmodells: dieAn-forderungendurchsoziale,demographischeundtech-nischeEntwicklungenunddamitverbundendiepoliti-schenWeichenstellungen hinsichtlich personeller Do-tierung,technischerAusstattungundLeistungsumfangderPolizei.

108 Siehe§24desGesetzesüberdieOrganisationderPolizeivom30.November2006(PolOrgGZG),BGS512.2.109 Vgl.SchriftlicheAnfrageMartHaler(FN83).110 DasProjekt «PoliceBern» etwahatdirekte FusionskostenvonrundCHF28Mio.generiert–plusweitereCHF27Mio.anallgemei-nen Investitions- undModernisierungskosten. Vgl. GemeinsamerAntragdesRegierungsratesundderKommissionandenGrossenRatzumPolGBEvom24.Mai2006,Tagblatt2006,Beilage24,20f.111 SieheobenAbschn.IV.1.

4. Demokratische Steuerung und Kontrolle

DieMöglichkeitenderdemokratischenSteuerungundKontrollesindineinemzweistufigenPolizeiorganisati-onsmodell ausgeprägter als in einem einstufigen. Beieiner Parallelität von politischer Verantwortung unddemVorhandenseinoperativerMittelaufderGemein-deebenehatdiedirektgewähltekommunaleExekutivebzw.daskommunaleParlamentdieMöglichkeit,nichtnur die sicherheitspolitischen Ziele der Gemeinde zudefinieren,sondernauchdieentsprechendeUmsetzungzu steuern und zu kontrollieren – in der Regel sehrraschbzw.beiBedarf.IneinemEinheitspolizei-SystemwärebeispielsweisedieVorreiterrolle,welchedieStadtSt.GalleninSachenVideoüberwachungimöffentlichenRaum, Vermummungsverbot sowieWegweisung undFernhaltungbeiGefährdungundStörungderöffentli-chenSicherheitundOrdnungübernommenhat,kaumdenkbargewesen.106VerfügtdieGemeindenichtmehrüberoperativeZuständigkeiteninBezugaufdieöffent-liche Sicherheit undOrdnung auf ihremGebiet, gehtauchdasWisseninderGemeinde(verwaltung)überdiesicherheitsrelevantenHerausforderungenvordereige-nenHaustürtendenziellverloren.DasVolkseinerseitshatineinemzweistufigenModelldurchdieWahrneh-mungseinesWahlrechtsundderdirektdemokratischenInstrumente die Möglichkeit, die kommunale Sicher-heitspolitikunddiezugehörigenpolizeilichenStruktu-renzukontrollierenundallenfallseineNeuausrichtungherbeizuführen.

5. Kosten

DieKostenfragespieltindenKantonenbeiderDiskus-sionumdas«richtige»Polizeiorganisationsmodellzu-meist eineRolle – sowohl hinsichtlich derKostenent-wicklungalsauchbezüglichderVerteilungderKostenauf die unterschiedlichen Akteure (Kanton und Ge-meinden).Wenn Gemeinden eigene Polizeikräfte unterhalten,dannmüssensieauchfürderenFinanzierungaufkom-men,was inderRegel eine erheblicheBelastungdar-stellt.VieleGemeinden schätzenaberdiemit eigenenPolizeikräftenverbundeneHandlungsfähigkeitundbe-tonen,dasssiedieBelastungaufgrunddeshohenNi-veausanSicherheitsdienstleistungen,dassiesobereit-stellenkönnen,gerninKaufnehmen.107BeieinemEinheitspolizeimodellwerdendieKostenfürdieGemeindentendenziellsinken–insbesonderedann,wenn keine Beteiligung an den Aufwendungen der

106 InterpellationrosenBluM(FN66),2.107 Dieshatsichz.B.inderStadtSt.GallenimJahr2010gezeigt,alsdasStadtparlamentgrundsätzlichderpersonellenAufstockungdesstädtischenPolizeikorpsumzwölfPolizistinnenundPolizistenimVerlaufvondreiJahreneinstimmigzustimmte.Vgl.andreas nagel,MehrPolizei«andieFront»,TagblattOnline,16.März2010(http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/stadtstgallen/tb-st/Mehr-Polizei-an-die-Front;art186,1507413,besuchtam10.Mai2012).

