Download - Full Clip - Oliver Borner
FULL CLIPO L I V E R B O R N E R
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OLIVER BORNER FULL CLIP
photography
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LIVE WITH STRANGERS
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NEW YORK SHOTS
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DIMITRY
a shor t story
eine Kurzgeschichte
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Dimitry, fast zwei Meter groß,in Lublin als kleiner Junge auf-gewachsen, hängt am Telefonund klingt etwas außer Atemals er mit mir spricht. Ich sollesofort zu ihm kommen, etwasganz besonderes würde eineQuerstraße weiter von mei-nem Haus entfernt auf michwarten. Also gut ich lege denHörer mit der geringeltenSchnur auf, wenigstens verfit-zen sich diese Art von Kabelnicht. Mein langer Mantel istimmer noch feucht vom dau-erregen gestern Nacht. Ichdenke nach auf dem Weg zuDim. In was lasse ich michjetzt schon wieder mit reinzie-hen? Warum bin ich nicht nor-mal oder was man darunterversteht? Warum fange ichseit einer Woche an Fotos dieuninteressant sind abzumalen,obwohl ich vorher nie gemalthabe?Bin ich eine Schwuch-tel? Egal heute habe ich einenitalienischen Hut auf, den ichmir vor zwei Jahren in NewYork in Little Italy gekaufthabe, natürlich hat ihn mir einChinese verkauft.
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Ach was soll's lieber deutscheHausmannskost essen wie esFerdinand heute zu mir sagte.Ist das rassistisch frage ichmich? Da kommt er schon vonweitem sehr gut zu erkennenobwohl er immer so darauf be-dacht ist unauffällig zu bleiben.Freunde erkennen sich ebenschon auf tausend Metern.Ich denke an den tausendMeter Blick. Mir hat mal einererzählt, den hatten die Amisim Vietnamkrieg wenn sie zuviele Leichen und Leid gese-hen hatten, ihre Augen wah-ren danach ganz leer alswürden sie tausend Meter indie Tiefe blicken. Ich gebe ihmmeine nasse Hand, denn esregnet immer noch. Er strecktdie Linke zu mir aus und faseltdabei irgendetwas von der Lin-ken und das diese eben vomHerzen käme. Ja ja der Pole,der Pole ganz der Gentle-man.Gib ihm die Rechte Hand,so kommt er nicht an seinSchwert. Von wem war dasnoch gleich? Waffen sind wieelektronische Musik oder zu-mindest wie Synthesizer wenn
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man solche Geräte einmal auf-geschraubt hat fängt man anwirklich zu fühlen, was da rauskommt, oder besser gesagtwenn man den Mechanismuskennt, ist das Ergebnis nichtmehr überraschend. Eigent-lich sehe ich uns beide eherals Wissenschaftler oder Psy-chologen an, die den Men-schen und seine Krankheitenentschlüsseln und wenn essein muss eine Heilung dafürfinden, aber meistens reichenein par Experimente aus. Sozum Beispiel die Situation inder ich mich gerade befinde.Wir sitzen in einem weißenPorsche Cayenne, und meinerechte Hand hält eineSchreckschuss GusseisenWalter PPK Imitathandfeuer-waffe direkt gegen den Hinter-kopf des Fahrers. Dim und ichsitzen beide auf der Rückbank.Wie beim Taxifahren geht eshier zu nur mit dem Umstanddas der Fahrer dem Fahrzeugsichtlich nicht gewachsenscheint. Er kann sich einfachnicht beruhigen und seineAugen erinnern mich schon
wieder an diesen dämlichentausend Meter Blick. Der Poleist ganz ruhig und gelasseneben ein Gentleman. Er gibtden Fahrer konkrete Anwei-sungen wie beim Kreuzwort-rätsel. Es ist immer wiederinteressant mit anzuhören, in-wiefern sich unsere Objekteversuchen aus der Schlingezu ziehen. Er erzählt uns daser zwei Kinder habe, jedochnicht das er längst geschiedenist und sich nicht annäherndum sie kümmert. Dimitry hatseine Hausaufgaben gemachtund ich bin nur der Bonus,Praktikant oder besser, Künst-ler neuerdings. Ich hab eineFreundin und die wirft auchdemnächst. Warum ich mirdas zumute? Wahrscheinlichbin ich doch ein Künstler undwusste es nur nicht aber diesind doch immer so verrücktund nicht Lebensfähig. Da binich ja das beste Beispiel dafür.Wahrscheinlich müsste ichnur ein par Flecke mehr aufdas Papier machen und michin Ausstellungen rumdrücken.Niemals! Für diese Art von
