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HERBST 2008 AUSGABE 09 ERNEUERBARE ENERGIEN 10 EURO HERBST 2008 AUSGABE 09 ERNEUERBARE ENERGIEN 10 EURO DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTUR- MAGAZIN VON VELUX DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTURMAGAZIN VON VELUX ERNEUER BARE ENERGIEN DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTUR- MAGAZIN VON VELUX

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DAYLIGHT &ARCHITECTUREARCHITEKTUR-MAGAZIN VON VELUX

DAYLIGHT & ARCHITECTUREARCHITEKTURMAGAZINVON VELUXHERBST 2008 AUSGABE 09

HerausgeberMichael K. Rasmussen

VELUX-RedaktionsteamPer Arnold Andersen Christine BjørnagerNicola EndeLone FeiferLotte KragelundTorben Thyregod

RedaktionGesellschaft für Knowhow-Transfer Jakob Schoof www.gkt-publishing.de

ÜbersetzungenSprachendienst Dr. Herrlinger Michael Robinson

BildredaktionTorben EskerodAdam Mørk

Art Direction & LayoutStockholm Design Lab ®Per Carlsson Nina GranathBjörn Kusoffskywww.stockholmdesignlab.se

Umschlagfoto und Umschlag-InnenseiteUmschlag: Enrique Browne

Innenseite: Adam Mørk

Websitewww.velux.de/Architektur

Auflage70,000 Stück

ISSN 1901-0982

Dieses Werk und seine Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Wiedergabe, auch auszugsweise, bedarf der Zustimmung der VELUX Gruppe.

Die Beiträge in Daylight&Architecture geben die Meinung der Autoren wieder. Sie entsprechen nicht notwendiger-weise den Ansichten von VELUX.

© 2008 VELUX Group. ® VELUX und das VELUX Logo sind eingetragene Warenzeichen mit Lizenz der VELUX Gruppe.

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VELUXEDITORIAL

KEIN LEBEN OHNE SONNE

Um ihr Überleben zu sichern, wird die Menschheit ihre Energieversorgung schon bald ausschließlich auf erneuerbare Quellen umstellen müssen. Abgesehen von der Tatsache, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe zur globalen Erderwär-mung beiträgt, werden diese Energiequellen spätestens in ein paar hundert Jah-ren erschöpft sein.

Vor diesem Hintergrund beleuchtet die aktuelle Ausgabe von Daylight & Ar-chitecture das Thema erneuerbarer Energien aus verschiedenen Blickwinkeln. Wir diskutieren über die Verfügbarkeit dieser Ressourcen sowie über Möglich-keiten ihrer Nutzung und beschäftigen uns mit der Frage, wie erneuerbare Ener-giequellen und Energieeffizienz im Bausektor Hand in Hand gehen können. Wir stellen Pilotprojekte vor und porträtieren mit Enrique Browne einen Architek-ten, der sich die Integration von Natur und Architektur zum Ziel gesetzt hat. Damit steigert er nicht nur die Lebensqualität der Bewohner, sondern senkt auch den Energieverbrauch seiner Gebäude.

Solarenergie wird gelegentlich als Nischenressource mit nützlichem, aber begrenztem Potenzial angesehen. Dabei stellt die Sonne vermutlich die einzige langfristige Lösung für unser Energieversorgungsproblem dar – ein ergiebiger und erstrebenswerter Energielieferant, um das Leben auf unserem Planeten dauerhaft zu erhalten. Professor Richard Perez analysiert in seinem Artikel, wie hoch der Energiebedarf in Zukunft sein wird, um all unseren Ansprüchen ge-recht zu werden, und zeigt, dass Solarenergie das größte Potenzial aller Ener-giequellen bietet.

Der Autor Tor Nørretranders stellt die These auf, dass sich derzeit ein bedeu-tender Wandel im ökologischen Denken vollzieht. Nachhaltigkeit war lange Zeit gleichbedeutend mit der Einschränkung von Konsum: verbrauchen, fischen, essen

– alles in Maßen. Dabei könnte die Menschheit so viel konsumieren, wie sie will, vorausgesetzt, Herstellung und Entsorgung der Produkte sind mit dem Stoff-kreislauf der Natur verträglich. Wenn wir auf biologische Materialien setzen und Müll produzieren, der für andere Organismen Nahrung ist, sind unserem Konsum keine Grenzen gesetzt.

In der Rubrik ‚VELUX Einblicke‘ stellen wir die Neue Monte-Rosa-Hütte vor, die derzeit in den Schweizer Hochalpen errichtet wird. Sie ist in vielerlei Hinsicht ein Paradebeispiel für eine energieeffiziente und selbstversorgende Bauweise in abgelegenen Gegenden. Das Gebäude gewinnt 90 % seiner Nutzenergie selbst und verfügt über ein eigenes Abwasseraufbereitungssystem.

Wir bei VELUX fühlen uns verpflichtet, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen. In diesem Sinne investieren wir viel in die Entwicklung innovativer Ideen und Konzepte mit dem Ziel, den Energieverbrauch und somit den CO2-Aus-stoß von Gebäuden zu senken. Bereits in der Vergangenheit hat VELUX CO2-neu-trale Lösungen geschaffen, wie zum Beispiel das Demonstrationshaus Soltag für die nordeuropäischen Länder und das Konzepthaus Atika für den Mittelmeer-raum. Mit dem Konzept ‚Model Home 2020‘ geht VELUX nun einen weiteren Schritt auf der Suche nach Lösungen, die die Wohnqualität und Nachhaltigkeit beim modernen Hausbau optimieren.

Viel Vergnügen beim Lesen!

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MENSCH UND ARCHITEKTURDIE SONNE – ENERGIEQUELLE DER ZUKUNFT

Energie ohne Ende: Die Sonne ist die einzige Quelle, die den Energiebedarf der Menschheit auf abseh-bare Zeit ohne gravierende Umweltschäden be-friedigen kann. Richard Perez erläutert in seinem Beitrag die notwendigen Schritte, die ein ‚Solarzeit-alter‘ auf der Erde Wirklichkeit werden lassen.

JETZT

Bambusstäbe spenden einem Madrider Geschoss-wohnungsbau Schatten und einen Hauch von Exo-tik. 20 Studententeams wetteifern beim ‚solaren Zehnkampf‘ in Washington. Oslo feiert seine neue Nationaloper – und Paris feiert den Pritzker-Preis für Jean Nouvel, einen nimmermüden Experimen-tator in Sachen Tageslichtarchitektur.

VELUX EINBLICKE DIE NEUEMONTE-ROSA-HÜTTE

Nachhaltige Architektur wollen die ETH Zürich und der Schweizer Alpen-Club im Hochgebirge bei Zer-matt realisieren: Die Neue Monte-Rosa-Hütte soll einen Autarkiegrad von über 90 Prozent erreichen. Im Sommer wurde der Grundstein für den Neubau gelegt, an dem Fachleute unterschiedlicher Diszip-linen gemeinsam mit Architekten und den Studen-ten der ETH gearbeitet haben.

VELUX EditorialInhaltJetztMensch und ArchitekturDie Sonne – Energiequelle der ZukunftTageslichtEnrique Browne: Bauen mit der NaturLichtder der WeltVELUX Einblicke Die Neue Monte-Rosa-HütteReflektionen Lebendig bleiben – sich selbst erneuernVELUX Model Home 2020VELUX im Dialog Grünes Denken als Chance Interwiev mit Gaëtan SiewVELUX PanoramaBücherRezensionenVorschau

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TAGESLICHT ENRIQUE BROWNE:BAUEN MIT DER NATUR

Der Begriff ‚Bauen mit der Natur‘ ist im Fall des chi-lenischen Architekten Enrique Browne wörtlich zu nehmen: Browne macht Licht, Landschaft und Ve-getation zum Teil seiner Gebäude. Indem er zum Beispiel Pflanzen an Hochhausfassaden empor-ranken lässt, verbessert er die Energiebilanz sei-ner Gebäude und lässt die Nutzer den Wechsel der Jahreszeiten erleben.

VELUX PANORAMA

Das Demonstrationshaus SOLTAG zeigt, dass ener-gieeffizientes Bauen mit höchster Lebensqualität vereinbar ist. Das CO2-neutrale Haus besteht aus teilvorgefertigten Modulen und kann entweder auf bestehenden Flachdächern oder, wie jedes Reihen-haus, auf ebenerdigen Grundstücken errichtet wer-den.

VELUX IM DIALOG GRÜNES DENKEN ALS CHANCE

Welchen Einfluss haben Architekten auf den künf-tigen Energieverbrauch unserer Gesellschaft? Wo lässt sich ansetzen, um ihr Wissen breiter zu streuen als bislang, und welche Hebel können Ar-chitekten auf politischer Ebene in Bewegung set-zen? Über diese und andere Fragen hat Daylight & Architecture mit Gaëtan Siew, dem scheidenden Präsidenten des Welt- Architektenverbandes UIA, gesprochen.

REFLEKTIONEN LEBENDIG BLEIBEN –SICH SELBST ERNEUERN

Recycling ist gut, doch totale Erneuerbarkeit ist bes-ser: Erst wenn wir unser Wirtschaften so ausrichten, dass all unsere Abfälle komplett in den Stoffkreis-läufen der Natur oder der Industrie wiederverwertet werden, handeln wir wirklich nachhaltig. Vorbild für dieses Credo war für Tor Nørretranders das Konzept der Symbiose in der Natur, bei dem unterschiedliche Spezies ihre Bedürfnisse gegenseitig befriedigen.

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Was Architektur bewegt: Veranstaltungen, Wettbewerbe und ausgewählte Neuentwicklungen aus der Welt des Tageslichts.

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„Als Nordeuropäer haben wir ein ganz anderes Verhältnis zum Licht als die Menschen aus dem Süden“, hat Ola-fur Eliasson anlässlich der Eröffnung der neuen Oper in Oslo gesagt. Das Gebäude, zu dem auch Eliasson sei-nen künstlerischen Beitrag leistete, belegt die Worte des dänisch-is-ländischen Künstlers eindrucksvoll: Strahlend weiß und zugleich unver-gleichlich kühl hebt sich der Neu-bau vor der grauen Stadtkulisse der norwegischen Metropole ab. Dieses Strahlen verdankt er dem Belag aus weißem Marmor, der sich von der Uferkante des Oslofjords bis hinauf aufs Dach des Gebäudes zieht. Dass das Volk der neuen Oper „aufs Dach“ steigen können sollte, hatte das Ent-wurfskonzept der norwegischen Ar-chitekten Snøhetta von Anfang an vorgesehen, und es ehrt den norwe-gischen Staat als Bauherren, dass er diese Idee auch in der Realisierung mittrug.

Einen „monumentalen“ Bau hatte sich die Regierung gewünscht, als sie

OPERNHAUS MIT SONNENDECK

1999 einen internationalen Archi-tektenwettbewerb für die neue Oper auslobte. Der Ort: die Halbinsel Bjør-vika, nur einen Steinwurf vom Stadt-zentrum entfernt und doch von dieser durch eine vielspurige Schnellstraße getrennt. Die Wettbewerbssieger Snøhetta indessen interpretierten Monumentalität nicht durch Höhe, sondern durch weites Ausgreifen in den Stadtraum: Insgesamt 18.000 Quadratmeter begehbare Dachflä-che, auf der sich im Laufe eines son-nigen Augusttages 2007 bereits einmal 20.000 Menschen aufgehal-ten haben sollen, zählt der Neubau.

Der strahlenden Helligkeit des Neubaus entspricht seine Lichtfülle im Inneren: Bis zu 15 Meter hohe Fassaden aus farblosem ‚low-iron’-Glas umhüllen das Foyer. Stabilisiert werden sie in der Senkrechten durch ebenso hohe Glasschwerter, in die nur die notwendigsten Verbindungsele-mente aus Stahl einlaminiert wur-den. Zwei weitere Details, die mit Licht und Schatten spielen, ziehen

die Blicke auf sich: Die Sanitärräume – sie befinden sich unter dem niedrigs-ten Teil des geneigten Daches, an der Wasserseite – hat der bereits er-wähnte Olafur Eliasson mit ‚The Other Wall’, einer durchbrochenen Wands-kulptur aus weißem MDF, umhüllt. Sie erinnert je nach Blickwinkel an Eiskristalle oder feinziselierte arabi-sche Fenstergitter. An der dem Was-ser abgewandten Gebäuderückseite liegt wie bei den meisten Opernhäu-sern der Trakt für die Verwaltung und die Ateliers der Bühnen- und Mas-kenbildner. Dieser Gebäudeteil – von Snøhetta passenderweise als ‚Fac-tory’ (Fabrik) betitelt – erhielt eine Fassadenverkleidung aus Alumini-umblech. Gemeinsam mit den Künst-lerinnen Astrid Løvaas und Kirsten Wagle entwickelten die Architekten hierfür ein Prägemuster aus halb-kugel- und kegelförmigen Punkten, das an Brailleschrift erinnert und die großflächigen Fassadenpaneele im Sonnenlicht funkeln lässt.

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Sie wird bereits jetzt als einer der schönsten Orte gerühmt, an denen man in Madrid seinen Kaffee trin-ken kann: die Cafeteria im obersten Geschoss des ‚CaixaForums’, das die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron in einem umgebauten Kraftwerk im Zentrum der spani-schen Hauptstadt eingerichtet haben. Abends und nachts scheinen durch die perforierte Metallhaut des Gebäudes die tropfenförmigen Leuchten des Cafés hindurch. Tagsüber kehrt sich die Lichtwirkung um, wenn das glei-ßende Sonnenlicht durch die unregel-mäßig gestanzten Fassadenplatten gefiltert wird und Schattenrisse auf dem Boden des Cafés hinterlässt. Das Konzept, ein Gebäude mitsamt allen Fassadenöffnungen in eine einheitli-che, perforierte Metallhaut zu hüllen, hatten Herzog & de Meuron bereits 2006 beim De Young Museum in San Francisco angewandt. Während die Fassade dort aus Kupferblechen be-steht, kamen in Madrid rostige, guss-eiserne Platten zum Einsatz. Sogar die Perforation der Fassadenplatten erinnert an rostbedingten Lochfraß in entsprechender Vergrößerung.

„Über ein sofort erkennbares Icon Building hinaus haben Herzog & de Meuron ein Werk von faszinierender

LICHTDURCHSTRÖMTE ROSTHAUBE

Tiefe und Komplexität geschaffen“, schreibt der Architekturkritiker David Cohn über den Umbau. Selten zuvor haben die Schweizer Architek-ten einen ähnlichen konstruktiven Aufwand für eines ihrer Gebäude betrieben und dabei zugleich so auf das Moment der Überraschung ge-setzt: Das komplette Erdgeschoss des zweischiffigen Ziegelbauwerks wurde entfernt und zu einer öffentli-chen, überdachten Plaza umge-staltet. Der gesamte Oberbau blieb erhalten; er ruht nun ausschließlich auf drei Treppen- und Aufzugsk-ernen. Möglich wurde all dies durch ein neues Innentragwerk aus Beton, das in den bestehenden Ziegelfas-saden rückverankert wurde. Die Architekten ließen alle Fenster des Altbaus zumauern und schnitten stattdessen neue, an die dahinter liegenden Ausstellungssäle ange-passte Öffnungen in die Außenhaut. Über dem bestehenden Ziegelbau er-hebt sich nun ein neuer, fast ebenso hoher Dachaufbau mit amorpher Sil-houette und der bereits erwähnten Außenhaut aus Eisenplatten. Hier sind neben weiteren Ausstellungs-flächen vor allem das Restaurant und Verwaltungsbüros untergebracht.

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Zum dritten Mal fand im vergange-nen Herbst der ‚Solar Decathlon’ des US-amerikanischen Energieministe-riums statt. 20 Hochschulteams aus den USA, Kanada, Puerto Rico, Spa-nien und Deutschland waren aufge-rufen, je ein voll funktionsfähiges, ausschließlich mit Solarenergie be-triebenes Wohnhaus zu entwerfen und für die Abschlussveranstal-tung auf der National Mall in Wa-shington zu errichten. Dort wurden die Gebäude von einer Experten-jury anhand von zehn Kriterien beur-teilt. Neben Architekturqualität und Technikintegration wurden auch das Beleuchtungskonzept, die Markt-tauglichkeit des Gesamtkonzepts sowie die Öffentlichkeitsarbeit des Teams beurteilt.

Der Entwurf des Siegerteams von der Technischen Universität Darmstadt überzeugte die Juro-ren durch die Integration von Tech-nik und Architektur zu einem auch ästhetisch überzeugenden Ganzen. Der Pavillon wurde in Holzrahmen-bauweise errichtet und in drei gro-ßen Modulen aus Deutschland in die USA verschifft. Um Bauhöhe und damit Transportkosten zu sparen, sind die Photovoltaik-Paneele na-hezu horizontal auf dem Flachdach

angebracht. Den Berechnungen der Darmstädter zufolge bedeutete dies gegenüber einer ‚optimalen’ Ausrich-tung der Paneele lediglich eine Effi-zienzeinbuße von rund acht Prozent. Auch die Eichenholz-Faltläden vor den ringsum verglasten Fassaden erhielten eine Oberfläche aus Pho-tovoltaikelementen. Im Gegensatz zu den Solarpaneelen auf dem Dach sind die Lamellen hier beweglich und werden automatisch dem Sonnen-stand nachgeführt. Auf diese Weise verbinden die Läden optimale Ver-schattung und optimale Stromaus-beute miteinander.

Zur Beheizung des Gebäudes die-nen einerseits passive solare Ener-giegewinne und andererseits eine mit Photovoltaik betriebene Wär-mepumpe, die die Zuluft heizt. Ei-nige Material-Innovationen tragen ihren Teil zu einem angenehmen In-nenklima bei: Das Dach ist mit 2x3 cm-Vakuumpaneelen gedämmt; die Speichermasse der Leichtbaukon-struktion wird durch Latent-Wär-mespeicher aus mikroverkapseltem Paraffin erhöht, die in die Gipskar-tonplatten integriert sind.

SOLARER ZEHNKAMPF FÜR STUDENTEN

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Madrid wächst. An den Rändern der spanischen Hauptstadt entstehen al-lerorten neue Wohnblocks, die nicht selten die Handschrift international bekannter Architekten tragen. So auch im Bezirk Carabanchel ganz im Südwesten der Stadt: Für ein Neu-baugrundstück hatte die städtische Wohnungsbaubehörde EMVS das Londoner Büro Foreign Office Ar-chitects um Entwürfe für 100 Sozi-alwohnungen gebeten. Die Parzelle grenzt im Westen an einen Park und im Süden, Norden und Osten an andere, mehrgeschossige Woh-nungsbauten. Zahl und Größe der Wohnungen sowie die maximale Ge-bäudehöhe waren den Architekten vorgegeben, nicht aber die Platzie-rung des Neubaus auf dem Grund-stück. Foreign Office Architects entwarfen einen kompakten, die maximal erlaubte Höhe ausnutzen-den Baukörper und platzierten ihn an der westlichen Grundstücksgrenze, sodass östlich davon Privatgärten für die Bewohner angelegt werden konnten. Trotz der Gebäudetiefe von mehr als 13 Metern sind alle Woh-nungen zu beiden Seiten orientiert, sodass teils enge, schlauchartige Grundrisse entstehen. Geschoss-hohe Glasfassaden lassen Tageslicht

WOHNRAUM MIT BAMBUSSCHLEIER

tief in die Räume dringen. Eine außen umlaufende, 1,5 Meter breite Galerie bietet den Bewohnern zusätzlichen Wohnraum im Freien. Zur Verschat-tung dienen Faltläden aus Aluminium, die mit schlanken, dicht an dicht ge-fügten Bambusstäben gefüllt sind. Sie erzeugen in den Räumen am Mor-gen und Abend, wenn die Sonne tief und doch gleißend am Himmel steht, ein Licht wie in einem Bambuswald, mit zahllosen, kleinteiligen Licht- und Schattenflecken. Nach außen hin wirkt das Gebäude auf den ers-ten Blick als hermetische Holzkiste. Erst beim näheren Hinsehen wer-den die feine Bambusstruktur und das Wechselspiel der offenen und geschlossenen Läden sichtbar, die die Fassade in ständig wechselnder Konfiguration beleben. Die Architek-ten schreiben hierzu: „Unser Experi-ment mit diesem Projekt bestand darin, die Sichtbarkeit der einzel-nen Wohnungen und ihrer Unter-schiede zu eliminieren. Stattdessen wollten wir ein einheitliches Volumen mit homogener Außenhaut schaffen, die eine Abstufung von Möglichkei-ten zulässt, welche nicht von der Vor-stellung des Architekten abhängen, sondern Ausdruck der individuellen Wahl der Bewohner sind.“

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Er gilt als Alchimist der zeitgenössi-schen Architektur; Entwerfen ist für ihn ein lebenslanges Experiment – die Möglichkeit des Scheiterns inbegrif-fen. Am 2. Juni erhielt Jean Nouvel nun in in Washington, D.C., den diesjähri-gen Pritzker-Preis. Eine längst überfäl-lige Ehrung, wie viele Kritiker meinen. Schon früh wandte sich der ehemalige Student der Ecole des Beaux-Arts in Paris gegen die Eintönigkeit der Nach-kriegsmoderne – und blieb dieser Hal-tung bis heute treu: „Niemand hat jemals behauptet, Nouvel-Gebäude seien langweilig, hässlich oder repe-titiv. Manchmal sind sie unpraktisch, gelegentlich übersteigen sie das Bud-get. Aber nie sind sie langweilig oder hässlich“, schreibt John Lichfield in der britischen Zeitung „The Independent”. Einen der Gründe nennt Jean Nouvel selbst: “Ich habe lange Zeit als Szeno-graf gearbeitet, selbst beim Entwer-fen von Sozialwohnungen.“ Aus dieser Haltung erklärt sich auch sein Inter-esse an Lichteffekten und Spiege-lungen, die seine Architektur immer wieder zum ‚Verschwinden’ bringen. Zum Beispiel 1994 bei der Fondation Cartier in Paris, einem Gebäude, das

„Dematerialisierung greifbar“ macht, so die Jury des Pritzker-Preises: Das Gebäude, das eigentlich nur aus einer

Abfolge mehrgeschossiger Glas-Screens besteht, entzieht sich jedem Versuch, es formal zu beschreiben.