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sichbesondereHerausforderungen indenStädten als«soziale Schmelztiegel»115 – gerade imBereich der öf-fentlichen Sicherheit undOrdnung. Einige Stichwortesind:höhereundanderesgearteteKriminalität als imländlichen Raum; sicherheitsrelevante Probleme rundum Alkoholkonsum von Jugendlichen, Anonymisie-rung,Arbeitslosigkeit,Armut,Drogenhandelund-kon-sum,GewaltimUmfeldvonSportveranstaltungen,In-tegration von Ausländern sowie Überalterung; ver-mehrter Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum;urbaneVerkehrsprobleme.InStädtenbestehendaherbeiAusbildung,Organisati-on undArbeitsweise der Polizei spezifischeAnforde-rungen.WieschonimKontextderBürgernähederPoli-zeiarbeiterwähnt,kanndiesenAnforderungengrund-sätzlich auchmit einer spezialisierten «Stadt-Einheit»innerhalbeinereinheitlichenKantonspolizeiwirkungs-voll begegnet werden. Eine solche ist aber politisch-strukturelldenstädtischenBedürfnissenundAnliegenwenigerverpflichtetalseineigenesstädtischesPolizei-korps.Dieskannsichdannnegativbemerkbarmachen,wennesalsFolgeandererkantonalerBedürfnissezuei-ner Ausdünnung der städtischen Polizeipräsenzkommt.116DiegegenwärtigenundkommendenHerausforderun-gen beschränken sich indes nicht auf den GegensatzStadt-Land bzw. Stadt-Kanton. Noch weit grössereSprengkraft für die Polizeiorganisation und letztlichauch für die kantonale Einheitspolizei hat die abneh-mende Bedeutung von Kantons- und Gemeindegren-zenvordemHintergrundderRaum-undSiedlungsent-wicklung sowieder stetig steigendenMobilität.117Diepolitisch-rechtlich-territorialeGliederungdesbäuerlichgeprägten schweizerischen Bundesstaates von 1848bzw. 1874 entspricht immerweniger der wirtschaftli-chenundsozialenRealität.DieseistgeprägtdurchdieHerausbildunggrosserundmittelgrosserAgglomerati-onen,dieandengenanntenGrenzennichthaltmachen.InsgesamtbedarfesnichtzuletztimSicherheitsbereicheiner «übergeordneten Sichtweise und Koordination,ohne dass dadurch die Autonomie untergeordneterEinheiten eingeschränkt wird».118 Genau darin liegtaberdasProblem:ObimpolizeilichenBereichmaterielloderauchorganisatorischüberdasinzwischensehrbe-liebte Instrumentder interkantonalenKonkordate zu-sammengearbeitetwird,119ob inbestimmtenRegionen

meundihreRolleimföderalenGefügevonBundesstaaten,in:Wald-mann/Hänni/Belser(Hrsg.),Föderalismus2.0,Bern2011,49ff.115 kägi-diener(FN18),Rz.7.116 InterpellationrosenBluM(FN66),6.117 Vgl.etwakägi-diener(FN18),Rz.23;rHinow/scHeFer(FN33),Rz. 649, 661;rené wiederkeHr, FunktionaleRegionen imRahmenderBundesstaatsordnung,ZBl103(2002),618m.w.N.118 rHinow/scHeFer(FN33),Rz.652.119 Vgl. beispielhaft die zunehmende Vernetzung der Zent-ralschweizer Kantone über mehrere Konkordate bzw. Vereinba-rungen imProjektPolizei��I, indessenRahmen jenseitsderbeiden Kantonen verbleibenden polizeilichen Grundversorgung inden verschiedensten Spezialgebieten (Schwerverkehr, Logistik,Polizeihunde, Gewässer, Intervention, Ordnungsdienst, gemein-same Einsatzleitzentrale), eng kooperiert wird (http://www.