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Langeweile gibt es schongenug Pächter. Schön weißvon innen ist er auch, der Por-sche, weiß braun mit ein biss-chen gelb. Innen gestrecktesSpeed und außen wie Kokain.Er schließt uns seine Woh-nung auf, er kennt uns und wirwissen das. Ein schöner Blick,man kann sogar den Flusshören und das Wasser ver-schieden leuchtende Dingespiegeln sehn. Die Geschäfts-tüchtigsten Leute haben dieschönsten Flecke in der Stadtbesiedelt und richten sie amungemütlichsten ein. Ich holemein kleines Heft heraus undzeichne mit einer sehr wei-chen goldenen Feder, wieunser Objekt auf den Tisch ge-klebt wird. Man muss versu-chen die wichtigsten Szenenim Gedächtnis zu Fotografie-ren um die schnellen Bewe-gungen auch wiederzugeben,oder zumindest eine davon,ich schraffiere nur Licht undSchatten, langsam macht esmir Spaß. Irgendetwas in mirscheint also doch ein Mäd-chen zu sein. Der Pole reist es
mir aus der Hand und meintich solle keine Notizen ma-chen, womit er recht hat. Wiekann man auf der einen Seitenur so verrückt sein und den-noch so genau, gewissenhaft,penibel und ja genau sensibel.Sensibel ist der Pole jetzt habich’s. Seine Nasenflügel rie-chen förmlich die Angst unse-res Versuchsobjektes. SeineAugen fixieren seine eigenenFingerkuppen beim ausführenihrer Bewegungen, ja er istsensibel und er hat Gefühl.Nicht umsonst ist er so gutbeim Schießen und Treffen.Jetzt kehrt langsam Ruhe ein.Bis auf die gepresste Klebeb-andatmung unseres Objektesist es ganz ruhig. Ich kratzemit meinem Messer auf derTischplatte herum um unserObjekt ein bisschen nervös zumachen, dabei denke ich anHolzschnitt. Holzschnitt hat indiesem Sinne bestimmt schoneinmal jedes Kind oder jedesLiebespaar, das auf ein Baumkletterte gemacht. Dimitryschaut sich im Haus um, wäh-rend ich aufpasse. Ich schalte
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seinen Laptop ein und hol mireinen runter natürlich so,dass es unser Objekt nichtsehen kann. Es geht ziemlichschnell, bei älteren Frauenkommts mir immer nach einpar Minuten, da reichen oftnur ein, zwei Bilder. Ich habewohl doch eine blühendePhantasie, scheiß Künstlereben. Komischerweise dau-erts bei mir ewig, wenn ich be-trunken bin und zeichnen kannich dann auch nicht, hat be-stimmt was mit dem benebel-ten Geist zu tun. Ich setzemich mit dem Computer anden Tisch, wo das Klebebandimmer noch seiner bestimm-ten Funktion nachgeht undlese unserem Objekt ein parder besten Liebesgedichte dieman so im Internet findet vor.Ich sehe eine Sternschnuppeund wünsche mir das alle Kin-der in Afrika genug zu essenbekommen. Oh man wie naivund kitschig ich sein kann. Ichglaube ich habe in letzter Zeiteinfach zu viel Adrenalin ge-tankt und werde jetzt ein biss-chen nachdenklicher, selbst
meine Träume behandeln an-dere Themen, zum Beispielwie Messer in Holz schneiden.Dimitry hat das Packet undwährend ich gerade die Worteich liebe dich aus einen dieserInternetgedichte lese, stecktschon die Kugel im Kopf desObjekts, Dim sagt daraufhinich dich auch und das BlutTropft auf den Boden. Wie imFilm, was für ein Timing, auchsehr schön der Schuss in dieSchädeldecke, also von oben,eine gute Choreographie undAtmosphäre. Ich glaube ichbin gerade zum Filmemacherexpandiert. Gut lass unsgehen und dieses Scheißhausanzünden sagt Dim. Schadedas die wirklich gute Kunstimmer nur so kurzlebig ist undvon vielen nicht gesehen wer-den kann. Die besten Künstlerhaben keine Geschichtlichkeit,sie verwischen ihre Spuren.Also wir zumindest. Der Ca-yenne wird auch entflammt.Früher sahen die Autos so-wieso besser aus, wesentlichkantiger, dafür innen gemütli-cher. Nichts für die Plaste-
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menschen unserer Tage, dahilft nur Stil bewahren, so wieich mal mit Hut und Mantelraus gehen.
