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wirks Magazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Service und Orientierung für Menschen in der Wirtschaft. Heute: Cradle-to-cradle, die nächste industrielle Revolution - Idee, Kritik und Interviews mit Albin Kälin und Reinhard Backhausen Management und Füllebewusstsein Akteure des Wandels ... und andere nützliche Texte «Fülle»

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wirks Magazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

Service und Orientierung für Menschen in der Wirtschaft.Heute: • Cradle-to-cradle, die nächste industrielle Revolution -

Idee, Kritik und Interviews mit Albin Kälin undReinhard Backhausen

• Management und Füllebewusstsein• Akteure des Wandels• ... und andere nützliche Texte

«Fülle»

Titelbild:Guido Zehetbauer-SalzerLöwenZähneWachau, 2008Acryl auf Leinen120 x 120 cmerstmals präsentiert April 2009 im ZS art KunstRaumwww.zsart.at

wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

Editorialvon Harald Koisser

Der Sommerbeginn hat uns heuer,trotz regenerischen Bedingungen, inWallung gebracht. wirks wollte in dieWelt. wirks ist ein Magazin für Zu-kunftskompetenz und richtet sich anWirtschaftstreibende. Es soll jenen,welche in Zeiten des Wandels dieÖkonomie in die Zukunft führen müs-sen, Service und Orientierung bieten.

Service und Orientierung – nichts wirdgerade jetzt so sehr gebraucht, woUnsicherheit, Fundamentalismus undOkkultismus erblühen. Wir unterstüt-zen die positiven Kräfte des Wandelsund leuchten journalistisch die Zukunftaus.

Unser Scheinwerferlicht fällt dabei aufauf nichts weniger als „die nächsteindustrielle Revolution“, wie ein Prin-zip namens Cradle-to-cradle gerneeuphorisch genannt wird. Produktesollen so gestaltet werden, dass sieniemals zu Abfall werden und man sieplötzlich – horribile dictu – sinnvollverschwenden kann. Wir erfahren von

der Notwendigkeit eines Füllebewusst-seins im Management und sehen, wiedie Pioneers of Change, ein Lern- undWerdegang für AkteurInnen des Wan-dels, aus einer Fülle von Ideen zu-kunftstaugliche Projekte entwickeln.

Fülle! Von diesem Zustand ist dieerste Ausgabe von wirks getränkt.Es ist soviel da, was Mut macht. Fülle!Ein Zustand, der nun vom Sommereingeläutet wird. Die Natur begibt sichin ihre satte, überschäumende Periode.Sie ist in voller Entfaltung. Nichtsweniger schien uns als Leitthema fürdiese erste Ausgabe angemessen.

Wir folgen mit der Erscheinungsweisevon wirks dem Naturjahr und seinerjeweiligen Qualität, somit jenemnatürlichen Rhythmus, der den indu-strialisierten Menschen und ihren öko-nomischen Prozessen abhandengekommen ist. Dass das Magazin„nur“ vier Mal pro Jahr herauskommt,darf als Zeichen jener Rückbesinnungauf natürliche Rhythmen verstanden

werden. An Lärm und Tempo hattenwir genug, jetzt ist die Zeit von Reifeund Besinnung. Zeit für wirks.

Editorial zur ersten Ausgabe von wirks

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wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

Cradle-to-cradle• Cradle-to-cradle, das natürlichste Prinzip der Welt fünf• „Abfall existiert nicht“ - Interview mit Albin Kälin, dem Entdecker des C2C-Prinzips sieben• C2C Geschichte zwölf• „Denkende �Stof fe“ - Interview mit Reinhard Backhausen dreizehn• Die C2C-Community (Auswahl an C2C-Produkten und -Dienstleistungen) siebzehn• Ameise, Regenwurm und Berggorilla neunzehn• Cradle-to-cradle, die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt? einundzwanzig• Bin ich kreislauffähig? (satirische Anmerkung) siebenundzwanzig

Gaia: Zeit der Fülle achtundzwanzig

Ein Bewusstsein von Fülle - Interview mit Wolfgang Stabentheiner, Begründer der Future-Methode dreißig

Tipps vierunddreißig

Akteure des Wandels• Pioneers of Change sechsunddreißig• Natur und Kunststoff - das muss kein Widerspruch sein (kompostierbare Flaschen und Frischhaltebeutel) neununddreißig

Für Sie gelesen - Theorie der Unbildung und die Parabel des Schachpielers aus Hermann Hesses Steppenwolf vierzig

Begriff & Erhellung zweiundvierzig

Kunst - In der Schaudeponie (Upcycling: wie aus Müll Produkte mit Ewigkeitswert werden) vierundvierzig

Über uns sechsundvierzigImpressum siebenundvierzig

Inhalt

Cradle-to-cradle – das natürlichste Prinzip der WeltWas mit einem schicken englischen Modebegriff daher kommt, beschreibt nichts als das natürlichste Prinzipder Welt. Der Mensch erinnert sich an sich selbst. Text von Harald Koisser

Was ist cradle-to-cradle? Eine Wort-schöpfung des deutschen ChemikersMichael Braungart, basierend auf einerIdee des Schweizer TextilkaufmannsAlbin Kälin. Während alle Produkte,welche der Mensch herstellt, „von derWiege ins Grab“ (cradle-to-grave)führen, weil alles irgendwann immerauf Mülldeponien landet, möge mansich die Natur zum Vorbild nehmen,wo niemals Abfall anfällt und immeralles wiederverwertet wird. Alles, wasendet, ist wieder Nährstoff für etwasNeues. Stoffe reisen somit „von derWiege zu Wiege“ (cradle-to-cradle).Nach diesem natürlichen Prinzip sollder Mensch seine Welt gestalten.

Es geht hier nicht um Downcyclingoder Resteverwertung, sondern umeine hundertprozentige Wiederein-bringung von Stoffen in neue Kreis-

läufe, sei es, dass sie total verrottbarsind und zB. als Dünger verwendetwerden können („biologische Nähr-stoffe“), sei es, dass sie nach Ge-brauch wieder zu Ausgangsmaterialvon anderen Produkten werden(„technische Nährstoffe“). Die Idee inKürze: Abfall = Nährstoff. Wobei auchdiese Formel schon falsch ist, wieBraungart anmerkt, weil man denTerminus „Abfall“ gänzlich aus demVokabular streichen sollte. Es sollnichts mehr geben, was man als Abfallbezeichnen kann. Zahlreiche Projektezeigen, dass das machbar ist. JüngstesBeispiel: die österreichische FirmaBackhausen hat ihre Produktion kom-plett nach cradle-to-cradle ausgerich-tet.

Was hier mit einem schicken engli-schen Modebegriff daher kommt, be-

schreibt letztlich nichts als das natür-lichste Prinzip der Welt, welches derChemiker Hanswerner Mackwitz „dasvielseitige schöpferische Vermögen derNatur“ nennt, welches „respektvollannerkannt und genutzt“ werdenmöge. Es gelte, Diversität zu feiern.Die Erde ist so aufgebaut, dass alleStoffströme sich in ewigen Kreisläufenbefinden. Eine kleine Insel im Univer-sum muss nolens volens mit dem aus-zukommen, was da ist. Ein bisschenZufuhr an Metall von außen gibt es abund zu, wenn ein Meteor auf der

C2C - ein Etikett für das 3,5 MrdJahre alte Betriebssystem der Erde

Erdoberfläche einschlägt, aber mehrGeschenke des Universums darf mansich nicht erwarten. Die Natur istMeisterin im Verwerten. Alles was

Cradle-to-cradleSeite 5

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vergeht, geht ein und auf in etwasanderem. Sondermülldeponien gibt esin der Natur keine. „Cradle-to-cradle“ist somit bloß ein Etikett, welches aufdas seit 3,5 Milliarden Jahren erfolgrei-che Betriebssystem dieses Planetengeklebt wird. So wie auf eine Bananeein Markenname geklebt wird, alshätte „Chiquita“ die Banane erfundenund erzeugt.

Der Mensch entdeckt, dass erBestandteil der Natur ist

Es ist das zweifelhafte Privileg desMenschen, etwas unwiderbringlichvon dieser Lebenskugel zu entfernen.So weit sind wir also, dass wir unsselbst das Allernatürlichste und

Selbstverständlichste unter einem zeit-geistigen Markennamen neu verkau-fen müssen. Cradle-to-cradle ist nichts,was erfunden wurde, es ist keineInnovation, es ist die Erinnerung desMenschen an sich selbst, sein Télos.Diesen griechischen Begriff kann manmit „Ziel“ übersetzen. Jeder Menschhat sein Ziel, doch nicht in dem Sinnewie ein Manager Ziele hat, sondernim Sinne von Zweckbestimmtheit.Dieser Télos lässt sich nicht erschaffen,er ist stets da und kann nur erinnertund wieder-gefunden werden. C2C istdie Wiederentdeckung des Umstandes,dass der Mensch Bestandteil der Naturist, einer Natur, die in endlosen Kreis-läufen agiert, weil dies die einzigeMöglichkeit ist zu bestehen.

Cradle-to-cradleSeite 6

„Abfall existiert nicht“Harald Koisser im Gespräch mit Albin Kälin, dem Pionier einer Denkungsart, die sich „Cradle to Cradle“(C2C) nennt und von der man sich nicht weniger als „die nächste industrielle Revolution“ (so der deutscheChemiker Michael Braungart) verspricht.

Herr Kälin, Sie haben das weltweiterste Cradle to Cradle Projekt durch-geführt, was ist Cradle to Cradle überhaupt ?

Cradle to Cradle ist ein Denken inKreisläufen. Man sollte Produktemachen, wo die Materialien so defi-niert sind, dass sie sicher sind für bio-logische oder technische Kreisläufe.Wir dürfen keinen Rohstoffe verlieren,nichts darf jemals Abfall werden. Dasbedingt, dass wir auch ein anderesWirtschaften aufbauen müssen.

Ich habe das allererste Cradle toCradle - Produkt überhaupt gemacht.Das war 1993. Mittlerweile ist die Ideesehr populär geworden, insbesonderein Holland. Holland möchte ein Cradleto Cradle-Land werden, weil sie sich ineiner Krise befinden. Sie haben in demAl Gore-Film gesehen, dass ihr Landplötzlich nicht mehr auf der Landkartewar. Das schien der Regierung keinetolle Perspektive. Man hat zukunfts-taugliche Ansätze gesucht und ist aufCradle to Cradle gestoßen. Die wollennun die ganze Infrastruktur im Landkreislauffähig gestalten. Um dorthin zukommen, haben wir das Land die letz-

ten drei Jahre beraten. Die Holländerwissen jetzt wie es geht. Jetzt kommtder nächste Schritt. In der RegionStuttgart, München, Wien, Mailand,Lyon, dem industrielle Herz Europas,wollen wir innovative Unternehmenmit C2C vertraut machen.

Um präzise zu fassen, was Cradle toCradle ist: Es ist eigentlich ein Tool,welches sich auf stofflicher Ebenebewegt, und dort eine völlig neueAntwort versucht, welche darinbesteht, dass ein Material, was immeres auch sein mag, niemals zu Abfallwird.

Die Philosopie besteht darin, dassAbfall gar nicht existiert. Wir redennicht einmal von Abfall, wir reden vonNährstoffen. Biologische Nährstoffe,technische Nährstoffe. Da stellen sichneue Herausforderungen in allem:Engineering, Marketing, Kommuni-kation, ...! Wenn ich Rohstoffe in ewi-gen Kreisläufen bewege, dann mussich Produkte nach ihrer Verwendungvom Konsumenten zurückbekommen.Sonst gehen sie für den Kreislauf ver-loren. Wie schwierig es für ein Unter-nehmen ist, in direkten Dialog mit den

Konsumenten zu treten, das wissenwir alle. Es erweist sich, dass Cradle toCradle somit auch die Unternehmens-kommunikation ändert. Das Unter-nehmen wird eine andere Partner-schaft eingehen mit den Kunden, weilman wissen muss, wohin die Produkteverkauft werden. Und von den Liefer-anten muss man wissen, was sie in einProdukt, das man selbst weiterverar-beitet, hinein tun.

C2C macht Schluss damit, immer nurden billigsten Rohstoff zu verwenden

Wenn man in Kreisläufen denkt undsein eigenes Produkt zum Wiederver-werten zurück erhält, dann muss mannicht mehr unbedingt den billigstenRohstoff einzusetzen, sondern kannjenen verwenden, der sich am bestenfür Kreislaufwirtschaft eignet.

All die Kunststoffe, die wir heute ken-nen, sind ja nicht in Hinblick auf meh-rere Leben entwickelt worden. Darumreden wir heute von Recycling oderDowncycling. Das Neue besteht darin,Kunststoffe zu entwickeln, die ein ewi-ges Leben haben können bei gleich-bleibender Qualität. Dann verlieren wir Cradle-to-cradle

Interview mit Albin KälinSeite 7

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den Rohstoff und seine Eigenschaftennicht. Das ist auch ein enormer finan-zieller Anreiz.

Protagonisten der chemischen Indus-trie würden Ihnen widersprechen oderzumindest skeptisch sein. Wir sitzenhier in einem Raum mit Möbel, wirhaben Kleidung an, vor uns steht einMikrofon mit einem Computer. Über-all ist Technik und vor allem Chemiedrinnen. Kriegt man sie da überallauch wieder raus ?

Es geht nicht darum, Chemie rauszu-kriegen. Wir brauchen die richtigeChemie.

Es geht nicht darum, die Chemie raus-zukriegen. Das ist genau der Punkt.Wir müssen die richtige Chemie ein-setzen. Also Chemie, die sicher ist fürMensch und Umwelt, für biologischeund technische Systeme. Wenn eineSubstanz sicher ist für ein biologischesSystem, dann ist es richtig. Dann ist esvereint mit der Natur. Dann brauchtskeine Regulierung mehr. Wir alle sinderzogen worden, dass wir eigentlichimmer das Negative in den Vorder-grund rücken, und das ist genau dasInteressante an Cradle to Cradle. Es istpositiv definiert. Wir alle sind erzogenworden, linear zu denken statt inKreisläufen.

Wir haben ein Projekt in Holland, woes um Toilettenpapier ging. Für dieHerstellung verwendet man Altpapier,wo eigentlich die falsche Chemie drin

ist. Altpapier hat zum Teil chemischeSubstanzen, die nicht sicher sind fürbiologische Systeme. Wir haben dieQualität dieses Toilettenpapiers ver-bessert, indem wir einen Recycling-betrieb gefunden haben, der dasAusgangsmaterial verbessert hat. Aberein Papierrecyclingbetrieb kann auchnicht einfach so sagen: okay, ich liefe-re besseres Ausgangsmaterial für deinToilettepapier. Die sind ja auch wiederauf Rohstoff angewiesen, auf jenesAltpapier, das wir alle wegschmeißen.Da haben wir u.a. eine Bank gefun-den, die aus Datenschutzgründen vieleAkten, also Papier, zur Vernichtungbringt. Wir konnten zwischen Bank,Recyclingbetrieb und Toilettepapier-hersteller einen sinnvollen Kreislaufherstellen. Man schafft so neue Opor-tunitäten, die auch wirtschaftlich sehrförderlich sind.

Es hätte also auf keinen Fall gereicht,zum Produzenten des Toilettenpapierszu gehen und ihm eine Umstellungder Produktion auf C2C-Standardschmackhaft zu machen. Weil er danngesagt hätte: „Schön und gut, HerrKälin, nur wo bekomme ich nicht kontaminierten Rohstoff her?“

Es genügt nicht, eine Firma zu über-zeugen. Man braucht die ganze Kette.

Eben, genau das ist dieses System-denken über diese ganzen Lieferket-ten, diese Stoffströme, da muss manvernetzt denken. Es genügt ebennicht, nur einen Partner zu überzeu-gen, man braucht die ganze Kette.

Sie sagen, das erste C2C-Projektstammt aus dem Jahr 1993. Was war das?

Das war ein Möbelbezugsstoff, primäraus Wolle und aus Ramie, einerBastfaser. Die hatte eine spezielleFunktion: klimatisiertes Sitzen, also,dass man weniger schwitzt, und dashat man dann auch so konzipiert, dasses sicher in biologische Kreisläufegeführt werden konnte, - auch dieFarbstoffe. Da gab es zuerst großenWiderstand der Farbstoffchemie. Aberschließlich haben sie alle Daten offengelegt und wir sahen: von 1.600Farbstoffen konnten wir gerade einmal16 verwenden, also 1 %.

Unser Ziel war, essbare Textilien zumachen. Warum essbar? Weil immerAbrieb entsteht und Fasern in die Luftkommen, inhaliert sie der Mensch. Daswar 1993 ziemlich verrückt. Freundevon mir haben gesagt, da kommt der„Komposti“. Das wollte ich überhauptnicht sein, ich bin auch nicht grün.Aber man hat auch erst ein Wordingfinden müssen.

Wie haben Sie denn den allererstenAuftraggeber davon überzeugen können zu diesen mutigen, eigentlichauch riskanten Schritt. Es geht ja dochum die Umstellung einer Produktion.

Stimmt, es war ein kolossales Umden-ken in der Produktion, denken Sie nuran die Färberei. Der Betrieb war in derSchweiz, südlich vom Bodensee, demCradle-to-cradle

Interview mit Albin KälinSeite 8

größten Trinkwasserreservoir vonEuropa. Wir haben das hinbekommen,dass die Färberei das Abwasser ohneKlärung abführen konnte. Es hatte den Status von Trinkwasser. Das warphänomenal.Ja, wie überzeugt man einen Kunden?Im vorhinein weiß man ja nicht, wasfür ein Erfolg das sein kann. Den Kun-den haben wir nicht primär in Europagefunden, sondern im Land der unbe-grenzten Möglichkeiten. Die habeneinfach etwas gewagt und es war einErfolg. Wir haben 19 internationaleAuszeichnungen erhalten und dannkam plötzlich die Nachfrage vomMarkt. Wir hatten dem ersten Kundenallerdings Exklusivität des Konzeptesversprochen und haben nun zu disku-tieren begonnen. Wir argumentierten,dass das, wenn es einen derart tollenbiologischen Effekt hat, alle anderenauch machen müssen. Wir haben ihngefagt, ob er nicht auch Mitbewerberhätte, die fair sind. Er hat schließlicheingewilligt und die Mitbewerberhaben das übernommen, und habenauf allen ihren Musterkarten hinge-schrieben, dass die Initiative durchjene Firma gekommen ist. So habenalle gewonnen.