Auch Fenster sind für Nouvel mehr als nur Öffnungen, die Licht ins Gebäude lassen: Sie bilden Teile eines großen Spektakels, bei dem sich Innen und Außen, Gebäude und Um-gebung, Himmel und Erde begegnen. Bei Nouvels „The Hotel“ in Luzern lenken große Spiegel das Tageslicht in das im Untergeschoss gelegene Restaurant. Beim Guthrie Theater in Minneapolis (Foto) tauchen ge-schosshohe, farbige Fenster den In-nenraum in ein intensiv gelbes oder blaues Zwielicht. Und hinter den far-bigen Glaslamellen des Torre Agbar in Barcelona verbirgt sich eine kleinteilige Lochfassade aus pixe-lartigen Einzelfenstern, die in jedem Geschoss anders angeordnet sind. Derzeit entwirft Jean Nouvel ein Hochhaus mit 72 Luxuswohnungen in Manhattan. Auch dort spielt das Tageslicht wieder eine Hauptrolle: „Das Gebäude ist ein Spiel mit dem Licht und seinem Funkeln, in etwa so wie beim Auge eines Insekts“, sagt Jean Nouvel über den Glasturm an der 11th Avenue.

ARCHITEKTUR ALS EXPERIMENT

MENSCHUND ARCHITEKTUR

Der Mensch als Mittelpunkt der Architektur:Innenansichten einer wechselvollen Beziehung.

DIE SONNE:ENERGIE-QUELLE DER ZUKUNFT

Die Nutzung der Sonnenenergie wird oft als eine Sammlung von Nischenanwendungen mit nützlichem, aber begrenztem Potenzial betrachtet. Tatsächlich ist die Sonne jedoch die einzige Energiequelle, die groß genug ist und ausreichende Akzeptanz in der Bevölkerung besitzt, um den Energiebedarf unseres Planeten auf lange Sicht zu decken.

Von Richard Perez

SONNENENERGIEDie verfügbare Sonnenenergie übersteigt den Welt-Energieverbrauch um das 1.500-fache. Fossile Energieträger wie Öl und Kohle allein könnten unseren Energiebedarf für weitere drei oder vier Generationen decken, doch damit gingen erhebliche ökologische Folgen einher.

(Abbildung 1) © R. Perez et al.

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SOLAR10 23,000

WELT-ENERGIEVERBRAUCH16 TWa / JAHR

WASSERKRAFT6

3–4 PRO JAHR

GEOTHERMIE7

0,3–2 PRO JAHR

BIOMASSE5

2–6 PRO JAHR

HYDROTHERMIE4

3–11 PRO JAHR

900TOTALE RESERVENKOHLE8

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URAN9

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ÖL8

215INSGESAMT

ERDGAS8

S. Heckeroth, Renewables.1. com, übernommen aus Chris-topher Swan (1986): Sun Cell, Sierra Club PressC. Archer & M. Jacobson, Evalua-2. tion of Global Wind Power – Stan-ford University, Stanford, CAWorld Energy Council3. G. Nihous, An Order-of-Mag-4. nitude Estimate of Ocean Ther-mal Energy Conversion Resources, Journal of Energy Resources Tech-nology – December 2005 – Vo-lume 127, Issue 4, pp. 328–333R. Whittaker (1975): The Biosphere 5. and Man – in Primary Productivity of the Biosphere. Springer-Verlag, 305-328. ISBN 0-3870-7083-4.Environmental Resources Group, 6. LLC http://www.erg.com.np/hydropower_global.phpMIT/INEL The Future of Geother-7. mal Energy – Impact of Enhan-ced Geothermal Systems [EGS] on

the U.S. in the 21st Century, siehe http://www1.eere.energy.gov/ geothermal/egs_technology.html. In dieser Studie wird Geo-thermie als erneuerbare Res-source betrachtet. Die geschätzte jährliche Produktionsmenge ba-siert auf der prognostizierten in-stallierten Kapazität bei derzeit verfügbaren Gewinnungstech-niken. In Wirklichkeit handelt es sich um eine nicht-erneuer-bare Energieform, die mit meh-reren 100.000 TWa jedoch über erhebliche Kapazitäten verfügt. BP Statistical Review of 8. World Energy 2007 http://www.wise-uranium.9. org/stk.html?src=stkd03eNur Solarenergie, die auf die 10. Oberfläche der Industriestaa-ten trifft, mit einem angenomme-nen Verlustfaktor von 65% durch die Atmosphäre und Wolken.

TWa / JAHR

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DIE KRAFT DER SONNEdeckung des energiebedarfsEs gibt zwei Möglichkeiten, auf die weltweite Energienachfrage und ihr voraussichtlich starkes Wachstum zu reagieren:

. auf der Nachfrageseite, indem man eine Reduzierung und schließlich Umkehrung der Wachstumsrate durch Ener-gieerhaltung und Effizienzerhöhung anstrebt, z. B. durch bessere Maschinen, effizientere Beleuchtung, bessere Wär-medämmung und Vermeidung unnötiger Energieverluste – kurz, durch intelligentere, bessere und kleinere Technik. Der McKinsey-Bericht zum Klimawandel führt aus, dass über des Verbrauchs von Großverbrauchern wie den USA allein durch intelligente Erhaltung und Effizienz wirt-schaftlich gedeckt werden könnten.

. auf der Angebotsseite, indem man bestehende und neue Res-sourcen nutzt, welche den nach der Erhaltung verbleiben-den Bedarf decken können. Tabelle zeigt den aktuellen Beitrag der einzelnen Energiequellen zum Versorgungsbe-darf der Erde.

Begrenzte Ressourcen: Der Löwenanteil der Primärenergie stammt heute von fossilen Brennstoffen, während der Rest hauptsächlich durch Kernkraft, Wasserkraft und Biomasse gedeckt wird. Ein Großteil dieser Versorgungskette ist nicht regenerativ, und die Welt steuert rasch auf eine Phase zu, in der das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage kip-pen wird. Erdöl wird als erstes seine Förderspitze erreichen, und bereits jetzt verursacht das unvermeidliche Ungleichge-wicht von Angebot und Nachfrage chaotische Marktschwan-kungen mit stark anziehenden Preisen.

Abgesehen vom Öl ist ein Blick auf die nachgewiesenen Welt-reserven (Abb. ) an nicht erneuerbaren Ressourcen recht auf-schlussreich. Kernenergie wird häufig als Alternative für die bald erschöpften Ölvorräte, aber auch als Patentrezept gegen den Kli-mawandel dargestellt. Leider ist diese Auffassung wohl zu opti-mistisch. Abgesehen von den noch ungelösten Problemen der Abfallentsorgung und Verbreitung von Kernbrennstoffen, aber auch von dem ungeklärten Bedarf an massiven, wenn auch ver-steckten Staatssubventionen (z. B. Price-Anderson Act in den

bei der nutzung der Sonnenenergie sollte zwischen zwei Arten von Anwendungen unterschieden werden: solchen, die für einen speziellen Endverbrauch bestimmt sind, und solchen universel-ler Natur. Zur ersten Gruppe zählen Anwendungen wie Brauch-warmwasser, Gebäudeheizung und Nutzung von natürlichem Licht. Diese Anwendungen sind tatsächlich ‚Nischenanwen-dungen’, auch wenn ihr Einsatzgebiet sehr groß sein kann (so sind z. B. solare Warmwassersysteme in Ländern wie Israel, Spanien, der Türkei und vor allem China stark verbreitet). Die Nutzung dieser Technologien ist jedoch auf die Befriedi-gung eines spezifischen Endverbrauchs begrenzt, was zu der allgemeinen Auffassung von Sonnenenergie als einer nützli-chen, doch begrenzten Energiequelle beiträgt.

Zur zweiten Gruppe gehören Technologien zur Erzeugung von Elektrizität, also eines universellen Energieträgers, der gespeichert, umgewandelt und für praktisch jede energieabhän-gige Endanwendung genutzt werden kann. Zu dieser Gruppe zählen photovoltaische (PV) oder Solarzellen-Kraftwerke, Solarwärmekraftwerke (CSP = concentrated solar power) und Windkraftwerke. In den CSP-Kraftwerken liegt der Schlüssel für eine Massennutzung, die theoretisch den gesamten Ener-giebedarf der Erde und noch mehr decken könnte.

der energiebedarf der menschheitDerzeit liegt der gesamte Primärenergie-Verbrauch der Welt in einer Größenordnung von Exajoule pro Jahr, was einem ständigen Energiebedarf von Terawatt entspricht. Dieser Verbrauch ist nicht gleichmäßig verteilt; ein reiches Industrie-land wie die USA verbraucht fast der weltweiten Energie bei einem Bevölkerungsanteil von lediglich . In den auf-strebenden Wirtschaftsmächten China und Indien wächst der Energiebedarf rasant. Ihr gemeinsamer Verbrauch überschreitet inzwischen den der USA, was einen starken Anstieg des Welt-verbrauchs erwarten lässt (s. Tabelle auf S. ).

In den OECD-Ländern ist der Wohn- und Handelssek-tor (d. h. hauptsächlich Gebäude) für fast des Energie-verbrauchs verantwortlich. In den Nicht-OECD-Ländern fällt dieser Anteil zwar geringer aus, doch überschreitet der Ver-brauchsanstieg im kommerziellen Bausektor alle anderen Sek-toren bei Weitem.

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USA, Schutz vor Terrorismus usw.), dürfte der Vorrat an Kern-brennstoff schlicht zu gering sein, wenn aktuelle und geplante Technologien der Kernenergieerzeugung verwendet werden sol-len. Der derzeitige Druck auf den Kernbrennstoffpreis, parallel zum Ölpreis, ist ein Anzeichen dafür, dass das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage wackelt.

Die nachgewiesenen Kohlevorräte sind beträchtlich und könnten die Erde noch eine Reihe von Jahren versorgen, jedoch wahrscheinlich nicht länger als bis Generationen, falls Kohle allein die weltweite Energielast zu tragen hätte. Damit einher gingen überdies enorme Umweltkosten, allen voran durch die Verstärkung der Erderwärmung.

Erdgas ist zwar um einiges umweltfreundlicher als Kohle, dafür sind seine Reserven aber deutlich geringer. Die kürzlich in Nordamerika verzeichnete Tendenz, was das Verhältnis zwi-schen Bohrlöchern und produzierter Gasmenge betrifft, kann als früher Hinweis gedeutet werden, dass der Druck, alternative Energiequellen nutzbar zu machen, künftig steigen wird.

Erneuerbare Ressourcen: Abbildung stellt die jährliche potenzielle Ausbeute erneuerbarer Ressourcen den begrenz-ten Vorräten an konventionellen Energieträgern gegenüber. Es ist nicht zu übersehen, dass das schiere Ausmaß der Solar-ressourcen jede andere regenerative oder nicht-regenerative Quelle winzig erscheinen lässt. Im Grunde sind viele der erneuerbaren Ressourcen Nebenprodukte zweiter und dritter Ordnung der einstrahlenden Sonnenenergie, wie Wind, Bio-masse, Wasser- und Wellenkraft – genau wie fossile Brenn-stoffe Nebenprodukte der über Jahrmillionen in der Erde gespeicherten Sonnenenergie sind. Die Windenergie könnte vermutlich den Weltenergiebedarf befriedigen, sollte sie zu einem substanziellen Teil ihres Potenzials ausgebeutet wer-den. Doch die jährliche, unbegrenzt erneuerbare Menge an Sonnenenergie, die allein auf die Kontinentalflächen auf-trifft, übersteigt die weltweiten Kohlevorräte um das -Fa-che und den derzeitigen weltweiten Energieverbrauch um das .-fache.

Die Solarressourcen sind gut verteilt und auf einem Groß-teil der Erde verfügbar. Natürlich sind sie in den Tropengürteln intensiver als in den gemäßigten Breiten, doch selbst ein so nördliches und wolkenreiches Land mäßiger Größe wie Däne-

mark empfängt jedes Jahr Sonnenenergie im Gesamtwert von beinahe Terawattjahren, was einem Drittel des Energiever-brauchs der gesamten Erde entspricht.

Nach einer weit verbreiteten Meinung würde eine Massen-nutzung von Sonnenergie zu viel Platz beanspruchen. Ein rascher Blick auf die physikalische Realität zeigt, dass diese Auffassung nicht stimmt: Selbst wenn man von einem sehr konservativen Umwandlungsgrad zwischen verfügbarer und nutzbarer Sonn-energie in Höhe von ausgeht, wäre weniger als ein Prozent der über dem Meeresspiegel liegenden Kontinentalfläche nötig, um die gesamte heute weltweit verbrauchte Energie zu erzeu-gen. Dies wäre ein kleineres Gebiet als das derzeit mit Städten und Vorstädten besiedelte Land – und ein Großteil der Stadt-gebiete kann mit sehr geringen visuellen oder operativen Aus-wirkungen zum Sammeln von Sonnenenergie genutzt werden. So könnte beispielsweise die Stadt New York, eines der dichtest besiedelten Energieverbrauchszentren der Erde, ihren gesamten Strombedarf durch Nutzung von ihrer Oberfläche decken, wenn man denselben geringen Umwandlungsgrad von zugrunde legt. Interessant ist auch ein Vergleich zwischen dem Flächenbedarf für Solarstromerzeugung und den künstlichen Seen für Wasserkraft. In den USA bedecken Stauseen . Quadratkilometer geflutetes Land und stellen damit lediglich der elektrischen Energie des Landes bereit. Dagegen wäre nur ein Viertel dieser Fläche nötig, um der Elektrizität mittels Photovoltaik zu erzeugen. eine umfassende solarlösungWährend Energieerhalt und -effizienz auf der Nachfrageseite unverzichtbare Bestandteile jeder Lösung sein werden, ist auf der Angebotsseite eine nahezu -prozentige solare Zukunft für die Erde durchaus vorstellbar. Mehr noch: Der Umfang nicht erneu-erbarer Energievorräte und die Größe der erneuerbaren Solar-ressourcen legen rein logisch den Schluss nahe, dass eine solche Zukunft unausweichlich ist.

Über Erhaltung und Effizienz hinaus würde ein globaler Ansatz zunächst beinhalten, die Nutzung der direkten Endver-brauchsanwendungen mit dem besten Umwandlungsgrad zwi-schen Sonne und Anwendung zu maximieren: Warmwasser und Tageslicht sowie passive Heizung und Kühlung, soweit es das Klima erlaubt.

Zentral oder dezentral? Für beide 1. Konzepte solarer Energieversor-gung ließe sich das derzeitige Elek-trizitätsnetz problemlos nutzen.Die weltweit bekannten Kohlevor-2. räte würden – für sich allein ge-nommen – ausreichen, um den Globus für weitere zwei bis drei Ge-nerationen mit Energie versorgen.

Windkraft ist die – gemessen 3. an der jährlichen Energieerzeu-gung – derzeit zweitwichtigste erneuerbare Energiequelle hin-ter der Wasserkraft. Gemes-sen an ihrem globalen Potenzial, tritt sie jedoch deutlich hinter der Solarenergie zurück.Gebäude verbrauchen derzeit 4. über 30 Prozent aller Energie weltweit. In der dezentralen, so-

laren Energieversorgung der Zu-kunft könnten sie eine wichtige Rolle als Kleinkraftwerke spielen.Solar-Rinnenkraftwerk in Kali-5. fornien. Solarthermische Groß-kraftwerke wie dieses gelten als eine vielversprechende Al-ternative zur Energieerzeu-gung durch Photovoltaik.

FOTONACHWEISE1: GEOFF TOMPKINSON / SPL / AGENTUR FOCUS2: THOMAS STEINHAGEN / FOTOLIA3: KAJ R. SVENSSON / SPL / AGENTUR FOCUS4: TECHNISCHE UNIVERSITÄT DARMSTADT5: HANK MORGAN / SPL / AGENTUR FOCUS

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es immer sonnig). Sowohl in Europa als auch in Amerika liegen Konzeptentwürfe für diese Art der Solarenergienut-zung in den Schubladen. Dieser Ansatz erfordert die Ent-wicklung von hoch leitfähigen, für sehr große Spannungen geeigneten Super-Gleichstromleitungen und – noch wich-tiger – eine feste, stillschweigende Übereinkunft zwischen allen beteiligten Parteien und Ländern, ein derartiges Netz instand zu halten und zu schützen.

Der Autor zieht persönlich das erste (dezentrale) Modell vor, es wäre jedoch auch eine Kombination aus beiden Modellen vorstellbar. Das Allermindeste wäre die Nutzung großer Solar-ressourcen, die in der Nähe zur Verfügung stehen (etwa eine Stromversorgung der großen Ostküstenstädte in den USA durch die Wüstengebiete im amerikanischen Südwesten, unter Ausnut-zung der unterschiedlichen Zeitzonen und Sonnenausbeuten).

Deckung aller Energiebedürfnisse: Viele Verbrauchssektoren, vor allem das Transportwesen, sind auf flüssigen Brennstoff angewie-sen. Durch die Zunahme von schienengebundenen elektrischen Massentransportmitteln, das Aufkommen von Elektro- und Plug-in-Hybriden und neue Konzepte wie Personentransport-netze könnte der Landverkehr mit der Zeit weitgehend auf Elektroantrieb umgestellt werden. Es ist auch möglich, Brenn-stoffe oder Brennstoffäquivalente aus Solar- und Windstrom zu gewinnen; die Wasserstoff-Hydrolyse ist hier die bekannteste und vielleicht vielversprechendste Methode. Für die restlichen Anwendungen wie etwa den Luftverkehr, die sich nicht ohne Weiteres direkt oder indirekt auf Elektrizität umstellen lassen, könnte man auch den Anbau von brennstoffproduzierender Bio-masse in Betracht ziehen. Obgleich eine Befriedigung sämtlicher Transportbedürfnisse ausschließlich mithilfe von Biomasse die Nahrungskette und das Ökosystem der Erde viel zu stark belas-ten würde, könnten solar verstärkte, auf Biomasse oder Bakte-rien basierende Techniken der Brennstoffproduktion zumindest für Anwendungen vorgesehen werden, die unbedingt Flüssig-brennstoffe benötigen.

Die Solarindustrie: Zur Überprüfung der Realität zeigt ein kur-zer Blick auf die direkten und indirekten Solarindustrien, die heute überall auf der Welt stark im Kommen sind, dass der oben

Der Schlüssel läge jedoch in der Stromerzeugung über eine der führenden direkten (PV und CSP) oder indirekten (Wind, intelligente Biomasse) Solartechnologien sowie in der Entwick-lung kreativer Lösungen und Infrastrukturen, um die Energie bereitzustellen und an jede Art von Endverbrauch anzupassen.

Infrastruktur: Denkbar sind zwei sehr unterschiedliche Infra-strukturmodelle:

() Lokale, dezentralisierte Produktion von aus Sonne gewon-nener Elektrizität in der Nähe von Verbrauchspunkten, hauptsächlich durch Photovoltaik, aber auch durch Wind, unter Ausnutzung von Flächen, die zusätzlich zu einem Pri-märzweck zum Sammeln von Sonnenenergie genutzt werden können, wie Gebäudehüllen, Industriegebiete, Verkehrswege usw. Die Ressourcen sind fast überall auf der Welt groß genug. Die technologische Herausforderung wird jedoch darin lie-gen, dass die Sonneneinstrahlung nur mit Unterbrechungen zur Verfügung steht und jahreszeitlich variiert. Technolo-gien zur intelligenten, interaktiven Stromlast-Steuerung und Energiespeicherung müssen daher rasch entwickelt wer-den.

Der Hauptvorteil dieses dezentralen Nutzungsmodells liegt darin, dass es zu landeseigenen, äußerst sicheren und stabilen Energiewegen führen würde. Dank der Dezentra-lisierung der Produktion, Laststeuerung und Speicherung wäre der Ausfall einer dezentralen Einheit mit einer auto-nomen Mindestbetriebsfähigkeit unerheblich.

Die Palette der zu entwickelnden Speicher reicht von sehr kurzfristigen Formen (Kondensatoren, Schwungräder, Bat-terien) über mittelfristige (z. B. interaktives Last- und Reser-vemanagement bei Elektro- und Hybridautos) bis hin zu langfristigen Speichern (z. B. Strömungsbatterien, Wasser-stoff, Druckluft).

() Das andere Extrem bilden kontinentale oder gar weltumspan-

nende Super-Stromnetze. Der Grundgedanke hinter diesem Ansatz ist, dass einige Orte auf der Erde mehr Sonnenener-gie empfangen als andere (z. B. die subtropischen Wüsten) und die durchschnittliche Sonnenausbeute der gesamten Erde nahezu konstant ist (d. h. irgendwo auf der Welt ist

14 D&A HERBST 2008 AUSGABE 09

Die Solarenergienutzung ist keine neue Erfindung. Schon 1981 wurde in Barstow/Kalifornien das Solarkraftwerk ‚Solar One‘ errichtet. Seine 1.818 Heliosta-ten (Reflektorspiegel) bedeck-ten eine Fläche von insgesamt 51 Hektar. 1996 wurde das Kraft-werk durch weitere 108 Helios-taten vergrößert und erzeugte in der Spitze 10 Megawatt elektri-sche Leistung.

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Richard Perez ist Forschungsprofessor und Senior Research Associate am SUNY Atmospheric Sciences Research Center in Albany, New York/USA. Seit 1981 hat er außerdem als Berater für Energie, Umwelt, Wirt-schaft und international Beziehungen gearbeitet. Seit 1995 ist Richard Perez Associate Editor des Solar Energy Journal und hat mehr als 120 Artikel in den Bereichen solare Strahlung, erneuerbare Energien und Tageslicht veröffentlicht. Richard Perez begann seine akademische Lauf-bahn mit dem Studium der Elektrotechnik und Geophysik in Nizza und Paris, bevor er an der University of Albany im Fach Atmosphärenfor-schung promovierte.

Danksagung: Dank an Marc Perez für die Beschaffung der Daten in Tabelle 1–3 und Abbildung 1.

erwähnte ‚globale Ansatz’ bereits einen starken, wenn auch erst im Keim angelegten Vorsprung hat: Nimmt man den Anstieg von Photovoltaik, Windkraft und CSP allein während der letz-ten zehn Jahre und projiziert diesen Trend in die Zukunft, so ergibt sich, dass mehr als die Hälfte der neu installierten Strom-erzeugungskapazität in einem Land wie den USA in den nächs-ten Jahren aus diesen erneuerbaren Energiequellen stammen wird. Dieses Wachstum mag in Anbetracht der sich erschöpfen-den fossilen Energie und des ökologischen Handlungsdrucks noch nicht ganz ausreichen, aber es ist bereits eindrucksvoll. Und es lässt darauf schließen, dass, wenn noch mehr Länder die Notwendigkeit einer raschen Umstellung erkennen, ein schnel-ler Aufstieg der regenerativen Energien kein Hirngespinst mehr darstellt, sondern eine reale Möglichkeit.

