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PRÜFEN UND MESSEN TESTING AND MEASURING 51 KGK · 10 2016 www.kgk-rubberpoint.de Anisotropie · Morphologie · Spritzgie- ßen · thermoplastische Elastomere · Werkstofftechnik Thermoplastische Vulkanisate zeigen nach der Verarbeitung im Spritzgieß- prozess eine ausgeprägte Anisotropie ihrer Werkstoffeigenschaften. So kön- nen mechanische Kennwerte, wie die Steifigkeit oder Festigkeit, sich längs bzw. quer zur Fließrichtung um den Faktor zwei unterscheiden. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wurden wesentliche Einflussgrößen (Prozess, Material, Geometrie) auf das richtungs- abhängige Materialverhalten von TPV identifiziert und mittels morphologi- scher Untersuchungen Gründe für die Anisotropie analysiert. Darauf aufbau- end wurde eine Methodik erarbeitet, um die lokale Anisotropie in Bauteilen innerhalb einer Spritzgießsimulation qualitativ abschätzen zu können. Characterization of anisotro- pic material behavior of injec- tion moulded TPV-products Anisotropy · injection moulding · mate- rial technology · morphology · thermo- plastic elastomers Thermoplastic vulcanizates show a strong anisotropy in their material pro- perties after injection moulding. For ex- ample, mechanical properties like stiff- ness or strength can differ longitudi- nally or transversely to the flow direc- tion by a factor of two. In a research project important factors (process, ma- terial, geometry) influencing the aniso- tropic material behaviour of TPV were identified. With the help morphological studies the underlying structure/pro- perty relationships, which lead to the anisotropic character, were analysed. Based on the obtained results, a metho- dology was developed to predict the lo- cal anisotropy in components within an injection moulding simulation qualita- tively. Figures and tables: By a kind approval of the authors. 1. Einleitung Thermoplastische Elastomere (TPE) be- sitzen gummiähnliche Gebrauchseigen- schaften in Kombination mit einer ther- moplastischen Verarbeitbarkeit. Sie schließen damit die Lücke zwischen den Elastomer- und den Thermoplastwerk- stoffen. Diese Werkstoffklasse hat sich seit einigen Jahren in der Kunststofftech- nik etabliert und wird auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen [1]. Un- ter dem Sammelbegriff TPE findet sich eine ganze Werkstofffamilie wieder, die sich im Wesentlichen in die Gruppen Block-Copolymere und Polymerblends einteilen lässt. Block-Copolymere enthal- ten in einem Makromolekül harte (ther- moplastische) und weiche (elastomere) Segmente, die chemisch miteinander verbunden sind. Zu den Vertretern dieser Gruppe gehören beispielsweise die ther- moplastischen Styrolelastomere (TPS) oder die thermoplastischen Polyamide- lastomere (TPA). Bei den Polymerblends liegen hingegen Thermoplast und Elasto- mer in einem Zweiphasensystem physi- kalisch miteinander gemischt vor. Bei den TPE-Blends kann die elastomere Pha- se entweder in so genannten thermo- plastischen Elastomeren auf Olefinbasis (TPO) unvernetzt oder in dynamisch ver- netzten thermoplastischen Vulkanisaten (TPV) vernetzt vorliegen. Durch die Ver- netzung der Elastomerphase und die Re- duzierung der Elastomerteilchengröße auf wenige Mikrometer besitzen TPV he- rausragende mechanische Eigenschaf- ten, durch welche sie bereits in vielen Anwendungen klassische Elastomere substituieren. Thermoplastische Vulkanisate wer- den diskontinuierlich in einem Innenmi- scher oder kontinuierlich in einem Dop- pelschneckenextruder hergestellt. Der Kautschuk und der Thermoplast werden im Extruder distributiv gemischt. Durch Zugabe eines Vernetzungsmittels und einer Vielzahl weiterer Additive (u.a. eine nicht zu vernachlässigende Menge Öl) wird der Kautschuk in-situ zu einem Elas- tomer vernetzt. Durch die Viskositätser- höhung während der Vernetzung wer- den die Elastomerpartikel unter der Ein- wirkung von Scher- und Dehndeformati- on fein dispergiert. Durch die Vulkanisation der Kautschukphase wäh- rend des Mischens wird die Koaleszenz der elastomeren Phase verhindert, wo- durch sich eine stabile mikroskalige und homogene Phasenmorphologie erzielen lässt [2]. Das Eigenschaftsbild eines TPV wird in entscheidendem Maß durch sei- ne Morphologie geprägt. Neben den ma- terialseitigen und den technologischen Einflussgrößen im Mischprozess wird die Morphologie durch das gewählte Verar- beitungsverfahren und die dort vorherr- schenden Prozessbedingungen beein- flusst. Thermoplastische Vulkanisate sind mit den klassischen Verarbeitungs- verfahren für thermoplastische Kunst- stoffe verarbeitbar. Eines der wirtschaft- lich bedeutendsten Verarbeitungsver- fahren ist dabei das Spritzgießen. Beim Einspritzen der Schmelze in die Kavität breitet sich die Schmelze, je nach Lage der Anspritzposition, radial aus. Die Umfangsvergrößerung der Fließfront bewirkt eine Dehnströmung quer zur Ausbreitungsrichtung. Während dem Einspritzen stellt sich zudem in Dicken- richtung ein charakteristisches Strö- mungsprofil ein. In Abhängigkeit der Pro- zessbedingungen ist zu erwarten, dass sich während der Verarbeitung neben unterschiedlichen Orientierungs- und Kristallisationsvorgängen, wie sie auch bei Thermoplasten zu beobachten sind [3], Charakterisierung des aniso- tropen Werkstoffverhaltens von spritzgegossenen TPV-Bauteilen Autoren Prof. Dr.-Ing. Ch. Hopmann, Dipl.- Ing. P. Bruns, B. Eng. S. Kammer Korrespondierender Autor Dipl.-Ing. Philipp Bruns Institut für Kunststoffverarbei- tung (IKV) an der RWTH Aachen Seffenter Weg 201 52074 Aachen Tel.-Nr.: +49 (0)241 80-28358 Fax-Nr.: +49 (0)241 80-22316 E-Mail: [email protected] aachen.de