Es regnet wieder, das Bierkratzt leicht im Hals und wirsitzen in einer Bar. Irgendwiewar das nichts richtig Gutesdenke ich und male mir auswie unser nächstes Ding seinkönnte. Ach ja das Paket. Ichfrage Dimitry ob er beide Ed-ward Munchs und die GoyaRadierung hat, er packt michdaraufhin fest am rechtenOberschenkel und sagt ja undden leipziger Kunstkram unddein wundervolles Notitzheft-werk ist Asche so schwarz wiedein und mein Leben. Rechthat er da ich Schwarz zumleben brauche, es ist direkt,rein definitiv, absolut, unbe-siegbar, traumhaft, die schön-ste Farbe die ich je gesehenehabe und sogar mischenkonnte.
Oliver Borner
INDEX
Al le Werke
Al l works
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2010
Nude and RualSeries 1/5
6/7 8/9 10/112010
Nude and RualSeries 2/5
2010
Pepina
110 L IVE WITH STRANGERS ana l og
2010
VorstadtSuburb
12/13
2011
Miss World
14/15 16 172010
Crusty the King
2010
Admiral KühlschrankAdmiral freezer
2011
Haller
18/19
2010
Caro
20/21 22/23 24/252011
Ohne TitelUntitled
2010
Cows 1/6
2010
Cows 2/6
26/27
2010
Wunder 1
28/29 30 312010
Wunder 2
2010
Wunder 3
2010
FrühstückBreakfast
32/33
2010
Am AnfangAt the beginning
34/35 36/37 38/392010
Alle CrystalKonsumentenAll crystalconsumers
2010
3 Engel?3 Angels?
2010
3 Engel? 23 Angels? 2
40/41
2010
SMS
42/43 44/45 462010
Blue, Yellow, White
2010
Ex - Girl
2010
New - Girl
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L IVE WITH STRANGERS ana l og 111
2011
Aftershow
48/49 50/51 52/532010
EinsamkeitAlone
2010
Cindy wo bist du?Cindy where are you?
112 L IVE WITH STRANGERS ana l og
2011
Maske
54/55
2010
Gibblesticks
56/57 58/59 602010
KletternClimbing
2011
FrankreichFrance
2011
The Kiss
61
2011
Kind bekommenBecoming pregnant
62/63 64/65 662010
MSW
2010
Mathilde und Michael
2010
Earthquake
67
2010
MondMoon
68/69 70/71 722010
VergessenForgotten
2010
Airport
2010
Gladdis
73
2010
Straba
74/75 76/772010
Elisa
L IVE WITH STRANGERS ana l og 113
Alle Aufnahmen sind mit fol-genden analogen Kamerasentstanden: Praktika BMS,Praktika BCS, PraktikaB100, Praktika L2.All shotsare made with these analogCameras: Praktika BMS,Praktika BCS, PraktikaB100, Praktika L2.
2011
Windowshopper
80/81 82/83 84/852011
Icecold
2011
Closer
114 NEW YORK SHOTS d i g i t a l
2011
Coney Island 1
86/87
2011
Coney Island 2
88 89 90/912011
Stop and Go
2011
Burritos
2011
Gay Britney
92/93
2011
Huge
94 95 96/972011
Russian
2011
Coney Island 3
2011
Locked - Up
98/99
2011
No - Exit
100/101
Alle Aufnahmen sind mitder digitalen Spiegelreflex-kamera Nikon D90 ent-standen.
All shots are made withthe digital SLR Nikon D90.
SPECIAL THANKSDanksagungen
Ich danke dem Prestelverlag,der mir die Möglichkeit gabdieses Buch zu veröffentli-chen.
Elisa Flehmer, Michael Wag-ner, Denies, Daniil Wunder,Virginie Thomann, Daniel Mei-nelschmidt, Crusty, WernerLieberknecht, Laura Lehmann,Mia, Konrad Hirsch, Praktika,Carolin Klatte, JosephineSchiemenz, Mutter, Vater undmeinem Sohn Oskar
IMPRINT
EditorHerausgeber Oliver Borner
Graphic DesignGrafik Design Oliver Borner
Illustrator Oliver Borner
TranslationÜbersetzung Max Müller?
PaperPapier Job Parilux
FontSchriftart Eurostile LT Std
ProductionProduktion Max Müller?
© 2011Oliver Borner,Prestelverlag?
All rights reserved.
ISBN 111-1-1111-1111-1Printed in Germany
www.prestelverlag?.de
Take it Easy, 2010 (analog)
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