Die ersten entstehenden Märkte werden – und das wird auch in Zukunft so bleiben – durch grundlegende Schlüsselkräfte gesteuert: () Bevölkerungs- und politikgesteuerte Märkte wie Deutschland und Japan, die sich trotz geringer Solarressourcen zu den weltweit größten Solarmärkten entwickelt haben und auf dieser Erfahrung aufbauen, um technologische Lösungen zu finden, welche eine stärkere Durchdringung ihrer Energie-systeme mit Sonnenenergie ermöglichen; () Märkte, in denen solare Synergien hochwertige Lösungen hervorbringen, die Inves-titionen anziehen. Dies geschieht speziell überall dort, wo große Ressourcen auf eine nahezu zeitgleiche große Stromnachfrage treffen. Weite Teile der USA bilden einen solchen potenziellen Markt, in dem die Spitze der Stromnachfrage durch den Betrieb von Klimaanlagen gesteuert wird, der wiederum sonnenabhän-gig ist. Eine Analyse des massiven Stromausfalls in New York und Toronto im Jahre ergab, dass selbst schwache, in den größeren Städten des Nordostens verteilte Solarressourcen die durch eine Hitzewelle ausgelöste Versorgungsstörung zu einem Bruchteil der Kosten hätten abwenden können; () und schließ-lich - bei Vorhandensein geeigneter Investitionsmittel – Märkte, in denen noch keine nennenswerte Infrastruktur für die Ener-gieerzeugung existiert und die Sonnenenergie herkömmliche Energiequellen schlagartig überrunden könnte.

wie hoch wären die kosten? Natürlich würde eine Umstellung auf Sonnenenergie über Nacht eine schier untragbare finanzielle Belastung bedeuten. Ein

rascher Anstieg und eine komplette Umstellung innerhalb der nächsten Jahre wären jedoch durchaus machbar, vor allem da sowohl die offensichtlichen als auch die tatsächlichen Kosten für konventionelle Energien eskalieren. Die langfristige wirtschaft-liche Stabilität einer solaren Zukunft lässt sich mit der folgenden Grundtatsache einfach beschreiben: Alle direkten und indirekten Solartechnologien besitzen heute eine energetische Amortisati-onszeit von bis Jahren, die sich zudem ständig verkürzt. Das heißt, dass diese Technologien unter durchschnittlichen Betriebs-bedingungen in ein paar Jahren mehr Energie produzieren, als für ihren Bau und ihre Installation verbraucht wurde. Und da ihre Standzeiten diese Amortisationszeit bei Weitem überschrei-ten, sind diese Technologien wahre Energiebrüter, die ihr eige-nes Wachstum vorantreiben.

die rolle der architektur Da Gebäude einen großen Anteil am Energieverbrauch unse-rer Gesellschaften ausmachen (in den OECD-Ländern fast ), kommt der Architektur eine fundamentale Rolle zu. Statt um jeden Preis den Heiligen Gral individualisierter Nullenergie-Perfektion für Vorzeigehäuser zu suchen – was in manchen Situ-ationen sehr gut möglich, in anderen aber schwierig ist – wäre es besser, Gebäude und Orte zum Leben zu entwerfen, die voll-ständig in das dezentrale Energiegewinnungs- und -verteilungs-modell eingebunden sind, aber auch in der Lage sind, in einem energiesparenden Notbetrieb zu arbeiten und so während Strom-ausfällen oder Stromkrisen funktionstüchtig zu bleiben.

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16 D&A HERBST 2008 AUSGABE 09

TABelLE 2: Primärenergieverbrauch und Wachstumsprognosen für OECD- und Nicht-OECD-Länder

TABELLE 3: Primärenergieverbrauch nach Energiequellen und Wachstumsverlauf 1995–2005 für OECD- und Nicht-OECD-Länder

Wohnen Handel Industrie Transport Gesamt

TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a

OECD 2005 1.29 16% 0.83 10% 3.18 40% 2.72 34% 8.02

OECD 2030 1.58 16% 1.20 12% 3.78 37% 3.59 35% 10.14

Wachstumsprognose 05-30 22% 44% 19% 32% 27%

Nicht-OECD 2005 0.94 13% 0.25 3% 4.70 64% 1.49 20% 7.38

Nicht-OECD 2030 1.72 13% 0.67 5% 8.13 60% 3.01 22% 13.54

Wachstumsprognose 05-30 83% 171% 73% 103% 84%

Öl Erdgas Kohle Wasserkraft Kernkraft Andere* Gesamt

TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a % Gesamt TW*a

OECD 1995 3.01 42.6 1.49 21.1% 1.37 19.5% 0.44 6.3% 0.68 9.7% 0.06 0.9% 7.05

OECD 2005 3.32 41.4% 1.80 22.4% 1.59 19.8% 0.42 5.2% 0.78 9.7% 0.12 1.4% 8.02

Wachstum 1995–2005 10% 21% 16% -5% 14% 91% 14%

Nicht-OECD 1995 1.76 34.6% 1.22 24.1% 1.59 31.3% 0.40 7.9% 0.10 1.9% 0.01 0.2% 5.08

Nicht-OECD 2005 2.34 31.8% 1.80 24.4% 2.51 34.1% 0.55 7.4% 0.14 1.9% 0.03 0.4% 7.38

Wachstum 1995–2005 33% 47% 58% 36% 47% 129% 45%

Gesamt 1995 4.76 39.3% 2.71 22.3% 2.96 24.4% 0.85 7.0% 0.78 6.4% 0.07 0.6% 12.13

Gesamt 2005 5.67 36.8% 3.60 23.4% 4.10 26.6% 0.97 6.3% 0.92 6.0% 0.14 0.9% 15.40

Wachstum 1995–2005 19% 33% 39% 14% 18% 98% 27%

QUELLE: US ENERGY INFORMATION AGENCY (2007): INTERNATIONAL ENERGY OUTLOOK

1995 2005 1995–2005 Wachstum (%)

Welt 12.21 15.48 27%

USA 3.05 3.37 10%

China 1.17 2.24 93%

Europa 2.57 2.89 12%

Eurasien 1.42 1.53 8%

Asien & Oceanien 3.18 4.95 56%

Afrika 0.36 0.48 36%

Süd- + Mittelamerika 0.59 0.78 33%

Nordamerika 3.64 4.08 12%

Naher Osten 0.46 0.76 66%

TABELLE 1: Primärenergieverbrauch (TWa) und Wachstumsverlauf 1995–2005 für ausgewählte Länder und Weltregionen

QUELLE: US ENERGY INFORMATION AGENCY (2005): INTERNATIONAL ENERGY ANNUAL REPORT

Seite 17, links oben Gebäudehüllen sind ein wich-tiger Träger für die Sonnen-energienutzung, sowohl durch Photovoltaik als auch durch Solarthermie. Beide Technolo-gien wurden bei dem Projekt SOLTAG von VELUX exempla-risch miteinander verknüpft.

Seite 17, links unten Selbst in Dänemark übertrifft die Solar-einstrahlung den Energiebedarf um das 200-Fache. Fernwärme im großen Maßstab produziert das Solarkraftwerk in Mars-tal auf der Insel Ærø (www.solarmarstal.dk). Rund 8.000 Quadratmeter Solarkollekto-

ren decken etwa 15 Prozent des Wärmebedarfs der Gemeinde.

Seite 17, rechts Strom direkt vom Dach auf den Laptop: Die energieautarken Wohnhaus-Pro-totypen des ‚Solar Decathlon‘ in Washington (s. S. 7) machten es möglich. Jedes Gebäude musste

mit Solarzellen gleich viel oder mehr Elektrizität erzeugen, als seine Bewohner während der gleichen Zeit verbrauchten.

QUELLE: US ENERGY INFORMATION AGENCY (2005): INTERNATIONAL ENERGY ANNUAL REPORT * EINSCHL.IESSLICH GEOTHERMIE, BIOMASSE, WIND UND SOLARENERGIE

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70 % der weltweiten Solar-Warm-1. wassersysteme sind in China instal-liert, wo sie heute eine Gesamtfläche von über 20 Millionen Quadratmetern bedecken (das entspricht der Spitzen-stromerzeugung von 10 großen Kern-kraftwerken).Wind ist ein Nebenprodukt der Son-2. nenenergie.1 Exajoule = 1 Trillion (1018) Joule 3. oder 277 Milliarden Kilowattstun-den.1 Terawatt = 1 Billion (1012) Watt. Die 4. zugehörige Energieeinheit, ein Tera-wattjahr (TW*a), entspricht 8,67 Bil-lionen Kilowattstunden.

5. McKinsey Report on Climate Change: Reducing U.S. Greenhouse Gas Emis-sions: How Much at What Cost? http://www.mckinsey.com/client-service/ccsi/

6. Das 1957 verabschiedete Price-An-derson-Gesetz legt fest, dass die Bundesregierung als letztinstanzli-cher Versicherer im Falle einer Kern-kraftwerk-Katastrophe auftritt. Das Gesetz wurde erlassen, weil kein kom-merzieller Versicherer zur Übernahme des Haftungsrisikos bereit war.

7. Dieses Argument müsste natürlich überprüft werden, falls Kernfusions-

oder Brutreaktoren jemals kommer-ziell entwickelt werden sollten.

8. Der Preis für Uran stieg zwischen 2002 und 2007 um das Zehnfache (in US$) (Financial Times,27.07.07).

9. Während bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends die Gasproduk-tion eng mit der Anzahl der Bohrlö-cher zusammenhing, benötigt man jetzt eine zunehmende Anzahl von Bohrungen, um das Produktions-niveau zu halten. (Information von Chuck Kutscher, National Renewable Energy Laboratory.)

10. Der Wirkungsgrad bei der Umwand-lung der ursprünglichen Sonnenener-gie, die das Wachstum der Biomasse ermöglichte, welche jetzt in Form fossiler Brennstoffe gespeichert ist, beträgt weniger als ein Zehntel von einem Millionstel Prozent.

11. Der Unterschied zwischen den Wüs-tengebieten der Erde und Nordeu-ropa wird oft überschätzt. So würde beispielsweise ein Fotovoltaik-Mo-dul im dänischen Kopenhagen „nur“ 55 % weniger Energie erzeugen als dasselbe Modul in der Sahara.

12. Heute erreicht der Umwandlungsgrad bereits 20 % bei photovoltaischen und 40 % bei CSP-Kraftwerken.

14. Elektrofahrzeuge (EVs) besitzen eine beträchtliche Stromspeicher-fähigkeit, die interaktiv mit dem Stromnetz genutzt werden kann, um Energie aufzunehmen bzw. ab-zugeben, wenn sie nicht in Gebrauch sind. Dieses Konzept ist als ‚PV-to-Grid‘bekannt.

15. In Europa die ‚Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation‘ des Club of Rome http://www.desertec.org/concept.html und in den USA: K. Zweibel et al., ‚The Solar Grand Plan‘, Scientific American, 298(1), 64-73, Januar 2008 http://www.sciam.com/article.cfm?id=a-solar-grand-plan

16. Vgl. z.B. die ‚Personal Rapid Transit‘-Konzepte unter http://www. personalrapidtransit.com/ oder die Verkehrspläne für Abu Dhabi unter http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=90042092 92

17. installierte Leistung nähert sich bei Windkraft 100 GW und bei Fotovol-taik 10 GW; Solarwärme wächst ra-sant

18. Perez R., B. Collins, R. Margolis, T. Hoff, C. Herig J. Williams und S. Le-tendre, (2005) Solution to the Sum-

mer Blackouts. Solar Today 19,4, July/August 200, S. 32-35.

19. Zur Veranschaulichung der Größen-ordnung: Wollte man über Nacht die 40 Terawatt intermittierender PV-, CSP- und Windressourcen installie-ren, die nötig sind, um die Erde nach strengen Energieerhaltungsmaßnah-men für unbegrenzte Zeit mit Strom zu versorgen, wären die Kosten unter Verwendung der aktuellen Technolo-giepreise irgendwo zwischen 50 und 150 Billionen US-Dollar angesiedelt – eine immense Ziffer, die jedoch „nur“ 2- bis 3-mal so groß ist wie das der-zeitige Vermögen der reichsten 0,15 % der Erdbevölkerung.

20. Im Quebecer Eissturm mussten 1998 Tausende Bewohner und Geschäfts-leute mitten im Winter ihre Gebäude verlassen, was zu Geschäftsausfällen und Schäden durch gefrorene Was-serleitungen führte. Wie eine Studie der ‚Northeast Sustainable Energy Association‘ (NESEA) zeigte, hätten die meisten Gebäude mit einem sol-arbetriebenen Critical-Load-System von lediglich 1 kW pro Haushalt den Sturm überstanden, ohne evakuiert werden zu müssen.

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TAGESLICHT Ein Geschenk der Natur: Tageslicht und wie es in der Architektur genutzt wird

ENRIQUE BROWNE

BAUEN MIT DER NATUR

21D&A HERBST 2008 AUSGABE 09

Von Cristián Fernández CoxFotos von Enrique Browne y Asociados

Seit 30 Jahren verfolgt der chilenische Architekt Enrique Browne seinen persönlichen Weg abseits der Anonymität der Nachkriegsmoderne und des postmodernen Überschwangs. Indem er Licht, Vegetation und Landschaft wie Baumaterialien verwendet, schafft Enrique Browne Räume von großer Sinnlichkeit und Gebäude von höchster Energieeffizienz. Mit seinen Bauten will Enrique Browne nicht einfach nur ein positives Verhältnis zwischen Architektur und Natur erreichen. Vielmehr soll, wie er es ausdrückt, die Natur durch die Verwendung von Landschaft, Vegetation und Licht als Baumate-rialien buchstäblich zu einem Teil der Architektur werden.

S. 18/19 und 20: Besonders ein-drucksvoll demonstriert der 2.735 Quadratmeter große Fas-sadengarten des Consorcio-Ge-bäudes in Santiago de Chile Enrique Brownes Prinzip des

‚Bauens mit der Natur‘. Im Som-mer spenden die Pflanzen Schat-ten, im Winter fällt Tageslicht tief in die Büroräume. Ergebnis: ein gegenüber vergleichbaren Gebäuden messbar geringerer Energieverbrauch.

AUSGEWÄHLTEPROJEKTE

CASAS PARRÓN1974–1975

CASA CARACOLA1985–1987

CONSORCIO-GEBÄUDE MIT BORJA HUIDOBRO1990–1993

22 D&A HERBST 2008 AUSGABE 09

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An ihrem Standort in der Charles-Ha-milton-Straße in Las Condes, einem Villenviertel von Santiago de Chile, stechen die Häuser durch die Art und Weise, wie die Natur in die Architek-tur einbezogen ist, sofort ins Auge.

Das Grundstück ist eine ehema-lige Birnbaumplantage, die in geo-metrische Felder zu 3 x 3 Metern eingeteilt war. Browne baute die Häuser mit weinumrankten Pfeilern, die exakt demselben 3-mal-3-Meter-Muster folgen, sodass jeder der (iso-liert stehenden) Pfeiler vom Volumen her wie ein Baumstamm wahrgenom-men wird. Wenn man selbst dort steht, erkennt man, dass die Land-schaft Teil der Architektur ist und bis ins Hausinnere reicht. Dadurch ge-winnt man den Eindruck, sich gleich-zeitig in einer geschützten Wohnung und mitten in einem Wald aus Birn-bäumen zu befinden. Besucht man die Häuser, spürt man, wie wunderbar es für die Bewohner sein muss, tatsäch-lich dort zu wohnen und die Natur zu verschiedenen Tages- und Jahreszei-ten zu erleben.

Die Häuser sind wie Gartenlau-ben gebaut. Man findet Holzstützen für Weinstöcke, wie sie schon seit der Kolonialzeit im 16. Jahrhundert ein traditionelles Element chilenischer Gärten sind. Die Hauskonstruktion be-steht aus bewehrtem1 Mauerwerk und einem sichtbar belassenen Holz-tragwerk.

Sobald man das Hausinnere be-tritt, wird deutlich, dass die Architek-tur, wiewohl sie ganz dem Empfinden

CASAS PARRÓN(‘GARTENLAUBENHÄUSER’) 1974–1975

der Moderne verpflichtet ist, keines-wegs an der ‚abstrakten schema-tischen Kühle’ leidet, die man der europäischen Moderne gern zum Vorwurf machte. Sie hat viel mehr mit den reich gegliederten, warmen und einladenden Räumen eines Frank Lloyd Wright gemein, die Browne in seiner ganz eigenen Weise interpre-tiert. Durch die Wärme von Holz und Lehmziegeln, die Einbeziehung der Natur zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten und die reiche Raumge-staltung innerhalb der Schlichtheit der Bauten entsteht eine sinnliche Architektur, die nach Lebensqualität für ihre Bewohner strebt. Eine sol-che Architektur ist nicht mechanisch, sondern eingebettet in die ‚Logik des Lebenden’2 und auf stärkstmögliche Weise in die Natur integriert.

In den Gartenlaubenhäusern ver-bindet Enrique Browne durch sei-nen ‚anderen’ Zugang zur Moderne technische und funktionale Strenge (aus Gründen der Erdbebensicher-heit wurde Stahlbeton verwendet) mit expressiver Freiheit und der war-men Atmosphäre, die der Architekt auf einer eher symbolischen Ebene verlangte. Dieser ‚andere’ Zugang zur Moderne ermöglichte es Browne auch, einen der zentralen Werte, wel-che die europäische Moderne in Chile hinterließ, zu bewahren und weiter-zuentwickeln, nämlich seine Authenti-zität und Strenge. Mit diesem Ansatz stellte sich Browne zugleich in direkte Opposition zu jeglichem postmoder-nen Zynismus.

1 Mit Betonrippenstahl auf den Mauerziegeln.2 In Anspielung auf das gleichnamige Buch des

französischen Nobelpreisträgers für Medizin von 1965, François Jacob.

Links: Die Häuser sind wie Gar-tenlauben gebaut. Ein offenes Holztragwerk und einfache Kon-struktionsdetails prägen die Innen- und Außenräume.

Unten: Ansicht und Grundriss

24 D&A HERBST 2008 AUSGABE 09

Auch dieses Haus steht in Santia-gos vornehmem Las-Condes-Viertel. Dasselbe Ziel, nämlich die Einbindung der Landschaft in die Architektur, er-reicht Browne diesmal mit ganz ande-ren architektonischen Mitteln als bei den Parrón-Häusern. Mithilfe einer langen weißen Mauer in Form einer el-liptischen, schneckenförmigen Spirale wird ein einzigartiger Raum geschaf-fen, der das großzügige Wohn- und Esszimmer ebenso wie einen Groß-teil des Gartens und Schwimmbe-ckens umschließt. Da diese Bereiche ein und demselben Raum angehören, entsteht die Illusion, der Garten sei das Haus, und umgekehrt. Dies gilt nicht nur für den Raum innerhalb der Ellipse, sondern auch – wie stets in der Natur – für die ganz unterschiedlichen Lichtverhältnisse und Farbschattie-rungen im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten.

Diese Strategie, den Hauptgar-ten in eine Ellipse zu schließen, be-deutet jedoch nicht, dass der Rest des Grundstücks zu kaum genutztem ‚Re-straum’ verkommt – ganz im Gegen-teil. Enrique Brownes Entwurf nützt die gesamte Grundstücksfläche best-möglich aus. Der zentrale Garten wird durch drei kleinere Gärten ergänzt: Einer dient dem Elternschlafzimmer als Freibereich; die anderen beiden haben dieselbe Funktion für die zwei Gästeschlafzimmer.

Zum Innern der Spirale hin, auf der Straßenseite, ist ein Vorgarten angefügt, durch den man zur Haus-

CASA CARACOLA (‘SCHNECKENHAUS’)1985–1987

tür gelangt. An der Seite, durch den Anfang der Mauerspirale abgetrennt, bietet ein zweiter, etwas geschütz-terer Vorgarten Platz für zwei Autos und Zugang zum Dienstbotenbereich. Zu guter Letzt sind mit dem kleinen Garten, der sich an die Rückseite von Küche und Dienstbotenzimmer an-schließt, 100 % der Grundstücksflä-che optimal ausgenutzt.

Der Wasserfall, der sich von der Mauerkrone in das Schwimmbecken ergießt, erinnert an die mexikanische Tradition, endlose Mauern zur Tren-nung großer Weinbergsareale zu ver-wenden. Die Oberkanten der Mauern dienen als horizontale Aquädukte, die sich fast ins Unendliche hinziehen. Eine andere Assoziation sind die faszi-nierenden Wasseranlagen der Alham-bra in Granada.

Und doch ist es etwas ganz an-deres, ob man lediglich ein Foto des Schwimmbeckens ansieht oder tat-sächlich am Fuß des Wasserfalls steht und seinem Prasseln zuhört, das als trockenes Echo von der den Pool umgebenden elliptischen Mauer zu-rückgeworfen wird.

Dieses Sich-bewusst-Werden einer mit allen Sinnen erfahrbaren Architektur stimmt mit einer Theo-rie überein, die einige südamerikani-sche Architekten formuliert haben: Danach würden die besten latein-amerikanischen Bauwerke durch eine Art Ganzkörper-Tastsinn wahr-genommen, und der gesamte Kör-per werde beim Umherschlendern

zu einem Sensor für die schwachen Geräusche, schwachen Luftbewe-gungen und keineswegs schwachen Temperaturschwankungen. Offenbar-lebt das in Iberoamerika weit verbrei-tete hispano-arabische Kulturerbe in den besten Architekturwerken Me-xikos (Barragán, Legorreta), Kolum-biens (Salmona) und auch Chiles, wie Enrique Brownes Schnecken-Haus zeigt, fort.