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Anisotropie · Morphologie · Spritzgie-ßen · thermoplastische Elastomere · Werkstofftechnik

Thermoplastische Vulkanisate zeigen nach der Verarbeitung im Spritzgieß-prozess eine ausgeprägte Anisotropie ihrer Werkstoffeigenschaften. So kön-nen mechanische Kennwerte, wie die Steifigkeit oder Festigkeit, sich längs bzw. quer zur Fließrichtung um den Faktor zwei unterscheiden. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wurden wesentliche Einflussgrößen (Prozess, Material, Geometrie) auf das richtungs-abhängige Materialverhalten von TPV identifiziert und mittels morphologi-scher Untersuchungen Gründe für die Anisotropie analysiert. Darauf aufbau-end wurde eine Methodik erarbeitet, um die lokale Anisotropie in Bauteilen innerhalb einer Spritzgießsimulation qualitativ abschätzen zu können.

Characterization of anisotro-pic material behavior of injec-tion moulded TPV-products Anisotropy · injection moulding · mate-rial technology · morphology · thermo-plastic elastomers

Thermoplastic vulcanizates show a strong anisotropy in their material pro-perties after injection moulding. For ex-ample, mechanical properties like stiff-ness or strength can differ longitudi-nally or transversely to the flow direc-tion by a factor of two. In a research project important factors (process, ma-terial, geometry) influencing the aniso-tropic material behaviour of TPV were identified. With the help morphological studies the underlying structure/pro-perty relationships, which lead to the anisotropic character, were analysed. Based on the obtained results, a metho-dology was developed to predict the lo-cal anisotropy in components within an injection moulding simulation qualita-tively.

Figures and tables:By a kind approval of the authors.

1. EinleitungThermoplastische Elastomere (TPE) be-sitzen gummiähnliche Gebrauchseigen-schaften in Kombination mit einer ther-moplastischen Verarbeitbarkeit. Sie schließen damit die Lücke zwischen den Elastomer- und den Thermoplastwerk-stoffen. Diese Werkstoffklasse hat sich seit einigen Jahren in der Kunststofftech-nik etabliert und wird auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen [1]. Un-ter dem Sammelbegriff TPE findet sich eine ganze Werkstofffamilie wieder, die sich im Wesentlichen in die Gruppen Block-Copolymere und Polymerblends einteilen lässt. Block-Copolymere enthal-ten in einem Makromolekül harte (ther-moplastische) und weiche (elastomere) Segmente, die chemisch miteinander verbunden sind. Zu den Vertretern dieser Gruppe gehören beispielsweise die ther-moplastischen Styrolelastomere (TPS) oder die thermoplastischen Polyamide-lastomere (TPA). Bei den Polymerblends liegen hingegen Thermoplast und Elasto-mer in einem Zweiphasensystem physi-kalisch miteinander gemischt vor. Bei den TPE-Blends kann die elastomere Pha-se entweder in so genannten thermo-plastischen Elastomeren auf Olefinbasis (TPO) unvernetzt oder in dynamisch ver-netzten thermoplastischen Vulkanisaten (TPV) vernetzt vorliegen. Durch die Ver-netzung der Elastomerphase und die Re-duzierung der Elastomerteilchengröße auf wenige Mikrometer besitzen TPV he-rausragende mechanische Eigenschaf-ten, durch welche sie bereits in vielen Anwendungen klassische Elastomere substituieren.

Thermoplastische Vulkanisate wer-den diskontinuierlich in einem Innenmi-scher oder kontinuierlich in einem Dop-pelschneckenextruder hergestellt. Der Kautschuk und der Thermoplast werden im Extruder distributiv gemischt. Durch Zugabe eines Vernetzungsmittels und einer Vielzahl weiterer Additive (u.a. eine nicht zu vernachlässigende Menge Öl) wird der Kautschuk in-situ zu einem Elas-tomer vernetzt. Durch die Viskositätser-höhung während der Vernetzung wer-den die Elastomerpartikel unter der Ein-

wirkung von Scher- und Dehndeformati-on fein dispergiert. Durch die Vulkanisation der Kautschukphase wäh-rend des Mischens wird die Koaleszenz der elastomeren Phase verhindert, wo-durch sich eine stabile mikroskalige und homogene Phasenmorphologie erzielen lässt [2]. Das Eigenschaftsbild eines TPV wird in entscheidendem Maß durch sei-ne Morphologie geprägt. Neben den ma-terialseitigen und den technologischen Einflussgrößen im Mischprozess wird die Morphologie durch das gewählte Verar-beitungsverfahren und die dort vorherr-schenden Prozessbedingungen beein-flusst. Thermoplastische Vulkanisate sind mit den klassischen Verarbeitungs-verfahren für thermoplastische Kunst-stoffe verarbeitbar. Eines der wirtschaft-lich bedeutendsten Verarbeitungsver-fahren ist dabei das Spritzgießen. Beim Einspritzen der Schmelze in die Kavität breitet sich die Schmelze, je nach Lage der Anspritzposition, radial aus. Die Umfangsvergrößerung der Fließfront bewirkt eine Dehnströmung quer zur Ausbreitungsrichtung. Während dem Einspritzen stellt sich zudem in Dicken-richtung ein charakteristisches Strö-mungsprofil ein. In Abhängigkeit der Pro-zessbedingungen ist zu erwarten, dass sich während der Verarbeitung neben unterschiedlichen Orientierungs- und Kristallisationsvorgängen, wie sie auch bei Thermoplasten zu beobachten sind [3],