Jetzt, 17 Jahre später, haben wir einBeispiel aus Österreich. Backhausenhat die Produktion unter Ihrer Be-ratung auch in diesem Sinne umge-stellt, darf man sich das jetzt ähnlichvorstellen wie bei Ihrem ersten Projekt?

Das erste Projekt war ein biologischerKreislauf, was natürlich viel einfacher

ist, weil man über die Kompostierungden Kreislauf schließen kann. BeiBackhausen war es viel komplexer,weil man die Kompostierbarkeit gleicheinmal vergessen konnte. Flammhem-mende Fasern sind nun einmal ausKunststoff. Ein biologischer Kreislaufschied somit aus, wir mussten einentechnischen Kreislauf schaffen. Wennetwas nicht kompostierbar ist, also von der Natur aufgenommen werdenkann, dann muss es endlos in techni-schen Kreisläufen gehalten werden.

Ein einzelner Betrieb kann das nieschaffen. Man braucht Volumen. Unddamit Kooperation.

Backhausen macht das, indem erheute eine Rücknahmegarantie für alteStoffe abgibt, um sie der Wiederauf-bereitung zuführen zu können.Backhausen ist auch bereit, seinKnow-how an die Mitbewerber zugeben, einfach weil man Volumenbraucht. Je mehr sichere Produkte amMarkt sind, desto sicherer bekommtman tauglichen Nährstoff für die Pro-duktion. Ein einzelner Betrieb kann dasnie schaffen. Das eröffnet neue Ge-schäftsmöglichkeiten in der Zukunft,z.B. können sich Partner zu einemKonsortium zusammenschließen undeinem großen Abnehmer ein gemein-sames Angebot machen. Und die wer-den diese Produkte nicht mehr verkau-fen, sondern z.B. für fünf Jahre ver-mieten. Die Stoffe werden zurückge-nommen und durch neue ersetzt undein neuer Mietvertrag wird aufgesetzt.

Es ist sehr interessant zu hören, dass,wenn man sich einmal auf Cradle toCradle eingelassen hat, sich in Folgedas Denken und Handeln ganz auto-matisch ändern, - ändern müssen. Aufeinmal entsteht so etwas wie einekooperative Wirtschaft.

Das ist ein schöner Begriff. Es gehtdarum, ein neues Verständnis zu ent-wickeln und gemeinsam am Markterfolgreich zu sein.

Im Prinzip schafft es auch ein neuesDenken der Konsumenten.

Das ist das Herausragende an Cradelto Cradel, dass man plötzlich ver-schwenderisch sein kann. Stoffe wer-den in Kreisläufen geführt, also ichkann nach Lust und Laune damitumgehen, es kommt immer wiederzurück und es richtet keinen Schadenan weil es positiv definiert ist.

Wenn man sich das alles anhört undbedenkt, dass das erste Projekt 1993durchgeführt worden ist - und wirschreiben jetzt das Jahr 2010 - dannfragt man sich, wieso eigentlich nichtspassiert ist bis jetzt, warum eigentlichCradle to Cradle immer noch wie eineArt Geheimwissenschaft gehandeltwird ?

Ja, das frustriert mich auch, um ehrlichzu sein, aber seit Januar 2010 gibt eseine gewisse Dynamik, wir haben auchhier in Wien eine Kooperation mit demInstitut für Ökologie, Technik und Cradle-to-cradle

Interview mit Albin KälinSeite 9

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Innovation, dem ÖTI, gestartet. Esmuss sich etwas tun, denn wir habennicht mehr allzuviel Zeit. Unser Haupt-problem ist nicht das Energieproblem,welches bloß ein technisches Problemist, weil wir die Sonne als unerschöpfli-che Energiequelle haben. Wir wissenbloß noch nicht genau, wie wir sie amBesten nutzen. Viel gravierender sinddie Rohstoffe, denn die gehen unsaus. Und so wie wir in der Industriefunktionieren, wie wir mit den Roh-stoffen umgehen, geht das nicht mehrlange gut. Wir dürfen die Rohstoffenicht verlieren. Denken Sie an Kupfer,das haben wir noch 30 Jahre, dann istSchluss. Denken Sie an Phosphat, den-ken Sie auch an Öl. Also alle dieseRohstoffe gehen zu Ende. Wir sollteneigentlich auch für die nächstenGenerationen eine Verantwortungübernehmen und sollten denen dieMöglichkeit geben, dass sie sich auchentwickeln können und so arbeitenund leben können, wie sie es für rich-tig erachten.

Die Rahmenbedingungen sind nichtauf ein Kreislaufdenken ausgerichtet.

Sie haben die Industrie erwähnt. Jetztist es so, dass die Industrie gelernteProzesse fährt, und diese Prozesse inGesetzesstrukturen eingebettet sind,das heißt sie stechen hier in einSystem hinein, das sehr gefestigt ist.

Das ist korrekt. Wir müssen nur unsselber betrachten, wie schwer wir unstun, Veränderungen zu akzeptieren

und wahrzunehmen. Die Rahmenbe-dingungen sind nicht auf ein Kreislauf-denken ausgelegt; die Gesetzesstruk-tur ist oft hinderlich. Es klappt aber,wenn wir es schaffen, möglichst vieleAkteure zu finden, die bereit sind,diese Veränderung anzugehen. Wirsehen das zum Beispiel in der Chemie-industrie. Die Chemieindustie hat zumTeil sehr sehr gute Produkte. Aber siehat es schwer, diese guten Produkte indie Industriekette hineinzubringen. Siemüssen die Prozesse verändern, siemüssen die Rezepturen verändern, siemüssen alles wieder neu testen, siemüssen die Verkaufsunterlagen abän-dern, usw.; das tut die Industrie nichtso gern. Das tut niemand gerne.Cradle to Cradle ist aber eine Riesen-chance, weil man plötzlich in alles „dieguten Dinge“ reinpacken kann.

EPEA zertifiziert ja auch diesen Cradleto Cradle Prozess. Wie darf man sichdas vorstellen?

Es gibt 4 Levels: Basic, Silber, Gold undPlatinum. Firma Backhausen z.B. istmit Gold zertifiziert. Es gibt auchKritik, weil diese Zertifizierung eineprivate Initiative ist. Wir mussten aberunbedingt einen neuen Qualitäts-begriff etablieren. Einen neuen Quali-tätsanspruch kann man eigentlich nur,ohne dass ich da irgendwie chauvini-stisch bin, auf einer privaten Basisangehen.

Weil?

Wenn Sie das zu stark in bestehendeInstitutionen oder Organisationen ein-fließen lassen, ist das Ergebnis immerder kleinste gemeinsame Nenner. Jetzt,wo bereits einige Zertifizierungen ge-laufen sind, denken die Philosophenund Erfinder von Cradle to Cradle -William McDonough und MichaelBraungart - darüber nach, die Zertifi-zierung an andere Institutionen zuübergeben. Dieser Prozess ist schon imGange.

Wenn es nicht gelingt, den Unter-schied der Qualität aufzuzeigen undzu dokumentieren, dann wird dieseganze Cradle to Cradle-Bewegung wieviele andere Bewegungen irgendwanneinmal verflachen und dann wird mansagen, es ist halt dasselbe wie allesandere auch.

Wenn man ein Gebäude abreißt,kommt so ein Riesenmonster undhaut alles zusammen. Das ist ja nichtunbedingt Kreislaufführung.

Der Unterschied ist bestechend, aberStoffe sind das eine, ganze Häuser mitStahl-, Glas- und Holzkonstruktionenund vielen Bauelementen sind etwasanderes. Ist das auch machbar?

Das ist machbar. Das beweisen wireigentlich. Es gibt ein gutes Beispiel inÖsterreich, die Firma Thoma. Diebauen Häuser ausschließlich aus Holz,das heißt auch die Verbindungen sindholztechnisch gelöst ist, ganz ohneKleber. Cradle-to-cradle

Interview mit Albin KälinSeite 10

Wenn Sie ein Gebäude abreißen wol-len, kommt so ein Riesenmonster undhaut das Zeugs zusammen. Das ist janicht unbedingt Kreislaufführung, wiewir uns das vorstellen. In Holland gibtes jetzt ein Projekt mit Fliesen, wo wirdie Frage stellen, wie man Fliesen wie-der leicht vom Gebäude demontierenkann. Wenn das gelingt, dann kannman Fliesen und andere Materialienauch wieder sortenrein herausnehmenund in den Kreislauf überführen. Dasrevolutioniert auch die Bauindustrie,die ja einer der größten Materialver-braucher überhaupt ist.

In ihrem Portfolio führen Sie ja nichtnur potentielle Kunden, Produktgrup-pen aus der Reihe der stofflichenEbene an, sondern Sie ermuntern auchDienstleistungsbetriebe, sich mit demCradle – Gedanken auseinanderzuset-zen: Tourismus, Behörden, Logistik.

Es geht überall um Stoffströme. JederManager sollte sich mit C2C ausein-andersetzen.

Es geht überall um Stoffströme, auchund gerade im Tourismus. Die Peaks inder Saison mit den ganzen Abfällen,die dort erzeugt werden, oder wieman mit der Natur umgeht! Warumnicht Stoffströme ganzer Regionenneu denken? Warum nicht endlich einBlick auf das Facility Management,also Gebäudemanagement? Wir wol-len gar nicht auf der stofflichen Ebenestehen bleiben. Wir müssen mit C2Cin die komplexeren Systeme.

Das heißt, dass eigentlich jederUnternehmer, jeder Manager, wel-chem Unternehmen er jetzt auchimmer vorsteht, sich mit dem Cradle-Gedanken auseinandersetzen sollte,weil man immer in irgendeiner Formmit Stoffen zu tun hat, und es auchauf einer abstrakteren Ebene neueImpulse geben kann.

Das würde ich genau so unterstützenund wir kommen ganz schnell in dieSituation, wo wir wirklich etwaswesentlich verändern müssen weil dieProbleme immer unkontrollierbarer aufuns zu rollen. Wir müssen das Um-denken beginnen, insbesondere unse-ren Kindern zuliebe.

Das war jetzt eigentlich schon derberühmte Wunsch für die Zukunftzum Schluss. Sie sagen, es ist aberetwas in Bewegung gekommen in den letzten Jahren. Was genau?

Holland, ein ganzes Land! Kalifornien,ein Bundesstaat! Sie haben sich demC2C-Gedanken verschrieben und daskann man durchaus eine gewaltigeBewegung nennen. In Holland hat dieRegierung entschieden, ihre Einkaufs-richtlinien, und da geht es um 40 MrdEUR, so zu verändern, dass Cradle toCradle Produkte bevorzugt werden.

Ja, Herr Kälin, dann hoffe ich, dass ichdas nächste Interview mit einemComputer führe, der bereits komplett„gecradlet“ ist.

Das wäre cool.

Cradle-to-cradleInterview mit Albin Kälin

Seite 11

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C2C Geschichte1987: Michael Braungart und andereGreenpeace-Aktivisten besetzen einender Schornsteine des SchweizerChemiekonzerns Ciba-Geigy (heuteNovartis) wegen einer katastrophalenVerschmutzung des Rhein durch denKonzern. Braungart gründet EPEA(Environmental Protection Encourage-ment Agency).

1993: Der Schweizer TextilkaufmannAlbin Kälin hat eine bahnbrechendeIdee, welche der Firma Rohner Textil,deren Geschäftsführer Kälin damalswar, zahlreiche Auszeichnungen undDesignpreise einbrachte. Die Rohner-Produktlinie Climatex (climatex.com)wird zum weltweit ersten Cradle-to-cradle-Produkt, auch wenn dieser Ter-minus damals noch nicht gebrauchtwurde.

Das Projekt wird filmisch dokumen-tiert, Kälins Idee wird von Universitä-ten und Wissenschaft gewürdigt. Trotzgroßartigem Echo passiert aber in derIndustrie nichts. Die Projekte bleibenüberschaubar: Triumph bringt eineDamenwäscheserie aus rein ökologi-scher Baumwolle namens Pure Originauf den Markt, die Schweizer Firma

Schlossberg ein Set von Frottierwäscheund Bademänteln. Übersicht über eini-ge Case Studies findet man auf derWebsite von EPEA Switzerland:http://www.epeaswitzerland.com/

2005: Der deutsche Chemiker MichaelBraungart holt Kälin nach Hamburg. Ererfindet die Bezeichnung „Cradle-to-cradle (C2C)“ und zieht seither alsgenialer Wanderprediger durch TV-Shows und Umweltkongresse. ImAmerika übernimmt diese Rolle derArchitekt William McDonough.Braungart und McDonough habengemeinsam ein Standardwerk überC2C herausgebracht, ein Buch, dasbizarrerweise aus Plastik ist (siehe kriti-sche Anmerkung).

Gründung der Beratungsfirma EPEA(www.epea.com) durch Braungart.Kälin wird Geschäftsführer und berätu.a. die Niederlande, die vorhaben, alsganzes Land komplett nach C2C zuleben!

EPEA vergibt C2C-Zertifizierungen inSilber, Gold und Platin, was Braungartzu Anfällen von Selbstironie bringt(siehe „kritische Anmerkungen“).

2009: Der Österreichische Textilher-steller Backhausen stellt unter Be-ratung von EPEA seine kompletteProduktion auf C2C um.

Cradle-to-cradleGeschichteSeite 12

Denkende StoffeIng. Reinhard Backhausen über den „Stoff der vielen Leben“, zwei Jahre Forschung am Rande desScheiterns und warum man niemals aufgeben darf. Backhausen hat die gesamte Produktion in einemGewaltakt auf Cradle-to-cradle umgestellt. Interview: Harald Koisser

Sie haben einen Stoff entwickelt, derReturnity heißt. Was darf man sichunter diesem Kunstbegriff vorstellen?

Returnity findet man nicht im Lexikon.Das setzt sich zusammen aus Return (zurückgeben) und Eternity (die Ewig-keit). Es ist eine Weltneuheit – dererste Flammhemmstoff, der umwelt-freundlich produziert und recycling-fähig nach der Cradle-to-cradle-Philo-sophie ist. Wir haben den gesamtenProduktionsprozess umweltfreundlichgestaltet, wir haben zum Beispiel ausden Farbstoffen und Ausrüstungs-chemikalien die bedenklichen Sub-stanzen entfernt. Wir arbeiten also mitvöllig anderen Farbstoffen als zuvor.Und wir haben das Versprechengegenüber unseren Kunden abgege-ben, dass wir den Stoff nach derVerwendung zurücknehmen. DerKunde muss nur ein E-Mail an unsschreiben und wir organisieren dasCradle-to-cradle-gerechte Recycling.Es darf dabei kein Abfall entstehen,sondern muss komplett zu einemneuen Produkt werden.

Dann muss ich mich bei dem WortEternity nicht schrecken, weil ich da

an die Halbwertszeiten von Kunststoffdenke.

Eternity heißt hier „ewig im Kreislauf“,darum sprechen wir auch vom „Stoffder vielen Leben“. Wichtig ist, dasswir ressourcenschonend und abfallver-meidend denken. Wir werden in Zu-kunft ein riesiges Ressourcenproblemhaben. Heute leben 6,5 Mrd Men-schen auf der Welt, irgendwann wer-den es 9 Mrd sein. Dafür reichen dieRessourcen nicht aus. Da sind dieIndustrie und die Politiker gefordert,alternative Konzepte zu entwickeln.

Ist Returnity Ihr persönlicher Wunsch,sich mit der Welt zu versöhnen?

Es ist ein Herzensanliegen, aber auchNotwendigkeit. Wir sind in der Textil-industrie Vorreiter und hoffen, dassandere mitziehen. Cradle-to-cradlewird sich absolut durchsetzen. Hollandwill 2012 eine ganze Stadt umstellen,sodass dort kein Abfall produziertwird. Arnold Schwarzenegger hatCradle-to-cradle in sein Regierungs-programm aufgenommen und jetzt imMai das erste Cradle-Institut in SanFrancisco eröffnet. Das wird um die

Welt gehen. Wir gehören zu denen,die jetzt schon ein Produkt anbietenkönnen, nämlich Möbelstoffe undVorhangstoffe.

Wie reagiert der Markt auf IhreInnovation?

Sehr aufgeschlossen, aber es gibt auchdiejenigen, die beim Fenster hinaus-schauen und sagen: Eh noch alles inOrdnung. Vielleicht müssen nochmehr Umweltkatastrophen passieren,damit die Menschen aufwachen undsehen, dass es schon 2 vor 12 ist undetwas getan werden muss. Je mehrsich dem Cradle-to-cradle-Movementanschließen, desto eher kann es um-gesetzt werden. Und es muss schnellumgesetzt werden, denn wir brauchenMengen an Material für ein günstigesRecycling.

Im Moment erweist es sich also nochnicht als Vorteil im Marketing, mit soeinem neuen Konzept hinauszugehen?

Der Vorteil liegt darin, dass wirUmweltbewusstsein wecken. DieLeute verstehen das Prinzip ja sehrschnell. Außerdem hat der Kunde

Cradle-to-cradleInterview mit

Reinhard BackhausenSeite 13

wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

wir auf so breiter Basis agieren, dannwerden auch die Mengen zustandekommen.

Das ist eine höchst ungewöhnlicheAussage von einem Unternehmer ineiner Zeit, wo man sehr auf seinenPatenten sitzt und sich darausWettbewerbsvorteile erhofft.

Ich möchte auf keinen Fall alleine auf dem System sitzen.

Es funktioniert aber nur so. Ich möchteauf keinen Fall alleine auf dem Systemsitzen. Es wird sich ja auf alle Bereicheerstrecken. Es wird Cradle-to-cradle-Autos geben, ein völlig anderes Den-ken muss Einzug halten, wir müssenmehr partnerschaftlich agieren.

Wo liegen denn die größten Hürdenbei einer Umstellung? Liegen sie imKopf? In der Produktion?