Dieser hispano-arabische Ein-fluss ist in Chile in der Architektur der wohlhabenderen Viertel (wo die Häuser weitläufiger sein können als in ärmeren Gegenden) durchgehend spürbar. Er scheint in einer Auffas-sung von häuslichem Leben und Ar-chitektur zu wurzeln, wie sie – im Gegensatz zu den auf Hügeln thro-nenden Burgen und Schlössern Mit-tel- und Nordeuropas – durch den nach innen gewandten und zur Au-ßenseite hin geschlossenen hispano-arabischen Palast veranschaulicht wird. Ganz ähnlich kommuniziert auch das Schnecken-Haus kaum mit seiner Umgebung, so als wollte es seine Schätze vor den Blicken ver-bergen. Schätze, zu denen abgese-hen von den bereits beschriebenen auch das einfache Tragwerk und die Decken aus Holz gehören sowie die Mauerbiegungen, die ihr sanftes Spiel mit dem Licht treiben, um es am Morgen weiß und am Nachmit-tag rötlich erscheinen zu lassen.

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Links Konzeptskizze und Grundriss

Unten links Eine weiße, spiralför-mige Wand trennt den Garten des Hauses vom Eingangshof und den Wohnraum von den Nebenräu-men. Das Wasserfallmotiv ist in der lateinamerikanischen Architektur – etwa bei Luis Barragán – weit ver-breitet.

Unten rechts Nachtaufnahme des Wohnraums. Mit der Spiralform stellte Enrique Browne nicht nur eine klare Hierarchie der Räume her, son-dern nutzte das Grundstück auch bestmöglich aus.

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Das ‚Edificio Consorcio’ ist das viel-leicht preisträchtigste Gebäude der chilenischen Architekturgeschichte. In Umfragen der größten Tageszei-tung des Landes, El Mercurio, wurde es 1990 zum ‚besten Gebäude des Jahrzehnts’ und in einer weiteren Umfrage 2002 zum ‚besten Ge-bäude der vergangenen 30 Jahre in Chile’ gewählt. Es gewann den ersten Preis in der chilenischen Architektur-biennale von 1995 und war unter den Finalisten für den Mies-van-der-Ro-he-Preis 1998. Bei genauerem Hinse-hen wird deutlich, wie verdient diese Auszeichnungen sind.

Städtebauliche Morphologie: Das Gebäude liegt in Las Condes, Sant-iago de Chile, am Kreuzungspunkt zweier Straßen, die sich im spitzen Winkel treffen. Diesen besonderen Standort und die Tatsache, dass sich die Hauptfassade des Gebäu-des über die Länge eines ganzen Stra-ßenblocks erstreckt, machten sich die beiden Architekten geschickt zu-nutze. Sie kombinierten kurzerhand die beiden klassischen Gebäude/Straße-Beziehungen, die normaler-weise antagonistisch funktionieren: Ein Gebäude kann a) die Straße mor-phologisch begleiten (als durchge-hende Fassade) oder b) als isoliertes Objekt in Erscheinung treten.

In diesem Fall flankiert das Ge-bäude nicht nur die Straße wunder-bar fließend und dynamisch, sondern stellt auch ein Objekt von großer Schönheit und eine höchst ange-

nehme Präsenz innerhalb des Vier-tels dar. Diese Beziehung, die, einmal erreicht, ganz selbstverständlich er-scheint, ist das Markenzeichen guter Architektur: Die Lösung wirkt so na-türlich, dass man sich gar keine Alter-nativen mehr vorstellen kann.

Intelligente Gebäude: Vor Jahren, als der Ölpreis scheinbar astronomi-sche 80 US-Dollar pro Barrel erreichte, kam bei den Architekten nachhaltiges und energiesparendes Bauen in Mode. Von einer Modeerscheinung muss man sprechen, da jetzt, während ich diesen Artikel schreibe, der Barrelpreis über die 130-Dollar-Marke geklettert ist, ohne dass es die Architekten groß ge-kümmert hätte – transparente Vor-hangfassaden aus Glas sind so beliebt wie nie zuvor.

In diesem Kontext kamen die so-genannten ‚intelligenten Gebäude’ auf. Sie verdanken ihren Namen unter anderem den ausgefeilten Computer-systemen, die zur automatischen Re-gulierung von Beleuchtung, Heizung und Klimaanlage und damit der Ener-gienutzung im Gebäudeinneren ver-wendet werden. Wir Architekten verstanden das anscheinend als eine Art Freibrief, den Energieaspekt ein-fach zu vergessen: Wir entwerfen energetisch kostspielige Projekte mit Glasfassaden ohne jeglichen Sonnen-schutz, die aufgrund des Treibhausef-fekts zur Überhitzung der Gebäude führen. Wir haben die Problematik aus unseren Gedanken gestrichen, um die gesamte Verantwortung den ge-

tönten Glasscheiben und vor allem der computergesteuerten ‚intelligenten’ Verschleuderung von Energie zu über-lassen. Was paradoxerweise dazu führt, dass unsere Gebäude umso ‚in-telligenter’ sein müssen, je dümmer ihre Architekten sind.

Intelligente Architekten: Das Con-sorcio-Gebäude ist in einem anderen Sinne intelligent, denn hier waren die Architekten die Klugen. Sie ver-sahen das Gebäude mit begrünten, treppenförmig angeordneten Vor-hangfassaden, die auf der Westseite (der Seite mit der stärksten Sonnen-einstrahlung) vor die Glasfassaden gesetzt sind und einen überaus effizi-enten Sonnenschutz bieten. Auf diese Weise gewinnt man Schatten, der zugleich – ein sehr wichtiger Punkt

– kalte Luftströme zwischen der Be-pflanzung und dem Glas erzeugt, die zu einer angemessenen Gebäudetem-peratur beitragen. Dazu kommen der Sonnenschutz durch die Bäume auf den unteren Stockwerken und die Kühle eines 400 m² großen Spring-brunnenbeckens vor dem Gebäude.

Die Gartenflächen, die früher das Grundstück des Consorcio-Gebäudes bedeckten (2674 m²), wurden durch den exakt 2735 m² großen vertika-len ‚Fassadengarten‘ ersetzt, der noch dazu von allen betrachtet wer-den kann. Naturgemäß wechselt die-ser vertikale Garten Aussehen und Farbe und bildet so je nach Jahres-zeit eine in tausend verschiedenen Formen ‚blühende Architektur’. Da-

neben hat die Begrünung eine funktio-nale Bedeutung, die sich als Schlüssel für die Energieeffizienz des Gebäudes erweist: Im Sommer, der heißesten Jahreszeit, ist die Vegetation natürli-cherweise üppig und stellt einen sehr dichten Sonnenschutz dar. Im Win-ter dagegen sind die Kletterpflanzen blätterlos und damit sehr viel durch-lässiger für das ersehnte Sonnenlicht. Diese Funktionalität der Vegetation ist äußerst wichtig, wenn wie bei En-rique Browne Natur als ‚Baumaterial’ verwendet wird.

Ergebnisse der Architekturintel-ligenz: Wie eine unabhängige Un-tersuchung ergab, verbraucht das Consorcio-Gebäude 48 % weniger Energie als der Durchschnitt von 10 weiteren analysierten Firmenge-bäuden. Diese Energieeinsparung entspricht einer Kostensenkung um 28 % im Vergleich zum Durchschnitt der untersuchten Gebäude. Da diese Prozentangaben aufgrund von Um-gebungsfaktoren wie Standort, Höhe, Beziehung zu Nachbargebäuden, Be-legungsdichte usw. möglicherweise etwas überhöht waren, verglichen die Architekten außerdem ein Stockwerk des Consorcio-Santiago-Gebäudes mit ‚grüner Doppelhaut’ mit einem anderen, ungeschützten Stockwerk desselben Gebäudes. Die vorherigen Ergebnisse wurden bestätigt, wenn auch abgeschwächt: Ein Stockwerk mit grüner Schutzhaut verbraucht 35 % weniger Energie bei einer Kos-tenreduzierung von 25 %.

CONSORCIO-GEBÄUDE MIT BORJA HUIDOBRO1990–1993

S. 26/27: Ein ungewöhnlicher Anblick im Businessviertel von Santiago: Seine hinterleuchtete Pflanzenfassade hebt das ‚Edi-ficio Consorcio‘ auch nachts aus der eher traditionellen umliegen-den Bebauung heraus.

Rechts: Im Laufe der Vegetati-onsphasen ändert das ‚Edificio Consorcio‘ sein Äußeres stän-dig. Zwischen Pflanzen und Glas-fassade bleibt ein Luftraum von 1,40 Meter Breite frei, der für ausreichende Durchlüftung mit-tels des ‚Kamineffekts‘ sorgt.

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dige ist. Man kann sie als ‚Kunst des Gleichge-wichts’ beschreiben – eine Grundanforderung, die in der natürlichen Ordnung der Dinge, und selbstverständlich auch in der Architektur, notwendigerweise mit dem ‚Sowohl-als-auch’ des Organischen einhergeht.

Betrachtet man schließlich, wie Browne mit Licht umgeht und es in seine Architektur einbaut, fühle ich mich an die Beschreibung erinnert, die Hugo Häring vor 80 Jahren Tau-sende von Kilometern entfernt formulierte: Licht sei die veränderliche und feine Atmo-sphäre, die alle unsere Tätigkeiten zu jeder Zeit und in jeder Jahreszeit umhülle und belebe5. Die Abgrenzung gegen die mecha-nistische Beschreibung Le Corbusiers in La Sarraz, wonach das Licht ein Mechanismus sei, der Formen klar als geometrische Objekte umreiße, ist eindeutig.

Könnte Hugo Häring Brownes Arbeiten zusammen mit all den anderen Hauptwerken der lateinamerikanischen Gegenwartsarchi-tektur sehen, er würde sich darüber freuen, dass es so fern in Raum und Zeit Architek-ten mit einer Vorreiterrolle wie Lucio Costa, Luis Barragan oder Regelio Salmona gab, die sich die Zeit nahmen, „die Dinge zu prü-fen und sich zu erlauben, ihren eigenen Weg zu suchen“. 6 Einen Weg hin zu einer reiferen, ‚anderen Moderne’, der durch sie hindurch weiterführt zur Transmoderne.

Enrique Brownes Architektur ist ohne jeden Zweifel modern – das zeigen seine Arbeiten immer wieder. Zugleich weist seine Archi-tektur grundlegende Unterschiede zur euro-päischen Moderne auf und steht aufgrund ihrer Wärme und räumlichen Reichhaltig-keit den Arbeiten Frank Lloyd Wrights viel näher. Dies impliziert jedoch keinerlei direkte Beeinflussung durch Wright. Brownes Bauten besitzen ihr eigenes theoretisches Fundament und beruhen auf einer festen Überzeugung, der Browne sein Leben lang folgte: Die Natur muss in die Architektur integriert werden.

Bereits in seinem Buch ‚Otra Arquitec-tura en América Latina’3, das Enrique Browne vor zwanzig Jahren schrieb, zeichnet sich diese Haltung ab. Sie zeigt sich auch in sei-nem Interesse für Landschaftskunst im All-gemeinen und für die Deutung der Pyramiden von Teotihuacán als ‘Landschaftskunst‘ im Besonderen, über die Browne einen Artikel für den 1990 veröffentlichten Band ‚Sob-reamerica’4 verfasste. Und sie ist, wie wir wiederholt sehen konnten, in allen seinen Bauwerken erkennbar.

Brownes Architektur ist eine radikale Absage an jeglichen mechanischen Ratio-nalismus. Mehr noch, seine Architektur ent-spricht vollkommen der Logik harmonischer Zweckvielfalt, wie sie typisch für alles Leben-

DER THEORETISCHE HINTERGRUND VON ENRIQUE BROWNES ARCHITEKTUR

Cristián Fernández Cox studierte Architektur an der Päpstlichen Universität Chile und gründete 1975 sein Architekturbüro Cristián Fernández & Associated Architects. Er war Präsident der ers-ten Architekturbiennale in Chile und wurde 1997 mit dem Nationalen Architekturpreis Chiles aus-gezeichnet. 1998 war er Gründungspräsident des Chilenischen Architekturbüro-Verbands. Cristián Fernández Cox lehrt als Professor für Architek-turtheorie an der Universidad Mayor, Santiago de Chile.

Bis weit in das Gebäudeinnere der Casa Paul Harris hinein wird der Einfluss der schattenspen-denden Pergolen spürbar. Kern des Gebäudes ist ein zentraler, von oben belichteter Treppen-raum, der von zwei paralle-len, weiß verputzten Wänden begrenzt wird.

3 Enrique Browne: ‘Otra Arquitectura en Amérca Latina’. Editorial Gustavo Gili S.A. México (1988).

4 SobreAmérica. Verschiedene Autoren. Ediciones MINGA Santiago de Chile 1990.

5 Nach dem englischen Zitat aus: Sir Colin St. John Wilson, “The Other Tradition of Modern Architecture”, Academy Editions, London 1995

6 Zitiert von Sir Colin St. John Wilson im gleichen Buch.

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von den wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen einzelner Länder oder Regi-onen abhängt. Für Entwicklungsländer wie Chile verstehe ich unter ‚Nachhaltig-keit‘ den schwierigen Balanceakt zwischen allgemein notwendigem Fortschritt und Erhaltung des natürlichen Lebensraums auch für künftige Generationen.

Heute macht die Technik nahezu alles möglich, aber die fossilen Energiequel-len neigen sich ihrem Ende zu. Was ist in dieser Situation bei der Ausbildung junger Architekten besonders wichtig? Zu den wichtigsten Themen eines Architek-turstudiums gehören heute Umweltschutz und erneuerbare Energien sowie die Frage, wie man diese Aspekte mit den ständigen technischen Veränderungen in unserer schnelllebigen Welt vereinbaren kann. Die Forderung, die Natur zu erhalten und alter-native Energiequellen zu finden, muss sich allerdings in einem realisierbaren Rahmen bewegen, denn hierbei gilt es auch andere Faktoren wie Entwicklungsstand, Autono-mie, Effizienz, Kosten oder Zukunftschan-cen zu berücksichtigen. Abgesehen davon spielt natürlich auch Schönheit eine ent-scheidende Rolle in der Architektur – so altmodisch das klingen mag.

Gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie verschiedene Architekten-generationen mit dem Energieproblem und der Nachhaltigkeit umgehen? Selbstverständlich gibt es Unterschiede. Zum Beispiel setzten amerikanische Archi-tekten in den 50er- und 60er-Jahren alles daran, mit ihren Vorstadtsiedlungen der Welt die optimistische Lebensweise des ‚Ameri-can Way of Life‘ zu demonstrieren. Sie taten dies ungeachtet aller durch Motorisierung,

Mr. Browne, wie schätzen Sie die Situ-ation in Chile ein, was die Nutzung erneuerbarer Energieformen und die Energieeffizienz betrifft? Nimmt das Umweltbewusstsein zu?Von Ausnahmen im akademischen Umfeld abgesehen, sind Energieeffizienz und erneu-erbare Energien in Chile noch nicht sehr lange ein Thema, zumindest im Vergleich zu den führenden Industrienationen in Europa und Nordamerika. Bis vor einigen Jahren galt die Hauptsorge von Bevölkerung und Behörden der wirtschaftlichen und sozialen Entwick-lung. Die Energiefrage hat erst an Bedeutung gewonnen, seit die Wirtschaft in den letz-ten Jahrzehnten stark gewachsen ist und die Preise für Öl, Gas und Strom erheblich gestiegen sind. Verschärft wurde dies noch durch die eingeschränkten und unkalkulier-baren Gaslieferungen aus Argentinien. Mitt-lerweile hat dieses Thema hohen politischen Stellenwert. Was bedeutet Natur für Sie – als Privatperson und als Architekt?Unter dem Begriff ‚Natur‘ verstehe ich alles, was uns Menschen im Universum mit auf den Weg gegeben wurde, also Luft und Licht, Wetter und Jahreszeiten oder die Topogra-phie und Vegetation der Erde. Für mich ist die Natur in erster Linie eine göttliche Kre-ation, deren Gesetze und Komplexität wir immer besser – obgleich nach wie vor nur teil-weise – zu verstehen lernen. Ich glaube, dass Naturverständnis und Naturverbundenheit zu einem harmonischen und friedvollen Mit-einander aller Menschen beitragen.

Wie lautet Ihre persönliche Definition von ‚Nachhaltigkeit‘?Diese Frage lässt sich meines Erach-tens nicht abstrakt beantworten, da sie

Umweltverschmutzung und Infrastruktur verursachten Energie- und Umweltkosten. Heute hingegen gehört der Umweltaspekt zu den wichtigsten Fragen. .

Hat sich Ihre Architektur in den letzten 20 Jahren unter dem Einfluss aktueller Umweltprobleme verändert? Seit etwa 20 Jahren erfährt die Architektur Veränderungen – insbesondere angesichts der bestehenden Umweltprobleme, die aber bislang nicht zu einem kompletten Wandel des Architekturverständnisses geführt haben. So wird beispielsweise beim Bau von Wolkenkratzern, selbst in Wüstenländern wie im Mittleren Osten, nach wie vor über-mäßig viel Glas verwendet. Andererseits macht die Forschung deutliche Fortschritte, und die Einstellung zur Natur verändert sich positiv. Ein radikaler Wandel wird sich aber erst dann einstellen, wenn Vegetation, Tageslicht und andere natürliche Elemente ähnlich wie Ziegelsteine, Beton, Stahl, Glas, Verkleidung und Farbe als ‚Baumaterialien‘ anerkannt werden.

Inwieweit muss sich nachhaltige Archi-tektur gerade in einem Land wie Chile an unterschiedliche klimatische Ver-hältnisse anpassen? Landschaft, Wetter und andere Faktoren haben großen Einfluss auf die nachhaltige Architektur, sodass man für jede einzelne Landesregion eine spezifische Alterna-tive finden muss. In der Wüstengegend im Norden Chiles benötigen die Menschen beispielsweise massive Häuser mit kontrol-liertem Tageslichteinfall, ganz anders als in den Wäldern und Feuchtgebieten im Süden Chiles.

INTERVIEW MITENRIQUE BROWNE

Weg hinauf ins Licht: Über eine geschwungene Rampe gelangen die Gottesdienstbesucher hinauf in die Kapelle des Colegio Villa María in Las Condes, das Enrique Browne 1992 entwarf.

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34°00’28’’ N118°29’23’’ W

www.weingartenphotography.com

6:30 A.M SERIES 11/24/03 #120

Ein ganzes Jahr lang – immer, wenn er zu Hause war – fotografierte Robert Weingarten jeweils morgens um 6.30 Uhr die Aussicht aus seinem Schlafzimmerfenster auf die Santa Monica Bay in Kalifornien.

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Fotos von Robert Weingarten

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6:30 A.M SERIES 05/26/03 #46 6:30 A.M SERIES 03/25/03 #27 6:30 A.M SERIES 10/26/03 #104

6:30 A.M SERIES 04/13/03 #34 6:30 A.M SERIES 06/21/03 #52 6:30 A.M SERIES 08/14/03 #77

6:30 A.M SERIES 01/07/03 #5 6:30 A.M SERIES 10/27/03 #105 6:30 A.M SERIES 01/12/03 #6

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VELUX EINBLICKE Architektur für Menschen – Bauen mit VELUX.

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DIE NEUEMONTE-ROSA-HÜTTE

Von Eva-Martina KellerModellaufnahmen und Zeichnungen: Studio Monte Rosa / ETH Zürich

Einen Meilenstein im hochalpinen Bauen wollen die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) und der Schweizer Alpen-Club (SAC) mit der Neuen Monte-Rosa-Hütte setzen. Das Gebäude, des-sen Grundstein Mitte August gelegt wurde, soll zu 90 Prozent energieautark wirtschaften.

FaktenBauherr Sektion Monte Rosa des Schweizer Alpen-Clubs SACArchitekten Studio Monte Rosa, Zürich / Bearth & Deplazes Architekten AG, ChurStandort Monte-Rosa-Massiv, Kanton Wallis, SchweizFertigstellung (geplant) September 2009

Bruttogeschossfläche 1,100 m2

Bruttorauminhalt 3,200 m3

Energieverbrauch 29.7 kWh/m2 (ohne Kochgas) (geplant) U Wert der Gebäudehülle 0.13 Wm2K (Außenwände, Dach)Dachfenster 39 Standardfenster Typ GGL F04 mit Absturzsicherung; U-Wert 1,0 W/m²K

100 %

75 %

50 %

25 %

0 %

30,000

20,000

10,000

0

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Grundrisse, Untergeschoss bis 3. Obergeschoss. Radiale Trennwände und eine spiralförmige Erschließung bestimmen den inneren Aufbau des Gebäudes.

20 % Diesel

51 % Kohle

11 % Gas

18 % Helikopter- flüge

41 % Kochgas

45 % Helikopter- flüge

solar

fossil

Biomasse

nuklear

fossil

Fakt

or 2

.5

Faktor 1,5

erneuerbar

nicht erneuerbar

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Die Neue Monte-Rosa-Hütte ist eines von zahlreichen Projekten, die anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der ETH Zürich initiiert wur-den. Den Anstoß dazu gab der Projektleiter des Jubiläums, Meinrad K. Eberle, der zum Geburtstag der Hochschule etwas Dauerhaf-tes und Zukunftsweisendes schaffen wollte.

Drei Jahre nach dem Jubiläumsjahr zer-brechen sich heute Dutzende Mitarbeitende von ETH Zürich, SAC, Hochschule Luzern – Technik & Architektur sowie der EMPA, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und For-schungsanstalt, die Köpfe über Energiebilan-zen und Lebenszyklusanalysen, Konzepte zur intelligenten Haustechnik, die optimale Fas-sade oder den möglichst umweltfreundli-chen Transport der Baumaterialien zu einer Baustelle, die abgeschieden auf einer Höhe von 2883 Metern über dem Meer liegt. Der Anspruch der Projektpartner ist dabei kein geringerer, als ein neues Kapitel des Bauens im Hochgebirge einzuleiten.

Zusammenarbeit für die Hütte der ZukunftZurück ins Jahr 2003: Damals bot die ETH Zürich dem SAC an, im Rahmen ihres Jubilä-

ums einen Hüttenbau zu realisieren. Beim SAC fand sie schnell Zustimmung für das Projekt. In enger Zusammenarbeit wurde das inter-national bekannte Monte-Rosa-Gebiet als Standort für die geplante Hütte ausgewählt. In der spektakulären Landschaft zwischen Grenz-, Gorner- und Monte-Rosa-Gletscher, eingerahmt von Matterhorn und Dufour-spitze, steht bereits seit 1895 eine Bergun-terkunft der SAC-Sektion Monte Rosa, die in verschiedenen Etappen erweitert wurde. Diese Hütte ist sanierungsbedürftig, und die Projektpartner entschieden sich deshalb, sie durch die Neue Monte-Rosa-Hütte, so der Pro-jektname, zu ersetzen.