Charakterisierung des aniso­tropen Werkstoffverhaltens von spritzgegossenen TPV­Bauteilen

AutorenProf. Dr.-Ing. Ch. Hopmann, Dipl.-Ing. P. Bruns, B. Eng. S. Kammer

Korrespondierender AutorDipl.-Ing. Philipp BrunsInstitut für Kunststoffverarbei-tung (IKV) an der RWTH AachenSeffenter Weg 20152074 AachenTel.-Nr.: +49 (0)241 80-28358Fax-Nr.: +49 (0)241 80-22316E-Mail: [email protected]

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zudem unterschiedliche Verteilungs-, Verstreckungs- oder Dispergierungszu-stände der Elastomerpartikel ergeben. Diese inneren Eigenschaften beeinflus-sen die Produkteigenschaften entschei-dend [4]. Die Werkstoffeigenschaften von spritzgegossenen TPV, aber auch an-deren TPE-Typen, weisen einen anisotro-pen Charakter auf. Metten [5] stellte bei uniaxialen Zugversuchen fest, dass die Bruchdehnung von spritzgegossenen TPV-Proben sich längs bzw. quer zur Fließrichtung um 57 % unterscheidet. Bei TPA-Proben konnten sogar Unterschiede der Bruchdehnung von 81 % festgestellt werden. Weitere Untersuchungen zum Einfluss der Prozessparameter oder zur Ursache der Anisotropie wurden jedoch nicht durchgeführt.

Der Effekt der Anisotropie ist in der Praxis bekannt, die Ursache allerdings noch nicht hinreichend untersucht. Die Vielzahl möglicher Einflussgrößen und die komplexen Zusammenhänge zwi-schen Verarbeitungsprozess, Morpholo-gie und den daraus resultierenden Werk-stoffeigenschaften erschwert die Wahl der Verarbeitungsbedingungen sowie im Entwicklungsprozess die Gestaltung und Auslegung von TPV-Bauteilen. So müs-sen Entwickler und Hersteller von TPV-Bauteilen bis dato auf Kennwerte zu-rückgreifen, welche vom Rohstoffherstel-ler in den Materialdatenblättern doku-mentiert sind und in der Regel keine Richtungsabhängigkeit beinhalten.

2. Experimentelle Untersuchungen zum anisotropen Werkstoffverhalten von TPVDie experimentellen Untersuchungen zur verarbeitungsbedingten Anisotropie werden an drei TPV-Compounds mit un-terschiedlichen Härtegraden durchge-führt. Die Hartphase bildet ein Polypro-pylen (PP), die Weichphase ein Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (EPDM). Die Kombination von PP und EPDM kommt kommerziell am meisten zur Anwen-dung. Die verwendeten TPV-Compounds besitzen eine Shore-A-Härte von 35, 70 bzw. 90 (Kurzbezeichnung der Materiali-en: TPV-ShA35, TPV-ShA70, TPV-ShA90). Die Härte wird dabei im Wesentlichen über das Verhältnis von Öl, Hart- sowie Weichphase variiert.

Zur Identifizierung von Einflussgrö-ßen auf die verarbeitungsbedingte An-isotropie sind zunächst plattenförmige Bauteile im Spritzgießprozess hergestellt worden. Die Platten werden über einen Filmanguss gefüllt. Aus den hergestell-ten Plattenbauteilen sind entsprechende Probekörper für die anstehenden mecha-nischen und morphologischen Untersu-chungen präpariert worden. Zur Unter-suchung der material- und prozessbe-dingten Einflussgrößen wurden Platten-bauteile mit den Abmaßen 120 x 115 mm² und einer Dicke von 2 mm mit einer Spritzgießmaschine vom Typ Ergotech 80/420-310 der Firma Sumitomo (SHI) Demag Plastics Machinery GmbH,

Schwaig, hergestellt. Es wurden in einem zweistufigen vollfaktoriellen Versuchs-plan mit einem Zentralpunkt die Pro-zessparameter Zylindertemperatur TM, Werkzeugtemperatur TW sowie Einspritz-volumenstrom V·ein für die drei TPV-Com-pounds variiert. Aus Spritzgießuntersu-chungen an thermoplastischen Kunst-stoffen ist bekannt, dass diese Prozesspa-rameter einen großen Einfluss auf die innere Struktur besitzen [3]. Der statisti-sche Versuchsplan inklusive dem Zentral-punkt ist in Tabelle 1 dargestellt.

Um den Einfluss der Formteildicke so-wie des Fließwegs zu untersuchen, wur-den zudem Plattenbauteile mit den Ab-maßen 158 x 144 mm² und Dicken von 1, 2 und 4 mm hergestellt. Aufgrund der größeren notwendigen Schließkraft wur-de hierzu eine Spritzgießmaschine des Typs KM 160 - 1000 CX der Firma Krauss-Maffei Technologies GmbH, München, genutzt. Zur Untersuchung der geomet-rischen Einflussgrößen wurden entspre-chende Platten mit dem Material TPV35 und den Prozessparametern für den Zen-tralpunkt hergestellt.