Zuerst einmal muss man die eigenenLeute davon überzeugen. Das kannman nicht mit einer Veranstaltung inder Firma abtun. Da muss man sichmit den Leuten auch einzeln auseinan-dersetzen und zwar nicht nur in derProduktion, sondern auch im Vertrieb,bei der Auftragsannahme, etc.; wenndie eigene Mannschaft dahinter steht,hat man schon viel gewonnen.Wirklich schwierig war die Frage: gehtdas technisch? Und das war währendder zweijährigen Entwicklungsphasegar nicht so klar. Dabei ging es ja nichtnur um unsere Farbstoffe, sondern

auch um die Frage, wie man Energiegewinnt. Wir mussten auch mit derEVN klären, dass wir einen hohenAnteil an Wind- und Sonnenenergiewollen. Erst das gesamte Maßnah-menpaket führt zu einer Cradle-to-cradle-Zertifizierung. Wir haben dieseZertifizierung in Gold bekommen undda sind wir stolz darauf, weil wir unsenorm bemüht haben. Es hat auchSituationen gegeben, wo Mitarbeitergesagt haben: das geht einfach nicht.Wir hatten etwa große Probleme mitder Farbe Schwarz und einem Dunkel-rot. Ich habe einfach weiterforschenlassen, bis wir schließlich eine Lösunggefunden haben.

So wie das jetzt sagen, klingt das sehrsouverän, aber ich vermute, sie habenauch dem Scheitern ins Auge gesehen.

Ja, aber wenn man nach der Deviselebt „niemals aufgeben“ tut man sichnicht so schwer. Ich hatte das Zielgenau vor Augen. Es tut sich immerirgendwo eine Tür auf.

Wie bleibt man dran? Haben Sie einpersönliches Geheimnis?

Positiv Denken. Ich bin ein sehr positivdenkender Mensch. Für mich sindProbleme Chancen. Angesichts einesProblemes denke ich: Juhu, ein Pro-blem! Ich freue mich, wieder etwaslösen zu dürfen. Mit so einer Einstel-lung tut man sich generell leichter.

Cradle-to-cradleInterview mit Reinhard BackhausenSeite 14

einen messbaren Vorteil. Wenn er einProdukt zurückgibt, bekommt erRabatt auf künftige Returnity-Bestellungen.

Wann werden die ersten Stoffezurückkommen?

Wir haben voriges Jahr unsere gesam-te Produktion und sämtliche Kollek-tionen umgestellt. Ein Kunde kannjederzeit einen Stoff zurückgeben,allerdings haben die sehr gute Qualitätund ich schätze, dass es nun zwischendrei und fünf Jahre dauern wird, bisetwas zurückkommt. Wir sind jeden-falls vorbereitet darauf. DasRecyclingsystem steht.

Sie haben gesagt, dass Sie Mengenbrauchen. Wenn das in drei Jahrenhereintröpfelt, kommen wohl keineMengen zustande.

Wenn nur die Firma Backhausen dasverfolgen würde, funktioniert das nieim Leben.

Die Cradle-Community muss wachsen.Wir arbeiten daher in drei Richtungen.Das eine ist die eigene Kollektion.Zweitens produzieren wir für Grossisten und Möbelindustrie, dieSpezialentwicklungen von uns welt-weit verkaufen. Und drittens lizenzie-ren wir Returnity an andere Herstellervon Trevira CS (so heißt der flamm-hemmende Stoff). Mit der Lizenz kön-nen die das gesamte Know-how undauch den Logo übernehmen. Wenn

Das kommt offenbar auch imManagementstil hinüber.

Man muss es leben und begeisternkönnen. Die Leute müssen spüren,dass man selbst voll daran glaubt unddahinter steht. So kann man Leutemitreißen. Ist man nur halbherzigdabei, kann sich alles im Sand ver-laufen.

Ist durch die Arbeit an Returnity auchein ökologischeres Bewusstsein beiIhren MitarbeiterInnen entstanden?

Absolut! Es hat einige gegeben, diemit Umweltdenken nicht viel am Huthatten. Ich halte derzeit sehr vieleVorträge im in- und Ausland, auch vormeinen Mitarbeitern, und da geht esnicht nur um das Produkt. Es geht umVerständnis für unsereUmweltprobleme. Meine Vorträgebeginnen oft mit einem Bild vomUniversum. Es geht doch darum, unse-ren kleinen Planenten vor uns selbst zuschützen. Ich rede überUmweltprobleme, baue dabei einwenig auf dem Film von Al Gore („Dieunbequeme Wahrheit“) auf. Es mussklar werden, dass da eine Welt-Visiondahinter steckt. Ich sehe uns alsTeilbereich eines großen Ganzen.

Jetzt kann ich meinen Kindern beruhigt in die Augen schauen

Wo kommt Ihr persönliches ökologi-sches Gewissen und die Verantwor-tung, die Sie zeigen, her? War dasschon immer so?

Es war in Teilbereichen so. Das Schlüs-selerelebnis habe ich mit meinen Kin-dern gehabt. Wir haben uns vor vierJahren den Al Gore-Film angesehen.Populistisch, aber aufrüttelnd und aufWahrheiten beruhend. Meine Kinderhaben gefragt, was man da machenkann. Ich habe sofort gesagt: Standby-zustand ausschalten, Mülltrennung, -naja, das Übliche eben. Da habenbeide gemeint, wir haben doch eineFirma. Dort muss etwas geschehen. Ich habe begonnen nachzudenken,aber wir stellen Stoffe aus Polyesterher. Da habe ich keine gute Idee ge-habt, wie man das ökologisch wertvollmacht. Da habe ich Professor Braun-gart und Albin Kälin kennengelernt.Das war Bestimmung. Wie dann Re-turnity endlich fertig war, habe ichmeinen Kindern sehr beruhigt in dieAugen schauen können.

Wie haben das denn die Mitbewerberaufgenommen?

Skeptisch! Es gibt ja so viele Umwelt-konzepte. Die Kunst besteht darin, dieLeute zu begeistern und zu gewinnen.Es war schon ungewöhnlich, offen aufden Mitbewerb zuzugehen und ihnaufzufordern, etwas gemeinsam zumachen. Etwas großes Gemeinsames!Manche, die anfangs misstrauischabgelehnt haben, sind dann auf michzugekommen und wollten doch mit-machen. Es ist eben ein langsamerÜberzeugungsprozess und auch dadarf man nie aufgeben. Je mehr dieMedien darüber berichten, und wir

haben ein wirklich schönes Medien-echo, desto leichter wird es.

Wo ist das meiste Geld hineinge-flossen?

Das meiste Geld fließt in Forschungund Marketing

Das ganze spielt sich im chemischenBereich ab. Wirklich viel Geld ist inResearch geflossen und ein großerAufwand war die Überprüfung dergesamten Produktionskette. Undnatürlich das Marketing! Was nützt es,wenn man ein tolles Produkt hat undniemand es weiß. Aber wir geben nureinen Bruchteil der Kosten an denKunden weiter. Wir verlangen nur um2% mehr als vorher. Das ist ein be-scheidener und von den Kunden gerneakzeptierter Anteil für die Umwelt.

Zum Schluss noch eine verwegeneFrage: ist Cradle-to-cradle schonalles? Was kommt noch?

Es gibt eine Steigerung. Die heißt„smart textiles“. Als Verbandspräsi-dent der Textilindustrie habe ich dieSmart-textiles-Plattform gegründet,einen Schulterschluss der Beklei-dungsindustrie mit der Elektronik-industrie. Wir wollen textile Produkteentwickeln, die denken können.Stoffe, die ihre Farbe verändern kön-nen. Heute ein blaues, morgen eingrünes Sofa! Oder Vorhänge, dieEnergie speichern können. OderMäntel mit Airbags. Im Medizintextil-

Cradle-to-cradleInterview mit

Reinhard BackhausenSeite 15

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Bereich könnte man Textilien entwik-keln, die Organe im Körper umschlie-ßen und Informationen an Ärzte fun-ken. Das sind alles realistische Visi-onen. International wird viel darangeforscht. Aber natürlich müssen diein Textilien eingebauten Komponentencradle-to-cradle-fähig sein.

Cradle-to-cradleInterview mit Reinhard BackhausenSeite 16

Die C2C-CommunityWeltweit werden derzeit etwa 600 Produkte nach dem Cradle-Prinzip hergestellt, Tendenz steigend. Hier ist eine kleine Übersicht über das aktuelle Angebot an C2C-Waren und Dienstleistungen.

Aveda (Estée Lauder)USAKosmetiklinie, die komplett aus pflanz-lichen und mineralischen Inhaltsstoffenbestehtwww.aveda.com

Backhausen interior textilesÖsterreichMöbel- und Dekorationsstoffe fürPrestigebauten (Hotels, Opernhäuser,...) und Eigenheim nach dem C2C-Prinzip (komplett wiederverwertbar);damit die Stoffe wieder in das Werkzurückkommen, gibt Backhausen eineRücknahmegarantie und Prozente beiFolgekäufenwww.backhausen.com

BellandDeutschlandKunststoff mit den gewohnten Ge-brauchseigenschaften aber mit derRecyclingfähigkeit von Papier, lässtsich preisgünstig auf gleichem Quali-tätsniveau wiederverwerten; zB fürCatering-Geschirr, Trinkbecher fürGroßveranstaltungen (Sport, Konzer-te), etc.www.belland.de

DessoHollandDer weltweit führende Teppichher-steller arbeitet daran, sein gesamtesPortfolio (Teppiche und Kunstrasen)ausschließlich nach dem C2C-Prinzipzu gestalten. Derzeit können 90%aller Fabrikabfälle und 100% allerVerpackungen recycelt werdenwww.desso.com

Dr. PetryDeutschlandNachhaltige Textilveredelungwww.drpetry.de

earthbuddyHongkong/ChinaProduzent von biologisch abbaubarenVerpackungsmaterialien,Essensbehältern, Tabletts, etc.;Ausgangsstoffe sind Agrarrückständewww.earthbuddy.hk

ElasticDeutschlandElastische Stoffe und Spitzen für dieWäsche-, Sport- und Bademoden-industrie. Entwicklung des biologischkreislauffähigen Stoffes Pure Origin,der sich in einer Unterwäscheserie derFirma Triumph findetwww.elastic.de

guglerÖsterreichCross Media-Betrieb mit hohem Öko-bewusstsein; arbeitet derzeit an hun-dert Prozent kompostierbarenDruckproduktenwww.gugler.at

Hermann MillerEnglandStühle, Tische, System-Büromöbel ausnachhaltigen Materialien,Produkteigenschaften und schonendenProduktionsverfahren. Es werden diejeweils sichersten Chemikalien verwen-det sowie die Zerlegbarkeit undRecyclingfähigkeit der Möbel beachtetwww.hermanmiller.com

Johann Müller AGSchweizDie Firma hat biologisch abbaubareNäh- und Strickgarne, Frottierwareund die bilogisch abbaubare Kunst-faser PLA entwickelt. Auch die Ver-packungen und Etiketten sind biolo-gisch unbedenklichwww.mueller-textil.ch

Cradle-to-cradleDie C2C-Community

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ShawUSADie Firma ist Zulieferer für Teppich-produzenten und hat sich auf Teppich-fliesenunterseiten spezialisiert. DieProdukte werden umweltschonend ingeschlossenen Kreisläufen wiederver-wertet. www.shawfloors.com

SteelcaseDeutschlandBüromöbel, die am Ende jedes Lebens-zyklus leicht zerlegt und wiederver-wertet werden können. Star desSortiments ist der Arbeitsstuhl„Think“, der höchste ökologischeStandards erfüllt und zu 98% wieder-verwertbare Komponenten enthält. Erlässt sich innerhalb von fünf Minutenzerlegen, die wenigen Teile, die ent-sorgt werden müssen, sind gekenn-zeichnet. Steelcase produziert auchStoffe, Trennwände, Monitore unddiverse Arbeitzsplatzausstattung nachC2C.www.steelcase.de

ThomaÖsterreichHäuser (Einfamilienhäuser, Hotel-bauten, Industrieanlagen) aus 100%Holzbauweise. Kein Leim, keine che-mischen Verbindungen. Nur Holz. www.thoma.at

TrigemaDeutschlandDer Hersteller von Sport- und Frei-zeitbekleidung führt ein kompostierba-res T-Shirt im Programm. Die biolo-gisch wertvollen Inhaltsstoffe sind v.a.

für Allergiker interessant. www.trigema.de

TriumphDeutschlandDie Damenunterwäsche „Pure Origin“besteht aus ökologisch angebauterBaumwolle und einer biologisch ab-baubaren Elastanfaser.www.triumph.com

van HoutumHollandToilettepapier und Handtücher, dienach C2C hergestellt werdenwww.satino.com

van KaathovenHollandC2C für Katzenfreunde. Komplettkreislauffähiges Katzenstreu, gepaartmit einem Hausservice. Die Kundenerhalten ein Katzenklo samt Katzen-streu, die Schale wird alle zwei Wo-chen vor die Haustür gestellt und aus-getauscht.www.katzenkomfort.com

WexlaÖsterreichSchuhe sind laut Braungart „Franken-steinprodukte“, da sie künstliche undbiologische Materialien enthalten, dieuntrennbar miteinander verbundenwerden. Wexla hat ein System entwik-kelt, wie man günstig Ersatzteile fürSchuhe nachkaufen kann: Schuhsohle,Schuhoberteil, Fußbett. Eine Realisati-on solcher Schuhe gibt es noch nicht.Im Programm sind kompostierbareFlipflops.www.wexla.at

Cradle-to-cradleDie C2C-CommunitySeite 18

methodUSAUmweltfreundliche und gesundheits-verträgliche Haushaltsprodukte. Esdampfen keine Lösungsmittel mehraus und man braucht auch keineGummihandschuhe, um die Hände zuschützen. Die Gebinde und Verpack-ungen sind kreislauffähig.www.methodhome.com

RemondisDeutschlandWasser- und Kreislaufwirtschaft;Kompostwerke und Erdenwerk nachdem Prinzip geschlossener Stoffkreis-läufewww.remondis.de

SafechemDeutschlandRisikomanagement zur Handhabungchlorierter Lösemittel, wie sie fürReinigungsprozesse in der Industrieverwendet werden; Reduktion derLösemittel um 90% innerhalb von 10 Jahren bei gleichzeitigem Anstieggereinigter Teile; Entwicklung vonGeschäftsmodellen und Services fürden verantwortlichen Einsatz vonChemikalienwww-safechem-europe.com

SearchHollandInternational agierende Technikbera-tung, Labor- und LehrorganisationDienstleistung: Beratung für nachhalti-ge Entwicklungwww.searchbv.nl

Ameise, Regenwurm und BerggorillaKritische Anmerkungen zu C2C, Teil 1Text von Harald Koisser

Wider die Verschwendung

Es war die Rede davon, dass C2C dasökonomische Denken in RichtungKooperation wenden könnte, dochauch auf Seiten der KonsumentInnenwird C2C eine sukzessive Wendung imDenken und Verhalten bewirken, aller-dings eine, die argwöhnisch beobach-tet wird und auf Kritik stößt. WennStoffe ökologisch komplett unbedenk-lich sind und wieder in neue Kreisläufeeingehen, so darf man plötzlich etwas,wofür man sich heute noch in deralten Welt der Müllberge geniert:maßlos verschwenden! Weil alle C2C-ProtagonistInnen dieses lustvolle Ver-schwenden so herzhaft propagieren,regt sich moralischer Unmut. Manwürde hier einen neuen Konsumwahnbegründen, dessen Vorteil wohl in derökologischen Unbedenklichkeit liege,aber moralisch bedenklich wäre. Mansieht die Tugend der Mäßigungbedroht.

Dem kann man entgegenhalten, dassdiese Kritik aus der „alten Welt“stammt, in der zurecht gegen blind-wütige Vergeudung unwiederbringli-cher Ressourcen gewettert wurde. MitC2C gibt es aber keine unwiederbring-lichen Ressourcen mehr. Wenn sichdas Prinzip durchsetzt, wird sich diemoralische Debatte von der Theorie indie Lebenspraxis verlagern und eineNeubewertung des Begriffs „Ver-schwendung“ notwendig machen.Man könnte also der Tugend derMäßigung folgen und abwarten,würde nicht Ernst Gugler von guglercrossmedia, selbst ein C2C-Pionier, einArgument jenseits der stofflichen Weltvorbringen. Er meint, dass jedes Pro-dukt immer auch Ergebnis von men-schlicher Arbeitszeit ist, und lustvolles

Darf man menschliche Arbeitszeit verschwenden?

Verschwenden somit bedeutet, men-schliche Arbeitszeit zu verschwenden.

Nur weil maßloser Konsum auf stoffli-cher Ebene durch C2C plötzlich unbe-denklich wird, wäre er es noch langenicht auf zwischenmenschlicher Ebene.

Es bleibt dabei allerdings zu fragen, obder Einzelne dies als Ausbeutung er-lebt oder seinen Arbeitseinsatz gerneerbringt, sei es wegen entsprechenderEntlohnung, sei es als Quid pro Quofür eigenes verschwenderisches Ver-halten. Wenn Arbeit sinnvoll ist, kannman sie auch lustvoll verrichten.

Rahim Taghizadegan merkt in seinemGastkommentar allerdings sehr richtigan, dass zum Beispiel LebensmittelCradle-to-cradle-Produkte sind, abereine Verschwendung immer bedenk-lich ist.

Cradle-to-cradleKritik

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Braungart erklärt, er wolle sich denunsäglichen Öko-Zertifikaten entge-genstemmen, welche die Produktweltüberschwemmen. Jeder fadenscheinigeMist wäre eine Öko-Plankette wert,die man sich an die Eingangstür klebenkann. Also müsse man dem mit einerC2C-Auszeichnung begegnen.

Mit einer guten Portion Selbstironiemerkt der Chemiker an, dass er inSilber, Gold und Platin zertifiziere: „Istdas nicht lustig: Das sind ökologischhoch bedenkliche Edelmetalle. Im Sinnder Sache, der Nützlichkeit, die wiranstreben, müsste es eigentlich Zer-tifikate geben, die Ameise, Regen-wurm und Berggorilla heißen“.

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Du sollst zertifizieren

EPEA vergibt Zertifikate für C2C-Projekte und –Betriebe. Man darfzurecht bemerken, dass üblicherweiseaus gutem Grund Beratung und Zer-tifizierung von unterschiedlichenStellen durchgeführt werden. DerBerater kann sich wohl selbst keinobjektives Zeugnis ausstellen.Braungart weiß das natürlich undübergibt die Zertifizierung auch dem-nächst an solch eine unabhängigeStelle. Bleibt allerdings die Frage, wozu überhaupt zertifizieren? Esscheint als müsse ein Wahn nachobjektiven Belegen für das eigeneGut- und Bessersein befriedigt werden.