Im Wintersemester 2003/2004 wurde von Andrea Deplazes vom Lehrstuhl für Archi-tektur und Konstruktion der ETH Zürich das ‚Studio Monte Rosa‘ eingerichtet. Während vier Semestern erarbeiteten insgesamt über dreißig Studierende einen Entwurf für die Neue Monte-Rosa-Hütte. Die Ideen der Stu-dentinnen und Studenten entwickelten sich mit der Unterstützung von Professoren und Expert/innen aus diversen Fachgebieten zum machbaren Projekt. Hinzugezogen wur-den von Beginn an Hüttenfachleute aus den

Reihen des SAC wie etwa Peter Büchel und Reto Jenatsch von der SAC-Hüttenkommis-sion sowie Ingrid Alder und Peter Planche, die nacheinander die SAC-Sektion Monte Rosa, der die Hütte gehören wird, leiteten. Diese sorgten dafür, dass die neue Hütte auf die Bedürfnisse ihrer zukünftigen Nutzer zuge-schnitten ist, und erinnerten die Architekten an manches praktische Detail – zum Beispiel daran, dass keine SAC-Hütte ohne Rucksack-gestelle auskommt .

Ein fünfgeschossiger Holzbau auf einem Stahlfundament im Fels soll nun gebaut wer-den, der mit seiner metallisch schimmernden Aluminiumhülle und der eigenwilligen poly-gonalen Form wie ein Bergkristall anmutet. Die Gästezimmer mit drei bis acht Betten sowie der große Essraum bieten insgesamt 120 Personen Platz. Auch die reizvolle Umge-bung wird mittels einer Kaskadentreppe mit breiter Fensterfront gleichsam ins Gebäude geladen. Die Treppe eröffnet den Hausbe-wohnern atemberaubende Ausblicke auf die Bergwelt, wenn sie vom Erdgeschoss zu ihren Schlafräumen in den oberen Stockwerken hin-aufsteigen. Der Essraum wird von Tageslicht durchflutet.

NACHHALTIGEARCHITEKTURIM HOCHGEBIRGE

S. 38, rechts Vergleich der Ener-gieverbräuche der bestehenden (links) und der neuen (rechts) Monte-Rosa-Hütte. Das neue Bauwerk soll zu 90 Prozent ener-gieautark sein; lediglich die Energie zum Kochen und für Ver-sorgungsflüge muss von außen zugeführt werden.

S. 38, links Kumulierter Ener-giebedarf für Bau, Betrieb und Entsorgung der neuen Monte- Rosa-Hütte, für eine Gebäu-de-Lebensdauer von 50 Jahren. Linke Säule: Bau und Entsorgung, rechte Säule: Betriebsphase.

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Dafür unterstreichen die im Gegensatz dazu bewusst klein gehaltenen Fenster in den Schlafräumen den Charakter der Hütte als Schutzbau . Sie sind über die ganze Fassade verstreut, was den Eindruck der Geschossig-keit des Gebäudes aufhebt und seine kristal-line Form unterstreicht. Ungewöhnlich ist, dass im Fassadenbereich Dachfenster einge-setzt werden. Dies begründet sich darin, dass die architektonische Verschmelzung von Dach und Fassade viele Schrägflächen zur Folge hat, in die auch die Fenster schräg, also bündig mit der Dachhaut, eingebaut werden müssen. Die Velux-Dachfenster, die hier zur Anwendung kommen, sind für diesen Zweck ideal geeig-net und wurden speziell für ihren Einsatz in der Neuen Monte-Rosa-Hütte Messungen unter-zogen, die große Windkräfte simulieren.

Das ehrgeizige Ziel: ein Energieautarkiegrad von 90 ProzentDoch die neue Hütte soll nicht nur vom ästhe-tischen Konzept her überzeugen, sondern vor allem durch ressourcenschonenden Bau und Betrieb. Ein Energieautarkiegrad von 90 Pro-zent (ohne das Kochen, zu dem noch Alter-nativen gesucht werden zum heute mit dem

Helikopter angelieferten Gas) ist das ehr-geizige Ziel – und das mitsamt den Warm-wasserduschen, die den Gästen auf jedem Stockwerk zur Verfügung stehen. Mittels einer 85 m2 großen, in die Südfassade des Gebäudes integrierten Photovoltaikanlage wird Sonnenenergie für die Versorgung von Stromverbrauchern wie Abwasserreinigung, Lüftung, Beleuchtung und Haushaltgeräten gewonnen. Überschüssige Energie wird in ventilregulierten Blei-Säure-Akkumulatoren (VRLA/AGM) gespeichert, was eine lücken-lose Versorgung auch bei bedecktem Himmel garantiert. Als ergänzende Stromquelle für Spitzenverbrauchszeiten wird ein mit Rapsöl betriebenes Blockheizkraftwerk eingesetzt. Durch Wärmerückgewinnung wird die Wär-meenergie der Abluft genutzt. Zudem trägt die Wärmeabgabe der Personen wesentlich zur Raumheizung bei. Bei hohem Heizwär- mebedarf oder schwacher Belegung der Hütte wird die zusätzlich für die Beheizung benötigte Energie durch 45 m2 thermische Solarkollektoren geliefert. Das Gebäude wird mechanisch belüftet, die Fenster lassen sich aber als Zugeständnis an Gäste, die die Alpen-luft genießen möchten, trotzdem öffnen.

Das Energiemanagement wird zur Errei-chung des hohen Autarkiegrades eine ent-scheidende Rolle spielen. Dabei soll nicht nur die Optimierung von einzelnen Komponen-ten, sondern vor allem auch die Optimierung des Zusammenspiels dieser Komponenten zu einer Effizienzsteigerung des Systems füh-ren. An und für sich konventionelle, bewährte Technik wird mittels eines optimierten Ener-giemanagements so zu einem komplexen Gesamtsystem verknüpft, dass daraus eine hohe Energieeffizienz resultiert. So sollen ins Energiemanagement unter dem Schlagwort ‚model predictive control’ etwa Wetter- und Besucherprognosen eingespeist, also dyna-mische Randbedingungen mitberücksichtigt werden. Im Vergleich zur alten Monte-Rosa-Hütte werden die aus dem Betrieb resultieren-den CO2-Emissionen durch dieses Bündel an Maßnahmen um rund zwei Drittel pro Über-nachtung gesenkt. Die Neue Monte-Rosa-Hütte wird zudem auch als Forschungsobjekt bezüglich Energie- und Ressourceneffizienz verstanden. So ist für die ETH Zürich das Pro-jekt mit der Einweihung der Hütte nicht abge-schlossen. Eine Gruppe um Lino Guzzella vom Institut für Mess- und Regeltechnik der ETH

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Innenansichten des Arbeits-modells. Eine Kaskadentreppe mit breiter Fensterfront (links)eröffnet über alle Ebenen hin-weg einen Panoramablick auf die Gletscherlandschaft. In den ein-zelnen Schlafräumen (rechts)sorgen dagegen öffenbare Dach-fenster für Tageslicht und fri-sche Luft.

Zürich sowie Urs-Peter Menti vom Zentrum für Integrierte Gebäudetechnik der Hoch-schule Luzern – Technik & Architektur wird in einer zweiten Forschungs- und Entwick-lungsphase untersuchen, wie sich die ausge-klügelte Gebäudetechnik im Alltag der Neuen Monte-Rosa-Hütte bewährt. Erst dann wird sich nämlich herausstellen, ob und wie das Energiemanagement weiter optimiert wer-den kann. Neue Erkenntnisse aus der For-schung und Entwicklung können in der Hütte umgesetzt und deren Effizienz anhand des Autarkiegrades präzise gemessen werden. Die daraus resultierenden Forschungs- und Entwicklungsergebnisse sind für die Steige-rung der Energieeffizienz von Gebäuden auch im Flachland anwendbar.

Nachhaltigkeit über den gesamtenLebenszyklusDie alte Hütte wird nach Eröffnung der Neuen Monte-Rosa-Hütte bis 2010 rückge-baut. Doch auch ans Lebensende der geplan-ten neuen Hütte wird heute schon gedacht. Stefanie Hellweg und ihre Mitarbeitenden an der Professur für ökologisches Systemdesign beurteilen das Gebäude mit Hilfe von Lebens-

zyklusanalysen von der Wiege bis zur Bahre. Dabei geht es auch um recyclingfähige Bau-materialien, die Ressourcen schonen und auch bei der künftigen Entsorgung keine umwelt-schädigenden oder gesundheitsgefährden-den Stoffe freisetzen. Solche ganzheitlichen Analysen gewährleisten eine vorausschau-ende ökologische Optimierung von Bau und Betrieb als Gesamtheit und setzen Maßstäbe für eine nachhaltige Planung.

Die Bauteile werden mittels materialef-fizienter CAAD-Fertigung hergestellt. Dies erlaubt es, am Computer entworfene Module direkt auf digital angesteuerten Maschinen zu fertigen. Das Spektrum konstruktiver Möglichkeiten wird erweitert und begrün-det durch den unmittelbaren Einbezug der Material- und Fabrikationslogik im digitalen Entwurfsprozess einen eigenen architekto-nischen Ausdruck. Die Computerberechnung erlaubt außerdem eine bestmögliche Optimie-rung von Größe und Gewicht der Bauteile, was wiederum für den Transport von gro-ßer Bedeutung ist, denn zum Bauplatz führt keine Straße hin. Die Transporte sind ein opti-mierter Ablauf, dessen erste Abschnitte über Schiene und Straße laufen. Beim Bau der alten

Monte-Rosa-Hütte im Jahr 1895 kamen für den letzten Streckenabschnitt über den Glet-scher Maulesel, die die Bauteile trugen, zum Einsatz. Diese Variante wurde auch für die Neue Monte-Rosa-Hütte geprüft, doch aus Zeit- und Kostengründen verworfen. Statt Tieren werden nun Helikopter eingesetzt.

Das anspruchsvolle Bauunternehmen hat seinen Preis. Der Neubau der Hütte kostet rund 5,7 Mio. Schweizer Franken (3-4,5 Mio. Euro). 2,15 Mio. Franken steuert der SAC bei; 3,55 Mio. fließen von Seiten der ETH Zürich ins Projekt, der das Geld von zahlreichen Gönnern und Sponsoren aus verschiedensten Spar-ten zur Verfügung gestellt wurde. Wanderer und Bergsteiger/innen freut diese gelungene Zusammenarbeit: Ab Herbst 2009 können sie die neue Hütte nutzen.Weitere Informationen unter: www.neuemonterosahuette.ch.

Eva-Martina Keller arbeitet seit Juni 2006 als As-sistentin des Projektleiters Meinrad K. Eberle im Be-reich Projekte der Schulleitung an der ETH Zürich. Im Mai 2008 hat sie zudem die Funktion der Kommuni-kationsbeauftragten für die Neue Monte-Rosa-Hütte auf Seiten der ETH Zürich übernommen.

Wie ein Bergkristall mutet die neue Hütte mit ihrer unregelmä-ßigen Form an. Unter der Aluminiumhaut verbirgt sich eine Holzkonstruktion, die im CAD/CAM-Verfahren vorgefer-tigt werden soll.

FURI 1867

ROTENBODEN 2815

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MONTE ROSA 2795

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KARTE: BUNDESAMT FÜR LANDESTOPOGRAPHIE

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INTERVIEW MIT ANDREA DEPLAZES

Herr Deplazes, Autarkie war ein wichtiges Leitthema für den Ent-wurf der Neuen Monte-Rosa-Hütte. Welche Zielsetzungen verfolgten Sie mit dem sicher etwas ‚extre-men’ Entwurfsthema, und welche Lehren lassen sich daraus mögli-cherweise für andere Anwendun-gen ziehen?Autarkie ist ein oft missverstandener Begriff. Er impliziert Unabhängigkeit, doch das ist ein Fehlschluss. Denn mit der Entscheidung für oder wider die Autarkie wählen wir eigentlich nur, wovon wir abhängig sein möchten: von den etablierten Versorgungsnet-zen oder von den Energiequellen, die auf dem Grundstück vorhanden sind oder darauf einwirken.

Bei der Neuen Monte-Rosa-Hütte stellte sich diese Frage natürlich nicht, weil keine Versorgungsnetze vorhanden waren. Auch deshalb haben wir das Bauvorhaben zum studentischen Pilotprojekt gemacht. Wir wollten die Selbstverständli-chkeiten unserer Zivilisation einmal aus didaktischen Gründen in Frage stellen. Das taten wir, indem wir eine Art ‚künstliche Not’ erzeugten.

Wenn die Elektrizität nicht mehr aus der Steckdose kommt, die Wärme nicht mehr aus dem Radia-tor und das Wasser nicht einfach aus dem Hahn, bedeutet dies eine Art zi-vilisatorischen Neuanfang. Die Stu-denten standen vor der Frage, wie nicht nur das Bauwerk, sondern seine gesamte Versorgung eigent-lich funktionieren sollte. Hinzu kam, dass zur Neuen Monte-Rosa-Hütte keinerlei Transporte mit Fahrzeu-gen möglich sind, sodass Baumate-rialien und Vorräte per Helikopter und die Gäste zu Fuß hinaufgelan-gen müssen.

Es ist interessant zu sehen, welche Energiequellen trotz der isolierten Lage der Neuen Monte-Rosa-Hütte zur Verfügung stehen. Im und um das Gebäude existiert eine Vielzahl von Wärmequellen – Sonneneinstrahlung, Abluft, die Nutzer selbst, aber auch die Spei-cherwärme des Erdbodens. Um sie zu nutzen, benötigt man ein hoch effek-tives Tauschsystem, also etwa eine

Wärmepumpe mit Wärmetauscher. Ist dies einmal vorhanden, ist ledig-lich noch eine geringe Menge elekt-rischer Energie erforderlich, um das Wärmeversorgungssystem stabil zu halten.

Diese Methode, lokale Energie zu ‚ernten’, ist ja nichts anderes, als zum Beispiel im eigenen Garten Gemüse anzubauen. Man verschafft sich da-durch eine Alternative zu den Pro-dukten aus dem Supermarkt, die ja möglicherweise Tausende von Kilo-metern zurückgelegt haben, bevor sie im Einkaufskorb landen. Oder, auf die Energie übertragen: Man wird un-abhängig von fossilen Energieträ-gern, die meist einen ebenso weiten Transportweg hinter sich haben.

Inwieweit wird die Frage der Ab-hängigkeit derzeit in der Archi-tektur relevant – auch jenseits extremer Standorte wie bei der Monte-Rosa-Hütte?Der steigende Ölpreis hat zu einem regelrechten Ausbruch angestauter Ideen geführt, was alternative Ener-gietechniken betrifft. Im Grunde hätte nichts Besseres passieren können. Denn so lange kein realer Preisdruck vorhanden war, hat die Wissenschaft zwar Lösungen formuliert, aber diese haben ihren Weg nur beschränkt in die Praxis gefunden.

Hier kommt nun die Architektur ins Spiel: Sie operiert an der Schnitt-stelle zwischen Wissenschaft und Baupraxis und ist daher ein Testfeld, auf dem sich zeigen muss, welche wissenschaftlichen Konzepte sich tatsächlich realisieren lassen. An die-sem Punkt spielen dann Machbarkeit und Preisverhältnisse eine entschei-dende Rolle.

Weil die Architektur eine Dis-ziplin ist, die eigene und disziplin-fremde Komponenten – also z. B. Raumkonstellation, Konstruktion, Gebäudehülle, Gebäudetechnik und

-automation – systemisch und syner-getisch miteinander vernetzt, wirkt der Prozess der Projektentwicklung stets auch auf die anderen Diszipli-nen zurück. Auch deshalb operieren Architektur und die unterschiedli-chen zum Bauen notwendigen Inge-

nieursdisziplinen heutzutage nicht mehr nebeneinander – oder besser: nacheinander – her, sondern greifen bereits ab einem sehr frühen Pla-nungsstadium ineinander.

Wenn es um Strategien zur Ener-gieversorgung und -effizienz geht, besitzt die Architektur eine Schlüs-selrolle. Ein Beispiel: Die ETH Zürich hat unlängst eine neue Energiestra-tegie veröffentlicht, die das Fernziel der ‚1-Tonne-CO2-Gesellschaft’ bis zum Ende dieses Jahrhunderts ver-wirklichen will. Konkret heißt dies: Jeder Erdenbürger soll bis dahin nur noch eine Tonne CO2 pro Jahr emit-tieren, um die Erderwärmung auf ein verträgliches Maß zu reduzieren.

Die Kernelemente dieser Stra-tegie sind die sogenannten ‚drei E’: Effizienzsteigerung, erneuerbare Energie und Elektrifizierung. Die Strategie ist in zwei Arbeitsfelder untergliedert: Mobilität und Immo-bilität, wobei zum zweiten Bereich Gebäude, Industrieanlagen und ähn-liche Dinge zählen. Eine Erkenntnis aus der Forschung lautet, dass die Mobilität weitaus größere Probleme hat, ihr Energieproblem in den Griff zu bekommen. Im immobilen Bereich

– also etwa in der Architektur – sind die technischen Lösungen hingegen nahezu alle vorhanden. Es geht eher um die Frage, wie diese Lösungen für die Anwender attraktiv gemacht und in der Breite durchgesetzt wer-den können. Hier kommen dann die Implementierung in die Lehre sowie die Gesetzgebung ins Spiel. In diesen Bereichen ist einiges in Bewegung geraten. Ich denke zum Beispiel, dass Label wie Minergie oder Passivhaus in zehn Jahren bereits den gängigen Stand und Standard der praktischen Baukunde wiedergeben werden.

Welche Rolle sollte bei alledem der Staat spielen – in Form von För-derprogrammen, aber auch von Regelsetzungen in Sachen Ener-gieeffizienz?Staatliche Initiativen und Förderpro-gramme der öffentlichen Hand sind sinnvoll, sobald es nicht mehr um wis-senschaftliche Fragen, sondern um die Durchsetzung und Markterschlie-

ßung geht. Bei der Reglementierung ist es meines Erachtens allerdings wichtig, das Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Regeln sind dann am wirksamsten, wenn die darin defi-nierten Ziele einfach nachvollzieh-bar sind und erkennbar bleiben, wie zum Beispiel die ‚1-Tonne-CO2-Ge-sellschaft’ (was nicht heißen muss, dass das Ziel einfach zu erreichen ist). Es ist so wenig wie nötig zu re-glementieren, aber keinesfalls weni-ger. Wenn ein Ziel erst als notwendig erkannt und kommuniziert ist, sollte der Staat das Feld dem freien Spiel der Ideen überlassen, also dem Wett-bewerb am Markt, aber auch der wissenschaftlichen Forschung. Ein solches Vorgehen entspricht letzt-lich auch der Natur des Menschen, der sich immer wieder gern am an-deren misst.

Sie haben am Departement Archi-tektur der ETH Zürich eine Stra-tegie namens LOW EX+ ARCH entwickelt. Worum handelt es sich dabei?Der Begriff stammt von meinem Kol-legen Professor Hansjürg Leibundgut, der an der ETH Zürich Gebäudetech-nologie lehrt. Die Strategie zielt dar-auf ab, auf Gebäudeebene so wenig wie möglich Exergie – also Energie auf hohem Niveau in Form von Elek-trizität, die von außerhalb zugeführt werden muss – zu verwenden. Ge-nutzt werden soll stattdessen An-ergie – also jene Energieformen, die auf dem eigenen Grundstück ohnehin vorhanden sind. Dies sind vor allem Wärmequellen in jenem Tempera-turbereich, den ich auch im Gebäude benötige, zwischen 15 und 25 Grad Celsius. In Frage kommt jede Art von Abwärme aus Raumluft oder Abwas-ser, aber auch zum Beispiel Geother-mie. Um diese Wärme nutzbar zu machen, benötigt man wie erwähnt lediglich eine relativ kleine Menge elektrischer Energie, um eine sehr leistungsfähige Wärmepumpe mit Wärmetauschung zu betreiben.

Man kann diesen Gedanken nun weiterspinnen und sich fragen, wo der Strom herkommt. Ich denke zum Beispiel, dass die Kernkraft proble-

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matisch ist – nicht weil die Techno-logie an und für sich gefährlich wäre, sondern weil die Entsorgung der Kernbrennstäbe trotz sogenannter Endlagerstätten letztlich doch un-gelöst bleibt. Auf jeden Fall ist es unverantwortlich, dieses nicht kal-kulierbare Problem als Langzeithy-pothek anderen Generationen zu übertragen. Die Lösung muss viel-mehr darin liegen, erneuerbare Ener-giequellen jeweils dort zu nutzen, wo sie am besten verfügbar sind. Zur weiträumigen Verteilung dieser Energie steht uns mit dem Stromnetz eines der höchstentwickelten Infra-strukturnetze zur Verfügung, die wir besitzen. Es ist viel feinmaschiger als zum Beispiel alle Öl- und Gasversor-gungsnetze.

Hinzu kommt, dass Elektrizität die hochwertigste Energieform ist, die wir besitzen. Sie unterliegt nicht den gleichen Umwandlungseinbu-ßen wie die fossilen Energieträger. Aus dieser Erkenntnis haben wir die Konsequenzen gezogen und zum Bei-spiel alle Feuerungssysteme aus un-serer Lehre an der ETH gestrichen. Wir sind uns zwar bewusst, dass das domestizierte Feuer wichtig war für die Entwicklung der Architektur und unserer ganzen Zivilisation, aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das Feuer besser ein mythologischer Begriff bleibt. Zur Beheizung von Gebäuden sollte es jedenfalls nicht mehr eingesetzt werden; es sei denn für redundante Notfall-Systeme, die ein Gebäude etwa bei einem Strom-ausfall mit Wärme versorgen.

Allerdings ist es auch hier sinnvol-ler, die Redundanz auf der Ebene der Erzeugung und Verteilung der Elekt-rizität im Stromnetz sicherzustellen. Und schließlich besteht ja auch noch die Möglichkeit, mit Photovoltaik auf dem eigenen Grundstück Strom zu er-zeugen.