Das anisotrope Werkstoffverhalten von TPV wurde mittels mechanischer und morphologischer Untersuchungen charakterisiert. Anhand der mechani-schen Untersuchungen werden zunächst wesentliche Einflussgrößen seitens des Materials, Prozess sowie der Geometrie bewertet. Hinweise auf die Ursache der verarbeitungsbedingten Anisotropie bei TPV werden mittels morphologischer Untersuchungen zur Phasenmorpholo-gie und der Gefügestruktur erarbeitet.

2.1. Ermittlung von Einflussgrößen auf die Anisotropie anhand mechanischer UntersuchungenZur Charakterisierung des anisotropen mechanischen Werkstoffverhaltens sind uniaxiale Zugversuche bis zum Bruch an einer Universal-Zugprüfmaschine vom Typ Z10 der Firma Zwick GmbH & Co. KG, Ulm, bei Raumtemperatur durchgeführt worden. Die Dehnung wurde über ein optisches Messsystem erfasst. Die Prü-fung erfolgt lagegeregelt mit konstanter Traversengeschwindigkeit von 100 mm/min. Für die Zugversuche wurden aus den hergestellten Platten jeweils fünf Schulterzugstäbe der Form S2 nach DIN 53 504 längs und quer zur Fließrichtung ausgestanzt. Eine Ausnahme bildet die Probenentnahme zur Ermittlung des Ein-flusses durch den Fließweg (angussnah, mittig und angussfern). Hier wurden je-weils neun Schulterzugstäbe der Form S3

Abb. 1: Anisotropes mechanisches Werkstoffverhalten der drei TPV-Compounds.

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1 Statistischer Versuchsplan inkl. ZentralpunktVersuchsparameter -1 0 +1Zylindertemperatur TM [°C] 180 205 230Werkzeugtemperatur TW [°C] 30 57 85Einspritzvolumenstrom V·ein [cm³/s] 30 115 200

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nach DIN 53 504 längs und quer zur Fließrichtung ausgestanzt.

In Bild 1 sind exemplarisch die er-mittelten Spannungs/Dehnungs-Kurven der drei TPV-Compounds für die Zentralpunkteinstellung (Platte: 120 x 115 x 2 mm³) dargestellt. Die in den TPV-Compounds vorliegende Anisotropie weist dabei drei charakteristische Effekte auf:

■ Die Steifigkeit längs zur Fließrichtung ist höher als quer zur Fließrichtung.

■ Die Bruchdehnung ist quer zur Fließ-richtung höher.

■ Die Bruchspannung ist ebenfalls quer zur Fließrichtung höher.

Zur Bewertung der Einflussgrößen ist es notwendig, die Anisotropie hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften mit Hilfe einer geeigneten Größe quantitativ zu be-schreiben. In der Anwendung werden TPV-Materialien bei korrekter Auslegung übli-cherweise nicht bis zum Versagen belas-tet. Der anwendungsrelevante Verfor-mungsbereich liegt in der Regel unterhalb von 50 % Dehnung, da mit zunehmender Verformung auch die plastischen Defor-mationsanteile zunehmen und das Mate-rial irreversibel geschädigt wird [6]. Das mechanische Werkstoffverhalten von TPV ist stark nicht-linear, so dass beispielswei-se die Beschreibung anhand der Ur-sprungsmoduls nur für sehr kleine Deh-nungen das Werkstoffverhalten korrekt beschreiben würde. Aus diesem Grund wurde die ermittelte Formänderungsener-giedichte (im eindimensionalen Fall: Flä-che unterhalb der Spannungs/Dehnungs-Kurve) zur Quantifizierung der Anisotropie im anwendungsrelevanten Verformungs-bereich herangezogen und ein entspre-chender Anisotropiefaktor formuliert:

𝐴𝐴𝑊𝑊(𝜀𝜀) = �1 −𝑊𝑊𝑄𝑄𝑄𝑄𝑄𝑄𝑄𝑄 (𝜀𝜀)𝑊𝑊𝐿𝐿ä𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛 (𝜀𝜀)�

∙ 100% (Gl. 1)

mit W(ε) Formänderungsenergiedichte bis Dehnung ε = x %.Der so formulierte Anisotropiefaktor kann Werte zwischen 0 und 100 % an-nehmen. Ein Anisotropiefaktor von A = 0% zeigt an, dass sich der TPV-Werk-stoff isotrop verhält. Mit steigendem Anisotropiefaktor nimmt auch das an-isotrope mechanische Werkstoffverhal-ten zu. Ein Anisotropiefaktor A = 100 % ist nur theoretisch möglich. Es zeigt sich, dass die Formulierung auf Basis der Formänderungsenergiedichte ei-nen robusten Wert zur Beschreibung der Anisotropie im anwendungsrele-vanten Verformungsbereich bis 50 % Dehnung darstellt und somit den Grad der Anisotropie unabhängig von der betrachteten Verformungshöhe be-schreibt.

Der Einfluss von material-, prozess- sowie geometriebedingten Größen auf

die anisotropen mechanischen Eigen-schaften wird im Folgenden mittels des zuvor formulierten Anisotropiefaktors auf Basis der Formänderungsenergie-dichte untersucht. Für die Auswertung wird hierzu der Anisotropiefaktor bei ei-ner Dehnung von ε = 30 % für alle Ver-suchspunkte berechnet.