Cradle-to-cradle - die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt?Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 2Gastkommentar von DI Rahim Taghizadegan, Institut für Wertewirtschaft (www.wertewirtschaft.org)

Aus dem Inhalt:

• C2C bietet reale Innovationen und nicht bloß Zertifikate für greenwashing. • Leider sind es stets Übertreibungen, die im Konkurrenzkampf um knappe

Aufmerksamkeit eingesetzt werden. Braungart kontert mit einerVerschwendungsideologie gegen jene, die sich „gesund schrumpfen“ wollen.

• Die Größe der Versprechungen von Cradle-to-cradle bringt die Gefahr von politischer Planwirtschaft

• Es klingt so schön, alle Verschleißteile durch kompostierbare Materialien zu ersetzen. Doch wer sagt, dass „natürliche“ Stoffe weniger gefährlich sind?

• Vor dem Auto erstickten Städte im Pferdemist. Das Problem liegt stets in der Masse.

• Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, wenn es Leute anspricht, die weder Investitionen aus eigenen Mitteln verantworten, noch sich mit ihrer individuellen Verantwortung als Konsument zufrieden geben, sondern ungeduldig nach der Weltverbesserung trachten. Dann stecken wieder überschuldete Bürokratien, Steuergeld in Hype-Projekte, die sie mittels von ihnen ernährter „Experten“ als große Zukunftsinvestitionen vermarkten.

Der Ausdruck „cradle-to-cradle“(Wiege-zu-Wiege) findet gegenwärtigwachsende Beachtung. Mit diesemKonzept reüssieren vor allem der amerikanische Architekt WilliamMcDonough und der deutscheChemiker Michael Braungart. DerAnsatz bezieht sich auf das Gestaltenvon Produktzyklen, bei denen Abfalldirekte Verwertung als Rohstoff findet.Produkte sollten also nicht als Schad-stoffe in der Totenbahre von End-lagern enden, sondern die Wiege fürneue Produkte abgeben.

Nachdem Steven Spielberg gerade aneinem Film über diese Idee arbeitet,wird sie wohl bald nicht mehr bloß derHype kleiner Zirkel sein, sondern zumMassen-Hype wachsen. Die Größe derVersprechungen dieser Idee begünstigtihre Aufnahme, weckt aber auch neu-gierige Skepsis. Man ist es mittlerweilegewohnt, daß ein Weltrettungsplanden nächsten ablöst, der sofort undumfassend umgesetzt werden muß. Essei zu spät, darauf zu warten, daß die

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fluß leben, nach Herzenslust ver-schwenden.

Zweitens fällt auf, daß Braungart undMcDonough schon lange vor demHype sehr viel Geld mit ihrem Ansatzverdienen. Braungart wurde alsGreenpeace-Aktivist bei der Besetzungeines Schornsteins des UnternehmensCiba vom Fleck weg von den ver-meintlichen ideologischen Feindenengagiert. Ciba heuerte ihn als selb-ständigen Berater an. Unzählige großeund finanzkräftige Unternehmen folg-ten. 1995 gründete er das Unterneh-men McDonough Braungart DesignChemistry mit McDonough in denUSA. Ford ließ sich etwa vonMcDonough für gesalzene zwei

Nachhaltigkeit - ein leeres Konzept

Milliarden Dollar die Dächer des größ-ten Werkes begrünen. Geld, so könnteman einwenden, das aus dem Verkaufvon Produkten und der Aufnahme vonKrediten stammt, die mit Nachhaltig-keit wohl wenig zu tun haben. DochNachhaltigkeit ist für Braungart ohne-hin ein leeres Konzept: Es ginge umVeränderung, nicht darum, Dinge zuerhalten.

Die Erwähnung dieser zwei Aspektemutet nach Kritik an, doch der wirt-schaftliche Erfolg und die ideologi-schen Betonungen verdienen zunächsteine Würdigung. Die Nachfrage durchUnternehmen bevor das Konzept zumMedienhype wird, deutet an, daß

Braungart und seine Kollegen durch-aus reale Innovationen zu bietenhaben und nicht bloß Zertifikate fürgreenwashing (Umwelt-Marketing)verkaufen. Je größer der Hype wird,desto eher ist allerdings zu erwarten,daß Motive der Eitelkeit und PR bei

Die Gegendogmatik tut derUmweltbewegung sehr gut

der Adaption der geschützten Markecradle-to-cradle bedeutsam werden.Dies wird durch die psychologisch sehrwirksamen ideologischen Übertreibun-gen in der Darstellung begünstigt.Solche Übertreibungen sind zwar stetseinseitig, können aber als Korrektivund Aufweckmittel dienen. Die DosisGegendogmatik tut der Umweltbewe-gung ganz gut, die in der Regel ihrWissen maßlos überschätzt.Braungarts Witze gehen häufig aufKosten populärer Öko-Irrtümer. Dochauch Cradle-to-cradle ist vor Irrtümernnicht gefeit. Je größer der Kontext,desto unübersehbarer die Komplexität.Die beste Intention kann in einemkomplexen System die schlimmstenAuswirkungen nach sich ziehen.In einem der zahlreicher werdendenals Dokumentation getarnten Werbe-filme über cradle-tocrade sieht mandie feierliche Eröffnung eines Modell-Dorfes in China, das mit der Beratungvon McDonough geplant worden seinsoll, um ein bestehendes Dorf zuersetzen. Dies wurde als wegweisen-der erster Schritt gepriesen, wie fürAbermillionen von Chinesen im Zuge

Cradle-to-cradleKritik IISeite 22

Menschen ihr Leben ändern, die einzi-ge Hoffnung bestünde darin, denRettungsplan so groß wie möglich zudimensionieren, so schnell wie möglichumzusetzen und so zentral wie mög-lich zu steuern. Ist cradle-to-cradlebloß die nächste Sau, die durch dasmedial-globale Dorf getrieben wird?

Zwei Unterschiede fallen zunächst insAuge. Erstens sind die Betonungenhier deutlich anders als man es sonstbei ökologischen Bedenkenträgerngewohnt ist. Insbesondere MichaelBraungart, ein ehemaliger Green-peace-Aktivist, lästert gerne über den„Schuldkult“ der modernen Umwelt-bewegung. Braungarts Ökologismusist durch und durch progressiv. Nachder ideologischen Verwirrung des letz-ten Jahrhunderts bringt konsequenterProgressismus (die ideologische Über-höhung des Fortschritts und Wachs-tums) heute meist Betonungen mitsich, die verwirrte Beobachter als neo-liberal bis neokonservativ einordnenwürden. Dies erklärt auch, warum sichunter Neokonservativen so erstaunlichviele ehemalige „Linke“ finden.Braungarts Glaube an Wissenschaftund Technologie ist von unerschütterli-chem Optimismus, eine intelligentewirtschaftliche Entwicklung könnte inZukunft noch einem Vielfachen derErdbevölkerung eine bessere Versor-gung bieten. Er will dem Konsumentendas schlechte Gewissen nehmen. Danknach cradle-to-cradle zertifizierter Pro-duktgestaltung könne man wiederSpaß beim Konsum haben, im Über-

des nächsten, revolutionären Fünfjah-resplan neue und moderne Öko-Häuser geschaffen werden könnten.Die Tochter von Deng Xiao-Ping wardaran beteiligt und die staatlicheFernsehsprecherin pries die Weitsichtder Partei. Trotz vorteilhaftesterAufnahmen und massiver Propagandaist das Projekt für den nüchternenBetrachter jedoch sofort als groteskeFehlplanung erkennbar. Häßliche, voll-kommen identische Häuser mit winzi-gen, trostlosen „Gärten“, direktnebeneinander aufgefädelt, mitten imNichts. Der Vorzeige-Bewohnerinrutschte heraus, daß sie für normaleMenschen wohl noch dazu viel zuteuer wären. Der umjubelte ökologi-sche Aspekt bestand darin, daß dieWände dank der teuren Beratung ausden USA nicht aus Ziegeln, sondernaus Sand und Stroh bestanden.Die Häuser stehen bis heute leer undverrotten. Sie waren trostlosen ameri-kanischen Vororten nachempfunden,hatten winzige Ziergärten und Gara-gen, obwohl nur vier der bisherigen1.400 Dorfbewohner ein Auto habenund als Landwirte mit den gräßlichen,lächerlich kleinen Vorhöfen keinesfallsüberleben können. Die Energie für dasMusterdorf sollte aus einer Biogasan-lage kommen, in der die landwirt-schaftlichen Abfälle verheizt werdensollten. Niemand hatte sich die Mühegemacht, herauszufinden, daß diese„Abfälle“ den Ziegen verfüttert wur-den, die ohne diese Reste im Winterverhungern würden. Die Häuser, diefür je 3.500$ geplant waren, kosteten

letztlich 12.000$, wie dies bei Staats-aufträgen die Regel ist. Das ist dasZehnfache des dortigen Jahresein-kommens. Nur zwei Familien sindüberhaupt jemals in das „Musterdorf“eingezogen, und das nur, weil ihreHäuser niederbrannten. Sie mußtenalte Ölöfen nutzen, weil die „alternati-ven Energiequellen“ nicht funktionier-ten.Es steht außer Frage, daß die geschick-te Imitation der Natur ein riesigesPotential bietet, das eine zugleichmenschen- und naturferne Technik,die auf effiziente Massenlösungen hinausgerichtet ist, bislang weitgehendübersehen hat. Dieses Potential findetsich aber nicht nur in neuer Technolo-gie, wie der Fortschrittsfreund es sieht,sondern auch in verlorenem oder ver-loren gehendem Wissen, die derFortschrittsfeind betont. Beide Be-tonungen sind einseitige Übertreibun-gen, doch werfen wir ein wenig fürletztere Ansicht in die Waagschale, umunsere Abwägung ins Lot zu bringen:Der moderne Innovationsbetrieb hängtzu sehr am Subventionstropf, sodaßihm oft der Blick für Knappheiten undmenschliche Dimensionen fehlt. All dieMachbarkeiten und all das fabrizierteWissen sind sinnlos, wenn sie in daspersönliche Wirken beschränkter Men-schen keinen Eingang finden können,sondern weiter entpersönlichen undentfremden. Heutige Forscher forschenin der Regel ihren Auftraggebern zu:aufgeblähten staatlichen Apparatenund Großkonzernen. Wie der einzelneMensch in seinem konkreten Umfeld

sein Leben verbessern kann, ist dabeinicht von Interesse. Die Entmündigungdes Menschen ist die große Gefahrvon allzu technologieorientiertenLösungen. Braungart schlägt technische Produkt-zyklen vor, bei denen Produkte imEigentum der Hersteller bleiben undbloß deren Nutzung als Dienstleistungangeboten wird. Das ist ein mögliches,aber kein notwendiges Konzept. Die

Nullwachstumsfetischisten gegenVerschwendungsideologen

gleiche Funktion könnte eine Rück-nahmegarantie von Produkten spielen.Doch auch den gegenläufigen, fort-schrittskritischeren Ansatz sollte mandabei nicht aus dem Auge verlieren:weniger unnötige Geräte, höhereLebenszeit, einfachere Konstruktion,die das Reparieren durch den Konsu-menten selbst erlaubt. Auch das istkein Allheilmittel, vor allem weil jederAnsatz in der Gegenwart zunächst dieBequemlichkeit der Konsumentenakzeptieren muß. Leider sind es stetsÜbertreibungen, die im Konkurrenz-kampf um knappe Aufmerksamkeitund natürlich um Geld stehen. KeinWunder, daß diejenigen, die dasNullwachstum zu ihrer Ideologie über-dehnt haben, Verschwendungsideolo-gen wie Braungart feindlich gesinntsind. Beides ist als Ideologie Unfug.Man kann sich nicht „gesundschrumpfen“, wenn das Schrumpfenzum Ziel wird; dies ist nämlich schonan sich krankhaft. Die entsprechenden

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Ideologen hoffen wohl unbewußt aufPöstchen als Politkommissare, wo sieaus ihren Steuerungszentralen„Wachstum beschränken“ dürfen. Dernächste Fünfjahresplan: 10% wenigerProduktion, 10% weniger Energiever-brauch, 10% mehr Glück. Das ist einBefehl!Die Überhöhung der Verschwendungdurch Braungart ist ebenso zweifel-haft. Er hat vollkommen recht, daß esabsurd ist, Wegwerfartikel aus Materi-alien zu erstellen, die Jahrtausende alsnicht weiter nutzbare Problemstoffeüberdauern. Hier ist noch viel Be-wußtseinswandel und technische

Nur weil etwas kompostierbar ist, ist es nicht automatisch effektiv

Entwicklung nötig. Doch nur weiletwas kompostierbar oder in neuenProdukten verwertbar ist, ist es nichtautomatisch effektiv. Eine Übertrei-bung dieses Ansatzes neigt dazu, denEnergie- und Transportaufwand zuignorieren. Die Gesetze der Thermo-dynamik verbieten ewige Kreisläufeohne Verluste. Zwar ermöglicht dielaufende Energiezufuhr der Sonne dasÜberleben organischer Kreisläufe, unddiese können uns zweifellos als Vorbilddienen. Doch darf man diese Analogienicht überdehnen, denn die geringenWirkungsgrade könnten erst recht eintotalitäres Diktat der Energieeffizienzanregen, vor der Braungart zurechtwarnt.Das Zyklenkonzept weist neben derTechnologie- und damit Kapitalabhän-

gigkeit noch weitere Probleme auf:Alle Zyklen müssen, um die verspro-chene Effektivität zu erlauben, ge-schlossen sein. Der dazu nötige großelogistische Aufwand wird beim„Hypen“ der Idee zu zwei Betonun-gen führen: Einerseits sind besondersgroße, hochintegrierte Unternehmenbegünstigt. Andererseits wird die Un-geduld in dezentraleren Sektoren undRegionen zu politischen Ambitionenführen. Das politische Schließen vonZyklen hat jedoch ganz unweigerlicheinen planwirtschaftlichen Charakter.Planwirtschaft hielt man einst für effi-zienter und effektiver. Heute weißman, daß die mangelnde persönlicheVerantwortung zu kolossalen Fehlent-scheidungen führt, die nicht nur dieUmwelt, sondern auch das menschli-che Leben bedrohen. Der systemischeCharakter von cradle-to-cradle und dieGröße und Übertreibung der Verspre-chungen verstärken diese Gefahr plan-wirtschaftlicher Verlockungen. Insbe-sondere die von Braungart gerne ver-wendete Analogie des Ameisenstaatesdeutet in diese Richtung.

Braungarts Buch aus Plastik -eine ökologische Bruchlandung

Das Problem nicht geschlossenerZyklen wird deutlich an einem beson-ders greifbaren Beispiel: Braungart undMcDonough ließen ihr Buch nicht aufPapier, sondern auf Kunststoff druk-ken. Plastik ist natürlich im Gegensatzzu Papier nicht kompostierbar und vielweniger „natürlich“. Der Gedanke

dahinter ist, daß Druckwaren techni-sche Kreisläufe bilden könnten. Dannhätte man das Buch vom Verlag bloßgemietet, dieser würde es zurückneh-men, nachdem man es ausgelesen hat,und es zu einem neuen Buch ein-schmelzen. Natürlich besteht ein sol-cher Zyklus noch nicht und es ist frag-würdig, ob er sinnvoll wäre. Das Buchist zwar wasserfest, bleibt aber beimLesen nicht geöffnet. Das Konzept,Bücher auszuborgen, ist uralt: mannennt es Bibliothek. Angesichts derTatsache, daß es den gewünschtenKreislauf nicht gibt, ist das Buchkon-zept eine ökologische Bruchlandung.Der Transport, die Verbrennung oderDeponierung sind allesamt umwelt-schädlicher als bei einem herkömmli-chen Buch. Und wer weiß, welcheFolgen wir noch nicht kennen?Dies ist ein weiteres Problem, dasgerne übersehen wird. Das neuentwik-kelte Substitut für einen Stoff ist in derRegel unbekannter als dessen Vorläu-fer. Es klingt so schön einfach, schlichtalle Verschleißteile durch kompostier-bare Materialien zu ersetzen. Doch esist ein häufiger Irrtum, „natürliche“Stoffe für weniger gefährlich zu halten– ein Irrtum, auf den Braungart selbsthinweist. Biologisch abbaubare Ver-schleißteile können unerkannte Risikenbergen. Eben weil Plastik nicht kompo-stierbar ist, d.h. nicht biologisch aktivist, ist es selbst vollkommen ungiftig.Gefährlich sind die Zusatzstoffe(Weichmacher, Flammhemmer usw.).Wenn alle Abfälle biologisch sind, istdies nicht notwendigerweise ökolo-

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gisch. Vor dem Auto erstickten Städteim Pferdemist; die Überdüngung rui-niert den Boden. Das Problem liegteben doch auch in der Masse, jederVerschwendungslust zum Trotz. Unddiese Masse ist eben das Gefährlichean Hypes. Der Hype rund um Biotreib-stoffe ist ein gutes Beispiel dafür, wieeine neue Idee durch massive För-derungen und Heilsversprechen soüberdehnt wird, existenzbedrohendeAusmaße zu nehmen und die Ernäh-rung von Menschen zu gefährden. Diemoderne Ungeduld setzt alle Hoff-nung in die Masse – nur Medien,Großkonzerne und Politik könntenwirklich Großes bewegen. Doch jegrößer der Akteur, desto kleiner dasHirn: der politische Tyranno-Sauruswill „nur helfen“ und vergrößert denSchaden.