6. Gemeinsames Verständnis von Kanton und Gemeinden

DerÜbergangvoneinemzweistufigenzueinemeinstu-figenModellkannnurgelingen,wennderKantonunddie betroffene(n) Gemeinde(n) sich auf ein gemeinsa-mesVerständnis bezüglichderOrganisationdesPoli-zeiwesenseinigenundbeiderAusgestaltungundUm-setzungengkooperieren.Dazuzähltauchdiebefriedi-gende Klärung personalpolitischer und -rechtlicherFragen.112WennderKantondiePolizeiorganisationge-gen den Willen seiner Gemeinden komplett an sichzieht, muss das Projekt fast zwangsläufig in grosseSchwierigkeiten geraten, weil sich die Schnittstellen-problematik potenziert und die unverzichtbare guteZusammenarbeitzwischendenbeidenEbenengefähr-detist.

7. Demographischer und sozialer Kontext

Die funktionaleEignungvonbestimmtenPolizeiorga-nisationsmodellen hängt massgeblich vom demogra-phischen und sozialen Kontext ab. So verfügen sehrkleineKantone(z.B.Nidwalden,Obwalden,beideAp-penzell)traditionellnichtübereinzweistufigesModell,weilihnenbzw.ihrenGemeindendiekritischeGrössefehlt.WenndieStrukturenmiteigenenGemeindepoli-zeienzukleinwerden,steigtdieGefahrvonIneffizien-zenundDoppelspurigkeiten.AusdiesemGrundistesprinzipiell nachvollziehbar, wenn selbst in KantonenmiteinemzweistufigenModellGemeindepolizeiennuringrösserenGemeindenodergarnur indergrösstenGemeindebestehen(wieimKantonSt.Gallenundfrü-her imKantonLuzern).AuchwennGemeindennichtübereineeigeneGemeindepolizeiverfügen,gibtesAn-sätze, welche deren Autonomie mehr oder wenigerstärken – z.B. regionalisierteModelle wie imAargauoder das «Leasing» von kantonalen Polizei(assistenz)kräften(z.B.Thurgau,St.Gallen).InBezugaufdenAspekt«kritischeGrösse»drängtsicheineweitergehendeÜberlegungauf:DieSchweizhatindenvergangenenJahrzehnteneinemassiveUrbanisie-rungerfahren,dieweiterfortschreitet.Rund75ProzentderschweizerischenWohnbevölkerung lebenheute instädtischenGebieten.113Die Bedeutungder Städte hatstarkzugenommen,auchwennsichdiesimföderalisti-schenSystemtrotzderAufnahmevonArt.50Abs.3indieBVbisherkaumwiderspiegelt.114Zugleichergeben

112 PlanungsberichtLuzern (FN8),Anhang2,53.Zudenanfäng-lichen Problemen nach der Zusammenlegung der Polizeikorpsvon Kanton und Stadt Luzern vgl. 20 Minuten Online, Luzer-ner Polizei: «Die Stimmung ist schlecht», 21.April 2010 (http://www.20min.ch/schweiz/zentralschweiz/story/-Die-Stimmung-ist-schlecht--27712937,besuchtam10.Mai2012).113 Bundesamt für Statistik, Räumliche Verteilung:Agglomeratio-nen, Stadt und Land (http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/02/blank/key/raeumliche_verteilung/agglomerationen.html,besuchtam12.Mai2012).114 Kritischauer/Malinverni/Hottelier(FN22),Rz.944;dazuauchcozzio(FN19),1f.,sowieinsgesamtraPHael kraeMer,Ballungsräu-

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JanScheffler:Einheitspolizei:WegweisendesModelloderfalscherReformeifer?

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gleichzueinemzweistufigenModellsogarmarkantverschärfen.

7. BürgernähehängtwenigervomgewähltenOrgani-sationsmodellalsvonderinternenStrukturundAr-beitsweisedesjeweiligenPolizeikorpsab.Bürgerna-hePolizeiarbeitistinjedemFallpersonalintensiv.

8. DiedemokratischeSteuerungundKontrolleaufGe-meindeebeneistineinemzweistufigenModellbes-sermöglich.

9. Die Einführung einer Einheitspolizeilösung kannnurgelingen,wennKantonundGemeindensichda-raufeinigen.

10.InZukunftwerdenverstärktFragenderPolizeior-ganisationüberGemeinde-undKantonsgrenzenhi-nausdieDiskussionprägen.