Die Effekte der Prozessparameter Zy-lindertemperatur TM, Werkzeugtempera-tur TW sowie Einspritzvolumenstrom V·ein für die Materialien TPV-ShA35, TPV-ShA70 und TPV-ShA90 sind im Bild 2 dargestellt. Die Streubalken zeigen den 95 % Vertrauensbereich der Mittelwerte an. Der Zusammenhang zwischen den Effekten und der betrachteten Zielgröße, hier der Anisotropiekennwert, wird für die statistische Auswertung zunächst als linear angenommen. Durch das Einset-zen des ermittelten Anisotropiekenn-werts im Zentralpunkt kann diese An-nahme überprüft werden.

Wie in Bild 1 zu sehen, unterscheidet sich das mechanische Werkstoffverha-

Abb. 2: Einfluss der Prozessparameter: Haupteffekte auf die Anisotropie

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Abb. 3: Einfluss des Fließwegs sowie der Plattendicke auf die Anisotropie (TPV-ShA35, ZP).

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tlen der untersuchten TPV-Compounds deutlich voneinander. Je nach Härte zei-gen die TPV-Compounds einen thermo-plastischen bzw. elastomeren Charak-ter. Mit zunehmender Härte besitzen die TPV-Compounds eine größere Stei-figkeit, so dass auch die berechneten Formänderungsenergiedichten größere Werte aufweisen. Die plastischen Ver-formungsanteile nehmen ebenfalls mit zunehmender Härte zu. Die Richtungs-abhängigkeit der TPV-Compounds hängt ebenfalls maßgeblich von der Härte ab. Je weicher der Werkstoff, des-to höher ist seine verarbeitungsbeding-te Anisotropie. Während TPV-ShA90 ein annähernd isotropes Werkstoffverhal-ten aufweist, zeigen die weicheren Ma-terialien TPV-ShA35 und TPV-ShA70 ei-ne deutlich größere Anisotropie. Die Härte wird bei den betrachteten TPV-Werkstoffen im Wesentlichen über das Verhältnis der drei Hauptkomponenten PP/EPDM/Öl gesteuert.

Die Anisotropie von spritzgegossenen TPV-Bauteilen hängt neben der Werk-stoffzusammensetzung auch maßgeb-lich von den Prozessparametern ab. Im anwendungsrelevanten Verformungsbe-reich bis 50 % Dehnung konnte für alle TPV-Werkstoffe mit steigender Zylinder- und Werkzeugtemperatur sowie größe-rem Einspritzvolumenstrom eine Verrin-gerung der Anisotropie beobachtet wer-den. Die Massetemperatur besitzt insge-samt den größten Einfluss auf die Anisotropie. Die Annahme der Linearität bestätigt sich in guter Näherung. Dies kann durch das Einsetzen des Zentral-punkts (ZP) gezeigt werden.

In weiteren Versuchen wurde der Ein-fluss von Formteildicke und Fließweglän-ge exemplarisch für das Material TPV-ShA35 in der Zentralpunkt-Einstellung untersucht.

Die Untersuchungen zeigen, dass mit größerer Formteildicke eine verringerte Anisotropie einhergeht (Bild 4, links).

Während die Probekörper aus der 1 mm dicken Platte ein ausgeprägtes anisotro-pes Werkstoffverhalten zeigen, besitzen die Probeköper aus der 4 mm dicken Platte nahezu isotrope Eigenschaften. Dies resultiert aus der starken Abnahme der Formänderungsenergiedichte der längs zur Fließrichtung entnommenen Probekörper mit zunehmender Formteil-dicke, während der Wert für die quer entnommenen Prüfkörper für alle Form-teildicken annähernd konstant bleibt.

Der Einfluss der Fließweglänge auf die Anisotropie bei dem Material TPV-ShA35 ist dagegen gering (Bild 4, rechts). Wäh-rend die Formänderungsenergiedichte der quer zur Fließrichtung entnommenen Prüfkörper mit zunehmendem Abstand zum Anguss annähernd konstant bleibt, sinkt die Formänderungsenergiedichte der längs entnommenen Prüfkörper.

2.2. Analyse der Phasenmorphologie sowie der GefügestrukturDie innere Struktur eines Bauteils be-stimmt maßgeblich dessen mechanische Eigenschaften und damit auch ein auf-tretendes anisotropes Werkstoffverhal-ten, das durch unterschiedlich stark aus-geprägte Eigenschaften längs und quer zur Fließrichtung entsteht. Die morpho-logischen Untersuchungen werden an-hand des TPV Compounds TPV-ShA70 durchgeführt.

Zur Analyse der Phasenmorphologie hinsichtlich Partikelgröße, -verteilung und -verformung, können verschiedene mikroskopische Verfahren herangezogen werden. Hierzu werden in der Literatur insbesondere die Rasterkraftmikroskopie (RKM) oder die Transmissionselektronen-mikroskopie (TEM) bzw. Rastertransmis-sionselektronenmikroskopie (STEM) ge-nutzt [7-10]. Die Analyse der Phasenmor-phologie erfolgt im Rahmen des For-schungsvorhabens hauptsächlich mit einem Feldemissions-Rasterelektronen-mikroskop (FESEM) mit STEM-Detektor. Die Aufnahmen wurden mit dem FESEM des Typs Sigma VP der Firma Carl Zeiss Microscopy GmbH, Jena, bei 10 kV und einer Blende der Standardgröße 30 µm erstellt. Es ist ein BS-Detektor verwendet worden, der zu einer Kontrastumkehr auf den Bildern führt. Die EPDM-Phase er-scheint somit hell, die PP-Phase dunkel.Für die Aufnahmen wurden aus den spritzgegossenen Platten verschiedene Proben angussnah sowie angussfern entnommen. Aufgrund der geringen Kontrastunterschiede zwischen PP und EPDM wurden die Proben zunächst für

Abb. 4: Rekonstruierter Schichtaufbau in spritzgegossenen TPV-Formteilen (TPV-ShA70).