In einer hochkomplexen Welt gibt eskeine sicheren Erfolgsstrategien

Cradle-to-cradle muß daher danachbewertet werden, welche Akteureangesprochen werden und wie. AlsAnsatz für Produktentwickler verdientdas Konzept größte Würdigung –doch diese Würdigung muß ihm nichtdurch allzu begeisterungsfähige Missi-onare verlieren werden, sie erfolgt ausdem praktischen Erfolg der Produkte.In einer dynamischen, hochkomplexenWelt gibt es dabei keine sicherenErfolgsstrategien. Die beste Idee kannin der Realität und an der Realitätscheitern. Ist das neue Material wirk-lich gesünder, nehmen es Konsumen-

ten an, bietet es, falls es teurer ist,einen Vorteil, der den Mehraufwandlohnt, fügt es sich langfristig in einenZyklus, was passiert bei Änderungender Marktlage? Die Fragen sind zahl-los. Braungart erkennt richtig, daß diebesten ökologischen Intentionen oftungeheure Irrtümer hervorbringen. Jestärker cradle-to-cradle als Heilsver-sprechen und Lösung aller ökologi-schen Probleme vermarktet wird,desto größer wird das Irrtumspotential.Dabei ist der Ansatz für Produktent-wickler im Kern so simpel, daß er garkein neues Etikett bräuchte.Schwieriger ist die Frage, was derKonsument mit dem Ansatz machensoll. Wenn du nur von cradle-to-crad-le-zertifizierten Unternehmen kaufst,kannst du beliebig verschwenden,wäre eine vollkommen falsche Ansage,eben weil sie Kosten und dazu nötigenWohlstand nicht berücksichtigt. DasVersprechen besteht eigentlich auchnur darin, daß man dann ohneschlechtes Gewissen verschwendenkönnte. Doch auch das ist falsch.Nahrungsmittel sind etwa vollkommenkompostierbare Produkte. Ist es des-halb richtig, massenweise angebroche-ne Nahrungsmittel wegzuwerfen? Diesvernachlässigt wiederum den Aufwandfür ihre Produktion, ihren Transport,ihre Werthaltigkeit, sowie jegliche kul-turelle Erwägungen. Die Banane istzweifellos ein perfektes cradle-to-crad-le-Produkt, ganz ohne Zertifizierungs-gebühr, denn ihre Verpackung vermagals Nährstoff zu dienen. Doch seltenam Ort ihres Konsums, und wenn wir

eine mögliche Einsammlung berück-sichtigen, ändert sich das Bild schonwieder vollkommen.

Die Gefahr besteht darin, denKonsumenten wieder einmal bloßunnötige Produkte anzudrehen

Viel problematischer in Hinsicht aufden Konsumenten ist der möglicheMißbrauch von cradle-to-cradle, nurein weiterer Vorwand zu sein, denKonsumenten wieder neue, teurere,letztlich unnötige Produkte anzudre-hen, die dann doch wieder entgegenden Intentionen von Braungart eineForm von Ablaßhandel darstellen. Sobenötigt die Ermunterung zur Ver-schwendung ein Korrektiv der Mäßi-gung, genauso wie der übertriebenasketischen Einstellung die Würdigungdes Schöpferischen, des Genießens,des Ausprobierens gegenübergestelltwerden sollte.Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle,wenn es Leute anspricht, die wederInvestitionen aus eigenen Mitteln ver-antworten, noch sich mit ihrer indivi-duellen Verantwortung als Konsumentzufrieden geben, sondern ungeduldi-ger nach der Weltverbesserung trach-ten. Dann stecken wieder überschul-dete Bürokratien, Mittel, die sie nichthaben und für deren Verwendung sieniemals wirkliche Verantwortung über-nehmen müssen, in Hype-Projekte, diesie mittels von ihnen ernährter „Ex-perten“ als große Zukunftsinvestitio-nen vermarkten. Sobald cradle-to-cradle zum Vorwand wird, Wunsch-

Cradle-to-cradleKritik II

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Wirtschaften mit schönen, rundenKreisläufen am Reißbrett zu planenund cradleness zu kommunizieren,wird die Zeit gekommen sein, eineweitere aufgeblasene Idee zu kompo-stieren und die einzelnen, richtigenund wichtigen Bestandteile als Nähr-stoffe für Besseres anzusehen. Ein hin-reichend nüchterner Zugang vermeidetdie Blase von Anfang an, läßt Platz fürHausverstand und übernimmt imjeweiligen konkreten Lebenskontextkonkrete Verantwortung, auch wennes nur die des Konsumenten ist, an-statt ungeduldig nach der nächstengroßen Utopie zu schielen, die stetseine Ausrede dafür ist, nicht selbsteinen ersten kleinen Schritt zum

Man sollte nur bewegen, was manauch verantworten kann

Besseren zu setzen. Jeder Schritt kannsich im Nachhinein als Irrtum heraus-stellen. Daher sollte man nur dasbewegen, was man verantwortenkann und darf, das aber mit allerEntschlossenheit und dem nötigenMut. Dies ist weniger eine Kritik an einemAnsatz, der viel Richtiges undWichtiges enthält, sondern eineWarnung vor der ständigen Überdeh-nung von Ideen, der Wichtigtuerei,den hohlen Phrasen: daß sofort ausjedem Ansatz eine Ideologie und ein„politischer Auftrag“ gemacht werdenmuß. Michael Braungart erkennt dasdurchaus selbst: Er hofft, so merkt ermit etwas Ironie an, daß der von

Steven Spielberg geplante Werbefilmfür seine Idee nichts wird. Sonst schie-be man die ganze Sache wieder aufeinen Menschen ab. In den USAkönne man zwar viel schneller Ruhmerlangen, in Europa werde man über-haupt erst wahrgenommen, wennman es mit einem englischen Buzz-word in die US-Medien geschafft hat.Die große Begeisterungsfähigkeit undSehnsucht nach Lösungen führe auchoft zu einem Vorliebnehmen mitschnellen, aber falschen Lösungs-rezepten.

Cradle-to-cradleKritik IISeite 26

Bin ich kreislauffähig?

Es ist eine wunderbare Idee, Stoffevon der Wiege zur Wiege zu führenund sie wieder zum Nährstoff vonNeuem zu machen. Als Mensch bin ichkompostierbares Material und wähnemich damit auf der ethisch sicherenSeite, insoferne ich einmal Nährstoffsein werde. Aber die Frage nach mei-ner persönlichen Kreislauffähigkeit istnicht eindeutig zu beantworten.

Ein Chemiker erzählte mir, dass jedesBio-Schwein bessere Gesundheitswertehat als ich. Mein Fleisch würde neimalsdas begehrte Bio-Siegel bekommen,was mir jetzt schon für die Maden undWürmer in meinem Grab leid tut. DieMuttermilch, die unsere Kinder trin-ken, ginge nicht mehr als Bio-Milchdurch. Die Quecksilberbelastung inner-halb der Mutterbrust hat übrigens einerstaunliches Süd-Nord-Gefälle. Sie istbei uns in Europa augenfällig, bei denInuit in Grönland aber bereits im Zu-stand akuter Quecksilbervergiftung!Die Konzentration von polychloriertenBiophenylen in der Muttermilch derInuitfrauen ist so hoch, dass die Milchals Giftmüll eingestuft werden müsste.Und das bei jenem Volk, das mitMutter Natur lebt, unter extremen

Bedingungen zu überleben verstehtund weit und breit keine Chemie-fabriken hat!

Wann erhalte ich die Cradle-to-cradle-Platin-Zertifizierung?

Warum das so ist? Wegen der ver-dammten Globalisierung! Alles hängtmit allem zusammen und die Globali-sierungsgegner haben schon recht,wenn sie das nicht wollen. Unser chemischer Output durchläuft dieweltweite Nahrungskette. Die Inuithaben Wale und Seerobben als Haupt-nahrungsmittel. Wale und Seerobbenfressen Fische und Muscheln. DieKonzentration an Schadstoffen steigtin der Nahrungskette sukzessive an,bis das Höchstmaß an Gift in Grönlandankommt. Man muss also feststellen,dass jeder tote Mensch bald definitivnicht mehr kreislauffähig und eigent-lich eine Sondermülldeponie ist.

Dies wäre das gewaltigste C2C-Pro-jekt, das man aufsetzen müsste: dieKreislauffähigkeit des Menschen wie-der herzustellen. Wann erhalte ich dieCradle-to-cradle-Platin-Zertifizierung?

Cradle-to-cradleBin ich kreislauffähig?

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Text von Harald Koisser

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Gaias Zeit der FülleMutter Gaia ist Top-Unternehmerin seit 3,5 Mrd. Jahren. Veronika Victoria Lamprecht sagt uns, wie sie arbeitet und warum nun die Zeit der Fülle anbricht.

Darf ich vorstellen: GAIA. Sie ist nicht neu im Unternehmen. Siewar schon immer da. Eigentlich war sieschon vor der Unternehmensgrün-dung, vor allem anderen, da. Sie istsozusagen die Basis. Die Basis allesLebendigen. Eine Top-Unternehmerinseit 3,5 Milliarden Jahren, die aus allenKrisen mit immer wieder neuen Pro-duktinnovationen hervorgeht. Die sichmeist bewährt haben und lange Pha-sen der Hochkonjunktur bringen. DieRede ist von Mutter Natur, MutterErde, auch GAIA oder GEA genannt.Bekannt als griechische Mutter- undTodesgöttin, als älteste aller Gotthei-ten. Als eine, die das Leben bringt undnährt und auch wieder zurück nimmt.Damit es sich erneuern kann.

Top-Unternehmerin seit 3,5Milliarden JahrenIhre Produktpalette umfasst die ge-samte Erde, Wasser, Feuer, Luft - so-mit ist sie Rohstofflieferantin und Basisfür ALLES WEITERE, was auf diesem

Planeten erzeugt, genutzt, genährt,gelebt, geliebt wird. Ihr Jahresumsatzist bis dato eine unbeschreibliche Grö-ße. Am Beispiel Honigbienen kanneine weltweite Wirtschaftsleistung vonetwas 153 Milliarden Euro festge-macht werden. (Rund 80 Prozent allerPflanzen sind auf eine Fremdbestäu-bung angewiesen und davon werdenwiederum ca. 80 Prozent durch Honig-bienen bestäubt. Nebenbei sind siewegen des Honigs und des Wachsesauch Nutztiere.)

Ihre Auszeichnungen bestehen vorallem darin, dass sie aus allen Krisenmit immer wieder neuen Produkt-innovationen hervorgeht. MancheProdukte werden neu angepasst, manche aus dem Sortiment genom-men. Ihre langen Phasen der Hoch-konjunktur (Abteilung „Sommer“)entstehen durch ständige Forschungs-und Entwicklungsfreude (Fachgruppe„Frühling“). Ausgezeichnet ist auchdas ausgeklügelte Kommunikations-

system und ein sich ständig an geän-derte Bedingungen anpassenderRückkoppelungsmechanismus. Nichtzu vergessen die ausgedehnten Feiern,Rückzugs- und Erneuerungszeiten –Fachabteilungen „Herbst und Winter“.

Sie steht schon immer, und ab jetztwieder bewusst - für alle Fragen inner-halb des Unternehmens zurVerfügung. Durch ihre langjährigeErfahrung mit Höhen und Tiefen undderen zyklische Zusammenhänge istsie DIE ideale Beraterin in „Krisen-sind-Chancen“-Zeiten.

Sommerbeginn – Zeit der Fülle:In unseren Breiten beginnt am 21.6.der Sommer – der längste Tag desJahres kündet von der kommendenHitze, Feuerzeit. Gleichzeitig ist hierdie Wende in die dunklere Jahreshälfte– die Nächte werden wieder längerund die Sonnenstunden weniger. DieseWende ist eine Regulierung der Feuer-kraft. Dadurch wird Reifen ermöglicht

GAIASeite 28

und die Ernte nicht von der Hitze desSommers verbrannt. In der Natur zei-gen sich jetzt die ersten Früchte, dieaus Keimen und Samen entstandensind und reif werden. Es ist der Höhe-punkt der Entfaltung. Kräfte dehnensich nicht mehr in die Höhe aus - son-dern in die Weite. Die Natur nährt sichselber in dieser Füllephase, die gleich-zeitig den Rückzug einläutet.

GAIA`s Fragen an Ihr Unternehmen:

• Was an Fülle, gut Gewachsenem, Früchten im Unternehmen ist vor-handen?

• Wie kann das Wachstum noch unterstützt werden? Was und wie viel Unterstützung braucht es, damit es - das Projekt, die Unterneh-menskultur, das Team - optimal ausreifen kann?

• Was braucht das Projekt noch, was brauchen die Verantwortlichen?

• Was hindert das Projekt, das Team daran, es in Fülle ausreifen zu lassen?

• Wo ist Überfluss vorhanden und wie kann er Nutzen und Gewinn für alle sein?

• Ist der Traum, die Vision, manifest geworden? Wurde aus der Idee etwas Konkretes erschaffen? Wie wurde es genährt, erhalten, ge-schützt? Wie wird es gezeigt?

• Wo im Unternehmen ist Begeis-terung, Energie, „Feuerkraft“ ge-bündelt?

• Welche Maßnahmen gibt es, um das kreative Feuer zu nähren? (siehe Tipps)

• Wer hat welche Macht und wie wird sie eingesetzt? Zum Wohle aller oder einzelner?

• Wie kommuniziere, präsentiere ich das fertige Projekt nach INNEN (Innere Stakeholder)?

• Konsolidierungs- und Strukturie-rungsphase – ist ausreichend Zeit und Raum und Kompetenz gegeben? GAIA

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Ein Bewusstsein von FülleWolfgang Stabentheiner ist Begründer der sogenannten Future-Methode. Seit Jahrzehnten hält erSeminare für Führungskräfte. Warum durch Handeln aus einem Bewusstsein von Fülle mehr gelingt, erzählte er Georg Bauernfeind.

Die Themen Mangel und Fülle spielenin der Konzeption der von Ihnen ent-wickelten Future-Methode eine zen-trale Rolle. Wie sind Sie auf dieseThematik gestoßen?

Es gab da für mich einige Schlüssel-erlebnisse: Als Bruno Kreisky nochnicht Bundeskanzler war, kam es vorder entscheidenden Wahl im Fern-sehen zu einer Konfrontation mit demdamals regierenden BundeskanzlerJosef Klaus. Was mich, jenseits allerInhalte, verblüffte: Kreisky präsentiertesich in weit höherem Ausmaß als Bun-deskanzler, als derjenige, der das Amt(noch) bekleidete. Er war Bundes-kanzler, noch bevor er es wurde. Ähn-lich wie Alberto Tomba, der sich schonin einem Seinszustand des Siegers be-fand, noch bevor er startete. Er musstenicht erst gewinnen, um Sieger zusein, das machte wohl seine Faszi-nation aus. Zu sein, was ich werdenwill, das ist mir damals als ein erst-rangiges Erfolgsrezept bewusst gewor-den: Ziele zu verfolgen - aus einemZustand von Fülle.Ein zweites ähnliches Ereignis aus mei-ner Jugend, scheint mir erwähnens-wert: Der Boxkampf zwischen

Muhammad Ali gegen Joe Fraser.Einige Runden lang prügelte Fraser aufAli ein, ohne dass dieser jedoch auchnur für einen Augenblick lang denEindruck des Geprügelten vermittelte.

Im Seinzustand des Sieger - objektive und subjektive Zuständemüssen nicht übereinstimmen

Geprügelt werden, aber sich nicht ineinem Zustand von Geprügelt seinbefinden, das war für mich eineEntdeckung; dass der subjektiveZustand nicht zwangsläufig demobjektiven folgen muss; dass sich beispielsweise ein Mensch, trotz objektiver Armut in einem subjektivenZustand von Fülle erleben kann.

Was verstehen Sie unter einemZustand von Fülle?

Fülle ist ein subjektiver Zustand, eben-so wie sein Gegenteil, der Mangel.Mangel und Fülle können Hand inHand mit einer objektiven Situationgehen, sie sind aber grundsätzlich los-gelöst von ihr. Manch objektiv wohl-habender Mensch sieht sich ständig zu kurz gekommen und giert wie ein

nimmer sattes Kind unablässig nachmehr. Vielen Menschen fällt es freilichschwer, in sich einen Zustand vonFülle, bezogen auf ein Ziel, hervorzu-rufen, bevor sie es im Äußeren erreichthaben. Und noch mehr Menschen fälltes schwer, Fülle zu erleben, wenndoch im Äußeren Mangel herrscht. Esfällt ihnen schon schwer, für sich Füllezu empfinden, wenn sie objektiv inFülle sind, wenn es ihnen allemAnschein nach an nichts mangelt.

Wie kann es dann einem Menschen,der sich subjektiv in einem Mangel-zustand befindet, gelingen, in sichFülle zu erzeugen?

Der erste Schritt ist immer die Selbst-wahrnehmung. Ohne sich selbst zuspüren, wahr-zunehmen, wird derMensch allzu leicht zum Unmenschen. Schritt Zwei ist die Selbstbejahung:Indem sich der Mensch in seinenStärken und Schwächen, in seinerUnermesslichkeit und Begrenztheit, in seinen positiven und negativenWirkungen bejaht, lösen sich Span-nungen. Jene Energie, die vorher auf-gewendet werden musste, Anteile vonsich zu bekämpfen, zu verdrängen, zu

ToolsInterview mit Wolfgang StabentheinerSeite 30

fort. Analog dazu könnten wir voneinem Mangelzyklus sprechen: DerMensch nimmt sich selbst nicht wahr,betäubt und verleugnet sich selbst, istOpfer seiner inneren Spannungen und

Wir bewegen uns im Füllezyklus oder im Mangelzyklus

Konflikte. Aus seinem inneren Mangel-bewusstsein heraus erzeugt er auchbei anderen Mangel. Dieser – wie manin den Wald hineinruft, so hallt es zu-rück – fällt wiederum auf ihn zurück.Der innere Druck, die inneren Span-nungen weiten sich aus, müssen umsomehr verdrängt werden und das De-saster nimmt seinen Lauf.

Steht dieses Konzept nicht diametraldem Konkurrenzprinzip entgegen?Wie geht es den Leuten, die in IhreSeminare kommen und diese Thesenhören?

Die TeilnehmerInnen unserer Seminarehören dieses Konzept nicht nur, son-dern erleben im Seminar immer mehrdie Seins-Qualität von Fülle. Indem siedas Konzept dann anwenden, entdek-ken sie, dass es ihnen dadurch bessergeht: Weil es einem besser geht, wennman die Stärken anderer verstärkt, alswenn man ständig gegen ihre Schwä-chen ankämpft; weil es einem bessergeht, wenn andere von sich aus ko-operieren, Verantwortung überneh-men und bereit sind, außergewöhnli-che Leistungen zu erbringen, als wennsie tun, was sie unter Druck tun müs-

sen. Weil es einem besser geht, wennman sich und seinen Führungsbereichals fähiger erlebt und höhere Zieleerreicht, als wenn man sich abmühenmuss, um ein Mittelmaß zu erfüllen.Zwar gibt es einzelne Seminarteil-nehmerInnen, die nach dem Besucheines Seminars noch frustrierter überihr Unternehmen sind, als sie es vorherwaren; weil sie kennengelernt haben,wie es auch anders gehen könnte, undweil ihnen das Unternehmen keineMöglichkeit bietet, das Gelernte um-zusetzen. Aber der überwiegende Teilschafft es, in seinem Führungsbereichden Zustand von Fülle im subjektivenEmpfinden der Menschen ebenso wiedurch messbare Leistungen zu meh-ren.