Es sind weit reichende Zusammen-hänge, die Sie Ihren Studenten mit LOW EX+ARCH vermitteln …LOW EX+ ARCH ist mehr als nur ein technisches Energiekonzept. Viel-mehr illustriert LOW EX+ ARCH die Art und Weise, wie wir an der ETH

Zürich über das Zusammenwirken von Architektur und Gebäudetech-nik nachdenken. Um eine solche Stra-tegie Realität werden zu lassen, sind Architekten gefordert, die auch von der Gebäudetechnik Ahnung haben und diese Fragen nicht einfach an den Fachingenieur delegieren. Diese Art der Berufsauffassung möchten wir unseren Studenten in der Lehre vermitteln.

Der Entwurf zur Neuen Monte-Ro-sa-Hütte zeichnet sich auch durch die konsequente Anwendung der Lebenszyklus-Analyse (LZA) auf das Gebäude und seine Kompo-nenten aus. Noch ist die LZA im Bauwesen – im Gegensatz etwa zur Industrie – eher auf Einzelfälle beschränkt. Wovon wird ihre wei-tere Verbreitung abhängen?Ich sehe das recht pragmatisch. Die Industrie hat Lebenszyklus-Analy-sen deshalb so gut in ihre Prozesse eingewoben, weil sie sie digitalisie-ren konnte. Darin liegt der Schlüssel, wenn man diese Analysemethoden auch im Bauwesen etablieren möchte. Die Lebenszyklus-Analyse hat einen langen, oft mühsamen wissenschaft-lichen Vorlauf hinter sich. Nun muss es darum gehen, ein digitales Werkzeug zu erarbeiten, mit dem der Anwender die vorliegenden Erkenntnisse auf ein-fache Weise auf seine eigenen Pro-jekte anwenden kann.

Wir an der ETH Zürich verfolgen schon seit längerer Zeit das Ziel, den Entwurfs- und Bauprozess in eine ‚di-gitale Kette’ zu verwandeln. Ein Pro-jekt basiert ja auf einer Anzahl von Parametern und Informationen, die im fortschreitenden Entwurfspro-zess sukzessive angereichert und präzisiert werden. Ich bin überzeugt, dass über kurz oder lang eine solche ‚digitale Kette’ verfügbar sein wird, die von den ersten Entwurfsideen bis zum Bauprozess und darüber hi-naus reicht. Die Lebenszyklus-Ana-lyse wäre dann ein Baustein in dieser Kette.

Wenn ein Programm vorhan-den ist, das diese Wechselwirkun-gen visualisiert, wird die ‚Digitale Kette’ auch in der Praxis breite An-

Andrea Deplazes ist seit 1997 Professor für Architektur und Konstruktion an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Daneben lei-tet er gemeinsam mit Valentin Bearth und Daniel Ladner das Büro Bearth & Deplazes Architekten AG in Chur. Sowohl mit seinem Lehrstuhl als auch mit dem Büro Bearth & Deplazes war Andrea Deplazes maßgeblich am Entwurf der Neuen Monte-Rosa-Hütte beteiligt.

Szene aus dem studentischen Entwurfsstudio an der ETH Zürich, in dem das architektonische Konzept für die Neue Monte-Rosa-Hütte entwickelt wurde.

wendung finden. Das ist wie mit der Textverarbeitung am Rechner: Jeder erstellt Texte und formatiert sie, aber kaum jemand kann oder will sich mit der Frage befassen, wie die zugrunde liegende Software funktioniert.

Wichtig wird es auch sein, bei der Anwendung dieser digitalen Werk-zeuge den Überblick zu behalten. Wir kennen das zum Beispiel aus der Trag-werksplanung: Wenn man sich nur aufs Rechnen verlegt, verliert man die konzeptionelle Ebene leicht aus den Augen. Notwendig ist also bei-des: ein überschlägiges Abschätzen, ob ein Konzept in die richtige Rich-tung geht, und in der Folge die rechne-rische, elementweise Vertiefung.

Ist das nicht auch eine Heraus-forderung für die Lehre: die Stu-dierenden immer wieder darauf hinweisen, buchstäblich ‚selbst zu denken’ und sich nicht nur auf den Rechner zu verlassen?

Selbstverständlich. Die Verantwor-tung für den Einsatz der digitalen Werkzeuge liegt beim Nutzer, und diese Kompetenz müssen wir schu-len. Ich zum Beispiel kenne kein Ar-chitekturbüro, das heute noch mit Reißschiene zeichnet. CAD-Systeme haben sich überall durchgesetzt. An-dererseits beobachte ich, sozusagen als Kompensation, die Aufwertung der Bleistiftzeichnung in ihrer mate-rialgebundenen Qualität, die sehr viel mit dem eigentlichen Kern der Archi-tektur zu tun hat: der physischen Ver-räumlichung von Konzepten. Es kann also auch in Zukunft nicht darum gehen, die eine Entwurfstechnik gegen die andere auszutauschen. Sie müssen sich gegenseitig ergänzen.

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REFLEKTIONEN Neue Perspektiven: Ideen abseits der Alltagsarchitektur.

LEBENDIG BLEIBEN – SICH SELBST ERNEUERN

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Von Tor Nørretranders

Des einen Müll ist des anderen Nahrung, und die Hinterlassenschaften des einen Organismus sind Energiequelle für einen anderen. Nach diesem Prinzip funktioniert unser Ökosystem seit viereinhalb Milliar-den Jahren. Nun aber droht dieses Gleichgewicht aus den Fugen zu geraten. Es ist an der Zeit, wieder in geschlossenen Kreisläufen ständiger Erneuerung zu denken.

vor uns auf dem Tisch liegt in der Nachmittagssonne eine geschlossene Glaskugel voller Leben. „Lass mich die Kugel noch einmal sehen“, sagt mein Freund, ein Architekt, „denn sie gibt mir Hoffnung für uns alle.“ Er betrachtet die Kugel nochmals eingehend und wundert sich über das Leben darin. „Wenn es da funktioniert, könnte es vielleicht auch auf der Erde klap-pen“, überlegt er.

In der Glaskugel mit einem Durchmesser von gerade 10 Zen-timetern koexistieren drei Spezies nicht besonders spektakulärer Lebewesen. Gemeinsam sind sie ein hervorragendes Team: Jahr für Jahr leben sie völlig allein und abgeschottet von der Außen-welt. Es gibt nur eine einzige Form von Kontakt: das Sonnenlicht, das tagsüber in dieses abgeschlossene Universum eindringt. Ein anderer Austausch mit der Umgebung findet nicht statt.

Die Bewohner der Glaskugel sind Krabben, Algen und Bak-terien. Die Krabben sind am auffälligsten, zumindest für uns, weil sie Kreaturen wie wir sind. Sie atmen Sauerstoff und nutzen ihn, um Nahrung in Energie umzuwandeln und somit im Was-ser schwimmen zu können. Krabben bewegen sich und atmen Kohlendioxid aus – genauso wie wir.

Die Algen nutzen ihrerseits die Energie des Sonnenlichts, um aus dem Kohlendioxid chemische Nährstoffe zu erzeugen. Es läuft also ein simpler kleiner Kreislauf ab: Algen nutzen Son-nenlicht und Kohlendioxid, um Nährstoffe und Sauerstoff zu produzieren. Die Krabben essen die Nährstoffe und ‚verbrennen‘ sie mit Sauerstoff, um Bewegungsenergie zu erzeugen. Und Aus-scheidungen, aus denen die Bakterien wiederum Stoffe gewin-nen, die für die Algen nützlich sind. So läuft ein geschlossener Kreislauf ab, der sich endlos weiter dreht in der Isolation – eine sogenannte Ökosphäre.

erneuerbarkeit zählt – bei energie und materieDie gleichen Vorgänge können wir im großen Maßstab auf unserem Planeten beobachten. Alles Leben entwickelt sich aus der Sonnenenergie, die von Pflanzen aufgenommen wird, wel-che dann wiederum von Tieren gefressen werden. Die Tiere oxidieren die pflanzlichen Substanzen mit Sauerstoff zu Koh-lendioxid, das wiederum die Pflanzen speist. Es findet kei-nerlei Austausch außerhalb der Erdkugel statt – ein einziger riesiger Recyclingprozess , ausgelöst durch das auf die Erde fallende Sonnenlicht.

D&A HERBST 2008 AUSGABE 09

Links Drei Arten interagieren in einem geschlossenen System

– das ist das Konzept der ‚Eco-sphere‘. Krabben, Algen und Bakterien bilden darin eine perfekte Symbiose, bei der die eine Spezies von den Ausschei-dungen der anderen lebt. Alle Substanzen sind Teil eines ewigen Kreislaufs.

Erneuerbarkeit betrifft nicht nur Energie. Natürlich sind wir wie alle lebenden Organismen auf die allzeit gelieferte Son-nenenergie angewiesen, viel mehr als auf unabhängige Energie-formen wie Brennstoffe oder Nuklearreaktionen. Jede Menge Energie durchströmt unser System. Wir müssen nur verstehen, wie man die Energie, die unsere Umwelt belebt, nutzbar macht

– zum Beispiel mit Solarzellen, Windmühlen, Wellenkraftwer-ken oder Pflanzenstoffen wie Holz zum Feuermachen.

Aus der Mini-Ökosphäre können wir aber lernen, dass nicht nur Energie erneuert werden kann und muss, sondern auch die Stoffströme. In der kleinen Kugel werden alle Stoffe recycelt. Was der eine Organismus ausstößt, nimmt der andere auf. Oder, wenn man so will, ein Organismus ‚isst‘ den Mist des anderen.

Diese Wechselwirkungen bestimmen auch auf der Erde das allgemeine Gesetz des Lebens. Lediglich wir Menschen haben in den vergangenen Jahrhunderten ziemlich merkwürdige Ideen entwickelt. Wir produzieren Abfälle, die kein anderer Organis-mus auf der Welt essen will. Daher stapeln sich die Müllberge, die wir mit Lastwagen wegfahren und verbuddeln müssen. Oder verbrennen – Hauptsache weg damit.

Andererseits nutzen wir Ressourcen, die keine Hinterlas-senschaften anderer Organismen sind – begrenzte Ressourcen. Metalle sind keine organischen Abfälle, sondern Überbleibsel lange verglühter Sterne, die vor Milliarden Jahren explodierten. Brennstoffe sind Produkte von Organismen, die vor Millionen Jahren ausstarben. Deshalb werden wir diese Ressourcen auf-brauchen. Und produzieren zudem dummerweise Müll, den kei-ner brauchen kann. Wir verwandeln also begrenzte Ressourcen in Abfall, der sich immer höher auftürmt.

Diese Strategie ist nicht zukunftsträchtig. Sie ist endlich und kurzsichtig. In unserer Mini-Ökosphäre wären auf diese Weise schnell alle tot.

mit mehr auskommen statt mit wenigerErneuerbare Energie ist nur ein Teil dringend benötigter Zukunftstechnologie. Ein anderer sind geschlossene Stoffkreis-läufe. Wir müssen vom Leben selbst lernen, dass alles Teil eines großen Kreislaufs sein muss.

Seit Jahrmilliarden existiert Leben und damit eine Fülle an Aktivität. Lebende Kreaturen lieben es, das Sonnenlicht aufzu-saugen und sich zu bewegen, sei es durch Umherschwimmen in FO

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abfall ist nahrung: das ‚cradle to cradle‘-prinzipWie aber lässt sich solch eine Welt verwirklichen? Kurz vor der Jahrtausendwende rief der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling eine neue Umweltbewegung ins Leben, die (‚cybergrüne‘) Viridi-an-Design-Bewegung, deren Name sich auf einen eher künstli-chen denn natürlichen Grünton bezieht. Dahinter steckt die Idee, dass wir auf der Basis neuer Technologien eine Welt erschaffen können ohne absurde Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Wir können neue und bislang unbekannte Technologien in der Welt einführen: Hightech und global, nicht Lowtech und lokal. Es gilt, sich von überholter, rückwärtsgerichteter Umweltroman-tik zu lösen und den Blick nach vorne zu richten.

Sterlings Idee begründete eine enorm populäre Bewegung namens Worldchanging mit einem interessanten Internetauf-tritt und einem 600-Seiten-Buch zum Wandel der Welt. Diese Bewegung wird manchmal als ‚hellgrün‘ bezeichnet, um sie von der traditionellen grünen Bewegung und deren Anti-Business-Haltung und Anti-Wachstumsdenken zu unterscheiden.

Eine ähnliche Initiative ist die Cradle-to-Cradle-Philoso-phie des amerikanischen Architekten William McDonough und des deutschen Umweltchemikers Michael Braungart. Ihre Idee basiert auf dem Prinzip ‚Abfall = Nahrung‘. Alle von den Men-schen genutzten Materialien und Elemente sollten im nächsten Schritt des biologischen oder technologischen Zyklus verwert-bar sein. Ist ein Produkt also verbraucht, wird es zur biologischen Nahrung für irgendein Lebewesen oder zum technologischen Rohstoff bei der Herstellung eines anderen Produkts. So fügt sich alles in die große Kette des Lebens ein. Nichts geht mehr von der Wiege zum Grab, sondern alles von Wiege zu Wiege – eine ständige Wiedergeburt.

Viele dieser Überlegungen gehen auf die Visionen des ameri-kanischen Architekten Buckminster Fuller zurück, der für seine Dombauten und das 1963 erschienene Buch Operating Manual for Spaceship Earth bekannt ist.

eine gesellschaft der flüsse und verbindungenOffenbar ist es eine schwierige Aufgabe, das Raumschiff Erde zu steuern. Unsere gesamte Zivilisation beruht auf der Nutzung von Energie- und Materialvorkommen, der Idee von Steuerzentralen, von innen und außen, von weltlichen Grenzen. Ich behaupte, dass wir derzeit an einer neuen Version der Zivilisation arbei-

einer kleinen Glaskugel oder durch Herumfliegen am Abend-himmel ohne erkennbaren Zweck. Leben bedeutet Bewegung und Wachstum! Das sollte auch für uns gelten.

Sobald wir anfangen, ausschließlich erneuerbare Energien und Materialien zu nutzen, können auch wir wieder gedeihen. Dass umweltbewusstes Handeln mit eingeschränktem Konsum verbunden ist, liegt einzig darin begründet, dass wir Stoffe ver-brauchen, die keine Abfallprodukte anderer Organismen sind, und Stoffe produzieren, die keinem Lebewesen als Nahrung die-nen. Sobald wir uns aber wieder in diesen großen Kreislauf ein-fügen, können wir so viel produzieren und konsumieren, wie wir möchten.

Deshalb ist ein Umweltdenken überholt, das uns Restriktio-nen im Hinblick auf Konsum und Müllerzeugung auferlegt. Statt uns einzuschränken, sollten wir eine vernünftigere Lebensweise anstreben: andere Dinge zu nutzen und zu produzieren – nicht unbedingt weniger, aber andere Dinge. Wir müssen Technolo-gien entwickeln, die es uns erlauben, an dem großen Lebens-zyklus teilzunehmen, anstatt außen vor zu stehen.

Wenn wir das tun, werden wir auf diesem Planeten wieder willkommen sein. Dann müssen wir uns unseres Daseins nicht mehr länger schämen und unser Leben auf die notdürftigsten Ansprüche beschränken.

Dies ist vielleicht die größte Veränderung, der wir uns der-zeit stellen müssen. Zu den heutigen Umweltzielen zählen ein-geschränkter Konsum und reduzierte Energienutzung sowie Schonung des Fischbestands und gemäßigte Essgewohnheiten. Diese Idee der Selbsteinschränkung gehört zur Epoche der Müll-halden und Deponien, in der wir immer noch leben. In einer solchen Welt muss man sich beschränken, da gibt es nicht viel Raum für Alternativen.

Die Idee ‚’allgemeiner Erneuerung‘ dreht dieses Gefüge um 180 Grad. Sobald wir wieder am Zusammenspiel zwischen Son-nenlicht und Stoffaustausch auf unserem Planeten teilnehmen, können wir so viel konsumieren, wie wir wollen, vorausgesetzt, dass wir Abfallprodukte anderer Organismen nutzen und der von uns produzierte Müll von anderen Lebewesen verarbeitet werden kann.

Rechts Der menschliche Blutkreislauf ist kein geschloss-enes System im Sinne der

‚Ecosphere‘. Im Gegenteil: Rund 98 Prozent der Atome in unserem Körper werden jedes Jahr erneuert. Dennoch greifen

auch hier Ver- und Entsorgung idealtypisch ineinander. Die Blutbahnen sind das ‚Verkehrs-system‘, das alle Organe miteinander vernetzt und sie zugleich funktionsfähig erhält.

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Links Das Delta des Flusses Lena in Sibirien aus dem All. Der Wasserkreislauf der Erde ist ein geschlossenes System, das dennoch durch äußere Einflüsse

– vor allem seitens des Menschen – empfindlich aus dem Gleichge-wicht geraten kann.

ten, einer Zivilisation 2.0, die auf gänzlich anderen Prinzipien basiert: Fluss und Verbindungen.

Der Fluss betrifft erneuerbare Energien und Materialien. Die Verbindungen beziehen sich auf die Richtung des Flusses. Er fließt von einem Ort zum anderen und verbindet Dinge mitei-nander. Sonne und Erde, Pflanzen und Tiere, ein Produkt und der nächste Zyklus – alles basiert auf denselben Materialien.

Das Internet ist das beste Beispiel dafür, wie die neue Zivi-lisation aussehen kann: keine zentrale Kontrolle, sondern ver-teilte Intelligenz, endlose Verbindungen zwischen Menschen und Dingen, endloser Fluss und Austausch von Informatio-nen. Das Internet konnte nur wegen seiner dezentralisierten Organisation so groß und wichtig werden. Niemand kann den gigantischen Informationsfluss im Netz kontrollieren. Eine massive, verteilte Koordination ist erforderlich: Links, Links und noch mehr Links.

Dasselbe gilt für die neuen Technologien, die neue Nut-zung der Umwelt, die neuen globalen Strukturen, die wir in den nächsten Jahrzehnten entwickeln müssen, um die Klima- krise zu überstehen – immer wird es um Informationsaus-tausch und Beziehungen zwischen Dingen, Orten und Men-schen gehen: Links. Deshalb bezeichne ich das kommende Zeitalter als Link-Zeit.

Wir müssen lernen, zusammenzuarbeiten. Der Abfall der einen Kreatur ist Nahrung für eine andere. Das gilt für materi-elle Stoffe, aber auch für Ideen, Innovationen, Pläne und Träume. Teilt man alles, können andere es nutzen. Im Grunde müssen wir die Welt neu erfinden. Dies dürfte ein ziemlicher Kraft-akt werden, den wir nur meistern können, wenn wir all unsere Träume teilen.

Vor Kurzem entglitt mir bei einer Präsentation auf einer Open-Source-Computerkonferenz ganz unschuldig die Phrase

„share your shit“ – die sofort zum Slogan der Konferenz wurde. Es geht um das Teilen von Material, aber auch von Ideen. Bei den neuen Technologien steht Teilen im Mittelpunkt.

Vielleicht aber wollen Sie Ihren Müll nicht teilen oder sich die Hinterlassenschaften anderer einverleiben? Nun gut. Pflan-zen stoßen Sauerstoff aus. Versuchen Sie mal für eine Minute, auf diesen ‚Pflanzenabfall‘ zu verzichten, dann reden wir noch mal drüber. Sie wollen Pflanzen nicht mit Ihren Ausscheidun-gen helfen? Halten Sie einfach einmal den Atem an. Nach ein

paar Minuten sehen wir weiter. Wir sind ein Teil der Welt. Wir können uns nicht davon-

machen oder ohne sie leben. Jeder Mensch nimmt pro Tag ein Kilogramm Nahrung und mehrere Liter Flüssigkeit zu sich. Das ergibt im Jahr mehr als eine Tonne, die durch uns hindurch-geht. In einem Jahr werden 98 Prozent der Atome in unseren Körpern ausgetauscht!

Wir sind keine materiell konstanten Subjekte, sondern eher wie Software. Der Apfel, den Sie zum Nachtisch gegessen haben, weckt Erinnerungen an die Kindheit. Alle Atome Ihres Kinder-körpers sind lange verschwunden, aber die Erinnerung bleibt. Genau wie wir bei der Musik von Schallplatten und Kassetten über Discs und iPods zur drahtlosen Welt übergehen. Wir sind ein Programm, das auf ständig wechselnden Atomen läuft.

Wir befinden uns in einem Zustand, den ich als permanente Reinkarnation bezeichne: Unser Körper erneuert sich ständig. Das hat nichts zu tun mit Leben nach dem Tod oder Seelenwan-derung. Es geht um die simple Tatsache, dass wir eher wie ein Fluss oder eine Flamme sind als wie ein Stein oder eine Glüh-birne. Ein Fluss ist und bleibt derselbe, weil sich das Wasser ständig erneuert. Eine Flamme ist und bleibt dieselbe, weil sie vom Luftstrom lebt. Wir sind und bleiben dieselben, weil oben Bananen reingehen und unten – ein bisschen modifiziert – wie-der rauskommen.

Versuchen Sie einmal, den Lauf der Zeit aufzuhalten, und verweigern Sie sich der Erneuerung. Das können Sie tun, dafür gibt es ein Wort: Wenn Sie sich nicht mehr erneuern, sind Sie tot. Dann isst niemand mehr Ihren Mist. Dann werden Sie gegessen.

Also hören Sie bitte nicht auf, sich vom Sonnenlicht durch-strömen zu lassen. Bleiben Sie lebendig – erneuern Sie sich.

Tor Nørretranders ist ein unabhängiger Autor, Denker und Kommentator aus Kopenhagen, Dänemark. Nach Abschluss seines Masterstudiums in Umwelt-planung und Wissenschaftssoziologie lehrt er heute Wissenschaftsphiloso-phie an der Copenhagen Business School. 1985 erhielt er den Sachbuchpreis des dänischen Schriftstellerverbandes, 1988 den Publizistenpreis des däni-schen Publizistenvereins. FO

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VELUX MODEL HOME 2020

“You never change things by fighting the existing reality. To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.”Buckminster Fuller

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Die Herausforderung heuteDie Zukunft bringt für das Bauwesen ernsthafte Herausforderungen mit sich. Stichworte sind Rohstoffversorgung, Ener-gieeffizienz und gesunde Gebäude. Die dauer-haft angespannte Rohstoffsituation zwingt die Baubranche wie auch Architekten und Planungsbüros zur kreativen Lösungssu-che. Gebäude und ihre Baumaterialien müs-sen entwickelt werden, die energieeffizient sind und wenn möglich sogar selbst Energie produzieren. Und das Wohnen in ihnen muss gesund sein.