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Abb. 5: Einfluss der Prozessparameter auf die Gefügestruktur (TPV-ShA70).

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sieben Tage in einer Osmiumtetroxidlö-sung gelagert. Die kontrastierte Probe wird anschließend mit einem Kryo-Ultra-mikrotom des Typs FC-4E der Firma Leica Microsystems GmbH, Wetzlar, bei 70 °C mithilfe einer Diamantklinge geschnit-ten. Die Schnitte dürfen hierbei eine ma-ximale Dicke von 100 nm nicht über-schreiten, um noch durchstrahlbar zu sein. Neben der Probendicke (max. 100 nm) ist auch die maximale Schnittfläche der Proben auf wenige Quadratmikro-meter beschränkt. Es ist somit nicht möglich, die Phasenmorphologie über der Bauteildicke anhand einer Probe zu bestimmen. Daher werden vom Bauteil-rand zur -mitte an mehreren Stellen Pro-ben entnommen.

Ähnlich wie bei den faserverstärkten Thermoplasten können bei spritzgegos-senen TPV-Formteilen in Dickenrichtung Schichten unterschiedlich stark orien-tierter Phasen beobachtet werden. Es können vier Zonen im Plattenbauteil er-kannt werden: Rand-, Scher-, Übergangs- sowie Kernzone (sieh Bild 5). Im Rand-breich, also an der Formteiloberfläche, liegen die Elastomerpartikel leicht defor-miert in einer Vorzugsrichtung (voraus-sichtlich parallel zur Fließrichtung) vor. Die maximale Deformation der Elasto-merpartikel findet in der Scherzone statt. Diese befindet sich kurz unterhalb der Formteiloberfläche. In der Übergangszo-ne nimmt die Deformation der Elasto-merpartikel aufgrund der geringen Ge-schwindigkeits- und Abkühlgradienten während des Spritzgießprozesses ab. In der Formteilmitte, der Kernzone, liegen die Partikel unverstreckt vor. Der Schicht-aufbau ist das Resultat von Deforma-tions- und Relaxationsvorgängen wäh-rend der Füll- und Erstarrungsphase. Die-se Vorgänge führen zur Deformation der EPDM-Partikel in Fließrichtung und Rück-deformation während des Abkühlvor-ganges. Die Anisotropie kann somit un-ter anderem auf das Aspektverhältnis des EPDM-Partikels zurückgeführt wer-den.

Die Analyse der Phasenmorphologie im angussfernen Bereich führen zu ähn-lichen Ergebnissen wie im angussnahen Bereich. Es können keine maßgeblichen Unterschiede zwischen den Aufnahmen in den jeweiligen Entnahmepositionen festgestellt werden.

Die Wechselwirkungen zwischen der kontinuierlichen Thermoplastphase und den feinen Elastomerpartikeln wird we-sentlich von der Grenzfläche und der Anbindung der beiden Phasen beein-

flusst. Die Anbindung wird dabei ent-scheidend durch die übermolekulare Ge-fügestruktur des TPV bestimmt, welche sich nach dem Verarbeitungsprozess aus-bildet.

Zur Untersuchung der Gefügestruktur werden an ausgewählten Plattenbautei-len Dünnschnitte entnommen und unter dem Durchlichtmikroskop im polarisier-ten Licht betrachtet. Die Herstellung der Dünnschnitte erfolgt an einem Kryo-Mi-krotom des Typs RM2265 der Firma Leica Microsystems GmbH, Wetzlar, bei 70 °C mithilfe eines Glasmessers. Es werden Proben der Dicke 30 µm bis 50 µm ent-nommen. Mit diesem Verfahren ist die Betrachtung der gesamten Probendicke anhand nur einer Probe möglich. Die Durchlichtaufnahmen werden am Mik-roskop des Typs DM4000 M der Firma Leica Microsystems GmbH, Wetzlar, mit einer 50 bis 500-fachen Vergrößerung und unter Verwendung eines Polarisati-onsfilters erstellt.

Die Gefügestruktur des TPV-Com-pounds TPV-ShA70 ist in Bild 5 für ver-schiedene Versuchspunkte dargestellt. Die Bilder zeigen den Querschnitt des Plattenbauteils über der Dicke (2 mm) im polarisierten Licht. Es werden die Gefü-gestrukturen für die Versuchspunkte Zentralpunkt (0/0/0), minimaler (+1/+1/+1) sowie maximaler Anisotropie (-1/-1/-1) gegenübergestellt.

Die Aufnahmen zeigen eine inhomo-gene Gefügestruktur über der Bauteildi-cke. Im Randbereich der Dünnschnitte sind doppelbrechende, fadenförmige Strukturen zu sehen, die in Fließrichtung verlaufen. Die Dicke dieser Randschicht ändert sich mit dem jeweils betrachteten Versuchspunkt. Mit zunehmender Aniso-tropie wächst auch die Randschichtdicke an.