Erfolg ist, wenn alle gewinnen

Derzeit erlebe ich generell in meinemUmfeld - erstaunlicherweise seit derKrise noch stärker – dass ein neuesBewusstsein von Erfolg aufkeimt:Dieses stellt nicht die Frage in denMittelpunkt: Wie kann ich aus demMitarbeiter, dem Kunden, dem Liefe-ranten möglichst viel herausholen, wiekann ich also auf Kosten anderer Mit-spielerInnen einen möglichst großenVorteil für mich bzw. mein Unterneh-men erwirken? Immer mehr zeigt sichmir ein echtes Interesse daran, dassalle MitspielerInnen gewinnen - natür-lich das eigene Unternehmen, aberauch die eigenen MitarbeiterInnen,KundInnen und das soziale und ökolo-gische Umfeld. Erfolg ist, wenn allegewinnen.

ToolsInterview mit

Wolfgang StabentheinerSeite 31

verurteilen, wird frei. Frieden, Balance,Kraft, Lebenslust – Fülle eben –machen sich breit. Der Mensch ent-deckt in sich jene Fülle, die ohnehinschon immer da war.In einem dritten Schritt kommt es zueinem aktiven Beitrag. Aus der Fülleheraus entstehen ganz natürlich undselbstverständlich zwei Dynamiken:• jene, aktiv etwas beizutragen zur

weiteren Entfaltung der eigenen Fülle – beispielsweise, dem Körper das zu geben, was er braucht, damit er in Balance kommt;

• und jene, die eigene Fülle mit an-deren zu teilen. Indem wir etwa unserer Freude Ausdruck verleihen,wenn unseren Kindern etwas gelun-gen ist, statt das wir sie anders haben wollen, als sie sind; indem wir unserer Liebe zu unserem Partner Ausdruck verleihen, statt gleichgültig an ihm vorbeizusehen; indem wir die Stärken unserer MitarbeiterInnen ansprechen und sie dadurch verstärken, anstatt an ihren Schwächen herumzukritisieren.

Wir werden beitragen zur Fülle ande-rer und dadurch Fülle in Form vonWertschätzung, Unterstützung undKooperation zurückbekommen.Im vierten Schritt kommt es zurRückwirkung. Die Fülle, die uns vonaußen zukommt, verstärkt wiederumunsere Selbstbejahung, unserenSelbstwert, unsere Selbstachtung,unser Selbstvertrauen. Sie verstärktunseren Zustand von Fülle. Und derKreislauf – wir sprechen in der FUTUREMethode vom Füllezyklus – setzt sich

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Aber da kommen wir in eine paradoxeSituation: Unternehmen müssenwachsen, ein Fülle-Bewusstsein hilftihnen dabei. Geht nicht dieses wirt-schaftliche Wachstum auf Kosten dernatürlichen Ressourcen? Wie geht daszusammen?

Mir scheint, dass dieser Wachstums-wahn, wie wir ihn in den vergangenenJahrzehnten erlebt haben, einemMangelmotiv entsprungen ist: „Egalwie viel, es ist zu wenig.“ Aber ausMangel laufen wir unwillkürlich Ge-fahr, zum Räuber zu werden, nachMöglichkeiten zu suchen, anderenetwas wegzunehmen. Wir erleben imManagement mitunter eine Skrupel-losigkeit ohnegleichen - Mensch undNatur gegenüber. Aber ich sehe dies-bezüglich, freilich längst nicht überall,Veränderung. Immer mehr Führungs-kräfte begreifen, dass zu unternehme-rischer Verantwortung auch jene fürdas soziale und ökologische Umfeldgehört. Wachstum und die Entwick-lung von Potenzialen gehören wohlzum Leben dazu. Aber muss diesesWachstum immer ein Quantitativessein und auf Kosten anderer gehen?Ich gehe davon aus, dass in Zukunftqualitative Aspekte des Wachstums anBedeutung gewinnen werden. Ichgehe davon aus, dass wir völlig neueTechnologien, völlig neue Systemeentwickeln werden; solche, die dasgesamte Netzwerk, in das ein Unter-nehmen eingebettet ist - einschließlichder Gesellschaft, der Umwelt, des gan-zen Planeten - stärken und fördern.

Sind da die Unternehmen nicht sehrskeptisch, was das Thema Bezieh-ungen betrifft? So nach der Einstel-lung: Job ist Job und Beziehung istBeziehung?

Meine Erfahrung ist: Wo eine schlech-te Beziehungskultur herrscht, werdenendlos Ressourcen vergeudet - durchGruppenegoismen, Konflikte, Mob-bing, Burn Out, Kündigungen - undvor allem dadurch, dass viele Chancenund viele Synergiepotenziale nichtgenutzt werden. Der überwiegendeTeil der Probleme in Unternehmenentsteht aus menschlichen Fehlleis-tungen, die wiederum in einer negati-ven Unternehmenskultur und einemMangel an Leadership ihre Ursachehaben. Mein Sohn ist Berufspilot under sagt mir, dass die häufigste Unfall-ursache bei Flugzeugunglücken dasmangelnde Zusammenwirken derPiloten sei.

Die erste und aktuelle Publikation von„Future“ lautet „Der Königsweg –vom Paradigma des Herzens“. Wiepasst das Wort „Herz“ in dieBusinesswelt? Was kann man sichdarunter vorstellen?

Ich habe mich, offen gestanden, erstgetraut, diesen Begriff zu verwenden,

Vom Gegeneinander zum Miteinander- das ist die Herausforderung

seitdem ich mich mit dem PotsdamerManifest von Wissenschaftlern ausein-

andergesetzt habe. Wissenschaftleraus verschiedenen Disziplinen habensich in Potsdam im Namen AlbertEinsteins zusammengefunden, umüber die Zukunft der Welt nachzuden-ken. Ihr Ergebnis: Die Welt ist nicht zuretten, wenn uns Menschen nicht dasHerz aufgeht. Die wesentliche Charakteristik desHerzens ist, nach meinem Verständnis,Integration. Also jene Kraft, die ausBruchstücken ein Ganzes werden lässt,die auch die sogenannten negativenund dunklen Aspekte mit herein-nimmt und sie zu einem konstruktivenBeitrag für das Ganze transformiert. Vergegenwärtigen wir uns das Lebender Menschen in der Steinzeit! Sieerlebten die Natur als ihren größtenFeind – ständig drohte Gefahr durchwilde Tiere, Wind und Wetter. Nachund nach entwickelten sie Techno-logien, um sich gegen eine feindlicheNatur zur Wehr zu setzen. Heute wirduns die Natur zum Feind, weil wir,obschon längst nicht mehr ihrenUnbilden ausgesetzt, mit ungleichpotenteren Mitteln fortfahren, sie zubekämpfen und Raubbau an ihr zubetreiben. Heute braucht es dieQualität des Herzens, um zu erken-nen, dass wir Teil dieser Natur sindund nur mit ihr überleben können,niemals gegen sie. Dieses Miteinandervon Mensch und Natur, und ebensovon Mensch und Mensch, von Staatund Staat, von Unternehmen undUnternehmen ist die Herausforderung,vor der wir stehen. Vom Gegeneinan-der zum Miteinander, darin liegt der

ToolsInterview mit Wolfgang StabentheinerSeite 32

große Richtungswechsel, den es zumeistern gilt. Kooperation innerhalbeines Unternehmens macht dasUnternehmen stark. Kooperation zwi-schen Unternehmen, beispielsweise imBereich Forschung und Entwicklung,erzeugt Wachstum. Kooperation zwi-schen einem Unternehmen und sei-nem sozialen Umfeld, stärkt die Po-sition des Unternehmens in der Ge-sellschaft. Kooperation macht – auchwirtschaftlich – Sinn. Hätten dieStaaten der Welt anlässlich der Finanz-krise nicht zusammengewirkt, wäre einZusammenbruch nicht aufzuhalten ge-wesen. Wenn die Menschheit nicht zugemeinsamen Lösungen im Bereichdes Klimaschutzes findet, ist eineKatastrophe apokalyptischen Aus-maßes unausweichlich. Kooperation ist das Postulat unserer Zeit.

Kooperation ist Ausdruck desHerzens, nicht nur der Vernunft

Kooperation ist nicht durch bloßeVernunft zu erreichen. Kooperation istein Ausdruck unseres Herzens. Ohnedie Sichtweise des Herzens, ohne dasswir uns in den Dienst des Ganzen stel-len, Systeme und Technologien ent-wickeln, die das Ganze und seineEinzelteile fördern statt ausplündern,stellen wir unser Überleben in ähnli-cher Weise in Frage, wie es damals,vor Tausenden von Jahren, in derSteinzeit, in Frage gestanden ist.Wenn im „Königsweg“ das Paradigmades Herzens anhand konkreter Lebens-situationen dargestellt wurde, so ge-

schah dies, um jenes psychische Organ„Herz“ nicht im Sinne einer Schön-geisterei sondern einer notwendigenLebensrealität in den Mittelpunkt zurücken. Fülle ist eine Qualität desHerzens. Ohne die Potenziale desHerzens mögen wir Völle erleben, niemals jedoch Fülle.

ToolsInterview mit

Wolfgang StabentheinerSeite 33

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TippsTipps und Anregungen für Unternehmen, zusammengetragen von Veronika Victoria Lamprecht, Georg Bauernfeind und Harald Koisser

Das kreative Feuer nährenUnternehmenstipp von Mag. SilviaBrenzel, plenum (www.plenum.at)

Aus der Praxis: Eine einzigartigeWohlfühlwelt für Wellness- undThermenurlaub sollte entstehen. DasProjekt kam in eine große Energie-phase, es war richtig im Flow. An dieser Stelle war es wichtig, dass einerder Geschäftsführer sich für diesen„flow“ verantwortlich fühlte. Absofort war er Ansprechperson für allemöglichen und unmöglichen Ideen. Erkoordinierte, dass sich außergewöhn-lich unterschiedliche Personen in derArt eines „Stammtisches“ immer wie-der zusammensetzten und weiterarbei-teten. Credo war „Out of the box“,d.h. gewünscht war der Austauschvon vielen Leuten aus Bereichen, dienormalerweise nicht zusammenar-beiten! Das Ergebnis, der Flow, dieKreativität war sehr beflügelnd, näh-rend, inspirierend, und letztendlich ein wesentlicher Erfolgfaktor für dieEinzigartigkeit des Projektes.

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Leere ist Fülle an Zeit und MöglichkeitenUnternehmenstipp von Harald Koisser(wirks)

Die Wirtschaftskrise erzeugt Leere. EinVakuum entsteht zwischen Wunschund Wirklichkeit, Einsatz und Ergeb-nis. Oft eine sehr reelle Leere in denAuftragsbüchern. Doch Leere ist Füllean Raum und Zeit und Möglichkeit.Nutzen Sie das. Ein deutscher Unter-nehmer hat, anstatt reflexartig beiAuftragseinbruch Leute zu kündigen,zugesichert, die Arbeitsplätze eine zeit-lang zu erhalten. Alle mögen weiterhinzum üblichen Dienstantritt erscheinen.Dann wurden Arbeitsgruppen gebil-det, die sich unterschiedliche Aufga-ben gestellt haben. Wie können wirunser Know-how an neuer Stelle ein-setzen? Können wir unsere Maschinenfür andere Produkte verwenden?

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Empowern statt auspowern! Unternehmenstipp von VeronikaVictoria Lamprecht (wirks)

Vor allem begeisterte MitarbeiterInnenneigen dazu, sich am eigenen Feuerselber abzufackeln. Strukturen schaf-fen, damit der High-Flow in das Reif-Werden führen kann. AusreichendeUrlaubs- und Erholungsphasen sind dieVorraussetzung, dass eine nachhaltigeFülle reif werden kann!

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Führen - nach dem Prinzip der FülleWolfgang Stabentheiner, Begründerder Future-Methode erläutert, was esbedeutet, nach dem Prinzip der Füllezu leiten (www.future.at)

Menschen zu stärken und Menschenin ihren Stärken zu sehen. Mitarbeiter-Innen, die ihre Stärken im Rahmenihrer Arbeit zur Wirkung bringen undständig weiter entwickeln können, sindgemeinhin glückliche MitarbeiterInnen.

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Solche, denen dazu nicht die Gelegen-heit geboten wird, neigen dazu, sichselbst oder anderen gegenüberdestruktiv zu werden.

Die unterschiedlichen Stärken derMenschen zusammenzuführen,Synergien zu stiften, das Zusammen-wirken auf allen Ebenen zu fördern. So platt dies klingen mag: Gemeinsamsind wir stark. Anders ausgedrückt:Die Wirkung des Ganzen ist höher alsdie Summe der Wirkungen seiner Ein-zelteile. Gut geführte Gruppen sindintelligenter als ExpertInnen.

Eine neue Qualität der Zielsetzung, diedie Gesamtheit des Unternehmens undseines Umfeldes berücksichtigt. NeueHerangehensweisen zur Zielerreichungzu entwickeln, um weit höhere, enga-giertere Zielsetzungen zu realisieren.Der Mut, es anders zu machen.

Den Sinn eines Unternehmens nicht inder Gewinnmaximierung zu definierensondern in dem Beitrag, den dasUnternehmen mit seiner Performanceam Markt leistet; wobei die wirtschaft-liche Gesundheit des Unternehmenseine Voraussetzung dafür bildet, sei-nen Beitrag zu leisten.

Die Zukunft in die Gegenwart herein-zuholen. Menschen in einem Mangel-zustand neigen dazu, sich nach derVergangenheit auszurichten. Entwederindem sie an ihr festhalten oder indemsie sie bekämpfen. Ein Mensch in Fülleschließt Frieden mit der Vergangenheitund lässt sie los. Dadurch wird er frei,sich der Zukunft zuzuwenden und siein der Gegenwart zu verwirklichen.Sich als den Systemen übergeordnetzu erleben. Darin besteht eine der fun-damentalen Entwicklungsschritte vomManager zum Leader: der Managersieht sich als Sklave des Systems undseinen Gesetzmäßigkeiten - gleicheinem Fahrer, der dorthin fährt, wodas Auto hin will. Der Leader nutztdas System, dorthin zu gelangen, woes ihm sinnig erscheint; dorthin, wo esim Sinne des Ganzen ist. Selbstver-ständlich muss er dabei die Gesetz-mäßigkeiten des Systems berücksichti-gen, wie das der Fahrer eines Autosauch muss.

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TippsSeite 35

wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

Pioneers of Change„Pioneers of Change“, ein einjähriger Lern- und Werdegang für AkteurInnen des Wandels, wurde imFebruar 2010 in Österreich gestartet. Nach einer Idee von Martin Kirchner und Silvia Brenzel, plenumGmbH, arbeiten derzeit um die 20 junge und jung gebliebene Menschen daran, ihre eigene konkreteProjektidee oder Organisation für eine nachhaltigere, friedvollere Welt aufzubauen. Mit Herz, Hirn undHand begeben sie sich in ein intensives Entwicklungsjahr mit Seminarmodulen, Unterstützungstagen, in-dividuellem Coaching und Fachberatung. Ganzheitliches Werden ist genauso wichtig wie praktischesLernen. Ein Bericht von Veronika Victoria Lamprecht.

Der Name sagt es: Pioniere treffensich, arbeiten an ihren Visionen, Ideen,Projekte mit der Absicht innerhalb die-ses einen Jahres gemeinsam mit erfah-renen Begleiter und Begleiterinnendurchzustarten. Junge Menschen vollKraft und Initiative tanken Mut undUnterstützung durch die Plattform„Pioneers of Change“. Welche Projek-te, Persönlichkeiten, Kompetenzen rei-fen da heran?

Dazu lerne ich die TeilnehmerInnen ambesten persönlich kennen und nehmeim neu eröffneten HUB, Lindengasse56 in Wien, an der ersten „Extra-runde“ teil: Thema „Social Business-plan“. Im HUB auch deshalb, weil diebeiden Initiatoren von HUB das Thema„Social Business“ – als GmbH - bereitspraktisch umsetzen. Übrigens: Bei derEröffnung von HUB im Mai kam spon-tan Mikrokredit-Pioneer MohammedYunus, Gründer der Grameen Bank,vorbei. Wohl ein mächtiges Zeichenfür die engagierten Jungunternehmer!

Der Raum ist beeindruckend: ein rie-siges Loft, geschmackvoll einfach re-stauriert mit cremeweißen Stoffen,Wänden, Holzböden und einer hippenKüche im Zentrum. Kreativ aufgeteilt,einladend, weit. Ich sitze mit den jun-gen Leuten im Kreis, der Plan desAbends wird vorgestellt, von einer derAnwesenden kritisch in Frage gestellt,von der Leiterin abgeändert, danngemeinsam neu gestartet: in derersten Runde erzählen sie vom Standihres Projektes. Entwaffnend offen.Ungeschminkt ehrlich.

Die Lebenswirklichkeit der Pioneerssteht im Zentrum

„Martin und ich eröffnen den Tag mitder Council-Methode“, erklärt SilviaBrenzel, „das ermöglicht offen hinzu-hören, was da ist. Dies wird aufgegrif-fen und in das geplante Programmeingebaut. Lernen am Leben - dieLebenswirklichkeit der Pioneers stehtim Zentrum. Ihre Projekte und das

persönliche Wachsen an den Projek-ten. Wir legen ganz großen Wert aufwertschätzende Atmosphäre, die parti-zipative Gestaltung des Lernens, emer-gierendes Zulassen, Schwarmintelli-genz.“

Einer der Trainer trägt das Thema„Businessplan“ vor. Kritische Stimmenmelden sich. Um eine optimale Dis-kussion zu ermöglichen, bietet einerder Teilnehmenden an, das Thema mitder Methode der gewaltfreien Kom-munikation zu besprechen. Der jungeMann schlüpft in die Rolle des Mo-derators und leitete kompetent einkonstruktives offenes Gespräch. Diestrikte Trennung zwischen TrainerInund Teilnehmenden ist plötzlich aufge-hoben, es kommt zu Wechselspielen.Die eigene Vielfalt kann unmittelbareingebracht werden. Die persönlicheEinzigartigkeit wird gefördert und ge-fordert, Kräfte gebündelt – im wert-schätzenden System der Gruppe. EinErfahrung- und Lernfeld, in dem auchWiderstände erwünscht sind.