AlsAnregungfüreineFortsetzungderDebatteseidasVorgesagte zum Abschluss nochmals fokussiert, undzwarmitdemBlickdesaltStadtpräsidentenvonSchaff-hausen,Marcel wenger, inRichtung St.Gallen: «Wirmüssen für unsere Kleinstadt [Schaffhausen, d. Verf.]beimgemeinsamenModellbleiben.(…)AlsOberhaupteinergrösserenStadt–wieSt.Gallen–würdeich[aller-dings]nichteineSekundedarandenken,diePolizeiho-heitabzugeben.»122

122 PHiliPP landMark,StädtewollenPolizeihoheitbehalten,TagblattOnline,vom16.August2007,(http://www.tagblatt.ch/tagblatt-alt/tagblattheute/sg/stgallen/tb-st/art742,126642,besuchtam10.Mai2012).

eine kantonsübergreifende Einheitspolizei angestrebtwird,wiediesdieKantoneNeuenburgundJuraab2015planen,obdieRestrukturierungdespolizeiorganisato-rischenGefügesimRahmenvonGemeindefusionener-folgt120oderobmandieEinrichtungvonAgglomerati-onspolizeien,dieinunterschiedlichenGemeindenundKantonentätigseinkönnten,inErwägungzieht–esbe-stehteinSpannungsfeldzwischenfunktionalenAnsät-zen sowie demokratischer Mitbestimmung und Kon-trolle.121 Die entsprechende Diskussion steht erst amAnfangundwirddieDebatteumdieVor-undNachtei-lekantonalerEinheitspolizeienzukünftigerweitern.

V. Schlussbetrachtung

DieDebatteumdieEinführungeinheitlicherPolizeior-ganisationenaufkantonalerEbeneistkomplex.Schonaufgrundder teilweise sehrunterschiedlichenhistori-schen,topographischenunddemographischenVoraus-setzungenindeneinzelnenKantonenkannesdieange-messeneLösungnichtgeben.DieAnalysehatabereineganze Reihe von Faktoren und Zusammenhängen zuTagegefördert,diefürdieBewertungeinewichtigeRol-lespielen.Sielassensichthesenartigzusammenfassen:1. Das Subsidiaritätsprinzip setzt eine verbindliche

rechtlicheSchranke:NurwenneinebessereAufga-benerfüllunggewährleistetist,darfderKantondenGemeindendieeigenständigeErledigungpolizeili-cherAufgaben durch Zentralisierung polizeilicherStrukturenvorenthalten.

2. ZukleineEinheitensind fürzweistufigePolizeior-ganisationsmodellenichtgeeignet.

3. JegrösserdiebetroffenenGemeinden,destospezifi-scher und komplexer werden ihre Sicherheitsbe-dürfnisseunddamitauchderBedarfnachspeziali-sierten Polizeikräften. Tendenziell sind städtischeKorpsfürdieseAufgabeaufgrundihrerVernetzungmitderkommunalenPolitikundanderenAkteurenauf Gemeindeebene geeigneter als «Stadt-Einhei-ten»einerKantonspolizei.

4. Die globale Kostenentwicklung im Polizeiwesen(Kanton und Gemeinden zusammengenommen)wirdkaumentscheidenddurchdieWahldesPoli-zeiorganisationsmodellsgeprägt.

5. Das Synergiepotenzial ist bei einer Einheitspolizeihöher;SynergiensinddankguterZusammenarbeitaberauchineinemzweistufigenModellmöglich.

6. Das Modell Einheitspolizei löst die Schnittstellen-problematiknicht.Jenachdem,wieeinEinheitspoli-zeimodell ausgestaltet ist, kann sich diese imVer-

zrk.ch/Projekte-Detail.51.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=126&cHash=576de72bc7,besuchtam12.Mai2012).Vgl.dazuauchHansPeter uster,DasPolizeikonkordatZentralschweiz,Sicherheit&Recht3/2011,154ff.(Teil1),1/2012,3ff.(Teil2).120 SieheobenAbschn.III.5.121 wiederkeHr (FN117),634.