Zur Zuordnung der doppelbrechen-den, fadenförmigen Strukturen werden weitere polarisationsoptische Untersu-

chungen an den Dünnschnitten durch-geführt. Hierbei wird ein Dünnschnitt des Materials TPV-ShA70 für den Ver-suchspunkt (-1/-1/-1), bei dem stark doppelbrechende Randbereiche beob-achtet wurden, zunächst mit einer Heiz-rate von 50 °C/min auf 200 °C an einem Heiztisch erwärmt. Zur Vermeidung des Memory-Effekts wird die Temperatur für 3 min gehalten und anschließend mit einer Geschwindigkeit von 50 °C/min wieder auf Raumtemperatur abgekühlt. Die dabei entstandenen Aufnahmen der Gefügestruktur sind in Bild 6 für ver-schiedene Zeitpunkte dargestellt. Nach dem Aufheizen und anschließendem Abkühlen sind keine fadenförmigen, doppelbrechenden Strukturen im Rand-bereich mehr vorhanden. Im Verlauf des Aufheizens wird ein allmählicher Abbau der doppelbrechenden, fadenförmigen Strukturen im Randbereich bei ca. 155 °C beobachtet. Anhand von DSC-Analy-sen ist bekannt, dass sich in diesem Temperaturbereich auch der Kristal-litschmelzbereich der PP-Phase befin-det. Bei den doppelbrechenden Struktu-ren handelt es sich demnach um stab-förmig angeordnete kristalline Bereiche der PP-Phase. Die kristallinen Struktu-ren der PP-Phase leisten somit ebenfalls einen Beitrag zur Anisotropie. 3. Qualitative Abschätzung der lokalen Anisotropie innerhalb einer SpritzgießsimulationAuf Basis der Strukturuntersuchungen können Ursachen für das anisotrope Werkstoffverhalten von spritzgegosse-nen TPV identifiziert werden. Es wird angenommen, dass die in TPV vorhan-dene Anisotropie dabei wesentlich durch die nach der Verarbeitung vorlie-gende Phasenmorphologie beeinflusst wird.

Zur qualitativen Abschätzung der lo-kalen Anisotropie innerhalb einer Spritz-

Abb. 6: Änderung der Gefügestruktur von TPV-ShA70 bei einer Wärmebehandlung

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gießsimulation wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens ein Beschrei-bungsansatz erarbeitet, welcher die An-isotropie über das Aspektverhältnis von repräsentativen Elastomerpartikeln be-schreibt. Der Ansatz nutzt hierzu ein Entwicklungsmodul der Sigma Enginee-ring GmbH, welches im Rahmen des For-schungsvorhabens zur Verfügung ge-stellt wurde. Das Modul basiert prinzipi-ell auf dem Folgar-Tucker-Modell, wel-ches ein etabliertes Vorhersagemodell für Faserorientierungen darstellt. Im Ge-

gensatz zum konventionellen Folgar-Tu-cker-Modell wird jedoch kein konstantes Faser-Aspektverhältnis vorausgesetzt. Abhängig von den Deformationsvorgän-gen durch den wirkenden Schergradien-ten und den ablaufenden Relaxations-vorgängen stellt sich ein instationäres Faser-Aspektverhältnis ein. Die Fasern stellen hier repräsentative Elastomerpar-tikel dar, welche während des Füllvor-gangs orientiert sowie deformiert und während des Abkühlvorgangs bis zum Erreichen der Erstarrung der umgeben-

den PP-Schmelze („no-flow“-Bedingung) relaxieren können. Die Änderung des As-pektverhältnisses erfolgt dabei entlang des Fließwegs. Die Auswertung der lokal berechneten Aspektverhältnisse kann grafisch über Falschfarbenplots erfolgen.Im Folgenden sollen exemplarisch die Si-mulationsergebnisse für das Material TPV-ShA35, welches von den drei TPV-Compounds die größte Anisotropie auf-weist, dargestellt werden. Die Kalibrie-rung des Ansatzes erfolgt dabei über zwei Modellparameter, einen zur Be-schreibung des Verformungswiderstands und einen zur Beschreibung des Relaxati-onsverhaltens. Die Modellparameter wurden iterativ anhand der Ergebnisse an den Plattenbauteilen bestimmt.

Die verarbeitungsbedingte lokale An-isotropie wird in den Modellierungsan-sätzen über das Aspektverhältnis von re-präsentativen Elastomerpartikeln abge-schätzt. Der experimentell ermittelte An-isotropiefaktor basiert auf Ergebnissen aus mechanischen Zugversuchen und besitzt einen unterschiedlichen Wertebe-reich. Zur besseren Vergleichbarkeit er-folgt die Gegenüberstellung der gemes-senen und simulierten Anisotropie daher anhand einer normierten Größe. Für die Normierung werden die gemessenen und simulierten Anisotropiewerte durch ih-ren maximalen Wert geteilt. In Bild 7 (oben) sind die gemessenen und berech-neten Haupteffekte der Prozessparame-ter auf den normierten Anisotropiewert für die Platten mit den Abmaßen 120 x 115 x 2 mm3 dargestellt. Die Effekte der Schmelze- und Werkzeugtemperatur können tendenziell korrekt wiedergege-ben werden. Die Tendenz des Effekts des Einspritzvolumenstroms wird jedoch ge-genläufig abgebildet. Im Pareto Dia-gramm der normierten Effekte in Bild 7 (unten) lässt sich die Höhe der Effekte einzelner Prozessparameter sowie deren Faktorwechselwirkungen (FWW) auf die normierte Anisotropie gut zwischen dem Zugversuch und dem Simulationsansatz vergleichen. Hier wird deutlich, dass der Effekt der Werkzeugtemperatur im Ver-gleich zu den anderen Effekten unter-schätzt wird. Die Lage der Effekthöhen zueinander wird durch die Simulationser-gebnisse gut abgebildet. In weiteren Validierungsstudien konnte aufgezeigt werden, dass die absoluten Werte der berechneten Aspektverhältnisse im Vergleich zu der real gemessenen Pha-senmorphologie deutlich überschätzt werden. Zudem zeigt der erarbeitete Si-mulationsansatz eine starke Fließwegab-

2 Versuchsplan für das ModellbauteilVersuchspunkte (-/-/-) (0/0/0) (+/+/+)Zylindertemperatur TM [°C] 180 205 230Werkzeugtemperatur TW [°C] 30 57 85Einspritzvolumenstrom V·ein [cm³/s] 30 85 141

Abb. 7: Haupteffekte- und Pareto-Diagramm für die Prozessparameter (TPV-ShA35).