Pioneers of ChangeSeite 36

Aus meiner Beobachtung zeigen sichdrei herausragende Kompetenzen beiden Pioneers of Change:

Kompetenz 1: Selbst- und Sozialkompetenz

Die Projekte der PionierInnen werdengetragen von einer hohen Selbst- undSozialkompetenz. Verbunden mitVerantwortungsbewusstsein und Ver-antwortungsfreude einer lebenswertenWelt gegenüber. Die Initiativen reichenvom „Masterstudium für selbst er-mächtigendes Lernen“, über einenrealen „Schul- und Ideengarten“ fürUmweltbildung und Naturerfahrungund die Entwicklung eines effizientenAntriebssystems durch Windenergiefür Schiffe. Das „Bewegungszentrum“bietet Infrastruktur für den sozialenWandel, ein Institut für ganzheitlichePolitik wird geschaffen und Einkom-mensschaffende Maßnahmen fürMigrantInnen unterstützt. Ein öko/faires Modelabel wird entwickelt undder Verein „saving the world by din-ner“ bietet Anknüpfungspunkte fürnachhaltige wohlschmeckende Unter-nehmenskooperationen. Eine vollstän-dige Liste ist auf der Homepage zufinden (www.pioneersofchange.at)

Valentin ist bereits seit einigen Jahrenselbstständiger Berater für ethisch-ökologische Geldanlagen. Er hat fest-gestellt, dass Frauen sich mehr fürnachhaltiges Investment interessierenals Männer. Als pioneer of changeüberprüft er in Zusammenarbeit mit

zwei Forschungsinstituten dies in einerStudie. Seine Annahme ist, dass Frau-en eine Pionierinnen-Rolle in denNachhaltigkeitsprozessen der Wirt-schaft und im speziellen im Finanz-bereich haben.

Kompetenz 2: Wissen zusammen bringen

Thomas will mit seinem Videoaktio-nismus die großen Probleme der Weltaufnehmen und lokale Lösungen zei-gen. Die Videos werden dann großzü-gig ins Netz gestellt. Er wird immer inTeams arbeiten – das Prinzip derSchwarmintelligenz und wie es genütztwerden kann, erlebt er in diesemLerngang.

Kompetenz 3: KrisentauglichkeitJede Krise wird als Chance gesehen.

Mit den KollegInnen werden gemein-sam neue Lösungen gefunden. Diesewerden dann auch von allen aktiv mit-getragen. Zusätzlich gibt es Unter-stützungsgruppen, in denen aktuelleSchwierigkeiten gemeinsam gelöstwerden. Mit Freude und Motivationkann der Erfolg sich wieder einstellen.

MutmacherInnen erzählen in denLerngängen auch von ihrem Scheitern.Die jungen Leute erfahren am „leben-den Objekt“, wo und welche Unter-stützungsmöglichkeiten es gibt. Eswird angeregt, Prototypen zu gestal-ten. Gleich mal ins Tun zu gehen, ersteSchritte schnell umzusetzen, daran

weiter wachsen und eine Reife zu er-langen. „Trial and Error“, anstatt einPilotprojekt am Schreibtisch zu konzi-pieren und an den realen Bedürfnissenvorbei zu schwitzen.

Folgende konkrete Schritte für nach-haltigen Esprit und Erfolg werdenangeboten:

1. Stärkung der Selbstkompetenz. Aufdie Balance von Körper-Geist-Seele,Herz - Hirn – Hand wird großer Wertgelegt, als Basis allen Wirkens. Dengesamten Lerngang durch werden dieLeute regelmäßig gefordert sich selberzu reflektieren, auch was ihre persönli-chen Energien und Ressourcen betrifft.

2. Vermittlung von Erfahrungswissen.Es gibt inhaltliche Impulse, die inDialogen und Gruppenarbeit persön-lich und praktisch vertieft werden.

3. Persönliche Beratung undBegleitung. Jedes Projekt bekommtindividuelle Beratung zb. zurEntwicklung eines maßgeschneidertenFinanzierungsmodells.

4. MutmacherInnen persönlich kennenlernen. In Kamingesprächen erzählenweise Frauen und Männer aus ihrenErfolgen und Misserfolgen, zb. FredaMeissner Blau. Das ermächtigt nach-haltig und bietet tragfähige konkreteNetzwerke an.

Pioneers of ChangeSeite 37

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5. Unterstützungsgruppen. Gemeinsamdie Wege von der Idee zum fertigenProjekt, Unternehmen, gehen

6. Langfristige Verbindungen. Ein fol-low ship network wird gebildet, dasauch nach diesem Intensivjahr einekraftvolle Unterstützung sein will.

7. Private Netzwerke und persönlicheBeziehungen. Freundschaften bildensich und begleiten über den Lernganghinaus.

8. Internationale Netzwerke.Verbindungen mit ähnlichen Anliegenwerden angeboten, um weltweitArbeitsgemeinschaften für größereund langfristige Projekte zu gestalten.

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Natur und Kunststoff - das muss kein Widerspruch seinEin visionäres Unternehmen aus Wiener Neustadt bringt kompostierbare Flaschen und Frischhaltebeutel aufden Markt. Die bestehen aus dem Werkstoff PLA, der aus pflanzlicher Stärke gewonnen wird. Der Gründerist WU Alumni Enterpreneur 2010. Text von Georg Bauernfeind

Heute haben sie Wachstumsraten von300 Prozent, doch noch vor etwaeinem Jahr waren Ute und JohannZimmermann nahe dran, alles hinzu-schmeißen. Einen Monat noch gabendie beiden ihrer Firma NaKu. Dannlernten sie Werner Boote kennen, denRegisseur des Films Plastik Planet. Erwar von den Produkten der beiden sobegeistert, dass er ihnen Marketing-unterstützung anbot. Denn das Pro-blem, dass Boote mit seinem Film auf-zeigt, war auch Johann Zimmermannschon seit langem bewusst. Plastikverrottet nicht. Den Kunststofftechni-ker störte nach einigen Jahren Berufs-erfahrung immer stärker, dass es fürPlastikprodukte keine nachhaltigenLösungen gibt. Er wollte da etwasändern.

Seit drei Jahren ist die Firma NaKujetzt auf dem Markt. Das ersteProdukt ist ein Frischhaltebeutel, dersich samt seidig anfühlt und jetzt auchvon Firmen wie M-Preis und Adamaheingesetzt wird. Die Vorteile für den

Kunden: Lebensmittel wie Obst, Ge-müse oder Brot halten sich in diesenatmungsfähigen Beuteln viel länger alsim klassischen Plastiksackerl. Darüberhinaus hat das Produkt für den natürli-chen Kreislauf mehrere Pluspunkte:PLA-Werkstoffe basieren auf heimi-schen Pflanzen und können in techni-schen Kompostieranlagen vollständigabgebaut werden. Beim Abbau oderbei der Verbrennung wird nur so vielKohlendioxid freigesetzt, wie diepflanzlichen Rohstoffe zuvor bei derPhotosynthese gebunden haben.Außerdem enthalten diese Produktekeine gesundheitsschädlichen Inhalts-stoffe, wie viele herkömmliche Kunst-stoffe. „Die Idee des natürlichenKreislaufes hat uns immer fasziniert“,meint Ute Zimmermann. Inzwischen sprechen sich die Stärkendes innovativen Produktes herum: Beider WeissSee IdeenLounge wurde diekompostierbare Plastikflasche mit dem„WeissSee Amethyst“ ausgezeichnetund Johann Zimmerman wurde mitseiner Geschäftsidee WU Alumni

Entrepreneur 2010. Bei den ViennaBio-Polymer Days stellte NaKu diekompostierbare Plastikflasche einembreiteren Publikum vor, auch wenn esderzeit noch keine fixe Kooperationmit einem Getränkehersteller gibt. Am Verschluss der Flasche wird nochgefeilt und natürlich gibt es Besonder-heiten zu beachten. Mineralwasseretwa ließe sich darin nur etwa ein Jahraufbewahren. Durch das atmungsfähi-ge Material würde die Luft der Koh-lensäure entweichen, was zu schalemGeschmack des Wassers führen würde.Aber für Milch oder Fruchtsäfte ist dieFlasche optimal.

Was meint er zu „Cradle to cradle“?Eine gute Idee, sagt JohannZimmermann. Aber der Aufwand seioft auch sehr hoch. Mit dem natürli-chen Kunststoff geht die Firma NaKueinen anderen Weg, der aber nochweit führen kann. Als nächstes möchtesich das Unternehmen Joghurtbechernund Schnuller-Verpackungen zuwen-den. Aktuere des Wandels

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Für Sie gelesenArtikel, Fachbücher, Literatur, .. überall liegen Weisheit und Anregung verborgen. Wir versuchen, ein wenig davonans Licht zu holen und freuen uns auch immer über Anregungen. Harald Koisser über „Die Theorie der Unbildung“von Konrad Paul Liessmann und die Parabel vom Schachspieler aus Hermann Hesses Steppenwolf

„Theorie der Unbildung“ von Konrad Paul Liessmann

Mit einem Phänomen der Fülle in ihrerunangenehmen, nämlich rein quantita-tiven Form, setzt sich der österreichi-sche Philosoph Konrad Paul Liessmannin seiner „Theorie der Unbildung“auseinander, indem er schonungslosherausarbeitet, wie es mit dem Wissenin der soeben verblassenden unddahinscheidenden Wissensgesellschafttatsächlich bestellt war. Ich erlaube mirdie Vergangenheitsform, weil die inLiessmanns Buch beschriebeneDenkungsart wohl noch allgegenwär-tig ist, aber bereits einer gesellschaft-lichen Vergangenheit angehört.

Wissen manifestierte sich als Anhäu-fung von Dateneinheiten, die unhier-archisch nebeneinander lagen und alledenselben Stellenwert haben durften.Der Mensch wurde darin zu einerFaktenreplikationsmaschine, die zu-sammenhanglos Daten herunterbetenkonnte und ihr Heldentum als Gewin-ner der Millionenshow feierte, wo allesgefragt wurde und alles möglich war.Nur eins nicht: dass der Kanditat dem

Moderator entgegenschmetterte, dassman diesen und jenen Scheiß einfachnicht wissen müsse.

„Alles Wissen, so das Credo ausge-rechnet der Wissensgesellschaft, ver-altet bald und verliert seinen Wert.“(Liessmann) Mit diesem Maßstab war„Wissen“ nur ein flüchtiger Daten-hauch, der rasch abwehte und bloß füreinen kurzen Moment tauglich war. Esging nicht um Bildung und eigentlichauch nicht um Wissen, es ging nurnoch um skills. Es ging nicht mehrdarum, etwas zu wissen, und nur nochdarum, etwas zu werden. „Die Öko-nomisierung des Wissens hat seineEntschärfung zur Voraussetzung“(Liessmann). Der Begriff des „Wissens-arbeiters“ zeigte an, dass nicht derArbeiter zum Wissenden, sondern derWissende zum Arbeiter werden sollte.Dies beschreibt die Verarmung der zuEnde gegangenen Gesellschaftsformund sie ging eben aufgrund dieserVerarmung zu Ende, wie ich meine.

Ein Freund von mir, Geschäftsführereiner großen Werbeagentur, klagte mirgegenüber einmal, dass ihm in Bewer-

bungsgesprächen immer mehr Men-schen unterkämen mit seltsamenKürzeln vor unter hinter ihrem Namen,was wohl Wissen und einen gewissenAusbildungsstatus andeuten sollte,aber wie man telefoniert und fühlt,was jemand fühlt, das konnten sienicht. Liessmann würde diese selt-samen Kürzel „bildungspolitischeTäuschungsmanöver“ nennen. DerStaat verflachte Bildung, um in inter-nationalen Bildungsstatistiken besserdazustehen. Das war die banale politi-sche Wahrheit.

Liessmann in seiner Funktion als Uni-versitätsrektor merkt spitz an, „dassdie einstige Alma Mater Rudolphinazumindest im offiziellen Briefverkehrnun „University of Vienna“ heißt.Dass solche Unterwürfigkeit der zumIdol erhobenen angelsächsischenWissenschaftskultur sprachlichesIdiotentum unterstellt, gehört dabei zuden zahlreichen unfreiwilligen Pointendieser Geschichte.“

Und ebenso war die europäische Öko-nomie einem Täuschungsmanöver auf-gesessen durch ihr geiles Schielen auf

Für Sie gelesenSeite 40

Amerika. Sie talkte nur mehr English inihren Offices und Mitarbeiter fandendie Personalabteilung im internenTelefonverzeichnis nicht mehr, weil sie human ressources hieß. DieseVerbeugung vor dem Englischen warder amerikanischen Erfolgsgeschichtegeschuldet, die sich als Desaster undBetrug entpuppt hat. Nothing butbubbles!

Zu guter Letzt führt Liessmann aucheine Mahnung an, die wir als „Maga-zin für Zukunftskompetenz“ bedenkenwollen, wenn er meint, dass alleseinem besinnungslosen Immerweitergehorche. Dabei wäre doch der belieb-te Begriff der „Reform“ immer voneinem Willen zur Rückbesinnung undzur Wiederbelebung verlorenenWissens gekennzeichnet gewesen.

Ich meine mit Liessmann, dass dieWissensgesellschaft bloß als Behaup-tung vorhanden war, der facto warenwir in sagenhaftem Ausmaß unwis-send. Wir konnten Wissen nur nochquantitativ bewerten. An den Lauf-metern an Nachschlagewerken zu-hause, am gemessenen Intelligenz-quotienten oder an Zertifikaten diver-ser Bildungseinrichtungen, welche unsWissen attestierten.

Die Überwindung dieser institutionali-sierten Unwissenheit kann heute nurdarin bestehen, die Meta-Ebene vonWissen zu betreten und zu Erkenntniszu gelangen. Unter Umgehung derWissensgesellschaft, die wir nie waren,

müssen wir nun zu einer Erkenntnis-gesellschaft werden. Und werden wirdas nicht, so brauchen wir uns umunser Wissen nicht mehr zu scheren.

Konrad Paul LiessmannTheorie der UnbildungPaul Zsolnay Wien 2006

Ein Teil des Textes stammt aus demKapitel „Bildung“ in:Harald KoisserWarum es uns so schlecht geht,obwohl es uns so gut gehtOrac-Verlag, Wien 2009

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Die Parabel vom Schachspieler in Hermann Hesses Steppenwolf

„Als Körper ist jeder Mensch eins, alsSeele nie.“ Dies ist kurzgefasst dieLehre welche der Steppenwolf erfah-ren muss. Er wähnt sich zerrissen undaufgerieben zwischen seinen zweiSeiten, den zwei Seelen, die ach, inseiner Brust wohnen. Doch er „vergisstden Mephisto und eine ganze Mengeandrer Seelen, die er ebenfalls in seinerBrust hat“, wie Hesse anmerkt.

„Er glaubt, wie Faust, dass zwei Seelenfür eine einzige Brust schon zuvielseien und die Brust zerreißen müssten.Sie sind aber im Gegenteil viel zuwenig, und Harry [Anm.: Hauptdar-steller des Buches] vergewaltigt seinearme Seele furchtbar, wenn er sie ineinem so primitiven Bilde zu begreifen

sucht. Harry verfährt, obwohl er einhochgebildeter Mensch ist, etwa wieein Wilder, der nicht über zwei hinauszählen kann. Er nennt ein Stück vonsich Mensch, ein andres Wolf, unddamit glaubt er schon am Ende zu seinund sich erschöpft zu haben.“

Der Steppenwolf zerstört unser banales binäres Gedankengut desEntweder-Oder. Wir sind vielmehrSowohl-als auch. Harry tritt imMagischen Theater durch eine Tür,welche die vielversprechende Auf-schrift trägt „Anleitung zum Aufbauder Persönlickeit. Erfolg garantiert.“Wer möchte da nicht hineingehen?! Ertrifft auf einen Schachspieler, der indas Brett versunken ist und zu ihmspricht: „Die fehlerhafte und Unglückbringende Auffassung, als sei einMensch eine dauernde Einheit, istIhnen bekannt. Es ist Ihnen auchbekannt, dass der Mensch aus einerMenge Seelen, aus sehr vielen Ichsbesteht.“

Aus dieser Erkennntis heraus entwik-kelt der Schachspieler eine These, dieer „Aufbaukunst“ nennt. Jeder kannsein Leben aus seinen Situationen undWissensbestandteilen her wieder undwieder aufbauen. Der Schachpielernimmt Figuren und Situationen ausHarrys Leben, ordnet sie am Schach-brett an – und wischt sie lächelndweg. Nur um sie komplett anders wieder aufzubauen.„Wir zeigen demjenigen, der dasAuseinanderfallen seines Ichs erlebt

Für Sie gelesenSeite 41

Begriff & ErhellungWir verwenden andauernd Begriffe, um zu begreifen. Manchmal werden sie auch missbraucht, umge-deutet, falsch verwendet. Wir wollen sie daher diskutieren und erhellen. Harald Koisser über die Begriffe„Begriff“, „Verschwendung“ und „Exzess“

Begriff

Wir verwenden in unserer SpracheWorte, um etwas im Griff zu haben.So wie unsere Hände etwas be-grei-fen, erhoffen wir auch durch Sprache,Dinge zu be-greifen, gleichsamsemantisch festzunageln. Ein Begriffumgreift eine Vorstellung und will sieauf ein einziges Wort zurechtstutzen.Heinrich Schmidt hat in seinemPhilosophischen Wörterbuch „dasDenken in Begriffen gegenüber demDenken in Anschauungen ein abge-kürztes Verfahren“ genannt, „dieBegriffe sind gleichsam das Papiergeld,die Schatzanweisungen des Denkens.“Es lohnt, zu wissen, woher Begriffekommen und was sie bedeuten, eslohnt, sie zu wenden und zu befragen.Wenn sie unser Papiergeld im Diskurssind, so müssen wir sehen, dass siegedeckt und etwas wert sind. Sind sienur hohl, so bleiben sie Sprechblasen,welche ebenso folgenschwer platzenkönnen wie die jüngsteImmobilienblase.