Die Art, wie wir bauen, wirkt sich auf unser Leben, unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden aus. Tageslicht und frische Luft spielen dabei eine wichtige Rolle. Obwohl wir 90 Prozent im Inneren von Gebäuden verbringen, herrscht in bis zu 30 Prozent aller Gebäude ein ungesundes Innen-klima, das sich negativ auf die menschliche Gesundheit auswirkt.

Darüber hinaus beeinflusst die Art, wie wir bauen, entscheidend unser Klima. In Europa werden ungefähr 40 Prozent aller Energie von Gebäuden verbraucht. Die Europäische Union hat im Rahmen der euro-päischen Energierichtlinie ein Paket lang-fristiger Maßnahmen beschlossen. Dieses Paket schreibt vor, dass alle EU-Mitglieds-länder bis zum Jahr 2020 ihren Gesamtener-gieverbrauch und ihre CO2 -Emissionen um 20 Prozent senken müssen. Weiterhin müssen alle Mitgliedsländer dokumentieren, dass 20 Prozent ihres Gesamtenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen stammen.

Experimente für die ZukunftVELUX entwickelt seit den 90er-Jahren Demonstrationshäuser. Beispiele hierfür sind das in Daylight & Architecture 05 vorge-stellte Demonstrationshaus Atika und das in dieser Ausgabe präsentierte Haus SOLTAG. Wir möchten auch weiterhin die Agenda der Baubranche durch klimaneutrale Gebäude bestimmen, die durch ausgeglichene Tages-

lichtbeleuchtung, natürliche Belüftung und gesunde Baumaterialien einen hohen Wohn-standard bieten. Unsere Vision für zukünf-tige Wohnumgebungen heißt ‚Model Home 2020‘. Im Rahmen dieses Programms wer-den in den kommenden zwei Jahren in fünf Ländern sechs Häuser gebaut werden. Jedes Haus bietet die Gelegenheit, unsere Ideen hin-ter ‚Model Home 2020‘ zu testen und weiter-zuentwickeln. Damit handelt VELUX ganz im Sinne seines Gründers Villum Kann Rasmus-sen, der einmal sagte: „Ein Experiment ist besser als tausend Expertenmeinungen.“

Die Häuser in Dänemark und Großbritan-nien werden in einem Joint Venture zwischen VELUX als Hersteller von Dachfenstern sowie VELFAC als Hersteller von Fassadenfenstern gebaut. Im Folgenden stellen wir die ersten beiden Experimente vor, die in den kommen-den Monaten in Dänemark Realität werden sollen. www.velux.com/modelhome2020

ACTIVE HOUSING Active Housing ist eine Vision für zukünftige Gebäude, die Energie-effizienz und hohe Wohnqualität miteinander verbindet. In den ver-gangenen Jahren sind im Bauwesen Technologien, Materialien und Fä-higkeiten entstanden, die die Schaf-fung hoch effizienter Gebäudehüllen

ermöglichen. In naher Zukunft müs-sen weitere Schritte in diese Rich-tung unternommen werden. Schon von den ersten Skizzen an müssen Architekten und Fachingenieure im Entwurfsprozess Tageslicht, Belüf-tung und andere passive Technolo-gien berücksichtigen. Das Ziel muss

sein, die erneuerbaren Ressourcen Frischluft und Tageslicht mit Hilfe einer dynamischen Gebäudehülle zu nutzen, die sich an die Bedürf-nisse der Bewohner anpasst, indem sie ein optimales Raumklima schafft und gut auf das Klima im Allgemei-nen abgestimmt ist.

Active Housing ist ein ganzheitliches Entwurfskonzept, das den Gesamt-energieverbrauch während des Baus und der Nutzung eines Gebäudes be-rücksichtigt und erneuerbaren Ener-gien Priorität gibt.

ENERGIEDESIGN

Es bietet ein Höchstmaß an Wohnkomfort, in dessen Mittelpunkt ein gutes Raumklima, frische Luft und natürliches Tageslicht stehen, die ge-meinsam dazu beitragen, ein gesun-des Gebäude zu schaffen.

WOHNQUALITÄTIM EINKLANG MIT

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Bolig for Livet

Komfort Ästhetik

Energie

Energieverbrauch und -erzeugung in kWh/m2/Jahr

Elektrizität(Haushalts-geräte)

Elektrizität (Haustechnik)

Heizung und Warmwasser

Gesamt Energie-erzeugung

Über-schuss

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‚BOLIG FOR LIVET’ ÅRHUS, DÄNEMARK

‚Bolig for Livet‘ (‚Haus zum Leben‘) ist das Ergebnis eines interdisziplinären Projekts, bei dem sich die Parameter Energie, Komfort und Ästhetik wech-selseitig ergänzen und zu einem Ma-ximum an Lebensqualität beitragen. Das Projekt ‚Bolig for Livet‘ wird in Dä-nemark, nördlich von Århus, gebaut. Das Haus verfügt auf zwei Etagen über eine Grundfläche von 190 m2.

EnergieDer Gesamtenergieverbrauch wird so gering wie möglich gehalten und durch erneuerbare und CO2-neutrale Energien abgedeckt, die im Gebäude selbst gewonnen werden. Nach rund 30 Jahren entspricht der so erwirt-schaftete Energieüberschuss der Energiemenge, die in den Bauma-terialien des Hauses enthalten ist. Einen wichtigen Anteil am Energie-design hat die Fenstergestaltung. Anordnung und Ausführung der Fenster beeinflussen die Energie-aufnahme und die Ästhetik des Ge-bäudes sowie die Optimierung von Licht-, Luft- und Wärmezufuhr. Die Fensterfläche entspricht 40 % der beheizten Geschossfläche. Für die

Energieversorgung sorgen Solarzel-len, Sonnenkollektoren und mecha-nische Belüftungssysteme mit hoch effizienter Wärmerückgewinnung. Die Systeme sind intelligent und be-darfsgesteuert.

ÄsthetikDer Entwurf des Modellhauses transformiert das archetypische Wohnhaus in eine futuristische ‚Ener-giemaschine‘, die mit der umgebenden Natur und dem Leben im Inneren des Gebäudes interagiert. Der Grundriss des Hauses basiert auf einem ‚Tages-lichtkreuz‘, das von allen vier Him-melsrichtungen Beleuchtung und Zutritt gewährt. Alle Räume enthal-ten Fenster in mindestens zwei Him-melsrichtungen. Diese dienen nicht nur als Lichteinlass, sondern auch als Ausgang, Belüftungsöffnung, als Ni-schensitzplätze, Arbeitsplatz oder auch als Rahmen für den Blick nach außen. KomfortWährend der Heizperiode wird Frisch-luft über mechanische Belüftungssys-teme angesaugt. In der übrigen Zeit

kann die Frischluftzufuhr über die na-türliche Belüftung erfolgen. Die Tem-peratur kann in jedem Raum einzeln geregelt werden. Beratung: Architekturbüro AART und Beratende Ingenieure EsbensenForschung: The Engineering College of Aarhus, the Alexandra Institute and The Aarhus School of ArchitectureZulieferer: VELFAC, VELUX, Win-dowMaster and Sonnenkraft.

‚Bolig for Livet‘ wird im März 2009 eröffnet. Nach der Ausstellung wird das Gebäude von einer Familie bezo-gen werden, die das Wohnen, Arbei-ten, Verbrauchen und nicht zuletzt das Leben im neuen Haus testen wird.

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Kyoto-Dreieck

Effiziente Nutzungfossiler Energien

NutzungerneuerbarerEnergien

SenkungdesEnergieverbrauchs

GREEN LIGHTHOUSE KOPENHAGEN, DÄNEMARK

Die Universität Kopenhagen/Building Services City Campus, die Stadtver-waltung Kopenhagen, VELUX und VELFAC bauen gemeinsam ein neues nachhaltiges Haus, das eine optimale Balance zwischen Energieeffizienz, qualitativ hochwertiger Architek-tur, gesundem Raumklima und guten Tages lichtbedingungen schaffen soll. Die Fertigstellung des Gebäudes ist für 2009 vorgesehen. Es wird Räume für den Dekan, die Lehrkräfte und Studenten des naturwissenschaftli-chen Fachbereichs der Universität Kopenhagen bieten.

Nach dem Willen der Planer soll das Projekt zu einem Orientierung-spunkt für nachhaltiges Bauen in Ko-penhagen und ganz Europa werden. Der Neubau, der aus diesem Grunde als ‚Green Lighthouse’ bezeichnet wird, ist überdies als Exponat für den UN-Klimagipfel COP 15 vorges-ehen, der Ende 2009 in Kopenhagen stattfindet.

Der Planungs- und Bauauftrag für die schlüsselfertige Errichtung des Gebäudes wurde über einen Wett-bewerb vergeben, bei dem das Ener-giekonzept und die architektonische Konstruktion die wichtigsten Kriter-ien waren. Wettbewerbssieger war ein Konsortium aus den Firmen Chris-tensen & Co. Arkitekter (Architekten), COWI (Ingenieure) und Hellerup Byg (Bauunternehmer). Ihr Entwurf‚Sun Dial’ (Sonnenuhr) basiert mit seinem Energiekonzept auf dem Kyoto-Dreieck (siehe Illustration). Das Ge-bäude besitzt einen runden Grundriss mit zentralem, natürlich über das Dach belichtetem Atrium und bietet auf drei Stockwerken eine Geschoss-fläche von 950 m².

GRÜNES DENKEN ALS CHANCE

VELUX IM DIALOG Architekten im Dialog mit VELUX.

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Interview mit Gaëtan Siew

‚Transmitting Architecture’ (Architektur vermitteln) lautete das Motto des 23. UIA-Weltkongresses, der Anfang Juli in Turin stattfand. Doch wem und auf welchem Wege soll insbesondere ‚grüne‘, energiespa-rende Architektur vermittelt werden? Daylight&Architecture hat Gaëtan Siew, von 2005 bis 2008 Präsident der UIA, hierzu befragt.

D&A Mr. Siew, das Motto ‚Transmitting Architecture’ des diesjährigen UIA-Weltkon-gresses wirft die Frage auf, wem Architektur – vor allem eine Architektur, die erneuer-bare Energien nutzt und die CO2-Emission deutlich reduziert – vermittelt werden soll. Welche ‚Übermittlungskanäle‘ stehen den Architekten zur Verfügung?

GS Nachhaltige Architektur kann auf zwei Wegen vermittelt werden: einerseits durch technische Lösungen und Bewusstseinsbil-dung, andererseits auf politischer Ebene. Zum ersten Aspekt hat die UIA in den letz-ten drei Jahren gemeinsam mit Experten aus aller Welt zwei Arbeitsprogramme erarbei-tet. In unseren Forschungsgruppen tauschen diese Fachleute Informationen aus, um ein-heitliche technische Standards und Zielvor-gaben weltweit zu etablieren.

Der zweite, politisch orientierte Aspekt unserer Vermittlungsarbeit umfasst die Interessenvertretung in politischen Organi-sationen, Regierungen und Behörden welt-weit. Die Dokumente, die wir hierzu erstellt haben, können alle Mitglieder unserer Orga-nisation aus 132 Ländern ihrer jeweiligen Staatsregierung vorlegen. Daneben arbei-ten wir mit internationalen Organisationen wie UNEP, UN-Habitat, UNESCO und WHO zusammen. Wir wollen sie bewegen, in ihre

haben die Unternehmer erkannt, dass mit ‚Grünsein’ Geld zu machen ist. Der Umwelt-aspekt wird als Geschäftschance betrach-tet, und da Häuser und Gebäude für rund 50 % des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich sind, bieten sich vor allem dem Bausektor vielversprechende Mög-lichkeiten. Ohne ein Urteil fällen zu wollen – der wirtschaftliche Ansatz ist sicherlich ebenso zweckdienlich wie politische Ein-flussnahme.

Im Rest der Welt, insbesondere in gro-ßen Nationen mit hohem Entwicklungspo-tenzial wie Brasilien, China, Russland und Indien, sieht die Situation wiederum anders aus. Diese Länder haben in den letzten Jah-ren eine extreme ökonomische Entwicklung verzeichnet, aber dabei kaum Umweltas-pekte berücksichtigt. Nach 10 Jahren rapi-den Wirtschaftswachstums, erkennen sie nun ihren umwelttechnischen Entwicklungs-rückstand, der schwerwiegende Probleme verursacht. In China zum Beispiel werden die meisten Erkrankungen durch Umweltver-schmutzung verursacht, und oftmals kosten spätere Heilbehandlungen mehr als vorbeu-gende Umweltschutzmaßnahmen. Daher gewinnen Umweltbelange auch in Schwel-lenländern zunehmend an Bedeutung – nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern um des reinen Überlebens willen.

Arbeitsprogramme auch architektonische und bautechnische Aspekte einzubeziehen. D&A Inwiefern können Architekten die Ent-wicklung nachhaltiger Bauprinzipien in ihren Verbänden fördern? Gibt es regionale Unter-schiede?

GS In den letzten Jahren hat sich dieser Ein-fluss deutlich gesteigert. Noch vor zehn Jah-ren war der Umweltaspekt in vielen Ländern von zweitrangiger Bedeutung, frei nach dem Motto „Das betrifft uns nicht“ oder „Sollen andere dafür sorgen“. Heutzutage aber sind Umweltbelange weltweit ein zentrales Pro-blem. Alle Gesellschaften und politischen Institutionen müssen sich – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – damit ausein-andersetzen. In Europa vollzieht sich dieser Prozess durch ein zunehmendes Umwelt-bewusstsein der Bevölkerung, geschürt von diversen Umweltorganisationen. Dies führte nicht nur zu länderübergreifenden Maßnahmen, sondern hat die EU-Kommis-sion auch zu der Zielvorgabe veranlasst, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren.

In den angelsächsischen Ländern, ins-besondere in Nordamerika, Großbritannien und Australien, nähert man sich diesem Pro-blem eher aus ökonomischen Motiven. Hier

Links Das Lingotto-Gebäude in Turin (Giacomo Mattè-Trucco, 1915–1923), Schauplatz des dies-jährigen UIA-Kongresses, scheint zunächst wenig mit ‚nachhalti-gem Bauen‘ zu tun zu haben. Doch die ehemalige Fiat-Fabrik beher-bergt heute eine höchst vitale Mischung aus Kongresszent-rum, Shopping-Center, Hotel und Hochschule.

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Die Gründe für den Versuch, die Umwelt-probleme in den Griff zu bekommen, vari-ieren also von Region zu Region. Für uns Architekten jedoch bieten all diese Strate-gien gleichermaßen die Gelegenheit, eine Position zurückzugewinnen, die wir in letz-ter Zeit mehr oder minder eingebüßt haben: unsere Rolle als Generalisten, die mit Spe-zialisten diverser Fachrichtungen koope-rieren, um ganzheitliche Lösungen für ein globales Problem zu finden. Dies ist wich-tig, weil solche Lösungen allumfassend sein müssen. Umweltprobleme lassen sich nicht allein durch technische Mittel beheben; viel-mehr gilt es, auch soziale und kulturelle Kom-ponenten zu berücksichtigen.

D&A Vor drei Jahren hat die UIA ein Arbeits-programm mit dem Titel ARES (Architecture & Renewable Energy Sources) entwickelt. Wie sieht dieses Programm aus, und liegen bereits Ergebnisse vor?

GS Die Arbeitsgruppe ARES wurde 2005 beim UIA-Weltkongress in Istanbul unter Leitung des griechischen Architekten Nikos Fintikakis ins Leben gerufen. Bislang ist ARES auf zwei Ebenen aktiv geworden. Zum einen haben wir an großen Konferenzen und Fachtagungen in Paris, Cannes und Abu Dhabi teilgenommen. Dort haben wir unsere

Partner aus der Immobilien- und Baubran-che über die von uns in den letzten Jahren entwickelten Umweltkriterien informiert, von denen auch diese Sektoren wirtschaft-lich profitieren können. Zum anderen vergibt ARES Preise und Auszeichnungen und setzt damit einen Anreiz für Architekten in aller Welt, neue Wege im nachhaltigen Bauen zu beschreiten. Zum Beispiel haben wir auf dem UIA-Kongress in Turin die Sieger eines Architektenwettbewerbs gekürt, in dem Notunterkünfte für die Katastrophenhilfe entworfen werden sollten. Vorgabe war die Nutzung erneuerbarer Energiequellen unter Rücksichtnahme auf unterschiedlicher Regi-onen, deren Klimagebiete und Kulturen.

Derzeit verhandeln wir mit einem Bauun-ternehmen über die Realisierung des Siege-rentwurfs, und mit UN-HABITAT diskutieren wir eine entsprechende Umsetzung bei der Hilfe vor Ort. Es müssen also nicht immer große Taten sein. Auch mit kleinen Schritten kann man viel bewirken. Dank globaler Ver-netzung können wir unsere Aktionen welt-weit verbreiten und koordinieren. Selbst die chinesischen Behörden haben sich kürzlich an uns gewandt und um Hilfe im Erdbeben-gebiet in Sichuan gebeten. Geld ist in China kein Problem, dort benötigt man vielmehr Unterstützung bei Koordination und Logistik sowie architektonisches Fachwissen.

D&A Gewinnt Nachhaltigkeit Ihrer Mei-nung nach heutzutage in der Architektur an Bedeutung?

GS Davon bin ich überzeugt. Auch wenn dies vielleicht auch nicht für alle Bauher-ren gilt, so doch sicherlich für die Architek-ten, insbesondere die junge Generation. Die UIA steht in Kontakt mit der Mehrheit der 750.000 Architekturstudenten in aller Welt. Wir haben erkannt, dass ‚grünes Denken’ bei ihnen sehr verbreitet ist, mehr noch als bei den Architekten meiner Generation.

Mittlerweile unterstützen aber auch andere Berufsgruppen aus der Bauindus-trie unsere Bemühungen. Sie suchen nicht mehr nach isolierten Lösungen, sondern set-zen auf Zusammenarbeit mit Architekten und anderen Experten. Die Resultate sind vielversprechend.

D&A Kürzlich haben Sie angeregt, ähnlich den in vielen Ländern gängigen ‚Fair Trade’-Labels ein Siegel für ‚faire Architektur’ einzuführen. Welche Kriterien würden hierfür gelten, und wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

GS Ich halte diesen Ansatz für äußerst wertvoll. Wir haben bereits entsprechende Entwürfe erarbeitet, die wir diversen Orga-nisationen vorlegen wollen. Das Schema

Gaëtan Siew (2. v. r. ) war von 2005 bis 2008 Präsident der Union Internationale des Architectes (UIA).

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sollte möglichst einfach sein. In einem glo-balen Kontext darf man sich nicht in Details oder technischen Spitzfindigkeiten verzet-teln, sonst kommt man niemals auf einen gemeinsamen Nenner. Uns schwebt eine Art ‚Zehn Gebote‘ im Sinne strenger Vorga-ben vor, die jede Nation und Region ihrem kulturellen und politischen Kontext anpas-sen kann. Diese zehn Gebote werden wir in den nächsten drei Jahren ausarbeiten und durch detaillierte Richtlinien und Zielvorga-ben ergänzen, an welchen man sich bei der alltäglichen Arbeit orientieren kann. Dieser zweite Schritt ist wichtig, denn Zielsetzun-gen sind nur dann sinnvoll, wenn man sich selbst an ihnen messen kann.

Bei der Entwicklung dieser Strategie werden wir Architekten von Landschafts-architekten und Städteplanern sowie vom Immobilien- und Bausektor unterstützt. Und sobald diese Interessenvertreter Zeit, Mühe und Geld in ein solches Konzept investieren, wollen sie natürlich Ergebnisse sehen.

D&A Welche Prioritäten hat sich die UIA bis zum nächsten Weltkongress 2011 in Tokio gesetzt?

GS Es gibt drei große Betätigungsfelder. Erstens werden wir uns – wie oben bereits dargelegt – mit Nachhaltigkeit und Klima-

wandel beschäftigen. Ein zweites Thema ist die kulturelle Vielfalt. Die zunehmende Globalisierung der Welt birgt das Risiko uniformer Lösungen in der Architektur. Der Irrglaube, es gebe so etwas wie allgemeine Patentlösungen in der Architektur, ist leider weit verbreitet. Wir propagieren dagegen kulturelle Vielfalt und Kulturerbe als zwei unserer Topthemen, denn wir wollen vermei-den, dass eines Tages die ganze Welt wie Manhattan oder Dubai aussieht.

Ein dritter, nicht minder wichtiger Aspekt ist die humanitäre Hilfe. Hierzu gehört vor allem der Wiederaufbau nach Naturkatastrophen oder in Kriegsgebieten. Wie der ARES-Wettbewerb zeigt, engagiert sich die UIA hier sehr stark.

D&A Spielen kulturelle und soziale Aspekte auch bei Ihrer Initiative ‚Faire Architektur’ eine Rolle?

GS Selbstverständlich. Die Deklaration der UIA basiert sowohl auf Nachhaltigkeit als auch auf kultureller Vielfalt. Und nach unse-rer Überzeugung muss ‚faire‘ Architektur nicht nur Umweltbelange berücksichtigen, sondern auch dem sozialen Umfeld und den unterschiedlichen Kulturen gerecht werden.

Gaëtan Siew war von 2005 bis 2008 Präsident der Union Internationale des Architectes (UIA) und leitet noch bis 2011 deren Vision & Strategy Com-mittee. Nach dem Architekturstudium in Marseille gründete Gaëtan Siew 1981 ein eigenes Architek-turbüro in seinem Heimatland Mauritius, das er bis heute leitet. Zu seinen wichtigsten Projekten gehö-ren die Masterpläne für den internationalen Flug-hafen von Mauritius und das Viertel „Chinatown“ in Port-Louis sowie Hotels im In- und Ausland.

Traditionell bietet der UIA-Welt-kongress Architektenverbän-den und Hochschulen aus aller Welt Gelegenheit zur Selbstdar-stellung und zum Meinungsaus-tausch. Das überwiegend junge Publikum nahm diese Gelegen-heit gern an und ‚bespielte‘ die Messehallen mit allen Arten von Events von der klassischen Architekturausstellung bis zum Workshop.

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VELUX PANORAMA Architektur mit VELUX aus aller Welt.

Rechts: Der zweigeschossige Wohnraum von SOLTAG – hier mit eingezogener Galerieebene – wird durch hoch gelegene Dachfenster mit Tageslicht und Wärme versorgt. Sie lassen etwa doppelt so viel Licht ins Haus wie gleich große vertikale Fenster in der Fassade.