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Abb. 8: Validierung des Simulationsansatzes anhand des Modellbauteils.

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Abb. 9: Vergleich der simulierten und gemessenen normierten Anisotropiewerte am Modell-bauteil (TPV-ShA35).

9hängigkeit, welche durch die Prozesspa-rameter beeinflusst wird. Bislang stellt der Simulationsansatz daher eine erste Möglichkeit zur rein qualitativen Ab-schätzung der Anisotropie dar.

Die Validierung des Simulationsansat-zes erfolgt zudem an einem Modellbau-teil, welches aufgrund der zentralen Anspritzung sowie des Vorhandenseins von Durchbrüchen deutlich komplexere Strömungsbedingungen besitzt. Zusätz-lich ist aufgrund der Werkzeugtemperie-rung mit lokalen Unterschieden der Ab-kühlgradienten zu rechnen. Das Modell-bauteil besitzt eine relativ homogene Wanddicke von ca. 2 mm. Durch die Wahl von jeweils zwei extremen und einer zentralen Prozesseinstellung sollen zu-sätzlich zur lokalen Anisotropie die Effek-te der Prozessparameter auf die Aniso-tropie untersucht werden (vgl. Tabelle 2).

Für die Validierung sind aus den spritzgegossenen Modellbauteilen pro Versuchspunkt an zwei Positionen (A und B) je drei Zugprobekörper vom Typ S3 längs und quer zur Fließfront ausge-stanzt und die mechanische Anisotropie anhand von Zugversuchen ermittelt worden. An den ausgewählten Positio-nen (A und B) werden die über der Bau-teildicke gemittelten Aspektverhältnisse berechnet (vgl. Bild 8). Zur besseren Ver-gleichbarkeit werden die ermittelten An-isotropiewerte erneut auf den maxima-len Wert normiert.

In Bild 9 sind die simulierten und ge-messenen normierten Anisotropiewerte für das Material TPV-ShA35 dargestellt. Auch das komplexere Modellbauteil be-sitzt signifikante Unterschiede in der lo-kalen Anisotropie, welche in Abhängig-keit der verwendeten Prozessparameter und des Fließwegs variieren. Erneut nimmt die Anisotropie mit zunehmen-den Werten der Prozessparameter ab. Die mittels Zugversuche ermittelte An-isotropie ist mit Ausnahme des Prozess-punktes (+/+/+) in Position B (anguss-fern) größer als in Position A (anguss-nah). Der Simulationsansatz berechnet die Abnahme der Anisotropie für alle Versuchspunkte qualitativ korrekt. Eben-falls ist die berechnete Anisotropie an Position B (angussfern) größer als an Po-sition A (angussnah) und damit ebenfalls korrekt. Die Abnahme der Anisotropie mit höheren Prozessparametern wird al-lerdings deutlich überschätzt. FazitThermoplastische Vulkanisate besitzen nach der Verarbeitung im Spritzgießpro-

zess sowohl hinsichtlich ihres Steifig-keits- als auch Festigkeitsverhaltens ein ausgeprägtes anisotropes mechanisches Werkstoffverhalten. Die durchgeführten Untersuchungen an thermoplastischen Vulkanisaten zeigen, dass der Grad der Anisotropie wesentlich durch die Materi-alauswahl, die Spritzgießparameter so-wie die geometrischen Randbedingun-gen beeinflusst werden kann. Anhand morphologischer Untersuchungen konn-te eine Schichtstruktur identifiziert wer-den. In Abhängigkeit der Formteildicke lagen die Elastomerpartikel in Fließrich-tung unterschiedlich stark verstreckt vor. Neben der inhomogenen Phasenmor-phologie konnte einhergehend auch eine kristalline Orientierung in der PP-Matrix in Fließrichtung beobachtet werden. Das gewonnene Werkstoff- sowie Prozessver-ständnis erlaubt die Ableitung von Hand-lungsempfehlungen, um die im Bauteil vorliegende Anisotropie für die Anwen-dung gezielt zu nutzen bzw. zu minimie-ren. Um die in einem Bauteil lokal vorlie-gende Anisotropie besser abschätzen zu können, wurde ein Beschreibungsansatz innerhalb einer Spritzgießsimulation er-arbeitet. Die Vorhersagegüte wurde an Platten sowie einem komplexeren Mo-dellbauteil untersucht. Der Ansatz stellt eine erste Möglichkeit dar, um die verar-beitungsbedingte Anisotropie unter Be-rücksichtigung der identifizierten Ein-flussgrößen qualitativ abzuschätzen. Insbesondere bei komplexeren Bauteilen bedarf es jedoch noch weiterer Untersu-chungen.

DankDas IGF-Forschungsvorhaben 18076 N der Forschungsvereinigung Kunststoff-verarbeitung wurde über die AiF im Rah-men des Programms zur Förderung der

industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deut-schen Bundestages gefördert. Allen Insti-tutionen gilt unser Dank.

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