Ich bin zutiefst dankbar über jedenHinweis auf Bedeutungen von Be-

griffen, Begriffsumdeutungen undnehme auch gerne Kritik an, dennauch ich bin von sprachlicher Blasen-bildung nicht gefeit.

Verschwendung

„Verschwenden“ kommt von„schwinden“. Etwas schwindet dahin, vergeht und geht verloren. Wer verschwendet, macht etwasschwinden. Daraus entstand dieBedeutung, etwas nutzlos zu vertun,aber interessanterweise ebenso „inFülle austeilen“ oder „freigiebiggeben“ (ca. 15. Jahrhundert). DieWortbedeutung teilte sich also undman verstand unter „Verschwendung“einerseits eine Form von Vernichtungoder aber ein lustvolles Abgeben voneinem Zuviel (Spenden, Mäzenaten-tum), letzteres durchaus positiv konotiert. In beiden Fällen aber istVerschwendung losgelöst von Ratio,sie ist nie logisch begründbar. Diestrenge Rechnung verträgt sich nichtmit dem Übermaß. Wer verschwendetist gewiss nicht bei Sinnen, könnteaber durchaus Sinn erfahren.

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hat, dass er die Stücke jederzeit inbeliebiger Ordnung neu zusammen-stellen und dass er damit eine unend-liche Mannigfaltigkeit des Lebensspielserzielen kann. Wie der Dichter auseiner Handvoll Figuren ein Dramaschafft, so bauen wir aus den Figurenunseres zerlegten Ichs immerzu neueGruppen, mit neuen Spielen undSpannungen, mit ewig neuen Situ-ationen.“

Dies ist die Chance von Menschen undWirtschaftseinheiten: den Zerfall inviele kleine Stücke nicht als Auseinan-derfallen, sondern Ausbreiten vonMöglichkeiten zu verstehen und alleswieder anders und neu zusammenzu-fügen. Die eine Ordnung, die wir alsgut und bewährt erleben, ist nichtfestgeschrieben und alleine gültig. Esgibt immer auch eine andere, nein:nicht bloß eine andere, so banal ist das Leben nicht, sondern viele andere.Und jede hat ihre Berechtigung.

Vielleicht ist „Aufbaukunst“ jene zentrale Fertigkeit, die heute vomManagement gefordert wird, - dieFähigkeit, Komplexität zu managen,Vielfalt und Fülle neu zu ordnen undvorhandene Potentiale neu zu struk-turieren, sich selbst und das Unter-nehmen permanent neu zu erfinden.

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Für Sie gelesenSeite 42

Willkommen ist Verschwendung inunseren heutigen ökonomischenProzessen immer dann, wenn anderesich an uns verschwenden, sei es, dasssie als Konsumenten unsere Gütersinnlos begehren, oder sich alsMitarbeiterInnen im Unternehmenaufopfern. Von beidem kann man garnicht genug bekommen.

Jedes Brainstorming lebt von Ver-schwendung, insoferne „sinnlose“Gedanken in Überfülle zulässig undgefordert sind. Zumindest behauptetdie Geschäftsleitung gerne, dass ver-schwenderische Gedanken gewolltsind, zeigt sich aber oft bissig, wennder Prozess nicht gleich in umsetzbareWege führt. Der Gedankensturm(brainstorm) sollte idealerweise gleichvon Haus aus in einem reguliertenWindkanal stattfinden. Jeder Unter-nehmer liebt Verschwendung meistbloß als Bringschuld der Konsumenten.Im Innenleben herrscht Effizienz.Schade, denn Verschwendung wäremanchmal durchaus effektiv.

Exzess

Der Exzess ist Verschwendung in Best-form. Während das spätlateinischeexcessus noch harmlos „das Heraus-gehen, Abweichen“ meint, verstehenwir darunter heute das Sprengen jegli-chen Maßes, die Missachtung allergebotenen Grenzen. Wer schon ein-

Begriff & ErhellungSeite 43

mal die Grenzen seines alkoholischenFassungsvermögens überschritten hat,weiß, dass Exzesse meist geahndetwerden. Dies nur zur Erinnerung, nichtaber als Maßregelung. Im Gegenteilmöchte ich hier eine Lanze zugunstendes Exzesses brechen.

Schon der Philosoph Michel deMontaigne (16. Jhd) empfahl den jungen Menschen die wichtige Er-fahrung der Ausschweifung, damit siespäter nicht von jeder Kleinigkeit ausder Bahn geworfen werden. Der Ex-zess als Impfung gegen Sehnsucht!

Ich möchte dem eine wichtige Funkti-on zur Seite stellen. Nur über dieMaßlosigkeit lässt sich das persönlicheMaß finden. Nur wenn das Glas über-läuft, sieht man auf den Tropfen ge-nau, wie viel es wirklich fasst. Manmuss sich mitunter auf die Fülle ein-lassen, um sie auszuloten. Die Kennt-nis vom eigenen Maß ist immer mitGrenzüberschreitung verbunden undsomit latent unmoralisch. Man öffnetmit zitternden Händen eine Tür, aufder „Eintritt verboten“ steht, um her-auszufinden, warum eigentlich. DerUnterschied zur Gedankenlosigkeitliegt darin, sich der Verantwortung sei-nes Handelns bewusst zu sein (undstets auch den rettenden Ausgang imAuge zu haben).

So also hängen Maß und Exzesszusammen. Indem man seiner Lustfolgt, lernt man ihre Grenzen kennenund respektieren. Das macht es für

dogmatische Asketen und angstbe-setzte Menschen so schwer, ihr per-sönliches Maß zu finden. Sie kennenes nicht, weil sie es nicht wagen, übersich hinauszugehen. So lange, bis diestraffe Verschnürung mitunter platzt,das innere über alle Ufer tritt undUnschuldige mitreißt. Vereinigungenwie etwa die Kirche, die bloß einehohe Moral (etwa in Sachen Sexuali-tät) haben, aber darin kein individuel-les Maß ihrer Vertreter zulassen, sindin ihren schrecklichsten Momenten einHort völlig ungezügelten Ausbruchsvon Maßlosigkeit.

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In der Schau-DeponieHarald Koisser war zu Besuch auf einer Schau-Deponie, wo Dinge, die bereits zum Tod auf einerMülldeponie verdammt waren, zu Objekten mit Ewigkeitswert wurden.

Müll, très chic. Menschen schlendernmit einem Glas Weisswein an Kunst-stoffmüll vorbei, begutachten ihn.Plastiksackerln sind zu schmalenStreifen gefalzt worden und aus diesenStreifen war ein Bild gemacht worden.An der Wand gegenüber hängt Weg-geworfenes aller Art, schön arrangiertund ausgepreist. Was dem einen ebennoch nichts mehr Wert war, Well-pappe, Heftklammern und Acrylfarbeetwa, kostet hier 650,– Euro. EineDraht-Metall-Skulptur durchbricht die1.000,- Euro-Marke. Dabei sind dieObjekte klein, sehr klein mitunter.„Mach dich nicht so breit“, eine be-malte Metalldose, misst 5x13x8 cm.Gerade die Kleinheit spielt offenbareine große Rolle für Elisabeth Homar-Zogmayer, jene Künstlerin, die denMikrokosmos des achtlos Weggewor-fenen zelebriert. „Ihre Kunst liegtdarin, im winzigsten und banalstenGebrauchsgegenstand ein Detail zusehen und eine Geschichte zu erzäh-len“, wie Guido Zehetbauer-Salzer, derKünstlerische Leiter von zs art erklärt.

zs art, jener Kunstraum in der WienerWestbahnstraße, der in seiner aktuel-

len Vernissage zu einer Schau-Deponiemutiert ist. „Upcycling“ nennen dieGallieristen jenen Prozess, in demGegenstände, welche bereits zu einemLebensabend auf einer Mülldeponieverdammt waren, zu Kunstobjektenmit Ewigkeitswert werden. „Wir nei-gen dazu, Produkten ein Leben zuzu-gestehen und damit auch den Tod“,sinniert Guido Zehetbauer-Salzer. Datrifft er sich mit den Cradle-to-cradle-Philosophen, die betonen, dass Pro-dukte nicht leben und daher auch kei-nen Lebenszyklus haben – bloß einenProduktnutzungszyklus.

Der Nutzungszyklus von Plastiksack-erln ist meist verheerend kurz undsteht in dramatischem Kontrast zuihren Halbwertszeiten. Irene Wölflwürdigt den Ewigkeitswert der Plas-tiktragetaschen, indem sie darausBilder webt. Faszinierende Collagen,die durch Farbkomposition und raffi-nierte Platzierung der auf den Plastik-sackerln aufgedruckten Werbebot-schaften leben. Allerdings kann es dieKünstlerin auch monumental und epo-chal, etwa wenn sie aus ihrer Web-technik Mona Lisa nachbaut, odereinen an Marylin erinnernden Kuss-mund oder eine überlebensgroßeAudry Hepburn. Plastic trash, 125 x200 cm, rd. 6.680,- Euro. Die Geniali-tät, mit der hier Bilder komponiertwerden, erzeugen langsam, nach undnach, die Erkenntnis, welch inspirieren-der Rohstoff, welch unglaublich ästhe-tische Mosaiksteine hier Tag für Tagauf unseren Mülldeponien und in denWeltmeeren landen. Im Pazifik drehtsich ein riesiger, für Fische todbringen-der Strudel aus Plastikabfall, detto gibtes zwischen Asien und Amerika einensubarktischen Meeresstrudel aus Plas-tik. So werden die Kunstobjekte in der

ArtIn der Schau-DeponieSeite 44

Hinterm DeichIrene Wölfl

Irene Wölflund ihr„Frühstück bei Tiffany“

Schau-Deponie, ohne jemals selbstplakativ angriffig zu sein, zu Mahn-malen menschlichen Konsumwahns.

Der schnarrende Sound einer Kugel,die sich in einem Holzbehälter dreht,ertönt. Srrrrr, srrrrrr. Dann helle Schlä-ge. Der Percussionist Peter Rosmanithschlägt auf Halbschalen aus Stahl-blech. Seine Drummer-Symphonie„RecyclingCircle“ hebt an, gespielt aufObjekten, die er auf Mülldeponien ge-funden hat. Musik, die intimste undberührendste aller Kunstformen!Gefühlvoll, dynamisch. Peter Rosma-nith lässt den Müll zum Himmel sin-gen. Der Applaus anschließend dauertewig. Ein Sehnen entsteht in derKlang- und Bildwelt der Schau-Deponie: jenes, unsere Wegwerfge-sellschaft einem Upcycling zu unter-ziehen.

ZS artWestbahnstr. 27-29A-1070 WienMo, Di, Mi, Fr 11.00 - 19.00Do 11.00 - 21.00sowie nach telefonischer Vereinbarung

UpcyclingBilder: Irene WölflObjekte und Collagen: ElisabethHomar-ZogmayerMusik: Peter RosmanithFotografie: Hans RinghoferAusstellung: 11.6. - 3.9.10

zs art im Netz: www.zsart.atArt

In der Schau-DeponieSeite 45

Was ist passiert, Rapunzel?von Elisabeth Homar-Zogmayer

Galeristin Andrea Zehetbauer, fotografiert von Harald Koisser

Elisabeth Homar-Zogmayers Mikrokosmos des Weggeworfenen

Percussionist Peter Rosmanith lässt den Müll zum Himmel singen

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Über uns

Über unsSeite 46

von Harald Koisser

Das Ende des Bisherigen

Bei uns in der westlichen Welt geht einZeitabschnitt zu Ende, eine Ära, die inder Nachkriegszeit begonnen hat undvom Motto „Wohlstand für alle“ ge-prägt war. „Fortschritt“ und „Wachs-tum“ waren die bestimmenden Ter-mini - Begriffe, die heute in Verrufsind. Der Mensch erkennt, dass in limitierten Systemen nichts endloswachsen kann. Das Ende des Bisheri-gen ist unvermeidlich da. Das Neueaber ist noch nicht kenntlich.

Wir begleiten den Wandel

Als „Magazin für Zukunftskompetenz“sind wir Begleiter des Wandels, abernicht in nüchterner dokumentatori-scher Absicht, sondern positiv anre-gend. Wir wollen die zuversichtlichenKräfte stärken und negative Kräfte, die aus Angst und Fundamentalismusgespeist werden, nicht aufkommenlassen. In Zeiten des Wandels brauchtes Orientierung. Das ist unsere Auf-

gabe. Wir informieren über jeneStrömungen, die in interessante, neueRichtungen weisen. Wir lassen Men-schen, die etwas zu sagen, zu Wortkommen. Wir bieten Orientierung,Service und Diskurs.

Ein Magazin für Wirtschaftstreibende

Wir schreiben primär für Menschen imWirtschaftsleben. Die Wirtschaft istjener Ort, wo Werte geschaffen wer-den, wo die Volkswirtschaft ihre Ener-gie bezieht und sich das Taugliche und Erwünschte vom Unerwünschtenscheidet. Die Wirtschaft ist es, die wirmit Service und Diskurs begleiten wol-len.

Im Wechsel der Jahreszeiten

Wir erscheinen im Wechsel der Jahres-zeiten, jeweils zu den markanten Wen-depunkten des Naturjahres. Jeder die-ser Zeitabschnitte steht unter einerbestimmten natürlichen Qualitätt. DerWinter ist die Zeit der Stille, der Som-

mer die Zeit des Überflusses, etc. Dashaben wir in unserer denaturiertenArbeitswelt ein wenig vergessen.Weder Arbeit noch Nahrungsmittelerinnern uns noch an die Jahreszeit, im industrialisierten Alltag sind natür-liche Rhythmusgeber weggeblendet.Gerade im Geschäftsleben ist es an derZeit, wieder auf die Qualitäten desNaturjahres zu achten. In der griechi-schen Mythologie, wird dieser Natur-zyklus mit der Göttin Gaia in Verbin-dung gebracht. So geben wir uns mitdiesem digitalen Medium selbst eineRückanbindung an „Gaia“, an dieNatur, und möchten einen Beitrag füreine harmonische Zukunft leisten.

Besinnung und Beständigkeit

Mit Erscheinungsweise (was? -Neuigkeiten nur im Wechsel derJahreszeiten?), Umfang (ist das alles?,so wenig Neuigkeiten?) und Text-gestaltung (ist das nicht zu komplexfür ein digitales Medium?) stemmenwir uns gegen die ausgehende Zeit

und jeden Journalismus, der auf Lärmund Schnelligkeit ausgerichtet ist. Waswäre das für eine neue Zukunft, wennwir in bewährtem Stakkato eine „In-formation“ durch die nächste ersetzenund die alten „News“ damit de factoauslöschen? Wo nichts Bestand hatund, einer Journalistenregel zufolge,nichts so alt ist wie die Zeitung vongestern. Nein, die neue Zeit muss von Besin-nung und Beständigkeit durchdrungenwerden. Wir werden uns nicht nur inRuhe und Tiefe mit Themen auseinan-dersetzen, sondern auch beharrlichdiejenigen Themen, die uns zukunfts-tauglich erscheinen, beobachten undverfolgen. Man muss mit dem Neuenlangsam Bekanntschaft schließen.

Positiv

Wir schreiben über die frischen Keime,nicht über den welken Boden. UnsereBerichte sind positiv und sollen Energiezuführen. Wenn es Kritik braucht,üben wir sie, aber wir missbrauchensie nicht. Wir bemühen uns um Wahr-heit, Transparenz und Redlichkeit inder Berichterstattung.

Wir von wirks

Harald Koisser, Quellevon wirks (Herausgeberund Chefredakteur),erzeugt IDEENBILDER-WORTE. In Form von

philosophischen Büchern, Essays,Theater, Musik, ... ! Beschäftigt sichmit „Nachhaltigkeit in der Kommuni-kation“ und dem Phänomen der Stille.www.koisser.at

Veronika VictoriaLamprecht, „Anima“von wirks (Redakteurinmit dem SchwerpunktNatur), arbeitet als

Trainerin mit der Wirkung des Natur-jahreszyklus auf Menschen, Systemeund Organisationen und bietet Per-sönlichkeitsseminare mit Naturerfah-rungen an, sowie nachhaltige Unter-nehmensbegleitung, Geomantie,Ritual, Tanz.www.veronikalamprecht.com

Georg Bauernfeind, „kritischer Geist“ vonwirks (Redakteur mitdem Schwerpunkt Inter-views und Initiativen);

freiberuflich als Kabarettist, Publizistund Kommunikationsberater tätig.Gründet im Oktober 2010 „Humus –Agentur für Kommunikation undEntwicklung.“ www.georg-bauernfeind.at

wirks

Ach ja, Sie wollen ja noch wissen, was„wirks“ bedeutet. Wir haben den Be-griff bei dem Quantenphysiker Hans-Peter Dürr entliehen. Er wollte in sei-ner Jugend herausfinden, was die Weltim Innersten zusammenhält und hatsich daher dem Erforschen der Materieim Kleinsten verschrieben. Nur umherauszufinden, dass es keine Materiegibt. Im Mikrokosmos kann man nurnoch die Beziehungen (Wellen, Strah-lung) zwischen Teilchen messen underkennen, nicht aber Teilchen selbst.Das kleinste Teil von allem ist daherweder ein Atom noch ein Quark, son-dern ein „wirks“, eine Wirkungsein-heit. Wahrscheinlich lässt sich dasganze Leben, auch im Makrokosmos,nur über die Definition von Beziehun-gen begreifen -, die aber höchst wirksam sind.

Über unsSeite 47

Impressumwirks _ magazin für zukunftskompetenzKoisser Kommunikations GmbH1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 17/4/12www.wirks.at, www.koisser.at, [email protected]: Georg Bauernfeind, Harald Koisser, Veronika Victoria Lamprecht

wirks ist ein Online-Magazin und erscheint 4 x p.a. im Wechsel der Jahreszeiten.Es bietet Service und Orientierung für Menschen in der Wirtschaft und fühlt sich positiver Berichterstattung verpflichtet

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