SOLTAGEIN CO2-NEUTRALES DEMONSTRATIONSHAUS FÜR NORDEUROPA

Um die energieeffiziente Nachrüstung vorhandener Gebäude zu demonst-rieren und ein Beispiel für zukünftige Wohnungsbaustandards zu geben, hat VELUX SOLTAG entwickelt, ein Gebäudekonzept, das speziell auf die klimatischen Bedingungen der nord-europäischen Länder ausgerichtet ist. SOLTAG war ein Bestandteil des For-schungsprojekts ‚Demohouse‘, in dem Forschungsinstitute, Wohnungsbau-gesellschaften und Hersteller aus der Baubranche bei der Entwicklung energieeffizienter Lösungen für Ge-bäude kooperierten.

SOLTAG ist ein eigenständiges, teilvorgefertigtes Haus, das auf vor-handene mehrgeschossige Wohnhäu-ser aus den 60er- und 70er-Jahren aufgesetzt werden kann, ohne dass sie an die vorhandenen Energiesys-teme des Gebäudes angeschlossen werden muss. Die Flachdächer kön-nen dadurch als ‚Grundstücke‘ für neue Wohnbauten verwendet wer-den. Darüber hinaus ist SOLTAG auch für Neubauten geeignet, zum Beispiel für Reihenhaussiedlungen, Einfami-lienhäuser in Städten und auf dem Land oder sogar für Hausboote. Der erste Prototyp von SOLTAG wurde 2005 fertiggestellt und mehrere Mo-nate lang in Ørestad im Süden von Ko-penhagen ausgestellt.

Das Haus wird aus Modulen zu-sammengesetzt, die als teilvorge-fertigte Bausätze konstruiert sind. Diese lassen sich schnell installieren, wodurch die Belästigung der Bewoh-ner der betroffenen Gebäude gering gehalten wird. Die Module können auf vorhandene Gebäude aufge-setzt oder alleinstehend verwendet werden. Sie werden individuell gefer-tigt und unter Berücksichtigung des städtischen Umfelds und der finan-ziellen Ressourcen auf die jeweiligen Gegebenheiten abgestimmt.

Das Haus umfasst zwei Module, die gemeinsam eine Wohnung für zwei Personen ergeben. Ein Modul

enthält die wichtigsten Versor-gungseinrichtungen sowie Küche, Bad, Flur und Schlafzimmer. Das an-dere Modul besteht aus dem offenen Ess- und Wohnbereich im Loftstil. An der Nordseite befindet sich eine äu-ßere Galerie, die das Gebäude er-schließt. Auf der Südseite besitzt das Haus einen ausladenden Bal-kon, der die gesamte Tiefe des Hau-ses ausnutzt.

Die Häuser basieren auf einer Rahmenkonstruktion, die auch die außen liegende Galerie und die Bal-kone trägt. Die Rahmenkonstruktion wird bei der Dachaufstockung ein-fach auf bestehende Flachdächer un-terschiedlicher Tiefe aufgesetzt. Die Dachkonstruktion von SOLTAG be-steht aus Stahl mit hölzernen Kehl-balken. Unter dem Dach befindet sich eine offene Galerieebene. Im unteren Geschoss bilden erhöhte Fensterso-ckel eine Sitzgelegenheit für die Be-wohner.

SOLTAG ist als autarkes, das heißt von äußeren Heizungssyste-men unabhängiges Haus konzipiert. Die unabhängige Wärmeerzeugung und -speicherung wird mithilfe von Sonnenenergie erreicht. Diese wird über die natürliche Erwärmung der Räume durch die Fenster sowie die Solarkollektoren genutzt, die Warm-wasser für Küche und Bad sowie für die Fußbodenheizung gewinnen . Die Elektrizität zum Betrieb der Wär-mepumpe und der Lüfter wird von 17,5 m² Photovoltaik-Elemente auf dem Dach bereitgestellt. Eine kom-pakte integrierte Belüftungseinheit mit Wärmerückgewinnung und ein mechanischer Lüfter übertragen die Wärme von der erwärmten Ab-luft auf die von außen zugeführte Frischluft. Auf diese Weise werden 90 Prozent der Wärmeenergie wie-derverwendet.

Eine solide Klimahülle mit stra-tegisch angebrachten Niedrigener-giefenstern, Dämmdicken von 350

Millimetern für die Außenwände und 400 Millimetern für das Dach sowie eine luftdichte Konstruktion ohne Kältebrücken sorgen dafür, dass die Wärme im Haus bleibt.

Die Fensterfläche von SOLTAG beträgt 28 Prozent der Bodenfläche und damit beinahe das Doppelte des bei Wohnhäusern üblichen Wertes. Die Fenster an der Nordseite sind Su-per-Niedrigenergiefenster mit einem U-Wert von 1,0–1,2 W/m²K, woge-gen an der Südseite Standardfens-ter mit einem U-Wert von 1,5 W/m²K verwendet werden. Diese ermögli-chen nicht nur eine gute Versorgung mit Tageslicht, sondern lassen auch die Sonnenwärme ins Haus.

Der Gesamtheizenergiebedarf von SOLTAG beträgt ungefähr 30 kWh/m²a. Dieser äußerst geringe Bedarf an ergänzender Heizleistung ist auf die gut isolierten Wände, Fuß-böden, Dächer und Fenster sowie die passive Sonnenenergienutzung durch die Fenster zurückzuführen. Die Elek-trizität im Haus wird durch einen ‚in-telligenten‘ Stromzähler gesteuert, der die Heizung auf Elektroenergie umstellt, wenn die Sonneneinstrah-lung allein nicht mehr genug Wärme liefert. Die Photovoltaik-Module auf dem Dach sind an das Stromnetz an-geschlossen. Wenn sie mehr Strom produzieren, als verbraucht wird, läuft der Stromzähler rückwärts. In sonnenscheinschwachen Zeiten wird dagegen Strom aus dem Netz verwendet.

Das Dach besitzt ein integrier-tes Luftheizungssystem, welches in Kombination mit der Luftwärme-pumpe funktioniert. Die Luft wird zwischen der äußeren Dachhaut und den darunterliegenden Schichten an-gesaugt und unter der aus Zinkblech und Solarzellen bestehenden Dach-oberfläche erwärmt. Nebenbei kühlt dieser Luftstrom die Unterseite der Solarzellen und sorgt für deren opti-male Betriebsbedingungen.

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Heat-intakeNatural ventilation

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1. Querschnitt mit Energiekonzept

2. SOLTAG besteht aus zwei vorgefertigten Modulen, die auf der Baustelle zusammengefügt und verkleidet werden. Eines enthält Bad, Küche, Schlafzim-mer und Eingangsbereich, das andere den kombinierten Wohn- und Essraum.

3. Eine kniehohe Sitzbank im Norden bildet den Übergang von drinnen nach draußen. Im Norden wurden hochgedämmte, passivhaustaugliche Dachfenster verwendet, um die Wärme im Haus zu halten.

FaktenBauherr VELUX A/S, Hørsholm, DKKonzeptentwicklung RUBOW arkitekter, und Energiedesign Kopenhagen, DK Cenergia Energy Consultants, Kopenhagen, DK Kuben Byfornyelse Danmark, Kopenhagen, DK VELUX A/S, Hørsholm, DKGeneralunternehmer Jytas, Galten, DK Primärenergieverbrauch fürRaumheizung 30 kWh/m²aWarmwasser 15 kWh/m²aKühlung 15 kWh/m²aGesamt 60 kWh/m²a

U-WerteBoden 0.10 W/m²KAußenwand 0.15 W/m²KDach 0.10 W/m²KFenster 1.0–1.5 W/m²K

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4. Südansicht von SOLTAG. Die Dachflächen sind mit rund zwei Quadatmetern Solarkollek-toren ausgestattet, die Warmwasser liefern. Überdies erzeugen 17,5 Quadratmeter Photovoltaik-Paneele rund 1.450 kWh Strom pro Jahr.

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SIX DEGREESOur Future on a Hotter Planet

Autor: Mark Lynas HarperPerennialISBN 978-0007209057

Schon seit Jahren kursieren die Zu-kunftsszenarien des Weltklimarats IPCC in Sonntagsreden und populär-wissenschaftlichen Aufsätzen: Zwi-schen eineinhalb und sechs Grad wird sich die Erde, abhängig vom künfti-gen Verhalten der Spezies Mensch, bis 2100 erwärmen. Doch so richtig konnte sich bislang niemand etwas unter diesen abstrakten Zahlen vor-stellen – es sei denn, er oder sie hätte den Weltklimabericht und die wis-senschaftlichen Forschungsergeb-nisse, die ihm zugrunde liegen, im Detail gelesen.

Diese Arbeit kann man sich nun sparen. Der britische Umweltaktivist David Lynas hat eigenen Angaben zu-folge über zehntausend Aufsätze von Klimaforschern, Glaziologen, Geolo-gen und anderen Spezialisten ausge-wertet, um ein wahrlich einzigartiges Buch zu schreiben. ‚Six Degrees’ han-delt von möglichen Zukunftsszena-rien der Erde, je nachdem, wie weit sie sich in den kommenden Jahrhun-derten erwärmen wird. Lynas hat

sein Buch in sieben Kapitel geglie-dert – je eines pro Grad Erwärmung und ein siebtes Kapitel mit Schluss-folgerungen. Deutlich wird in ‚Six Degrees’ vor allem, dass drei Grad Erderwärmung etwas anderes sind als drei Grad Temperaturunterschied im Tagesverlauf: Einige der sensibel-sten Gebiete – vor allem die Hochge-birge und die Polarregionen – werden weit überdurchschnittlich vom Kli-mawandel betroffen sein. Schon bei einem bis zwei Grad Erderwärmung würde ein massives Artensterben in den Polargebieten und Hochgebir-gen der Erde einsetzen. Und ein sechs Grad wärmeres Klima – das die For-scher bei weiter stark steigendem CO2-Ausstoß schon 2100 für möglich halten – hat die Erde überhaupt erst einmal erlebt, seit es Leben auf ihr gibt. Vor 251 Millionen Jahren lösch-ten ein Vulkanausbruch, giftige, aus den Meeren aufsteigende Faulgase und Methangasexplosionen in der Atmosphäre 95 Prozent aller Arten auf der Erde aus.

Sicher sind die Szenarien, die Lynas in seinem Buch aufzeichnet, von Ungewissheiten begleitet. Doch diese schwinden, je mehr der Mensch über klimatische Zusammenhänge erfährt und je exakter die Wissen-schaftler künftige Klimaverände-rungen simulieren.

Lynas’ Fazit im Schlusskapitel des Buchs fällt entsprechend ernüch-ternd aus: Nach bisherigem Wissens-stand bleiben der Welt noch weniger als zehn Jahre, um den Anstieg des jährlichen CO2-Ausstoßes zu stop-pen. Danach müsste dieser bis 2050 um 90 Prozent gesenkt werden, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu beschränken. Doch dies erscheint ebenso unrealistisch wie das Vorha-ben, einen Ozeantanker in zehn Se-kunden zum Stillstand zu bringen.

WORLDCHANGINGA User’s Guide to the 21st Century

Herausgeber: Alex SteffenAbrams, New YorkISBN 978-0-8109-7085-4

Was wäre, wenn es ein Buch gäbe, das uns erklärt, wie wir ab morgen die Welt retten können?

Eine rhetorische Frage. Dieses Buch gibt es natürlich nicht. Doch ‚Worldchanging’ kommt der Idee be-reits recht nahe: Mehr als 30 Autoren – Journalisten, Science-Fiction-Au-toren, Wissenschaftler, Designer und Unternehmensberater – haben Ideen und Projekte aus aller Welt zu die-sem Nachschlagewerk zusammen-getragen. Das Konzept des Buchs erinnert ein wenig an den – zumin-dest in den USA – legendären Whole Earth Catalog, den der Biologe und Autor Stewart Brand ab 1968 halb-jährlich herausgab: ein unermessli-cher Fundus nützlicher Werkzeuge, die die Erde zu einem lebenswerteren Ort für alle machen sollen. Auf fast 600 Seiten enthält der Band kurze Aufsätze zu all den Problemfeldern, die in den vergangenen Jahren durch die Medien geisterten – vom ökologi-schen Landbau bis zum Lotus-Effekt, von der Open-Source-Software bis zum Solarkocher und vom Energie-sparhaus bis zum Mikrokreditwesen. Wie genau diese zur gewünschten Weltverbesserung beitragen sollen, bleibt mitunter im Vagen, und auch harte Fakten und Zahlen fehlen oft-mals. Nur selten werden die Erfin-dungen und Organisationen, die das Buch vorstellt, wirklich kritisch hin-terfragt. So ist Worldchanging eine Art Encyclopaedia Britannica der guten Nachrichten, gegliedert in sie-

ben Wissensgebiete: ‚Stuff’, ‚Shelter’, ‚Cities’, ‚Community’, ‚Business’, ‚Po-litics’ und ‚Planet’. Der Navigation in-nerhalb der Themengebiete dient ein umfangreiches Register am Ende des Buchs, zum Weiterlesen inspirieren zahlreiche kommentierte Buch- und Internettipps.

Trotz seiner gelegentlichen Ober-flächlichkeit könnte ‚Worldchan-ging’ als Reiseführer in die Welt der Zukunft gute Dienste leisten – vor-ausgesetzt, der Leser ist bereit, sich selbst mit eigenem Urteilsvermö-gen ein Bild über die hier vorgestell-ten ‚Sehenswürdigkeiten’ zu machen. Dabei kommt das Buch ganz ohne den belehrenden Ton vieler Weltverbes-serer aus. Herausgeber Alex Steffen schreibt im Vorwort, warum: „Weil die Aufgabe nicht einfach ist, gibt dieses Buch auch keine einfachen Antworten. Es enthält keine Lis-ten nach dem Motto ‚Zehn einfache Dinge, die Sie tun können’. […] Dieses Buch wurde nicht von Menschen ge-schrieben, die alles wissen (weil sol-che Menschen immer falsch liegen), sondern von einigen Ihrer Mitspie-ler, die selbst herausfinden wollen, wie wir alle die Welt anders gestal-ten können.“

Worldchanging ist wie der Zet-telkasten eines Gelehrten, gelegent-lich ein wenig unsortiert, aber immer inspirierend. Hierzu tragen auch die ansprechende Gestaltung und die hervorragende Bebilderung bei, zu der auch einige Meister ihres Fachs wie Edward Burtynsky oder der Mag-num-Fotograf Stuart Franklin beige-tragen haben. Wie ein wirklich gutes Lexikon ist das Buch mehr als nur ein Nachschlagewerk: Auch wenn es niemand von Anfang bis Ende lesen wird, lädt es doch zu einer lustvollen Entdeckungsreise durch die Welt der Nachhaltigkeit ein.

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BÜCHERREZENSIONENZum Weiterlesen:Aktuelle Bücher, vorgestellt von D&A.

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LAST CALL FOR PLANET EARTHEin Film von Jacques Allard

Herausgeber: EURAF.eu / ArchiWorld.comDVD, 74 min

Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist klar: Bis 2050 müssen unsere CO2-Emissionen je nach Prognosemodell um 40 bis 80 Prozent gesenkt wer-den, um die schlimmsten Folgen der Erderwärmung zu verhindern. Doch ist die Aufgabe überhaupt lösbar – und welche Rolle spielt bei alledem die Architektur? Antworten sind gefragt. Sie zu geben, haben sich – neben vielen anderen – die Autoren des Films ‚Last Call for Planet Earth’ vorgenommen.

Der Filmtitel (‚Letzter Aufruf für den Planeten Erde’) lässt flammende Appelle und einen Hauch Endzeit-stimmung vermuten. Doch dahinter verbirgt sich ein erstaunlich konven-tionelles Konzept, in dem 12 Archi-tekten nacheinander ihre Projekte und ihre Haltung zum Thema Nach-haltigkeit vorstellen. Äußerungen wie „Für mich ist Nachhaltigkeit wie eine Kulturrevolution, und wie bei jeder Revolution tut es dabei weh“, von Françoise-Hélène Jourda sind die Ausnahme. Im Allgemeinen ver-mitteln die Befragten eher den Ein-druck, die Klimaprobleme ließen sich relativ schmerzfrei mit den Werkzeu-gen der Architektur lösen. Ihre Dis-kussionsbeiträge berühren nahezu alle Bereiche nachhaltigen Bauens: den Energie- und Rohstoffverbrauch von Gebäuden, die aktive und passive Nutzung der Solarenergie, die Schaf-fung von Grünzonen in der Stadt, das Recycling von Materialien und die Le-bensdauer von Gebäuden sowie die

sozialen Aspekte der Architektur. Man kommt nicht umhin, die im Film vorgestellten Gebäude und Projekte – von denen einige bereits weltweit publiziert, andere noch eher unbe-kannt sind – zu bewundern.

Doch ‚Last Call for Planet Earth’ lässt den Blick unter die schöne Ober-fläche vermissen: Nie fragen die Au-toren ihre Gesprächspartner, wo ihr Einfluss endet und mit welchen Pro-blemen sie zu kämpfen hatten. Auch die wichtige Frage, unter welchen Rahmenbedingungen ökologische Ar-chitektur vom Einzelfall zum Massen-phänomen wird, bleibt außen vor. Das überzeugendste Interview im Film ist dann auch das einzige, das nicht mit einem aktiv ‚bauenden’ Architekten geführt wurde: Jaime Lerner hat die brasilianische Stadt Curitiba in den vergangenen drei Jahrzehnten als Städteplaner und Bürgermeister auf Nachhaltigkeit ‚umgepolt’. Sein wichtigstes Werkzeug war dabei die konsequente Förderung des öffentli-chen Nahverkehrs. Lerner bemerkt richtigerweise: „‚Grüne’ Gebäude und Recycling allein reichen nicht aus, das Problem liegt vielmehr in der Art und Weise, wie unsere Städte konzipiert sind. Die Vorstellung, dass Städte nur zum Wohnen und Arbeiten die-nen und sich die Menschen woan-ders erholen sollen, ist untragbar, und muss sich meiner Meinung nach in den nächsten zehn Jahren völlig verändern.“ Lerner stutzt die Archi-tektur damit auf das ihr eigene Maß an Einfluss zurück: im Einzelfall ein gutes Beispiel zu geben. Denn unter den falschen ökonomischen und po-litischen Rahmenbedingungen ist selbst die ‚grünste’ Architektur zum Scheitern verurteilt – und Filme wie ‚Last Call for Planet Earth’ könnten schnell zur Makulatur werden.

ÖKOMEDIEN / ECOMEDIA

Herausgeber: Sabine Himmelsbach, Yvonne Volkart / Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, OldenburgHatje Cantz VerlagISBN 978-3-7757-2048-9

Alle sprechen von Nachhaltigkeit und Klimawandel – nur die Kunst nicht? Zumindest der Politikwissenschaft-ler Christoph Spehr konstatiert im Buch ‚Ecomedia‘: „Es ist auf den ers-ten Blick eine der erstaunlichsten Tatsachen der documenta 12, dass sich keines der ausgestellten Werke mit dem Klimawandel auseinander-setzt – immerhin der radikalsten In-fragestellung unserer Lebensweise und Gesellschaftsordnung …“

Diese Lücke zu schließen, hat sich das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst im norddeutschen Oldenburg vorge-nommen. Für die Ausstellung ‚Ecome-dia‘ haben die Kuratoren 20 Künstler zusammengebracht, denen die ge-genwärtigen Veränderungen im Öko-system sehr wohl ein Anliegen sind. Die Themen, mit denen sie sich be-fassen, reichen von der globalisierten Nahrungsmittelproduktion über die Eisschmelze am Nordpol bis zu Baum-pflanzaktionen wie Joseph Beuys‘ ‚7000 Eichen‘ zur documenta 1982 in Kassel, die nun in der Internetwelt ‚Second Life‘ ein zweites Mal statt-findet. Die Projektauswahl spannt einen Bogen quer über die Kunstgat-tungen, von der Architekturvision über Videoinstallationen bis hin zum klassischen Happening. Zwei Haupt-strategien lassen sich dabei identifi-zieren. Die eine befasst sich mit der künstlerischen Interpretation wis-senschaftlicher Erkenntnisse – etwa Messdaten von Seismographen oder

CO2-Sensoren. Die andere verfolgt eher einen lebenspraktischen, parti-zipativen Ansatz und stellt die Frage in den Vordergrund: „Was können wir konkret tun?“ Stellvertretend für viele beklagt etwa die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Natelie Jeremi-jenko: „Ist Ihnen jemals die Lahmheit der ‚Was Sie tun können‘-Auflistun-gen am Ende von aufwühlenden Do-kumentationen wie ‚Eine unbequeme Wahrheit‘ aufgefallen?“

Wie Jeremijenko wollen die meis-ten der in der Ausstellung vorgestell-ten Künstler Übersetzungsarbeit zwischen Wissenschaft, Kunst und Alltag leisten. Dass in diesem Bereich noch viel zu tun bleibt, konstatiert der amerikanische Weltraumforscher Roger F. Malina in seinem Essay ‚Herr-liches Wetter. Was die Künste für die Wissenschaft tun können‘. Mit der von ihm mit initiierten Gesellschaft ‚Leonardo‘ arbeitet Malina seit 25 Jahren an einer engeren Verzahnung zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft – mit mäßigem Erfolg, wie er selbst eingesteht: „Bislang gab es vermutlich nicht mehr als 1000 Projekte an der Schnittstelle zwi-schen Kunst und Wissenschaft, die nicht nur zu künstlerischen Schöpfun-gen führten, sondern auch in einem substanziellen Beitrag resultierten, der zu wissenschaftlichen Erkennt-nissen führte.“

Sicher lässt sich in Frage stellen, inwieweit Kunst der Wissenschaft dienen muss und nicht umgekehrt. Doch in einer Zeit, in der die Kunst-szene fast bis zur Unerträglichkeit kommerzialisiert und banalisiert wird, senden Ausstellung und Buch ‚Ökomedien/Ecomedia‘ eine überfäl-lige Botschaft: Es gibt noch Ziele, für die es lohnt, sich zu engagieren. Auch und vor allem in der Kunst.

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DAYLIGHT & ARCHITECTUREAUSGABE 10WINTER 2008

WIEDERVERWERTUNGSchweizer Pavillon bei der EXPO 2000 in Hannover – ein zu (fast) 100% recyclingfähiges Gebäude.